Der Begriff »Tod« wird in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie Philosophie und Medizin, unterschiedlich definiert. Die Feststellung des Todes aus Sicht der Medizin ist vom medizinischen Fortschritt und deren neuen Erkenntnissen abhängig. Für den Umgang mit Sterben und Tod und die Gespräche darüber spielt es jedoch eine größere Rolle, welche Bedeutung ein Individuum dem Sterben und Tod beimisst. Daher wird hier nicht auf Definitionen von Sterben und Tod eingegangen. Von der individuellen Bedeutung des Sterbens ist auch abhängig, ob diese Themen tabuisiert werden oder bei Menschen Angst auslösen können. Ich widme mich auch nicht den von mehreren Autoren beschriebenen Sterbephasen, da es ohnehin kein Schema des Sterbens gibt. Die Einteilung des Sterbens in unterschiedliche Phasen kann die Individualität dieser Lebenssituation nicht relativieren. (Vgl. Heller 2000, S. 15.)
Mechthild Voss-Eiser (1991, S. 77) weist auf eine strikte Trennung der Bedeutung für die Begriffe »Sterben« und »Tod« hin. Oft wird vom Tod gesprochen, jedoch meist der Sterbevorgang gemeint. Sterben meint den Vorgang, bei dem es innerhalb einer kürzeren oder längeren Zeitspanne zu einem Übergang aus dem Zustand des Lebens in den Zustand des Todes gelangt. Genauer betrachtet ist die Bezeichnung von Leben als Zustand unzutreffend, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. (Vgl. Dölle 1976, S. 45.) Nach Klaus Feldmann (1997, S. 12) werden drei verschiedene Formen des Sterbens unterschieden: das »physische Sterben«, das »psychische Sterben« und das »soziale Sterben«. Die größte psychische Gefahr des Alters scheint die Vereinsamung zu sein und wird in der von mir bearbeiteten Literatur als »soziales Sterben« bezeichnet. Kindheit und Jugend sind die Zeit, in der man Freunde gewinnt. Im frühen Erwachsenenalter führen Beruf und Hobby zu vielen sozialen Kontakten. Wer eine feste Bindung herstellen kann, kann mit dem Partner Verwandte hinzugewinnen. Stellt sich Nachwuchs ein, so können sich im Kindergarten und in der Schule Beziehungen zu anderen Eltern ergeben. Die Beziehungsfähigkeit im Alter hängt davon ab, wie konstruktiv die bisherigen Erfahrungen waren, wie viel Zuversicht sie aufgebaut und wie viel Angst und Zweifel sie geweckt haben. (Vgl. Schmidbauer 2003, S. 153, 157.) Das »soziale Sterben« bezieht sich auf die soziale Identität, auf soziale Rollen und die Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten. (Vgl. Feldmann 1997, S. 85.) Die Verringerung der Privatsphäre, die Abnahme sozialer Kontakte und die Reduzierung eigener Aktivitäten können nach Reinhard Schmitz-Scherzer (1992, S. 16) zum »sozialen Sterben« führen. Nach den Erfahrungen von Katharina Heimerl, Andreas Heller, Georg Zepke und Hildegrund Zimmermann-Seitz (2000, S. 61) wünschen sich die meisten Menschen als räumliche Umgebung für ihren physischen Sterbeprozess ihre gewohnte Umgebung. Für Menschen, die zu Hause wohnen, ist dies ihr dortiges Zimmer. Für sie kann eine Umsiedlung in ein Pflegeheim eine große Belastung und ein erstes Anzeichen für »soziales Sterben« sein, das sich im Aufgeben der eigenen Selbständigkeit, des gewählten Kontaktes mit Bekannten und Verwandten, sowie vieler persönlicher Gegenstände äußern kann. Das Altern und das »soziale Sterben« werden nach Klaus Feldmann (1997, S. 85) häufig parallelisiert, sollten jedoch nicht gleichgesetzt werden, denn das »soziale Leben und Sterben« ist nicht unbedingt vom Alter abhängig. Ein alter Mensch, der sich in Projekten engagiert, könnte möglicherweise eine höhere soziale Anerkennung genießen als ein junger Mensch, der aus dem Gesichtspunkt seiner Umgebung Probleme bereitet. Die soziale Anerkennung kann ein Mensch jedoch, wie im eben genannten Beispiel, durch das Altern einbüßen. Möglicherweise hat er dann keinen Gesprächspartner, mit dem er über die Endlichkeit seines Daseins sprechen kann.
Das Sterben wird auch als eine Passivsituation beschrieben. Ob ein Mensch stirbt oder nicht, kann ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr kontrolliert werden. Die sterbende Person ist diesem Sterbevorgang ausgeliefert und kann ihn nicht mehr beherrschen, was zu Angst führen kann. (Vgl. Jüngel 1976, S. 118.) Man verliert durch das Sterben Menschen, die man nicht mehr zurückgewinnt. Nicht nur der Angehörige des Sterbenden muss sich verabschieden, der Sterbende selbst muss sich von geliebten Menschen und Dingen und letztendlich von der ganzen Welt lösen. (Vgl. Schmidbauer 2003, S.107.) Das Sterben selbst ist nach Herrn D. (Z. 154-160) für alle Menschen angstbesetzt, da niemand weiß, ob es schmerzt, was dabei passiert und was man erlebt. Nach seiner Erfahrung haben Menschen keine Angst vor dem Nichtmehrsein, sondern für viele sei der Übergang das Problem. Frau U. (Z. 82-87) beschreibt ferner die Angst vor dem Moment, nicht sterben zu können: „Mein Leben, das was noch kommt, ist nur Abstieg. Es ist ein hartes Bewusstsein, wenn man merkt, es wird immer weniger und wo führt das hin. ‘Lieber Gott, lass es doch endlich mal Schluss sein, damit es nicht noch weiter nach unten geht.’ Das ist das Schlimme am Alter, dass man sieht, es kann nicht mehr Positives kommen. Man hat Angst davor, dass man nicht mehr weiß, wer man ist und nicht sterben kann.“ Der Psychiater Fritz Meerwein bemerkte aufgrund seiner Beobachtungen an krebskranken Menschen, dass es die Einsamkeit und nicht das Sterben selbst ist, was seine Klienten in der Regel am meisten fürchten. (Vgl. Meerwein zit. nach Leuenberger 1985, S. 23.) Frau B. beschrieb, dass Frau Z. keine Angst vor dem Nichtmehrsein hat: „Ich habe mein Leben gelebt.“, sondern davor dann alleine in der Wohnung zu sein und dass niemand bei ihr ist. (Vgl. Frau B., Z. 30-31.) Die unterschiedlichen Ängste können jedoch keinem Menschen genommen werden. Wenn der alte, kranke oder sterbende Mensch seine Ängste äußert, kann man ihm zumindest zu verstehen geben, dass man versucht bei ihm zu sein: „Wenn etwas ist, du kannst mich jederzeit anrufen.“ (Vgl. Frau B., Z. 76-77.) Eine Möglichkeit mit dieser Angst umzugehen besteht darin, sich diese einzugestehen, sie zu formulieren und anderen mitzuteilen. Das gilt für alle wichtigen Gefühle und die Angst vor dem Sterben kann ein wichtiges und tiefes Gefühl sein. Die Angst kann nicht genommen aber erträglicher werden, wenn man sie mit anderen teilt, wenn man sie jemandem mitteilt. Jede Form von Angst kann Energie lähmen und blockieren. (Vgl. Hoffmann 1991, S. 48.)
„Man kann uns alles nehmen, man kann uns sogar das Leben nehmen – den Tod kann uns niemand nehmen. (...) Daran wird auch aller Wissensgewinn nichts ändern – so notwendig und hilfreich genaueres Wissen über Sterben und Tod für die Lebenden ist.“ (Jüngel 1976, S.111).
Dieses Zitat soll hervorheben, dass es für einen Menschen nichts Schlimmes wäre, wenn er auf der Stelle tot ist. Er wäre nicht mehr da und für Tote gibt es keine Empfindungen, weder Furcht noch Freude. Die Vorstellung vom Tod im Bewusstsein der Lebenden kann Angst erregen, der Tod selbst jedoch nicht. Der Mensch teilt die Geburt, Jugend, Krankheit, Alter und Tod mit den Tieren. Aber er allein unter den Lebewesen ist sich dessen bewusst, dass er jederzeit sterben kann und irgendwann einmal sterben wird. Das Tier stirbt jedoch, ohne von seinem Tod zu wissen. (Vgl. Elias 1991, S. 10ff, 70.) Wissen und Erleben gehen getrennte Wege. Man weiß um den eigenen Tod, doch erlebt man ihn nicht. (Vgl. Schmidbauer 2003, S. 81.) „Es gibt niemanden, der Erfahrungen mit Tod gemacht hat. Jeder macht sie, aber er kann sie nicht weitergeben. Es ist sehr wichtig, ob man vor dem Tod Angst haben muss oder ob man getrost auf ihn zugehen kann.“ (Frau U., Z. 22-25). Das Wissen vom Tod prägt die Bedeutung, die man dem Sterben gibt und den Umgang damit. Je älter und gebrechlicher ein Mensch wird, desto eher können die Themen rund um Sterben und Tod in den Vordergrund rücken. Junge Menschen beschäftigen sich seltener mit diesen Themen. (Vgl. Frau A., Z. 46-49/ Frau B., Z. 34-35/ Herr D., Z. 9-11.)
„Laut Definition verhindert ein Tabu, daß ein bestimmter Bereich ichnah erlebt, rational erhellt und aufgearbeitet wird, wo man nicht mehr weiterfragt und auch nicht daran denkt, dies zu tun.“ (Hoffmann 1991, S. 41).
Ein wichtiger Aspekt, der die Gespräche über Sterben und Tod beeinflussen kann, ist, ob die Themen tabuisiert werden oder nicht. In der Literatur sind mehrere Auffassungen vertreten, jedoch kann hier nur oberflächlich darauf eingegangen werden. Da jeder Mensch individuell ist, ist es nicht wichtig, wie viele Menschen die Themen Sterben und Tod möglicherweise tabuisieren. Interessanter ist die Fragestellung, was das Sterben für jemanden bedeutet und wie vorhandene Tabus gebrochen werden können. Zunächst möchte ich einen Einblick in die unterschiedlichen Betrachtungsweisen gewähren.
In meiner Literaturstudie begegnete ich sehr häufig der Ansicht, dass Sterben und Tod als Tabuthemen bezeichnet werden können, auch die Interviewpartner, die in ihrer beruflichen Tätigkeit mit diesen Themen konfrontiert werden oder wurden, bestätigten mir diese Anschauung. (Vgl. Frau A., Z. 49-50/ Frau B., Z. 22/ Herr D., Z. 108-112/ Frau E., Z. 41-43.) Die Ursachen für eine mögliche Tabuisierung der Themen und Gespräche können sehr unterschiedlich sein. Frau B. (Z. 91-92) begründete...