Mit dem Leitsatz „Personalbeschaffung ist eine Kunst und keine Wissenschaft“ beschreibt die Firma Kienbaum ihre Geschäftsphilosophie und unterstreicht dadurch ihre Marktführer-Position in Deutschland im Bereich Personalbeschaffung. Die Möglichkeiten für ein Unternehmen neue Mitarbeiter zu finden, zu beschaffen und somit den Personalbedarf zu decken, sind vielseitig. In Zeiten globaler Vernetzung und steigender Anzahl von Internetnutzern hat sich eine neue Form der Personalbeschaffung entwickelt. Electronic Recruitment, welches sich neben der klassischen Personalbeschaffung entwickelt hat, ist bereits für viele Unternehmen und Bewerber zur Selbstverständlichkeit geworden. Virtuelle Stellenausschreibungen, sowie sich online darauf zu bewerben, ist für einen Grossteil von Bewerbern und Unternehmen zur Normalität geworden. Stellte sich für den Personalverantwortlichen bisher die Frage, ob für die Beschaffung von interessanten und qualifizierten Arbeitskräften der Einsatz des Internets überhaupt sinnvoll ist, stellt sich heute mehr die Frage, welche Instrumente sowohl aus der klassischen Personalbschaffung wie auch des Electronic Recruitments zu wählen sind.
Bis heute wird der Begriff Electronic Recruitment (synonym: E-Recruiting, E-Cruiting, E-Recruitment oder Online-Recruiting) vielfach unterschiedlich interpretiert. Hierbei geht die Bandbreite vom einfachen Bewerben per Email bis hin zum komplexen elektronischen Bewerbungssystem. Wörtlich aus dem englischen übersetzt, bedeutet E-Recruitment soviel wie „elektronische Anwerbung“ und bezeichnet die Unterstützung der Personalbeschaffung durch den Einsatz moderner elektronischer Informationstechnologien, insbesondere des Internets. Hierbei stellt der Begriff des Recruitment „alle Maßnahmen dar, die offenen Positionen zur richtigen Zeit, in der richtigen Anzahl mit der erforderlichen Ausbildungsqualität und Persönlichkeitsstruktur zu besetzen“ (Wittel 2003, S. 3). Haben diese Maßnahmen etwas mit den neuen Medien zu tun, spricht man hierbei von Electronic Recruitment. Dieser Ansatz bietet jedoch mehr als die reine „Abbildung traditioneller Personalbeschaffungsinstrumente und –Prozesse auf internetbasierten Plattformen unter Ausnutzung von Kostenvorteilen“ (König 2003, S. 63). Durch innovative Funktionalitäten und weiterentwickelte Selektionsverfahren, wie beispielsweise verfeinerte Suchmechanismen in Bewerberdatenbanken oder erweiterte Online-Testverfahren, sind die Möglichkeiten gegenüber der klassischen Personalbeschaffung deutlich erweitert. Ackermann umfasst daher den Begriff Electronic Recruitment mit „sämtliche internet- und intranetbasierten Aktivitäten der Personalwerbung einschließlich der Personalgewinnung und –auswahl“ (Ackermann 2002, S. 119). Hierdurch kann man Electronic Recruitment nicht nur als die virtuelle Abbildung der klassischen Personalbeschaffung sehen, sondern vielmehr für weitere Möglichkeiten zur Personalbeschaffung durch die Informations- und Kommunikationstechnologie. Im extremsten Fall kann der Begriff Electronic Recruitment mit der vollständigen Digitalisierung[4] eines Personalbeschaffungsprozesses definiert werden. Dies kann sämtliche Prozesse von der Identifizierung des Personalbedarfs und der Stellenvakanz bis zur erfolgreichen Besetzung der Stelle umfassen (vgl. König 2003, S. 8).
Um die verschiedenen Ansatz-Möglichkeiten des Electronic Recruitment, die mittlerweile über Online veröffentlichte Stellenausschreibungen, Jobinformationen und der Nutzung der firmeneigenen Webseite für personaltechnische Dinge hinausgehen zu verdeutlichen, werden im folgenden Teil zwei verschiedene Ansätze aus der Praxis näher erläutert.
So entwickelte beispielsweise die Siemens AG zur Einführung ihres Electronic Recruitmentsystems die Strategie, Personalbeschaffung als Marketingprozess zu sehen, um potenzielle Mitarbeiter wie Kunden zu behandeln, die zu bewerben und zu halten sind. Hierfür hat die Siemens AG ihren Rekrutierungsprozess in drei Phasen aufgeteilt (vgl. Kürn 2004, S. 4):
Attract (anziehen)
Select (auswählen) und
Integrate (einfügen).
Unter der Attract-Phase werden alle Maßnahmen zusammengefasst, interessierte Stellensucher auf die Siemens AG aufmerksam zu machen und das Unternehmen als einen attraktiven Arbeitgeber darzustellen. Ziel dieser Phase ist es, sich dem potenziellen Mitarbeiter als attraktiven Arbeitgeber zu präsentieren und ihn somit zur Bewerbung auf ein Stellenangebot zu motivieren. In der Select-Phase versucht Siemens, mit Hilfe einer effizienten Electronic Recruitment Lösung aus dem Bewerberpool die best-passendsten Bewerber zu selektieren. Hierfür stehen Such- und Matching-Funktionen[5] bereit, die anhand eines konkreten Anforderungsprofils die Datenbank durchsuchen. Für passende Bewerber endet dann vorerst die elektronische Bewerbung. Es ist zwar möglich, Interviews und auch Telefoninterviews mit Hilfe von internetbasierten Lösungen vorzubereiten und gewonnene Daten einzugeben, das eigentliche Bewerbungsgespräch (BG) findet jedoch ohne technische Unterstützung statt. Erst nach Abschluss eines Arbeitsvertrages wird der neue Mitarbeiter in die dritte Phase, die Integrate-Phase, übergeben. „Ziel dieses Prozess-Schrittes ist die wirkungsvolle Integration neuer Mitarbeiter, damit diese möglichst schnell einen Beitrag zum Geschäftserfolg leisten können und an das Unternehmen gebunden werden“ (Kürn 2004, S. 10). Beispielsweise werden neuen Mitarbeitern alle Informationen und Ressourcen, die für ihre zügige Integration relevant sind, digital bereitgestellt.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Personalabteilung der Deutschen Bank AG. Hier wird das Internet als Informationsquelle und als Brandingplattform gesehen (vgl. Steffens-Duch 2003, S. 215). Mit diesem Ansatz versucht die Deutsche Bank AG, den Namen der Bank in die Öffentlichkeit zu tragen und somit den Bekanntheitsgrad zu steigern. Ziel hierbei ist es, durch steigenden Bekanntheitsgrad attraktiver für neue Mitarbeiter zu werden. Zur Gewinnung potenzieller neuer Mitarbeiter nutzt die Deutsche Bank AG zielgruppenabhängig eine Vielzahl von Instrumenten (vgl. Abbildung 1), die je nach Bedarf gebündelt werden können.
Abbildung 1: Instrumente zur Mitarbeitersuche
(Quelle: Steffens-Duch 2003, S. 215)
Zwar hat sich laut Aussage der Deutschen Bank AG die eigene Karriereseite im Internet unter den verschiedenen Möglichkeiten als die Wichtigste herauskristallisiert, so liegt der Schwerpunkt jedoch mehr auf einem langfristigen Beziehungsmanagement zu den Arbeitsmärkten als bei der konkreten Stellenbesetzung.
Damit mögliche neue Mitarbeiter auf die firmeneigene Bewerberseite finden, ist die Deutsche Bank AG bei verschiedenen Jobbörsen geschaltet oder betreibt Banner auf verschieden Internetportalen (Abbildung 2).
Abbildung 2: Navigationsstruktur der Deutschen Bank Karriereseite
(Quelle: Steffens-Huch 2003, S. 215)
Über die Bewerberseite haben die Bewerber die Möglichkeit auf die unternehmenseigene Stellenbörse zu gelangen. Aufgeteilt in die verschiedenen Zielgruppen ermöglicht diese Seite zwar den schnellen Zugriff auf passende Stellenangebote, die eigentliche Online-Bewerbung ist jedoch nicht ausgereift. Zwar bietet die Deutsche Bank AG zielgruppenspezifische Online-Bewerbungsformulare mit auf die Gruppe ausgerichtete Fragen an, jedoch müssen relevante Dokumente per Post nachgereicht werden. Dieser Medienbruch spiegelt die anfänglich beschriebene Problematik wieder und zeigt, dass die vielfältigen Möglichkeiten, die Electronic Recruitment heute schon bietet, von der Deutschen Bank AG bei weitem nicht ausgeschöpft werden.
Laut Tonio Riederer von Paar nutzten 1997 erst 50 % der deutschen Personalmanager das Internet zur Personalbeschaffung und nur die Hälfte der befragten Unternehmen plante, die Internettechnologie in näherer Zukunft für die Abwicklung ihrer Personalbeschaffungsprozesse einzusetzen (vgl. Riederer von Paar 1997, S. 49). Als Grund für diese Zurückhaltung führt Riederer von Paar den fehlenden Bedarf an neuen Rekrutierungswegen „oder innerbetriebliche Kompetenz- und Budgetrestriktionen auch die bis dahin oftmals fehlende technische Ausstattung in Personalabteilungen, allgemeine Unsicherheit oder fehlendes technisches Know-How“ (vgl. Riederer von Paar 1997, S. 51), an. Durch die rasante Internetverbreitung nutzen jedoch heute bereits der überwiegende Teil der mittelständischen Unternehmen und sogar fast alle Großunternehmen die Möglichkeiten der virtuellen Personalrekrutierung. Laut der Kienbaum Personalmarketing-Studie 2005 benutzen aktuell 96 % der deutschen Unternehmen elektronische Kanäle wie beispielsweise die eigene Homepage für den Bereich des...