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Das Konzept der Resilienz: Möglichkeiten und Grenzen für die Sozialpädagogische Familienhilfe

Möglichkeiten und Grenzen für die Sozialpädagogische Familienhilfe

AutorEsther Ruoß
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783638744027
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Evangelische Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg; Standort Reutlingen, 81 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Meine Frage, der ich in dieser Arbeit nachgehen möchte, ist gleichzeitig die Frage der Resilienzforschung: Welche Faktoren tragen trotz einer belasteten Kindheit mit zahlreichen Risiken dazu bei, dass Kinder sich zu gesunden Persönlichkeiten entwickeln können? Das Interesse meiner Arbeit gilt speziell der Entwicklung von Resilienz bei Kindern: Kinder, die früh lernen, mit Schwierigkeiten, Krisen und problematischen Lebensumständen umzugehen, haben trotz schwieriger Ausgangsbedingungen die Chance, alle Widrigkeiten zu meistern und sich positiv zu entwickeln. Vor allem diejenigen Kinder, die vielerlei Problemen ausgesetzt sind, wie z.B. Vernachlässigung, Scheidung der Eltern und Gewalterfahrungen, haben Unterstützung besonders nötig, um sich zu belastbaren Persönlichkeiten zu entwickeln, die unter den Widrigkeiten ihrer Kindheit nicht zerbrechen, sondern gestärkt daraus hervorgehen. Eine solche Widerstandsfähigkeit in vorübergehenden oder lang andauernden Krisen wird in der Wissenschaft als Resilienz bezeichnet. Aufgrund meiner Erfahrungen in der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) scheint mir diese Frage besonders relevant für die pädagogische Arbeit mit Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Die SPFH arbeitet mit Familien, die meist mit Problemen auf mehreren Ebenen zu kämpfen haben. Die Kinder aus solchen Familien sind besonders gefährdet an den schwierigen Lebensbedingungen ihrer Familie zu zerbrechen. SPFH konzentriert sich aber nicht allein auf die Arbeit mit den Kindern. Ihr Anliegen ist es in erster Linie auch, mit den Eltern zu arbeiten, um diese bei der Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen, zu begleiten und sie in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken. Als Resultat sollen gemeinsam mit den Eltern bessere Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder geschaffen werden. Ursula Nuber schreibt in einem Artikel zum Thema Resilienz: 'Resilienz kann man lernen - und das sollte möglichst früh passieren.' Später fügt sie aber noch hinzu: 'Resilienz kann in jedem Lebensalter erlernt werden.' Ausgehend von diesen beiden Hypothesen möchte ich weiter in meiner Arbeit der Frage nachgehen, in welchen Bereichen die SPFH dazu beitragen kann, dass Eltern und Kinder lernen, mit widrigen Umständen resilient umzugehen. Andererseits werde ich mich aber auch mit den Grenzen der SPFH beschäftigen, Resilienz zu fördern, die beispielsweise bedingt sind durch die Rolle des Familienhelfers und den Kontext, in dem sich SPFH abspielt.

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Leseprobe

2. Resilienz


 

2.1. Definition von Resilienz


 

2.1.1. Was meint „Resilienz“?


 

Der Begriff „Resilienz“ leitet sich von dem englischen Wort „resilience“ ab, was mit Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität übersetzt werden kann.[5] Ursprünglich wurde der aus dem Lateinischen stammende Begriff (lat. resilire) für Materialien verwendet, die die physikalische Eigenschaft besitzen, nach Druckerfahrung zurückzuspringen und ihre eigentliche Form wieder zu erlangen (z.B. Gummi). In der Psychologie wird der Begriff in übertragener Form auf die Psyche des Menschen angewendet, er bezeichnet „die Fähigkeit, nach Beeinträchtigungen – psychischer oder physischer Art – rasch zu Stärke, Ausgeglichenheit und positiver Gestimmtheit zurückzufinden und / oder diese zu bewahren“[6], so die Erklärung des Resilienzbegriffs der Pädagogin Yolanda Bertolaso. Wichtig ist, dass der Resilienzbegriff nur in Zusammenhang mit belastenden Situationen wie z.B. Misserfolgen, Unglücken, Notsituationen, traumatischen Erfahrungen, Risikosituationen, u.ä. seine Berechtigung hat. Menschen, die niemals mit Schwierigkeiten dieser Art in ihrem Leben konfrontiert waren, kann man daher nicht als resilient bezeichnen, denn Resilienz meint „die Fähigkeit(en) von Individuen oder Systemen (z.B. Familie), erfolgreich mit belastenden Situationen (…) umzugehen“[7], so der bekannte Frühpädagoge Wassilios E. Fthenakis in seinem Vortrag über Resilienz. Die Pädagogin und Resilienzexpertin Corina Wustmann definiert Resilienz in Bezug auf die Arbeit mir Kindern als psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken. Der Begriff Resilienz, sowohl im psychologischen als auch im pädagogischen Kontext, meint also psychische Gesundheit trotz hoher Risikobelastungen,[8] aber auch „die relativ eigenständige Erholung von einem Störungszustand“[9]. Resiliente Menschen zeichnet also vor allem ihre Bewältigungskompetenz aus, die es ihnen ermöglicht, mit Belastungen im Leben positiv umzugehen und nicht daran zu zerbrechen.

 

Doch was ist das spezielle am Begriff „Resilienz“, was drückt er aus, was andere Begriffe nicht in derselben Art ausdrücken könnten? Die bekannten Resilienzforscher Friedrich Lösel und Doris Bender geben darauf Antwort: In der Forschung sprach man anfangs noch von „invulnerability“ (Unverletzlichkeit) und meinte damit, dass manche Menschen von ihrer Persönlichkeit her so widerstandsfähig wären, dass nicht einmal traumatische Erfahrungen sie verletzen könnten. Der Begriff „Resilienz“ ist dagegen neutraler und hat nichts mit den anfänglichen Annahmen der Forschung zu tun, die stark an Persönlichkeits- und Entwicklungstheorien gebunden waren. Des Weiteren gibt es den Begriff „coping“[10] (dt. Bewältigung), der jedoch stark an Zeit und Situation gebunden ist und weniger überdauernde Aspekte der erfolgreichen Bewältigung von Belastungen einschließt, wie der Begriff „Resilienz“.[11]

 

2.1.2. Wie sieht die Resilienzforschung den Menschen?


 

Um einen Zugang zum Konzept der Resilienz zu bekommen, reicht es nicht allein, sich mit der Herkunft des Begriffs auseinander zu setzen – zentral in der Resilienzforschung ist das Menschenbild. Die Resilienzforschung legt das Hauptaugenmerk nicht auf krankhafte Symptome oder Auffälligkeiten in der Entwicklung des Kindes, wie es bis dahin sowohl in der Psychologie als auch in der Medizin lange der Fall war, sondern auf Faktoren und Fähigkeiten, die den Menschen gesund erhalten, ähnlich wie die Salutogenese von Aaron Antonovsky, auf die ich im nachfolgenden Punkt noch genauer eingehen werde.

 

Auch in der Psychotherapie gibt es inzwischen viele Vertreter, die Menschen mit einer belasteten Kindheit nicht mehr hauptsächlich als Opfer sehen, sondern die den Fokus in der Therapie auf die Bewältigungsressourcen des Einzelnen legen. Die Psychotherapeutin Katja Doubek beschreibt in ihrem Ratgeber für Menschen, die eine schwierige Vergangenheit überwinden möchten, die zahlreichen Möglichkeiten und Strategien, die Kinder, welche unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, entwickeln, um sich selbst zu schützen. Beispielsweise suchen sie sich andere Erwachsene, von denen sie Anerkennung bekommen und liebevolle Annahme erfahren.[12] Doubek setzt die Lehre der Entwicklungspsychologie, dass Kinder in der Entwicklung ihres Selbstbilds auf die Rückmeldungen ihrer Umwelt und ihrer Bezugspersonen angewiesen sind und dadurch entscheidend geprägt werden, dabei nicht außer Kraft. Sie schreibt aber, dass man Kinder nicht darauf reduzieren darf, dass ihre Entwicklung allein durch ihre Umwelt bestimmt wird. Auch der Psychologe und Pädagoge Rolf Oerter beschäftigt sich in seinem Artikel „Ist Kindheit Schicksal?“ mit den Fähigkeiten von Kindern, mit Umwelteinflüssen konstruktiv umzugehen; er bezeichnet das Kind „als Gestalter seiner Entwicklung.“[13] Hierin liegen auch die Ausgangspunkte der Resilienzforschung, wo man mittlerweile nicht mehr von unverwundbaren Kindern spricht, aber sehr wohl von kompetenten Kindern, die auf Grund von eigener Aktivität und Fähigkeiten ihr Leben mit gestalten können und Kindheit somit eben nicht nur Schicksal ist.

 

2.2. Bezugsmodelle


 

2.2.1 Salutogenese


 

Das von dem amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky entwickelte Modell der Salutogenese hat in den 70er Jahren erstmals einen Paradigmenwechsel in der Betrachtung des Verhältnisses von Gesundheit und Krankheit eingeläutet. Bis dahin war ausschließlich das biomedizinische Krankheitsmodell vorherrschend, was bewirkt hat, dass sich Mediziner und Psychologen nur mit der Entstehung und der Therapie von Krankheiten auseinandergesetzt haben und nicht danach gefragt wurde, was Menschen gesund erhält.

 

Das Wort Salutogenese setzt sich zusammen aus dem lateinischen Begriff „Salus“ für Gesundheit und dem griechischen Begriff „Genesis“ für Entstehungsgeschichte. Die Frage der Salutogenese ist also „Wie entsteht Gesundheit?“ oder „Was erhält gesund?“. Die Salutogenese lehnt es ab, die Welt in „Gesunde“ und „Kranke“ einzuteilen, sie nimmt eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen ein, mit gesunden und kranken Anteilen und verabschiedet sich von der Utopie, das Krankheit eine Ausnahmeerscheinung und Gesundheit der Normalzustand ist. Antonovsky hält es für unwahrscheinlich, dass es jemals möglich sein wird, alle Krankheitsverursachenden Faktoren durch intensive Behandlung und ständige Forschung auszuschalten. Unsere alltägliche Realität bestätigt meiner Meinung nach diese Sichtweise – kaum wurde ein neuer Impfstoff entwickelt, gibt es eine neue Krankheit, die medikamentös nicht behandelbar ist.

 

Verbindungen zum Konzept der Resilienz sehe ich darin, dass die Salutogenese von einem optimistischen, ressourcenorientierten Menschenbild ausgeht, das Krankheit und Schwäche beim Menschen nicht ausklammert und allein Gesundheit und Stärke betont. Sowohl die Salutogenese als auch das Konzept der Resilienz versuchen, den Menschen in seiner Ganzheit wahrzunehmen, dabei aber seine Bewältigungskompetenzen zu betonen. In der Förderung von Fähigkeiten und Stärken sehen salutogenetisch orientierte Ärzte und Psychiater den Schlüssel, mit Krankheit umzugehen, bis dahin, dass Krankheit auch eine Chance sein kann, wenn deren Bewältigung neue Fähigkeiten und Kompetenzen fördert und der Mensch so gestärkt aus einer Krise hervorgehen kann.[14] Das Konzept der Resilienz hält den Menschen – insbesondere auch Kinder – für kompetent, extreme psychische oder physische Belastungen und Krisen aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten und mit Hilfe seiner Umwelt zu bewältigen und gestärkt daraus hervorzugehen.

 

Das zentrale und sehr bekannte Ergebnis von Antonovskys Forschungen zum Thema „Was erhält den Menschen gesund?“ hat er im so genannten Kohärenzgefühl (lat. zusammenhängend, zusammenhalten, Halt haben)[15] zusammengefasst. Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Belastende Situationen und Krisen müssen für den Betroffenen verstehbar und bewältigbar sein sowie Sinn ergeben, damit man daran nicht physisch oder psychisch erkrankt.[16] Ein Kohärenzgefühl entwickelt der Mensch aufgrund seiner Erfahrungen – macht er die Erfahrung, belastende Situationen bewältigen zu können, stärkt das sein Kohärenzgefühl. Scheitert er, entsteht Stress, was aber nicht unweigerlich zur Krankheit führen muss. Vor allem durch Erfahrungen in der Kindheit und Jugend wird das Kohärenzgefühl stark geprägt: „Stehen in dieser Zeit viele innere Ressourcen (z.B. Begabungen oder bereits verinnerlichte gute Erfahrungen) und äußere Ressourcen (zum Beispiel eine Familie mit geeigneter Konfliktmeisterung, Freunde, Spielorte) zur Verfügung, entwickelt sich daraus ein starkes Kohärenzgefühl.“[17], so führt es der Psychotherapeut und Arzt Eckhard Schiffer in seinem Buch über Salutogenese aus. Ein starkes Kohärenzgefühl ermöglicht den Zugang zu inneren und äußeren Ressourcen, die nötig sind, um Krankheit zu bewältigen. Menschen mit einem schwach...

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