„Altenheim – muss nicht sein!“ Mit diesem Slogan lässt sich das derzeitige Meinungsbild der deutschen Bevölkerung zur Gestaltung des Lebensendes wiedergeben. Das selbstständige Wohnen in der vertrauten Umgebung möchte kaum jemand vorschnell aufgeben und die meisten Menschen wünschen sich nach wie vor, einmal in ihrer vertrauten Umgebung sterben zu können. Tatsächlich ist das Sterben in Deutschland aber weitgehend institutionalisiert, so sterben derzeit 90 % der Deutschen in Institutionen, davon zwei Drittel im Krankenhaus und ein Drittel im Alten- bzw. Pflegeheim.[1]
Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartungen sowie voranschreitender Trends zur Individualisierung der Lebensgestaltung hat sich der Umgang mit Sterben und Tod in modernen Gesellschaften gewandelt. Sterben und Tod sind keine alltäglichen Erfahrungen mehr und rücken zunehmend aus dem öffentlichen Bereich in den Bereich des privaten bzw. der dafür vorgesehenen Institutionen.[2] Schon vor gut 20 Jahren sprach Norbert Elias von der Vereinsamung der Sterbenden. Diese sei sowohl durch die Einstellung der Überlebenden bedingt als auch durch die Persönlichkeitsstruktur der Sterbenden selbst.[3]
Die Angst vor unerträglichen Schmerzen, Angst davor, ausgeliefert und würdelos zu sein, und die Angst, gegen den eigenen Willen unnötig lange am Leben erhalten zu werden – diese Ängste liegen nach Körtner bei vielen Menschen in der Gesellschaft vor und werden meist verdrängt.[4] Wird dann noch von unwürdigen Pflegesituationen in deutschen Pflegeheimen berichtet, werden diese Ängste noch potenziert.[5] „Nach jeder Sendung über Skandale in deutschen Pflegeheimen steigt die Zahl der Nachfrage nach ‚Dignitas’ und ‚Exit’ Angeboten, zum assistierten Suizid: ’So will ich nicht enden’.“[6]
Das Thema Sterbehilfe ist in der Öffentlichkeit immer wieder eine kontrovers diskutierte Angelegenheit und auch in der Pflegeethik stehen Fragen zur Gestaltung der Sterbephase und damit die mögliche Legalisierung von aktiver Sterbehilfe in einer dauerhaften Debatte.[7] Frewer und Winau stellen fest, dass derzeit die Sterbekultur einer ganzen Gesellschaft zur Disposition stehe, deren Gestaltung zunehmend Angelegenheit von Ärzten[8] und Pflegenden geworden sei, aber ebenso eine gesellschaftliche Aufgabenstellung darstelle.[9]
Immer wieder wird von Vertretern der Palliativmedizin und Gegnern der Sterbehilfe betont, dass bei einer angemessenen palliativen Versorgung, die aus einer austarierten Schmerztherapie sowie dem persönlichen Beistand bestehen sollte, der Wunsch nach lebensbeendenden Maßnahmen zurückgezogen wird oder gar nicht erst aufkommt.[10]
Dass diese Aussage gesellschaftlichen Zuspruch findet, zeigt sich daran, dass inzwischen verstärkt mit dem Aufbau von Palliativ-Einrichtungen und Hospizen begonnen worden ist. Gleichzeitig ist jedoch auch eine Zunahme weltweiter Aktivitäten von Sterbehilfegesellschaften zu verzeichnen. Die Einführung von Patientenverfügungen und Bemühungen um eine Gesetzesänderung des Strafrechts bei aktiver Sterbehilfe in verschiedenen Ländern sind ebenso als Zwischenergebnisse in der Debatte um die Gestaltung der Sterbekultur in der modernen Gesellschaft zu werten.[11]
Nachdem lange Zeit der Fokus der Palliative Care Bewegung auf schwerkranken und sterbenden Krebspatienten lag, richten sich die Bemühungen nun auch auf die älteren Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen.[12] Auch wenn das Selbstverständnis der Einrichtungen der Altenhilfe häufig anders ist, kann man sagen, dass Altenpflegeheime zunehmend zu Sterbeeinrichtungen werden. Die Sterbehäufigkeit in Heimen ist steigend, 60 % der Bewohner versterben innerhalb eines Jahres, die Verweildauer ist generell sinkend.[13] Dass das Thema Palliative Care in der Altenpflege an Bedeutung zunimmt und die Zielgruppe der älteren Menschen von den Fortschritten der Palliativmedizin zukünftig profitieren kann, wird an verschiedenen Erklärungen deutlich, wie z.B. an der 2004 veröffentlichten WHO Publikation „Better Palliative Care for Older People“[14] oder den internationalen Kernaussagen des World Hospice & Palliative Care Day 2007[15], die eine palliative Versorgung für schwerkranke und sterbende Menschen aller Altersgruppen fordern und gerade bei älteren Menschen besondere Bedürfnisse in der palliativen Versorgung erkennen.[16]
Die bisherige Vernachlässigung des Themas Hospiz im Alter war besonders für die Pflegekräfte eine große Benachteiligung. Denn anders als in Hospizen müssen die Pflegenden in Alterseinrichtungen häufig mit suboptimal gestalteten Sterbebegleitungen oder auch plötzlichen Todesfällen umgehen.[17]
Wie die Sterbebegleitung und die palliative Versorgung in der stationären Altenpflege verbessert werden kann, ist in erheblichem Maß von der Mitwirkung der Pflege abhängig. Pflegekräfte begleiten die ihnen anvertrauten Heimbewohner in den meisten Fällen bis zu ihrem Tod. Bei den Entscheidungen, die am Lebensende getroffen werden müssen, sind sie involviert oder zumindest von diesen betroffen.[18] Pflegende haben beim Entscheidungsprozess eine besondere Rolle: Pflegende sind diejenigen, die die Schmerztherapie überprüfen und die für die Patienten bzw. Bewohner die ersten Ansprechpartner sind, wenn diese den Wunsch nach Therapieverzicht/-abbruch äußern. Auch von den Ärzten werden sie vielfach um ihre Einschätzung der Situation gebeten und letztlich sind es auch in vielen Fällen die Pflegekräfte, die den Therapieverzicht durchführen.[19]
Während in vielen Befragungen zum Thema Sterbehilfe und Sterbebegleitung meist die Einstellungen der Ärzte zu Themen der Sterbehilfe erfragt wurde, wurde bislang zu wenig die Haltung der Pflegenden, vor allem im Bereich der stationären Altenpflege fokussiert. Die European Association for Palliative Care stellt einen Mangel an aussagekräftigen Untersuchungen zu den Einstellungen und Haltungen gegenüber Euthanasie und ärztlich assistiertem Suizid fest, jede weitere Forschung in diesem Bereich könne die Diskussion um die Verbesserung der palliativen Versorgung bereichern.[20]
Gerade in Pflegeheimen wird der Zugang zur medizinischen Versorgung vorwiegend über die Pflegekräfte hergestellt[21] und mit Zunahme der gerontopsychiatrischen Erkrankungen steigt die Verantwortung der Pflegenden für diejenigen, die ihren eigenen Willen nicht mehr äußern können.[22] Die Zunahme von Sterbebegleitungen in Alten- und Pflegeheimen und die Tatsache, dass die Haltungen hierzu gerade von Pflegenden bislang zu wenig berücksichtigt wurden, gibt Anlass zur Untersuchung des Meinungsbildes von Pflegenden in stationären Altenpflegeeinrichtungen. Es gilt zu klären, wie sie die derzeitige Sterbesituation in den Einrichtungen einschätzen und von welchen Einstellungen und Kenntnissen sie bei der Arbeit mit sterbenden Bewohnern geleitet werden. Dabei sind besonders die Fragen nach Tötung auf Verlangen, medizinisch assistiertem Suizid, Therapieverzicht/-abbruch und der Anwendung medizinischer Maßnahmen mit Inkaufnahme der Gefahr einer Lebensverkürzung von Interesse jeweils auch für den Fall, dass die Heimbewohner ihren Willen nicht mehr bekunden können.
Nach einer Vorstellung der in dieser Arbeit häufig angewandten Terminologien (Kapitel 2) soll zunächst der theoretische Hintergrund (Kapitel 3) skizziert werden. Es wird dabei v.a. auf die rechtliche und ethische Diskussion zum Thema Sterbehilfe eingegangen. Hierbei kann die Debatte keinesfalls erschöpfend dargestellt werden, auf die Bereiche der Lebensbeendigung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen oder demenziellen Erkrankungen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Die strukturellen Rahmenbedingungen in der stationären Altenpflege werden vorgestellt, wobei ein besonderer Fokus auf die Pflege sterbender Heimbewohner und Ansätze zur Implementierung von Palliative Care in den Heimen gelegt wird. Anschließend werden die für diese Arbeit relevanten bisherigen Meinungsforschungen zu den Themen Sterbehilfe und Sterbebegleitung beschrieben. Dieser erste Teil der Arbeit ist eine theoretische Literaturarbeit. Die Literaturrecherche wurde über verschiedene Zugangswege durchgeführt:
- Online-Katalog der Universitätsbibliothek Osnabrück
- Gemeinsamer Verbundkatalog des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes
- Fachdatenbanken medline/medpilot, Wise, Belit, GeroLit
- Deutschsprachige Fachzeitschriften: Altenpflege, Pflege, Zeitschrift für Palliativmedizin, Praxis Palliative Care, Zeitschrift für Medizinische Ethik, Ethik in der Medizin
- Suchmaschinen Google und Google Scholar
- Querverweise durch die Literatur
Ein- und Ausschlusskriterien für die Recherche waren folgende:
- Die recherchierte Literatur beschränkt sich größtenteils auf den Zeitraum von 2000 bis 2010.
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