Nachfolgend wird zunächst der aktuelle Stand der Forschung im Bereich Wirtschafts- bzw. Führungsethik beschrieben (Kapitel 3.1). Aus den bisherigen Befunden werden darauf aufbauend Untersuchungsfragen bezüglich des Konstrukts EF abgeleitet, um diese in der anschließenden Datenanalyse dieser Arbeit zu betrachten.
Zur Untersuchung der Auswirkungen eines EF auf das Verhalten der Mitarbeiter wird nachfolgend ein theoretisches Modell entwickelt, das sich aus zwei Hypothesen zusammensetzt, die vermutete Zusammenhänge zwischen den drei Konstrukten EF, OCB und LMX postulieren (Kapitel 3.2). Grundlage für die Ableitung des in der Datenanalyse zu untersuchenden theoretischen Modells bilden die aktuellen Ergebnisse der OCB- und LMX-Forschung.
3.1 Aktueller Stand der Forschung zum ethischen Führungsverhalten von Führungskräften gegenüber ihren Mitarbeitern
Wie in Kapitel 2.1 bereits erwähnt, liegen bisher keine wissenschaftlichen Studien vor, die das tatsächliche ethische Verhalten von Führungskräften gegenüber ihren Mitarbeitern, d. h. EF, untersuchen[7]. Es existieren qualitative Forschungsarbeiten, die dem Themenfeld Wirtschafts- bzw. Führungsethik zuzuordnen sind, jedoch generelle ethische Problemfelder, bzw. das allgemeine ethische Bewusstsein von Führungskräften gegenüber der gesamten Gesellschaft betrachten. Im Gegensatz zum Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit beziehen sich die vorliegenden Studien auf die Ethik von Führungskräften bzw. Unternehmen gegenüber allen Stakeholdern, d. h., z. B. gegenüber Kunden, Lieferanten, dem Staat oder der Gesellschaft. Dennoch liefern diese Untersuchungen relevante Ergebnisse, welche die Grundlage für den speziellen Forschungsgegenstand dieser Arbeit bilden und werden deshalb im Folgenden zusammenfassend vorgestellt.
Die erste im Themengebiet Wirtschaftsethik durchgeführte Befragung an Führungskräften stammt von Baumhart, der im Jahr 1961 untersuchte, wie ausgeprägt das Bewusstsein US-amerikanischer Führungskräfte bezüglich ethischer Problemfelder im Berufsalltag ist. Drei Viertel der befragten Personen berichten hier von erfahrenen Konflikten zwischen persönlichen ethischen Standards und an sie gestellte Erwartungen im Unternehmen (Baumhart 1961: 15f.). 1977 wurde diese Studie von Brenner & Molander wiederholt und es konnte erneut bestätigt werden, dass Führungskräfte in ihrem Berufsalltag einer Vielzahl von persönlich-moralischen Konflikten gegenüberstehen.
Auch die 1986 im deutschsprachigen Raum von Kaufmann et al. durchgeführte Befragung ergab, dass sich 48% der Führungskräfte zu Handlungsweisen gedrängt sehen, durch die sie mit ihrem Gewissen in Konflikt geraten (Kaufmann 1986: 197).
Die von Waters et al. (1986) vorgenommenen Interviews zeigen weiterhin, dass sich diese moralischen Probleme von Führungskräften hauptsächlich in den Beziehungen zu Vorgesetzten und Mitarbeitern manifestieren.
Auch Toffler (1986) bestätigt die Ergebnisse der zuvor erfolgten Studien und auch er fand heraus, dass zwei Drittel der ethischen Konflikte, denen sich Führungskräfte gegenüber sehen, im Bereich Personalführung (Staffelbach 1994: 19) liegen.
Bei einer schriftlichen Befragung von Schweizer Managern wurden diese aufgefordert, Themengebiete zu nennen, die klassische ethische Problembereiche in der Unternehmung darstellen (Staffelbach 1994: 20). Auch bei dieser Studie wird deutlich, dass die Mehrzahl der ethischen Konflikte im Bereich Personalmanagement anzutreffen ist. So bezeichneten beispielsweise 62,9% der befragten Manager die „Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz“ sowie 45,1% die „Privatsphäre der Mitarbeiter“ und 39,3% „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ als klassische ethische Problemfelder in ihrem Berufsalltag (ebd.: 21).
Eine andere Kategorie von Forschungsarbeiten im Wissenschaftsbereich der Wirtschaftsethik geht der Frage nach, welche Maßnahmen Unternehmen zur Verwirklichung ethischen Verhaltens ergreifen.
Ein Beispiel hierfür ist die 1986 durchgeführte Befragung amerikanischer Unternehmen durch das Center for Business Ethics. Schon damals gaben 93,3% der Unternehmen an, einen Verhaltenskodex zu besitzen, 17,9% berichteten von einer vorhandenen Ethik-Kommission und 44,4% bestätigten die Durchführung von Mitarbeitertrainings im Bereich Ethik (Center for Business Ethics 1986: 87).
Auch die Ergebnisse einer Befragung von deutschen und schweizerischen Unternehmen (Ulrich et al. 1998) „geben Hinweise darauf, dass eine Sensibilisierung für ethische Maßnahmen besteht, dass aber von Realisierung auf breiter Front noch nicht die Rede sein kann“ (Neuberger 2002: 761).
Daneben gibt es eine Vielzahl von empirischen Studien, welche die ethisch-moralische Einstellung bzw. die generelle Werthaltung von Führungskräften zum Forschungsgegenstand haben. Hier wurden in den vergangenen 20 Jahren immer wiederkehrende ähnliche Befunde bezüglich der unterschiedlichen Werthaltung von jüngeren versus älteren Führungskräften beschrieben. Den Ergebnissen zufolge ist eine Erosion ethischer Standards und die verstärkte Zunahme von Werten wie Individualismus und Egoismus zu beobachten (Bunz 2005: 90f.).
Eine der bekanntesten deutschen Studien in diesem Themenfeld ist die zuvor bereits erwähnte von Kaufmann et al. 1986 durchgeführte Repräsentativerhebung, in der 530 deutsche Führungskräfte zu ihren Einstellungen bezüglich Ethos und Religion befragt wurden. Den Umfrageergebnissen zufolge haben „die eine Kultur stabilisierenden Kräfte wie Kirche, Religion [und] selbstverständliche Anerkennung unbedingt geltender ethischer Normen“ bei der befragten Wirtschaftselite „in bedenklichem Umfang an Einfluss verloren“ (Kaufmann et al. 1986: 7). Die Autoren verzeichnen einen zunehmenden Opportunismus, vor allem bei jüngeren Führungskräften (ebd.: 279f.). Diese Tendenz der opportunistischen Grundeinstellung von jungen Führungskräften erklären die Autoren mit dem reiferen Charakter und der selbst erfahrenen traditionell-konservativen Erziehung älterer Führungskräfte, die deshalb „weniger mit dem Problem einer ethischen Orientierungslosigkeit zu tun“ haben (Löhr 1991: 362).
Auch in den darauf folgenden Jahren konnten diese Befunde durch weitere empirische Arbeiten (vgl. beispielsweise Wood et al. 1988 oder Blumröder 1995) bis hin zu der erst kürzlich von Bunz (2005) durchgeführten Studie bestätigt werden.
Zusammenfassend liefert der aktuelle Forschungsstand im Bereich Wirtschaftsethik drei bedeutende Befunde, an welche die vorliegende Diplomarbeit anknüpft:
Es konnte gezeigt werden, dass sich Führungskräfte sehr wohl über die ethischen Problemfelder in ihrem Führungsalltag bewusst sind und dass Unternehmen Maßnahmen ergreifen, um ein ethisch positives Verhalten zu erhöhen. Aufbauend darauf stellt sich die Frage, wie das ethische Führungsverhalten in der Praxis tatsächlich aussieht. Diese Fragestellung wird in der vorliegenden Diplomarbeit aufgegriffen.
Im Weiteren wurde bestätigt, dass der Großteil dieser ethischen Konflikte im Human Resource-Bereich, d. h. innerhalb der Mitarbeiter-Führungskraft-Beziehung liegt. Die vorliegende Arbeit befasst sich deshalb ausschließlich mit dem ethischen Führungsverhalten einer Führungskraft gegenüber ihren Mitarbeitern, um hier detaillierte Befunde zu liefern.
Darüber hinaus weisen die Ergebnisse der beschriebenen Studien in Bezug auf den zunehmenden Opportunismus von jüngeren Führungskräften auf eine langfristige, bleibende Veränderung im Wertbewusstsein von Managern hin, die sich in der Zukunft noch verstärken wird (Schreiber 2002: 34). Für die vorliegende Diplomarbeit lässt sich aus diesen Ergebnissen des aktuellen Forschungsstands ableiten, dass bei jüngeren im Vergleich zu älteren Führungskräften ein schwächer ausgeprägtes EF vermutet werden kann. Diese These wird im Rahmen der Kontrolle soziodemographischer Effekte auf EF (siehe Kapitel 5.3) näher untersucht.
In der im Jahr 2002 erschienenen empirischen Untersuchung „Ethik bei Führungskräften – ein Ost-West-Vergleich“ beschäftigt sich Nehoda (2002) u. a. mit den konkreten Auswirkungen einer Führungs- und Unternehmensethik auf das Verhalten der Geführten. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein faires, durch ethische Prinzipien geprägtes Führungsverhalten zu einem positiven Betriebsklima und somit zu einem hohen Bindungsgrad der Mitarbeiter an das Unternehmen führt (ebd.: 186ff.). Dieser hohe Bindungsgrad drückt sich in geringen Fehlzeiten und niedrigen Fluktuationsraten der nach ethischen Prinzipien geführten Mitarbeiter aus. Darauf aufbauend bestätigt Nehoda, dass ethisches Handeln somit „langfristig eher zu ökonomischem Erfolg führt als ein Handeln, das sich aus vermeintlichen ökonomischen Maximen herleitet“ (ebd.: 125).
Die von...