Einführung
Araber erschließen fremde Länder
Ibn Battuta – Kaufmann,
Gelehrter, Abenteurer
»… trieb mich ein fest entschlossener Sinn, und ein leidenschaftliches Verlangen, diese hehren Heiligtümer zu sehen, wohnte in meiner Brust. So beschloss ich denn, mich von meinen Lieben zu trennen – Männern wie Frauen –, und verließ meine Heimat, wie der Vogel sein Nest verlässt.«
Ibn Battuta, im Alter von 21 Jahren, zu seiner ersten Reise von Tanger nach Mekka und Medina im Jahre 1325 n. Chr.
In einem historisch nahezu einzigartigen Schwung hatten die Heere des Islam, vornehmlich Araber, in der zweiten Hälfte des siebten und in den ersten drei Jahrzehnten des achten Jahrhunderts den Großteil der damals bekannten Welt erobert. Als im Herbst 732 der Franke Karl Martell mit einer starken Streitmacht vor den Toren von Paris, bei Tours und Portiers, dem arabischen Feldherrn Abd ar-Rahman und dessen Truppen, die zur festen Inbesitznahme des Landes sogar Frauen und Kinder mitgebracht hatten, gegenübertrat und den Ansturm der Orientalen stoppte, hatte das von Mohammed staatlich und religiös geeinte Arabertum den Kulminationspunkt seiner Machtpolitik bereits überschritten. Von den Pyrenäen bis zum Jaxartes und über den Indus hinausreichend, hatte sich die Herrschaft der ersten Kalifen zu weit von ihrer Ausgangsbasis, der Arabischen Halbinsel, entfernt, um diesem gewaltigen Reich nach der Eroberung auch die innere Stabilität zu sichern.
Das Arabertum wurde von da an auf seine erste Bestimmung – Träger des Islam und der geistigen, aber nicht der politischen Führung zu sein – zurückgedrängt. Während sich in Mitteleuropa die aus der Völkerwanderung hervorgegangenen Staaten und im weiteren Verlauf Kirche und Kaiser in oft blutigen Auseinandersetzungen konsolidierten und dabei zunächst keine Zeit aufbrachten, das Erbe der Antike auf breiter Ebene anzutreten, steigerten sich Hunderte von islamischen Gelehrten in einen Rausch an wissenschaftlicher Aktivität. Dutzende von Hochschulen zwischen Cordoba und Persien lehrten nicht nur den Koran, sondern ein Universalwissen, mit dem die zahlreichen in den eroberten Ländern vorgefundenen kulturellen Güter weiterentwickelt wurden.
Einmalig in der bis dahin viertausend Jahre alten schriftlich fassbaren Geschichte der Menschheit war es, dass der Vater des berühmtesten Abbasidenkalifen Harun ar-Raschid, Al-Mansur, nach einem siegreichen Feldzug gegen die Oströmer im Friedensvertrag als Reparationen kein Gold, keine Sklaven und keine Territorien forderte, sondern den Byzantinern zur Auflage machte, ihm 40 000 Bände ihrer Literatur auszuhändigen, die er übersetzen und auswerten ließ. Eine solche Tatsache unterstreicht nicht nur das Bemühen der Muslime, sich die geistigen Schätze der Völker des Mittelmeerraumes anzueignen, sondern macht auch verständlich, dass sie aus diesem Hunger nach Erkenntnissen heraus eine einsame Spitze der Wissenschaften erreichten und über Spanien, über die Kontakte in den Kreuzzügen und über das Sizilien Kaiser Friedrichs II. dem Abendland bis in die Neuzeit hinein entscheidende Impulse gaben. Noch im 14. Jahrhundert durfte in Paris die Lehre des Aristoteles nur nach dem arabischen Averroes-Kommentar interpretiert werden.
Araber, Perser, Ägypter, Chorasmier, Armenier, Juden und konvertierte Christen wurden von dem politischen und geistigen Sturmlauf des Islam erfasst und verhalfen der neuen Religion zu einer weitgespannten Bildungswelt. Das Arabische wurde nicht nur die Sprache des Glaubens, sondern auch der Literatur und der Wissenschaft, und blieb es auch dann, als das persische Element die politische Vorherrschaft im islamischen Reich erlangt hatte, wie es unter den Abbasidenkalifen der Fall war. Selbst die späteren Eroberer aus Innerasien, mongolische und Turkstämme, konnten sich der arabisch-islamischen Geisteswelt und der Farbenpracht ihrer literarischen Werke nicht verschließen.
Während sich auf mitteleuropäischem Boden das Merowingerreich erst aus den germanischen Stammestraditionen löste, hatten Technik, Kultur und Wissenschaften in den islamischen Ländern bereits eine Höhe erreicht, die erst Jahrhunderte später vom Abendland eingeholt werden konnte. So zieht sich durch die Geschichtsschreibung der karolingischen Zeit das fast ungläubige Staunen über die faszinierenden Geschenke, die Harun ar-Raschid dem Frankenkönig Karl gesandt hatte. Schon im achten Jahrhundert standen Uhren auf den öffentlichen Plätzen von Damaskus, der Hauptstadt des Omaijadenreiches, und nur hundert Jahre danach reisten arabische Wissenschaftler nach Paderborn und Magdeburg, um sich einen unmittelbaren Eindruck von den »Saqaliba«, den Sachsen, zu machen.
Zwischen dem neunten und dem zwölften Jahrhundert entstanden die berühmten, in Mitteleuropa so gut wie unbekannt gebliebenen Reiseberichte der vielen arabisch-islamischen Geographen. Sie vermittelten ihrer damaligen Welt ein Bild der ihnen bekannten, der Masse ihrer Zeitgenossen aber kaum zugänglichen Länder, wie es bis nach Marco Polo nicht besser gezeichnet werden konnte. Ibn Kordadbeh, Masudi und Idrisi waren unter den ersten Reisenden und sollten auch gleich zu den bedeutendsten zählen. Ibn Fadlan, Biruni, Ibn Dschubair, Ibn Battuta und Abu Said lieferten, ausgeschmückt mit persönlichen Erlebnissen, nicht nur landes- und völkerkundliche Betrachtungen, sondern ganze geographische Wörterbücher und Verzeichnisse von Reiserouten, sogenannte Itinerarien. Dazu kamen jüdische Kaufleute in arabischen Diensten, wie Suleyman, der über China und Indien berichtete, Ibrahim Ibn Yaqub, der vornehmlich die entferntesten Gebiete Europas aufgesucht hatte, und Rabbi Benjamin von Tudela, der besonders die Verhältnisse des Vorderen Orients schilderte.
Wenn die Namen dieser Männer aus dem islamischen Reich oft nur Historikern und Völkerkundlern geläufig sind, so mag dies vor allem darin begründet sein, dass es über sie noch immer kein zusammenfassendes Werk, sondern nur eine Vielzahl von Einzeldarstellungen gibt.
Araber erschließen die Welt
Die Längsachse durch die islamische Welt verlief vom Orient über die afrikanische Nordküste nach Spanien. Samarkand, Maschhad, Isfahan, Schiras, Bagdad, Damaskus, Kairo, Marrakesch und Cordoba sind nur die bekanntesten Städte des Mittelalters, in denen Künste und Wissenschaften immer wieder großartige Leistungen aufwiesen. Nach der Erkundung der orientalischen Heimat bot sich gerade Afrika zum ersten Erforschen an. Die Araber beschränkten sich jedoch nicht nur auf die Küstenregion und ihr unmittelbares Hinterland, sondern drangen bereits in den Kontinent ein. Schon 738, also knapp ein Jahrhundert nach Mohammeds Tod, schrieb Wahb Ibn Munabbeh ein Werk über die Bewohner des Westsudans und der Gegend rund um den Tschadsee. Ihm folgte der aus Bagdad stammende Abul-Hasan Ali Masudi, wohl einer der bedeutendsten unter jenen Geographen, deren Arbeiten nur auf persönlichen Erfahrungen und Anschauungen fußten. Schon ein halbes Jahrtausend, bevor das erste europäische Schiff Afrika umsegelte, hatte er einen klaren Begriff von Größe und Gestalt des Schwarzen Kontinents. Während man in Europa noch im 18. Jahrhundert einen Erdteil im südlichen Indischen Ozean vermutete, hatte bereits Masudi die Existenz eines solchen bestritten.
Wissensdrang, Erkenntnisse und Genialität arabischer Geographen gipfelten jedoch in dem aus Ceuta stammenden arabischen Fürstensohn Al-Idrisi, der im Auftrag des Normannenkönigs Roger II. von Sizilien in fünfzehnjähriger Arbeit eine Erdkarte auf eine Silberplatte zeichnete, in die er alle Forschungen der Gelehrten seiner Zeit einmünden ließ. Da er jedoch sein universales Wissen auf dieser Platte nicht erschöpfen konnte, schuf er ein Atlaswerk von 73 Blättern, das er »Die Gärten der Bildung und der Trost der Seele« nannte, von der Wissenschaft sehr prosaisch als der »Kleine Idrisi« bezeichnet, nachdem es, arabischen Quellen zufolge, noch ein umfassenderes Werk gegeben hat, das verlorengegangen ist.
Wie zuverlässig arabische Geographen die damals außerhalb des islamischen Machtbereichs völlig unbekannten Räume schilderten, mag der Bericht Al-Bekris über die alte Königsstadt von Ghana zeigen. Kurz vor Zweiten Weltkrieg begann man aufgrund seiner Darstellungen, in Kumbi Saleh, rund 300 Kilometer nördlich des Nigerhafens Bamako, archäologische Nachforschungen anzustellen. Als R. Thomassey im Jahr 1950 seine ersten Ausgrabungsberichte vorlegte, bestand kein Zweifel, dass jene von Al-Bekri beschriebene Hauptstadt des alten Ghana von ihm gefunden worden war. Auch die mit 15 000 angegebene Zahl der Einwohner musste anhand der Größenordnung der freigelegten Ruinen und deren Umfang stimmen. Zahlreiche moderne Staaten Westafrikas beziehen ihre ersten historischen Quellen aus den arabischen Berichten des Mittelalters.
Den Holzschiffen der Pharaonen sind die arabischen Dhaus nachgebildet. Wie im Mittelalter fahren sie auch heute noch – nur mit dem Monsun und ohne...