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Die Bedeutung von Freundschaften für die Entwicklung Kinder und Jugendlicher

Über Einzelgänger und 'beste Freunde'

AutorTobias Schwieger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl111 Seiten
ISBN9783638858748
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,0, Universität Siegen, 20 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Motivation der Themenauswahl dieser Arbeit beruht auf zwei Gründen. Zum einen gibt es unzählige empirische Studien über Gleichaltrigengruppen, sogenannte 'peergroups'. Die Untersuchungen sind darauf ausgerichtet, Erkenntnisse über die Kindheits- und Jugendphase als eigenständige Lebensabschnitte zu gewinnen. Empirische Studien über Freundschaften hingegen sind im Vergleich dazu eher Mangelware. Dies war ein Anreiz für mich, nicht nur fehlende Untersuchungen zu Freundschaften von Kindern und Jugendlichen zu beklagen, sondern selbst einen kleinen Beitrag zu leisten, diese Situation vielleicht ein bisschen zu verändern. Zum anderen habe ich mich schon länger mit der Frage auseinandergesetzt, woran man eigentlich erkennen kann, welche Bedeutung Freunde für Kinder und Jugendliche haben. Die verschiedenen Kapitel kreisen alle um diese Frage.

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Leseprobe

3. Aufbau von Freundschaften als Entwicklungsaufgabe – Alleinsein als


 

     Entwicklungsdefizit?

 

Im vorangegangenen Kapitel wurde ausführlich darauf eingegangen, was unter Entwicklungsaufgaben zu verstehen ist. Es wurde gezeigt, dass verschiedene Faktoren, wie Elternhaus, Gleichaltrige oder Institutionen die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Einzelne Entwicklungsaufgaben Kinder und Jugendlicher wurden benannt und erklärt.

 

Auf den Punkt gebracht lässt sich die Bedeutung von Entwicklungsaufgaben noch einmal so zusammenfassen, dass das „Lösen“ dieser Aufgaben für die soziale Reifung und den Erwerb sozialer Fähigkeiten unerlässlich ist.

 

Da es die Intention dieser Arbeit ist, die Bedeutung von Freundschaften für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu erforschen, ist es meiner Ansicht nach unerlässlich zu überprüfen, ob das Eingehen oder Aufbauen einer Freundschaft auch als Entwicklungsaufgabe angesehen werden muss.

 

Wenn dem so sein sollte, schließt sich daran die Frage an, was mit Kindern und Jugendlichen ist, die keine Freunde, aus welchen Gründen zunächst auch immer, haben. Läuft ihre Entwicklung „schief“ oder nur anders?

 

Diese Aspekte gilt es zu klären, will man den Stellenwert von Freundschaft für Kinder und Jugendliche für deren Entwicklung untersuchen. Da sich die Frage, ob Freundschaft eine Entwicklungsaufgabe ist, vermutlich nicht einfach mit ja oder nein beantworten lässt, bietet es sich an, zunächst einmal Positionen und Stellungnahmen einiger Wissenschaftler zu diesem Thema vorzustellen.

 

Dadurch soll ein erster Eindruck gewonnen werden, in welche Richtung -  pro oder contra  Freundschaft als Entwicklungsaufgabe -  die Forschungsergebnisse gehen. Die Ergebnisse bleiben in diesem ersten Schritt unkommentiert.

 

Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Frage und all ihren Konsequenzen bietet sich erst im ausführlichen Fazit an, da zu diesem Zeitpunkt alle Gesichtspunkte zu „besten Freunden“ und „Einzelgängern“ vorliegen werden.

 

Zunächst ist aber noch eine Erklärung voranzustellen. Als es im vorherigen Kapitel um „bedeutende Faktoren der Entwicklung Kinder und Jugendlicher“ ging, wurde u.a. die Funktion der Gruppe der Gleichaltrigen beschrieben. Als Problem stellte sich für die nun folgende Auseinandersetzung heraus, dass einige Wissenschaftler keine Differenzierung zwischen „Gleichaltrigen“ (im engl. peers) und „Freunden“ erkennen lassen. Dies ist insofern von Wichtigkeit, als dass Freunde in den meisten Fällen „gleichaltrig“ sind, Gleichaltrige aber durchaus nicht zwangsläufig Freunde sein müssen.

 

Auf der einen Seite scheinen aber Gleichaltrige und Freunde für Kinder und Jugendliche von ähnlicher Bedeutung zu sein. Auf der anderen Seite lassen sich mögliche Übereinstimmungen darauf zurückführen, dass es mit unmöglich war, zu jeder Zeit eine Differenzierung der beiden Begriffe von verschiedenen Forschen auszumachen.

 

Einen ersten Hinweis, dass Freundschaft als Entwicklungsaufgabe angesehen werden könnte, geht aus der Bedeutung hervor, die man ihr zuteilt, wenn es um Sozialisationsaspekte des Menschen geht. Aus psychologischer Perspektive erfüllten Freundschaften unter Kindern und Jugendlichen bestimmte Sozialisationsfunktionen, wie beispielsweise das gegenseitige Beibringen und Übernehmen sozialer Normen, Aggressionskontrolle, Vertrauen, Sensibilität sowie Kooperation und Wettbewerb. Diese Sozialisationsfunktionen lassen sich auf den ersten Blick nicht nur als Spezifikum von Freundschaften einstufen, sondern scheinen durchaus auch bei Kontakten zu Gleichaltrigen zustande kommen zu können, ohne dass  eine Freundschaft gegeben sein muss.

 

Dass die Sachlage anders ist, dass zwischen Gleichaltrigen und Freunden bezüglich der Sozialisationsfunktionen unterschieden werden muss, deutet Wagner in seiner Bemerkung „die Entwicklung kognitiver (intellektueller) Fähigkeiten wird nicht bereits durch die Gruppierung von Gleichaltrigen gefördert, sondern vor allem dann, wenn die Kinder innerhalb stabiler Beziehungen oder als Freunde interagieren“ (1994, S. 8) an.

 

Merkens (2001) zählt Freundschaft ebenfalls zu den Entwicklungsaufgaben Kinder und Jugendlicher. Sie sieht die Pflege von Beziehungen, Kontakten und Freundschaften bereits in der Kindheit als Entwicklungsnotwendigkeiten (S.1).

 

Von Salisch (1991) weist auf die Bedeutung der „mittleren Kindheit“ (S.1) für Piaget hin. Freunde haben für ihn die Bedeutung, „Regeln der Zusammenarbeit“ (S.1) auszuhandeln. In diesem Zusammenhang ist die elementare Bedeutung von Spielen zu sehen. Scherm (1977), der von einer „Sozialfunktion“ (S.338) der [Kinder-] Spiele spricht, weist darauf hin, dass sich eine Partnerschaft, besonders unter Grundschulkindern, „spielend“ entwickelt.

 

Kolip (1993) argumentiert, dass Freundschaften aus entwicklungspsychologischer Sicht als wichtige Entwicklungsaufgabe angesehen werden, da sie es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich allmählich vom Elternhaus zu lösen (S.73).

 

Besonders ertragreich für diese Diskussion ist auch das Konzept von Sullivan. Von Salisch (1991) arbeitet ebenso wie Rubin (1981) heraus, dass Sullivan sehr enge Freundschaften, die er „Busenfreundschaft“ (von Salisch, S.9) nennt, als Mittel oder Möglichkeit sieht, mögliche Fehlentwicklungen der früheren Kindheit zu korrigieren. Diese Meinung vertritt neben Wagner (1991) auch Scherm (1977), welcher über Freundschaft im Kindesalter sagt: „Freundschaft unter Kindern ist demnach eine möglich, und wie man vermuten darf, eine notwendige Form emotional vertiefter zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie fördert u.U. viel unmittelbarer als andere Gesellungsformen, ohne diesen ihren Platz im Sozialisationsprozess streitig machen zu wollen, die soziale Entwicklung der Kinder bzw. korrigiert sie.“ (S.223).

 

Rubin (1981) folgert aus einigen Längsschnitt-Untersuchungen: „Indem diese frühen Beziehungen [zwischen Kleinkindern] Gelegenheiten zum Erlernen sozialer Fähigkeiten, zu sozialen Vergleichen und zur Gewinnung eines Gruppenzugehörigkeitsgefühls bieten, zeigten sich Effekte, die im späteren Leben nachklingen werden, selbst wenn sich nicht ganz genau voraussagen läßt, in welcher Form dies geschehen wird.“ (S.17)

 

Havighurst, dessen Modell der Entwicklungsaufgaben bereits vorgestellt wurde, wird von Kolip (1993) dahingehend interpretiert, dass Freundschaftsbeziehungen die Funktion einer Art Vorbereitung für spätere Paarbeziehungen sind. Hierzu passt auch die Anmerkung von Zinnecker et. al (2003), dass Gleichaltrige durch den Kontakt zum anderen Geschlecht „erotisch-sexuelle Beziehungen“ (S.66) aufbauen, was die Autoren als eine Entwicklungsaufgabe interpretieren.

 

Als eine der wichtigsten (Entwicklungs-)Aufgaben des Jugendalters wird das Entwickeln einer eigenen Identität betrachtet (Kolip, 1993; Bachmann, 1996). Freundschaften werden in diesem Zusammenhang als Mittel zum Zweck gesehen (Kolip 1993).  Ob diese Position, die auf Erikson zurückgeht, der Freundschaft in ihrer Bandbreite gerecht wird und ihre emotionalen Aspekte berücksichtigt, sei an diesem Punkt dahingestellt. Hier ist nur relevant, dass Erikson Freundschaft als Entwicklungsaufgabe sieht. Darüber hinaus bestehe eine wichtige Aufgabe Kinder und Jugendlicher nach Baacke darin, vom kindlichen zum erwachsenem Rollenverhalten zu wechseln (Kolip 1993). An der Entwicklung einer eigenen Identität scheinen Freunde also maßgeblich beteiligt zu sein. Dies soll im nächsten Kapitel überprüft werden.

 

Dass Freundschaft ein Entwicklungsaufgabe ist, die Kinder und Jugendliche zu bewältigen haben, könnte man einer Anmerkung von von Salisch (1991) entnehmen. Sie sieht Freunde als bedeutend, wenn es um das Aneignen und Erlernen von  Darbietungsregeln geht, die neben anderen Bereichen auf das Zusammenleben in Kultur und Familie vorbereiten. Freundschaften tragen in diesem Sinne also dazu bei, Kindern bestimmte Normen und Werte, die das gesellschaftliche Zusammenleben prägen, zu vermitteln.  

 

Einen Schritt zurück (nicht im Sinne einer Wertung) geht Bachmann (1996). Bevor Freundschaften überhaupt eingegangen werden könnten, müsse eine entscheidende Entwicklungsaufgabe bewältigt werden, nämlich die der Beziehungsfähigkeit. Freundschaft entfalte sich nicht so schnell wie beispielsweise die Liebe und müsse sich demnach als Fähigkeit erst entwickeln.

 

Die dargestellten Positionen sprechen dafür, dass Freundschaft als eine von mehreren Entwicklungsaufgaben angesehen wird. Während der Recherche haben sich keine Gegenpositionen finden lassen. Dennoch seien an dieser Stelle ein paar Bemerkungen angefügt.

 

Im Kapitel zuvor wurden wie erwähnt die Entwicklungsaufgaben beschrieben. Trotz etlicher Versuche einiger Wissenschaftler, Entwicklungsaufgaben Kinder und Jugendlicher zu bestimmen, erscheint es mir fraglich, ob sich ein einheitliches Verständnis darüber, was Entwicklungsaufgaben sind, überhaupt konstruieren bzw. erkennen lässt. Berücksichtigt man dies, so sollte man vorsichtig sein, die angeführten Aussagen über Freundschaft als Entwicklungsaufgabe...

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