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Die römische Republik

Von der Gründung bis Caesar

AutorMartin Jehne
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2014
ReiheBeck'sche Reihe 2362
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783406661952
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Überlieferung der Anfänge der römischen Republik ist dicht umrankt von Legenden. Fest steht, daß sich im Laufe des 5.Jahrhunderts und - klarer zu fassen - nach dem Galliersturm von 387/6 v.Chr. eine Herrschaftsform unter Beteiligung breiterer Volksschichten fest etabliert hat. In dieser Zeit behaupteten die großen Patriziergeschlechter den Vorrang im Staat und besetzten die wichtigsten Ämter; doch auch mächtige Plebeierfamilien hatten sich und ihrem Stand Mitsprache erstritten. Im Umgang mit äußeren Feinden zeigte sich Rom zunehmend überlegen, bis ihm mit Karthago im 3. und 2.Jahrhundert v.Chr. wieder ein gleichwertiger Gegner gegenübertrat, der nur in wechselvollen Kriegen geschwächt und schließlich vernichtet werden konnte. Hatte Rom damit die unbestrittene Vormachtstellung im Mittelmeerraum erobert, so fühlte es sich zunehmend animiert, in den Anrainerstaaten militärisch zu intervenieren. Es waren der unablässige Strom von Menschen, Gütern und Reichtum nach Rom und das Problem der Veteranenversorgung, die dort zur dramatischen Verschärfung sozialer Gegensätze führten; hinzu kam, daß sich der römische Senat und die traditionellen Verfassungsorgane nicht länger in der Lage zeigten, das entstandene Großreich in bewährter Weise zu führen. Der Versuch, die Probleme mit außerordentlichen Kommanden zu bewältigen, rief militärisch und wirtschaftlich mächtige Einzelpersönlichkeiten auf den Plan, die ihre eigenen Interessen an die Stelle der Staatsraison setzten. Mit ihrem Auftreten war die Endzeit der Republik angebrochen.

Martin Jehne, der diese konzise, allgemeinverständliche und anregende Darstellung der römischen Republik geschrieben hat, lehrt als Professor für Alte Geschichte an der Universität Dresden. Von ihm ist im Verlag C.H.Beck lieferbar: Caesar (2014).

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Leseprobe

I. Von der Gesellschaft ohne Staat zur Gesellschaft ohne König: Die Vorgeschichte der römischen Republik


Wohl im späten Februar des Jahres 44 (hier wie immer im folgenden: vor Christus) wurden die Frühaufsteher auf dem Forum der Weltstadt Rom unverhofft mit einer Sensation konfrontiert: Die Tribüne, von der herab der Stadtpraetor Marcus Iunius Brutus seine Rechtsfälle verhandelte, war des Nachts mit der Aufschrift verziert worden: «Du bist kein Brutus!» Jeder der zahlreichen Passanten sah den Satz, jeder verstand die Botschaft, der freche Spruch verbreitete sich wie ein Lauffeuer, auch nachdem das anstößige Graffito entfernt worden war, und Marcus Brutus war zweifellos gekränkt.

Nun ging es bei dieser Aktion natürlich nicht um die platte Diskreditierung eines Amtsinhabers. Der anonyme Urheber spielte vielmehr auf eine der Lieblingslegenden der Römer an, die zum Grundinventar des vaterländischen Geschichtsbildes aller Schichten gehörte. Demzufolge hatte im Jahre 509 der bessere Teil der römischen Gesellschaft den zum Tyrannen entarteten König samt einigen seiner Anhänger vertrieben und die römische Republik begründet, und der Rädelsführer dieser folgenreichen Rebellion war Lucius Iunius Brutus gewesen.

Daß sich Marcus Brutus unter souveräner Überbrückung gewisser genealogischer Schwierigkeiten als Nachfahre des großen Freiheitshelden Lucius Brutus fühlte, war allgemein bekannt. Der kurze Satz des anonymen Schreibers enthielt also einerseits die Behauptung, Rom sei wieder in der Hand eines Gewaltherrschers und bedürfe des entschlossenen Handelns führender Männer, und andererseits den Vorwurf, der gegenwärtige Brutus halte dem Vergleich mit seinem Ahnen in keiner Weise stand. Daß der solchermaßen attackierte Brutus dann wenig später eine führende Rolle bei der Ermordung des Dictators Caesar spielte, war natürlich nicht nur, aber auch durch sein Bedürfnis motiviert, den Anforderungen der Familientradition gerecht zu werden. Die Macht der Geschichte lastete schwer auf ihm.

Jede menschliche Gemeinschaft verdankt einen Teil ihres Zusammenhalts der Anerkennung einer gemeinsamen Geschichte – oder dessen, was man als solche deklariert. Denn die Geschichte ist zunächst einmal die Konstruktion der Vergangenheit durch die Zeitgenossen, und eher selten sind in den zahllosen Gesellschaften der Weltgeschichte professionelle Historiker damit beschäftigt gewesen, durch kritische Prüfung aller verfügbaren Informationen dieses Konstrukt nach wissenschaftlichen Prinzipien aufzubauen und absichtsvolle Entstellungen aufzuspüren. In Rom war der Umgang mit der Geschichte recht unverkrampft – in dem Sinne, daß man sich über die Herkunft und den Realitätsgehalt der zahlreichen «Geschichten» nicht viele Gedanken machte und diese Überlieferung auch ganz selbstverständlich mit plausiblen und dem selbstdiagnostizierten Volkscharakter entsprechenden Deutungen und Ergänzungen auffüllte und anreicherte. Da die römische Geschichtsschreibung erst um 200 v. Chr. einsetzte und uns ausführliche Berichte über die Frühzeit überhaupt erst von den Historikern Titus Livius und Dionysios von Halikarnassos aus den letzten Jahrzehnten des 1. Jh.s v. Chr. erhalten sind, da zudem andere schriftliche Quellen wie Abhandlungen über römische Institutionen ebenfalls nicht früher einsetzen und nur wenig verläßlicher sind, befinden wir uns also heute in einer schwierigen Lage: Wir können noch zahlreiche Episoden aus der römischen Frühzeit nachlesen, greifen damit aber nur die intentionale Geschichte der späteren Zeiten, also die Form der Vergangenheitspräsentation, die in der jeweiligen Gegenwart als akzeptabel galt, da sie die Gemeinschaft stabilisierte. Nach unseren Maßstäben können wir solche unkritischen und interessegeleiteten Schöpfungen nicht als leidlich angemessene Wiedergabe der vergangenen Ereignisse akzeptieren. Dieser Befund hat in unserem konkreten Fall schmerzliche Konsequenzen: Es spricht alles dafür, daß es den republikanischen Freiheitshelden Lucius Brutus nie gegeben hat.

Immerhin ist wenigstens unbestreitbar, daß Rom einmal Könige besaß und daß später eine Ordnungsform eingeführt wurde, die nach dem lateinischen Terminus res publica – wörtlich die öffentliche Sache – heutzutage als Republik bezeichnet wird. Daß sich in frühen Gemeinschaften, in denen es als Folge der ersten ökonomischen Überschüsse und der Arbeitsteilung zu einer gewissen Hierarchisierung der Gesellschaft kommt, Spitzenpositionen herausbilden, ist eine allgemeine Erscheinung, so daß die römische Vorstellung von einer Königszeit den welthistorischen Normalfall repräsentiert und schon von daher eine beachtliche Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann. Hinzu treten aber Insignien und Rituale, denen in historisch hellerer Zeit noch ein königlicher Ursprung zugeordnet wurde, und das Auftauchen des Königstitels (lateinisch: rex) in verschiedenen urwüchsigen Funktionen und Lokalitäten, was bei der üblichen Langlebigkeit solcher Versatzstücke des Gemeinschaftslebens durchaus als Bestätigung gelten kann.

Die ersten menschlichen Spuren auf dem Territorium, das später Rom wurde, lassen sich für das 10. Jh. v. Chr. nachweisen, in der frühen Eisenzeit des 9. und 8. Jh.s wird die Besiedlung intensiver. Für das spätere 7. Jh. wurde archäologisch die Bebauung des Forumbereichs – des Zentrums von Rom – festgestellt, was man als Indiz dafür werten kann, daß damals die Einzelsiedlungen auf den Hügeln Roms zusammengewachsen waren. Da das Talgelände sumpfig war und der Entwässerung und Anhebung bedurfte, ehe man es nutzen konnte, spricht viel dafür, daß für diesen Schritt schon erhebliche Gemeinschaftsleistungen nötig waren, die auf Kooperation der Gesamtbevölkerung und damit auf die Entstehung einer gemeinsamen gesellschaftlichen Struktur hindeuten. Rom war als Siedlungsplatz wohl deshalb besonders attraktiv, weil es an einer Furt des Tiber lag, die wichtig war für die Verbindungen zwischen dem nördlich gelegenen Etrurien und dem südlich gelegenen Kampanien, und weil hier die Salzstraße vorbeiführte, auf der dieses schon in der Frühgeschichte wichtige Mineral von den Salzbuchten an der Tibermündung ins Landesinnere geschafft wurde.

Über die frühe Organisation der römischen Gesellschaft wissen wir nicht viel. Die landwirtschaftlichen Erträge reichten zunächst gerade zum Überleben – erst mit dem Pflug ließ sich die Effektivität der Bodenbearbeitung so steigern, daß sich die Chance auftat, über den direkten Ernährungs- und Saatgutbedarf hinaus einmal Überschüsse zu erwirtschaften. Die frühen Verwandtschaftsverbände, die – wie wir aus der späteren, recht eigentümlichen Struktur der römischen Geschlechter und Familien noch ersehen können – im wesentlichen nur nach Generationen hierarchisiert waren, wurden nun weiter ausdifferenziert. Vermutlich ist der Typus des patricischen Großgrundbesitzers, der die frühe römische Republik ganz wesentlich prägte, das Ergebnis der Usurpation der vom Sippenverband erwirtschafteten Überschüsse durch Familienoberhäupter, die damit das Privateigentum an die Stelle der kollektiven Nutzungsformen aus der Zeit der Verwandtschaftsgruppen treten ließen.

Der eigenen Tradition nach wurde Rom 753 v. Chr. von Romulus gegründet, der – in der Legende – naheliegenderweise auch der erste König wurde. Dieses Datum wurde im 1. Jh. v. Chr. errechnet und setzte sich gegen leicht abweichende Alternativdatierungen durch. Selbstverständlich ist auf diese exakte Jahresangabe nicht viel zu geben, und so streitet sich die Forschung auch nur darüber, ob der Datierungsansatz wenigstens ungefähr richtig ist. Die Einschätzung hängt wesentlich davon ab, was man denn als Stadtgründung ansieht. Die Besiedlung der Forumsregion (unter Entfernung der alten Gräber) und die daran erkennbare Zusammenführung verschiedener Hügelsiedlungen liefern ein wichtiges Indiz, das eher ins 7. als ins 8. Jh. zu deuten scheint. Was das Königtum betrifft, so enthalten die zahlreichen Legenden über die sieben Könige vor allem eine wesentliche Information, die sich durch institutionelle Relikte der späteren Zeit wie durch Nachrichten über die Entwicklungen Mittelitaliens im 6. Jh. erhärten läßt: Nach einigen einheimischen Königen habe es etruskische gegeben, und der letzte König, Tarquinius mit dem ihm erkennbar erst später zugedachten Beinamen Superbus («der Überhebliche»), sei eben ein Etrusker gewesen, der seine Machtposition immer mehr gesteigert und sich in bedenkenloser Ignoranz über die Rechte der großen Familien hinweggesetzt habe. Tatsächlich lassen sich die Anhaltspunkte für das frühe, akephale, d.h. ohne feste politische Spitzenpositionen auskommende System der Geschlechterverbände anhand ethnologischen Vergleichsmaterials bestens mit einem sakralen Königtum verbinden, dessen wesentliche Aufgabe in der ordnungsgemäßen...

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