3. Kreatives Schreiben
Kreatives Schreiben ist in dieser Arbeit angesichts der im vorherigen Kapitel dargestellten Sachverhalte vorbelastet: Was für eine Kreativität ist beim Kreativen Schreiben[135] gemeint? Ist kreatives Schreiben darauf ausgerichtet, Texte zu produzieren, die Aha!-Effekte auslösen?
Kreatives Schreiben ist eine Bezeichnung, in der die behandelten Kreativitätskategorien K-1, K-2 und K-3 in unterschiedlicher Weise eine Rolle spielen. Im Verlauf der Geschichte vom amerikanischen creative writing bis zu den momentanen Ausführungen in Deutschland gab es die verschiedensten Ausrichtungen des Kreativen Schreibens, mal in Richtung K-1 kreatives Schreiben, mal in Richtung K-2. Diesen Gedanken werde ich am Schluss dieses Kapitels deutlicher behandeln.
Dieses Kapitel hat das Ziel, einen Eindruck davon zu vermitteln, was hinter der Bezeichnung Kreatives Schreiben steht und darüber hinaus die Frage zu beantworten, ob und wenn ja, wie kreatives Schreiben im Zusammenhang mit Kreativem Schreiben lehr- bzw. lernbar ist.
3.1. Kreatives Schreiben - Bedeutung
Es gibt keine einheitliche Definition von dem feststehenden Ausdruck Kreatives Schreiben. Allgemein kann vielleicht gesagt werden, dass er eine Bezeichnung für eine ganze Reihe von Ansätzen aus verschiedenen Bereichen (Therapie, Didaktik, Journalismus, u.v.m.) ist, die betont, dass durch die Optimierung des Schreibprozesses einerseits ein Zugang zum Schreiben ermöglicht und anderseits die Qualität des Schreibens erhöht werden kann.
Das Kreative Schreiben bedient sich einer Vielfalt an Methoden, um Menschen aller Altersgruppen in den verschiedensten Zusammenhängen beim Schreiben zu unterstützen. Mal als Bestandteil einer beruflichen Ausbildung zum Journalisten oder Romanautor, mal als therapeutische Maßnahme, um es Menschen zu ermöglichen, schreibend mit ihren Problemen umzugehen, mal als didaktisches Konzept, das es Schülern ermöglichen soll, durch eigenes Schreiben einen Zugang zu Fremdgeschriebenem zu finden, etc. Bevor ich aber die Geschichte des Kreativen Schreibens von seinen amerikanischen Wurzeln bis zu seinen heutigen Erscheinungsformen in Grundzügen darstelle, damit auf diese Weise vielleicht ein tiefergehendes Verständnis der Bezeichnung erreicht werden kann, möchte ich das eventuell noch recht abstrakte Bild vom Kreativen Schreiben etwas konkreter machen:
3.1.1. Erste Schritte im Kreativen Schreiben: Drei bekannte Schreibspiele
Die meisten Menschen, die sich bewusst mit Kreativen Schreiben auseinandersetzen und vielleicht an einem entsprechenden Seminar oder einer Schreibwerkstatt teilnehmen, kommen mit den sogenannten Schreibspielen in Kontakt. Diese sind in ihrer Anzahl und Vielfalt mittlerweile sehr unübersichtlich geworden und werden mal in der Gruppe, mal von Einzelpersonen praktiziert. Für einen umfassenderen Überblick empfehle ich das Buch "Einführung in das Kreative Schreiben"[136] von Lutz von Werder. Ich stelle nun beispielhaft drei sehr bekannte und oft praktizierte Schreibspiele vor: Das automatische Schreiben, das Mindmapping und die Haikus.
Beispiel 1: Das automatische Schreiben
Das automatische Schreiben (écriture automatique) ist eine Technik, die 1889 von dem französischen Psychotherapeuten Pierre Janet geprägt wurde und die 1920 im Umkreis von André Breton im Surrealismus Verwendung fand.
"Schreiben Sie rasch nieder, was Ihnen einfällt, und besinnen Sie sich gar nicht auf ein Thema. Schreiben Sie so schnell, daß Sie sich überhaupt nicht versucht fühlen, vom Geschriebenen etwas behalten zu wollen oder es noch einmal durchzulesen."[137]
Grundsätzlich wurde diese Technik auch schon in viel früherer Zeit in nahezu allen schriftbefähigten Kulturen angewandt, mal mit religiösem, mal mit pragmatischem Hintergrund. Beim automatischen Schreiben geht es in der Regel darum, für eine bestimmte Zeit ununterbrochen Wörter, Wortketten, Satzteile und auch ganze Sätze zu schreiben und auch in dem Fall, dass dem Schreibenden die Ideen ausgehen, das letzte Wort so lange zu wiederholen, bis wieder neue Einfälle kommen. Auf diese Weise soll neben anderen vielleicht möglichen therapeutischen Effekten (Blick ins Unterbewusste etc.) die im Rahmen des Kreativen Schreibens oft beschworene "Angst vorm leeren Blatt"[138] abgebaut werden: Die Vertreter des Kreativen Schreibens sehen neben anderen Möglichkeiten, wegen derer jemand nicht schreiben kann/ möchte, einen Grund der Schreibblockade in der übermäßigen Selbstkritik des Autors. Versagensängste, zu hohe Anforderungen, Vermeidungsstrategien (z.B. Ersatzhandlungen wie Zimmeraufräumen) sollen durch diese Methode umgangen werden, da diese, ohne primär auf das entstehende Produkt ausgerichtet zu sein, den bloßen Schreibvorgang in den Mittelpunkt stellt.
Ein Beispiel für ein Produkt automatischen Schreibens:
"Windige Buchten. Alte Häuser in engen Gassen. Der Wind guckt mir unter den Rock. Junge Mädchen, alte Männer. Pfeife rauchen. Schmale Treppen steigen. Sonne, Hitze, Schweiß. Den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn wischen. Bunte Bänder. Nutten in häßlichen Hinterhöfen. Schwitzende Männer. Betrunkener Atem. Ich zünde mir eine Zigarette an. Qualm, Dunst. Über den Schaumkronen. Des Meers. Eis essen. Das gibt alles keinen Sinn. Ich kann das nicht. Ein Mann. Was tue ich? Wo ist der Sinn? Die Finger, nicht der Kopf. Der Verstand. Haare im Wind. Haare vor dem Blick. Und daneben. Trüben den Blick. Meinen Blick. Und ich beginne zu tanzen. Den Kopf im Nacken. Sonne im Gesicht. Strahlen kitzeln. Lachen. Mit weißen Zähnen. Blitzen. Beißen in Fleisch. Blut. Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen und mit den Händen durch die Haare. Abgebissen. Ausgespuckt. Der Mann schreit vor Schmerz. Ich will das nicht. Ich wollte das nie. Schuld. Selber schuld. Er kniet vor mir auf dem Boden. Ein Absatz. Hochhackig. Bohrt sich durch seine Hand. Mein Gesicht in der Sonne. Noch immer. Ein Lächeln. Wolken. Ohnmacht. Ich gehe. Irgendwohin. Nirgendwohin. Egal. Ich bin glücklich."[139]
In diesem Zusammenhang ist auch das sogenannte freie Schreiben (freewriting) bekannt, das mit seinen unterschiedlichen Varianten mal mehr mal weniger ähnlich dem automatischen Schreiben ist und als Methode des Kreativen Schreibens in den 60er Jahren von Ken Macrorie eingeführt wurde. Hier wird auch in einem bestimmten Zeitrahmen ununterbrochen geschrieben, aber es stehen Orthographie und Sinnzusammenhänge mehr im Vordergrund.
Beispiel 2: Das Mindmapping
Der Begriff Mindmapping wurde von dem englischen Autoren Tony Buzan geprägt und bezeichnet eine Technik der Gedankenstrukturierung, die auch im Kreativen Schreiben verwendet wird. Ausgehend von einem Schlüsselwort in der Mitte eines ansonsten leeren Blattes werden strukturiert weitere Worte und Zusammenhänge hinzugefügt und durch Pfeile und Farben illustriert. So können komplexe Themen auf eine Weise gegliedert werden, die es ermöglicht, sich auch noch später schnell wieder in die Gliederung hineinzufinden. Dem Schreibenden soll auf diese Weise die gedankliche Arbeit während des eigentlichen Schreibvorgangs teilweise abgenommen werden, da er den groben Rahmen und die Gliederung seines Textes sehr anschaulich in Form einer Mindmap vor Augen haben kann.
Abbildung 3: Eine Mindmap
Beispiel 3: Die Haikus
Eine weitere bekannte Methode des Kreativen Schreibens ist das Verfassen eines Haikus bzw. Senryûs. Diese Gedichte bestehen aus drei Versen, wobei der erste Vers in der Regel aus fünf Silben, der zweite aus sieben Silben und der dritte wieder aus fünf Silben besteht. Matsuo Bashô war im 17. Jahrhundert der erste große Haiku-Dichter. Von ihm stammt das folgende Beispiel:
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Haikus beeinhalten vorwiegend Themen aus der Natur, während Senryûs formal zwar gleich sind, aber inhaltlich auch andere Themen behandeln können. Aber dieser Unterschied wird in der Regel in den Gruppen nicht beachtet, auch Gedichte, die nicht Natur als Gegenstand haben, werden i.d.R. als Haikus bezeichnet.
Das Verfassen eines Haikus nimmt nicht zwangsläufig viel Zeit in Anspruch und kann so relativ schnell zu Ergebnissen führen, die z.B. in der Gruppe besprochen werden können. Die Schreibenden können ein Gefühl für Rhythmus und silbischen Aufbau trainieren und im formal begrenzten Rahmen, der durch die Konzeption von Haikus vorgegeben ist, schnell auch zu kreativen Ergebnissen kommen: Dem Verfasser eines Haikus kann nicht vorgeworfen werden, den formalen Aufbau nicht durchdacht zu haben, er hat sich an die vorgegebenen Regeln gehalten und kann sich...