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Normenhierarchie im Arztrecht

AutorJens Andreas Sickor
VerlagSpringer-Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl357 Seiten
ISBN9783540276432
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis79,99 EUR

Ausgehend von den rechtstheoretischen Grundlagen und den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Normenhierarchie werden sämtliche Regelungen mit ärztlichem Bezug auf ihre Rechtswirkungen hin untersucht. Von den Vorgaben des Völker- und Europarechts über Gesetze und Rechtsverordnungen bis zum Standesrecht, von den Veröffentlichungen der Bundesärztekammer und der medizinischen Fachgesellschaften über die Regelungen des Vertragsarztrechts bis zu Fragen der ärztlichen Ethik und des medizinischen Standards wird das gesamte Gebiet des Arztrechts praxisbezogen systematisiert.

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Leseprobe

Drittes Kapitel: Die Rechtsordnung nach den Vorgaben des Grundgesetzes (S. 71-72)

In diesem Kapitel bleibt zu prüfen, inwieweit das Grundgesetz die Ansichten der Lehre vom Stufenbau des Rechts in die von ihm konstituierte Rechtsordnung übernimmt (I.). Ebenso ist zu klären, welchen Einfluß andere Normenordnungen auszuüben vermögen, insbesondere, ob die Verfassungen der Bundesländer (II.) oder die Vorgaben des Völker- und Europarechts (III.) einer hierarchisch geordneten Rangfolge aus Rechtsnormen und Rechtsetzungsermächtigungen entgegenstehen. Schließlich bleibt darauf einzugehen, wie die nicht in einem rechtlichen Ableitungszusammenhang stehenden Normen gleichwohl in die Rechtsordnung des Grundgesetzes inkorporiert werden können (IV.).

I. Stufenbaulehre und Grundgesetz

Nachdem das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf seine Tauglichkeit als höchster positiver Normenkomplex der deutschen Rechtsordnung untersucht wurde (1.), kann anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben geklärt werden, ob die Theorie vom Stufenbau des Rechts in dieser Rechtsordnung eine positivrechtliche Bestätigung erfährt (2.). Abschließend bleiben einige weitere der angesprochenen rechtstheoretischen Erkenntnisse auf ihre Übernahme in die deutsche Rechtsordnung zu überprüfen (3.).

1. Das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland

In den Verhältnissen zur Zeit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird zuweilen ein „Anlaß zu gewichtigen Zweifeln an der Verfassungsqualität des Grundgesetzes" erblickt.1 Mangels einer eigens einberufenen verfassungsgebenden Nationalversammlung bzw. einer Volksabstimmung über die Annahme des Grundgesetzes als Verfassung, aber auch aufgrund der fehlenden Souveränität der deutschen Staatsgewalt infolge des Besatzungsstatuts und der Tatsache, daß der Parlamentarische Rat nur einen Teil des deutschen Volkes vertreten konnte, wird die in der Präambel zu findende Bezugnahme auf die verfassungsgebende Gewalt der Deutschen nicht als sonderlich glaubwürdig angesehen.

Aufgrund dieser Gegebenheiten sprechen auch heute noch Stimmen aus dem Schrifttum von einem „fortwirkenden Legitimationsmangel", der auch durch 40 Jahre Akzeptanz des Grundgesetzes nicht geheilt werden könne, da bislang kein „Akt souveräner verfassungsgebender Gewalt des Volkes" vorliege.3 Andere erblicken dagegen in den Bundestagswahlen von 1949, spätestens aber in der Wahl von 1953 eine hinreichend deutlich gewordene Zustimmung der Bevölkerung, welche die Legitimität des Grundgesetzes außer Frage gestellt habe.

Es erscheint indessen fraglich, welches Ziel mit der Thematisierung der Legitimität einer Verfassungsgebung erreicht werden soll. Hier entsteht der Eindruck, die Etablierung einer Rechtsordnung sei nach Ansicht der entsprechenden Autoren rechtfertigungsbedürftig. Bei diesem Vorhaben kann es sich allerdings nur um eine außerrechtliche – zum Beispiel moralische – Rechtfertigung einer Verfassung und der von ihr geschaffenen Normenordnung handeln, nicht aber um ein juristisch faßbares Merkmal.

Denn oberhalb einer als höchste positive Norm verstandenen Verfassung kann es keine rechtlichen Vorgaben oder Bindungen mehr geben. Aus rechtlicher Sicht ist nach den bislang herausgearbeiteten Kriterien deshalb allein entscheidend, ob eine Verfassung und die von ihr konstituierte Rechtsordnung wirksam ist und sich durchzusetzen vermag. Die unter dem Stichwort der Legitimität einer Verfassung ins Felde geführten Argumente sind nur ein Hilfsmittel, um über die Akzeptanz in der Bevölkerung die Durchsetzungsfähigkeit der verfassungsmäßigen Ordnung zu erhöhen.

Das entscheidende Merkmal für die Geltung der Verfassung bleibt daher ihre Wirksamkeit im Sinne einer tatsächlichen Durchsetzbarkeit der von ihr konstituierten Rechtsordnung. Auch diese erscheint jedoch bei Erlaß des Grundgesetzes im Hinblick auf die Qualität der deutschen Staatsgewalt fraglich: Die Siegermächte hatten seit dem 5. Juni 1945 eine „supreme authority" über Deutschland beansprucht, sie waren darüber hinaus zu ihrer Durchsetzung in der Lage.

Inhaltsverzeichnis
Vorwort6
Inhaltsübersicht8
Inhaltsverzeichnis10
Abkürzungsverzeichnis16
Erstes Kapitel: Einleitung18
I. Ziel der Untersuchung18
II. Gegenstand der Untersuchung22
III. Gang der Untersuchung24
Zweites Kapitel: Rechtstheoretische Grundlagen26
I. Der juristische Begriff der Rechtsquellenlehre26
II. Das Recht als staatlich-normative Ordnung31
1. Der Begriff der Rechtsnorm als Ausgangspunkt der Betrachtung31
2. Recht als zwangsweise durchsetzbare sanktionierte Normenordnung33
3. Die Staatlichkeit des Rechts42
4. Zusammenfassung72
III. Die Struktur der Rechtsordnung73
1. Die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung75
2. Die Irrelevanz sonstiger Normkategorien81
IV. Fazit85
Drittes Kapitel: Die Rechtsordnung nach den Vorgaben des Grundgesetzes88
I. Stufenbaulehre und Grundgesetz88
1. Das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland88
2. Die Rangordnung der Rechtsquellen in Bund und Ländern92
3. Die Übernahme weiterer rechtstheoretischer Prinzipien durch das Grundgesetz98
II. Die Rechtsquellenhierarchie im grundgesetzlichen Bundesstaat99
1. Das Verhältnis von Bund und Ländern nach dem Grundgesetz99
2. Staatlichkeit der Länder versus Stufenbau des Rechts102
3. Lösungsansätze im Schrifttum104
4. Der divergierende Staatsbegriff nach dem Grundgesetz und nach der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung109
5. Zusammenfassung112
III. Der Einfluß überstaatlicher Rechtsnormen auf das nationale Recht113
1. Das Völkerrecht115
2. Das Gemeinschaftsrecht131
IV. Inkorporations- und Einflußmöglichkeiten außerhalb eines Ermächtigungszusammenhangs entstandener Normen auf das Recht140
1. Verweisungen des Rechts auf nichtrechtliche Normen141
2. Der Einfluß außerrechtlicher Normen auf die Bildung von Gewohnheitsrecht142
3. Die Rolle außerrechtlicher Normen bei der Konkretisierung von Generalklauseln im Wege der Rechtsanwendung143
4. Standard und Stand von Wissenschaft und Technik146
V. Fazit147
Viertes Kapitel: Die Hierarchie arztrechtlicher Normen150
1. Abschnitt. Unmittelbar staatlich gesetzte Regelungen150
I. Europarechtliche Vorgaben150
1. Ermächtigungen der Gemeinschaft in den Gründungsverträgen151
2. Europäisches Sekundärrecht154
3. Zusammenfassung156
II. Völkerrechtliche Bindungen auf dem Gebiet des Arztrechts156
1. Überblick über geltende völkerrechtliche Verträge156
2. Die UNESCO-Deklaration über das menschliche Genom157
3. Die Menschenrechtskonvention des Europarates zur Biomedizin158
4. Zusammenfassung160
III. Gesetze und Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder160
1. Regelungskompetenzen des Bundes nach dem Grundgesetz und ihre Inanspruchnahme durch den Bundesgesetzgeber160
2. Ermächtigungen in den Bundesgesetzen164
3. Sonstige bundesgesetzliche Normen mit arztrechtlichem Bezug165
4. Gesetze und Verordnungen des Freistaates Sachsen166
IV. Fazit167
2. Abschnitt. Die Standesnormen öffentlich-rechtlicher Normsetzer168
I. Selbstverwaltung und Freiberuflichkeit der Ärzteschaft als Anknüpfungspunkt autonomer Regelungsbefugnisse169
II. Die Sächsische Landesärztekammer und ihre Normen172
1. Organisation, Organe und Gremien der Sächsischen Landesärztekammer172
2. Die Satzungen der Landesärztekammer172
3. Sonstige Normarten der Landesärztekammer178
III. Rechtsgrundlagen der Ethikkommissionen182
IV. Fazit184
3. Abschnitt. Normsetzung durch privatrechtliche Organisationen184
I. Regelungsbefugnisse staatlich nicht legitimierter Organisationen185
II. Normen der Bundesärztekammer188
1. Rechtsnatur, Organe und Gremien der BÄK188
2. Zur Verbindlichkeit der Normen der BÄK190
3. Sonderfälle einer gesetzlichen Ermächtigung der BÄK197
III. Der Weltärztebund und die Deklaration von Helsinki204
IV. Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und der ÄZQ207
V. Fazit209
4. Abschnitt. Untergesetzliche Normsetzung im Vertragsarztrecht210
I. Organisations- und Normstrukturen des Vertragsarztrechts210
II. Verfassungsrechtliche Bedenken215
1. Die Rechtsnatur der untergesetzlichen Normen im Vertragsarztrecht216
2. Die demokratische Legitimation der Normsetzer220
3. Rechtsstaatliche Anforderungen247
4. Bundesstaatliche Anforderungen249
5. Anforderungen an dynamische Verweisungen250
6. Zur Vereinbarkeit des Vertragsarztrechts mit dem Kartellrecht252
III. Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Defizite253
1. Von den Körperschaften in eigener Verantwortung erlassene Normen253
2. Die Normsetzungsverträge254
3. Die Richtlinien des Bundesausschusses254
4. Unbedenkliche Regelungsformen258
IV. Das Verhältnis des Vertragsarztrechts zu anderen Regelungsbereichen260
V. Fazit261
5. Abschnitt. Der Einfluß nichtrechtlicher Normen auf das Arztrecht264
I. Die ärztliche Ethik als Normensystem ohne unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit264
II. Einflußmöglichkeiten nichtrechtlicher Normen auf das Arztrecht267
1. Beispiele für Verweisungen des Rechts auf nichtrechtliche Normen268
2. Der Einfluß von Standesnormen bei der Ausfüllung von Generalklauseln269
3. Der Standardbegriff in der Medizin270
4. Die Eignung von Leitlinien zur Dokumentation des medizinischen Standards274
5. Dokumentationen der guten klinischen Praxis278
6. Zur rechtlichen Wirkung schriftlicher Niederlegungen von Standards als antizipierte Sachverständigengutachten281
III. Fazit284
Fünftes Kapitel: Ergebnis286
I. Zusammenfassung286
II. Abschließende Betrachtung288
III. Die Hierarchie arztrechtlich relevanter Normarten290
Anhang296
Anhang A – Europarechtliche Normen auf dem Gebiet des Arztrechts296
I. Regelungen des ärztlichen Ausbildungs- und Niederlassungsrechts296
II. Arzneimittelrechtliche Regelungen297
III. Regelungen in Bezug auf Drogenmißbrauch und Suchtprävention301
IV. Regelungen in Bezug auf Doping304
V. Regelungen mit epidemiologischen Bezug304
VI. Regelungen im Bereich der Aktionsprogramme der europäischen Gemeinschaft305
VII. Regelungen über Bluttransfusionen und Blutprodukte306
VIII. Regelungen weiterer Einzelmaßnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes307
IX. Regelungen von allgemeiner gesundheitsrelevanter Natur308
Anhang B – Völkerrechtliche Verträge auf dem Gebiet des Arztrechts309
I. Allgemein gesundheitsrelevante Abkommen309
II. Organisatorische und verwaltungstechnische Abkommen310
III. Abkommen im Bereich des Arzneimittelrechts310
IV. Abkommen über die ärztliche Betreuung von Seeleuten310
V. Zweiseitige Verträge310
Anhang C – Bundesrechtliche Vorschriften311
I. Allgemeine Regelungen des Gesundheitswesens311
II. Organisatorische Regelungen311
III. Betäubungsmittelrecht (ohne Grundstoffüberwachungsrecht)312
IV. Regelung der Werbung im Heilwesen312
V. Arzneimittel- und Medizinprodukterecht312
VI. Regelungen zur Gentechnik315
VII. Regelung der Heilberufe316
VIII. Krankheitsbekämpfung und Impfwesen317
IX. Regelungen in Bezug auf das Rote Kreuz318
Anhang D – Landesrechtliche Vorschriften des Freistaates Sachsen318
I. Allgemeine Regelungen318
II. Rettungsdienstwesen319
III. Krankenhauswesen319
IV. Berufsrecht320
V. Sozialrecht320
Anhang E – Untergesetzliches Standesrecht320
I. Normen der Landesärztekammer Sachsen320
II. Satzungen und Geschäftsordnungen ausgewählter Ethikkommissionen322
Anhang F – Normen der Bundesärztekammer und ihrer Gremien323
I. Organisatorische Regelungen323
II. Inhaltliche Regelungen324
Anhang G – Untergesetzliche Normsetzung im Vertragsarztrecht333
I. Bundesgesetze333
II. Rechtsverordnungen335
III. Ermächtigungen zur Normgebung durch Satzungsrecht338
IV. Weitere Ermächtigungen zu eigenständigen Regelungen338
V. Normsetzungsverträge339
VI. Normsetzung durch verselbständigte Stellen342
Literaturverzeichnis346

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