Interview mit Dr. Paul Klein
Bevor ich Sie mit auf meine persönliche Reise nehme, einen Weg, der mich bis heute begleitet, gibt es eine Sache, die mir persönlich besonders am Herzen liegt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der amerikanische Erzähler und Satiriker Mark Twain hat einmal gesagt: „Sei vorsichtig beim Lesen von Gesundheitsbüchern, der kleinste Druckfehler kann dein Tod sein.“ Ich interpretiere das so: Wir sollten uns nicht von Expertentipps und Fitnessgurus abhängig machen. Darum kann es nicht gehen. Es geht darum, einen Anfang zu machen. Es geht darum, seinen eigenen Weg zu gehen, genau in sich selbst hineinzuhören. Am Ende geht es darum, gesund zu werden, gesund zu sein, gesund zu bleiben. Und leider gibt es dafür kein Patentrezept, keine allgemeingültige Formel. Als ich im Januar 2012 mit dem Laufen anfing, ging es mir nur um meine Gesundheit. Die körperliche und die seelische. Um Sicherheit und Klarheit über meinen Zustand zu bekommen, suchte ich einen Sportarzt auf. Ich hatte riesiges Glück, in Dr. Paul Klein, dem Vereinsarzt des 1.FC Köln, einen Arzt zu finden, der mich nicht nur bestens durchcheckte und beriet. Er ist einer derjenigen Ärzte, die „anders“ denken. In meinen Begegnungen mit ihm wurde mir klar: Dr. Klein teilt in weiten Teilen meine Philosophie, meine Einstellung, meine Haltung. Um maximale Sicherheit zu haben, tut es gut, Klarheit über den Gesundheitszustand zu haben. Das ist in meinen Augen ein perfekter Anfang, wenn man sein Leben grundlegend verändern will. Sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen, war mein Anfang. Daher habe ich Dr. Klein noch einmal aufgesucht, als ich dieses Buch schrieb. Um ihm zu danken. Und um ihm einige Fragen zu stellen, die für mich bis heute eben an den Anfang gehören. An den Anfang einer Reise, somit auch an den Anfang dieses Buches.
Mike Kleiß: Herr Dr. Klein, als ich das erste Mal bei Ihnen war, hatte ich bereits mit dem Rauchen aufgehört, Gewicht verloren, war losgelaufen. Ich erzählte Ihnen von meinem Ziel, sogar eines Tages pro Jahr zwei Marathons laufen zu wollen. Einen im Frühjahr, einen im Herbst. Einfach um ständig im Training zu bleiben. Was haben Sie damals gedacht?
Dr. Paul Klein: Das ist erst einmal eine ganz tolle Geschichte. Das Abnehmen ist ja auch erst einmal wichtig, damit man überhaupt laufen kann. Es ist gut, zunächst einmal sanft zu beginnen. Ernährungsumstellung, leichte Sportarten wie Crosstrainer, Aqua-Gymnastik, einfach um die Gelenke zu schonen. Sonst hat man nämlich eventuell das nächste Problem. Und dann kann man guten Gewissens langsam zu laufen anfangen. So, wie Sie es geschafft haben, ist das einfach sensationell. Es braucht eben eine gewisse Konsequenz in den Dingen, die man sich vorgenommen hat. Ich finde es aber auch gut, dass Sie vorbeigekommen sind, um sich durchchecken zu lassen. Dass Sie sich gefragt haben: „Worauf muss ich achten, was kann ich verbessern?“, einfach um sich nicht eine Verletzung einzufangen, die man ja nun wirklich nicht gebrauchen kann.
Was macht das Laufen so besonders, so effektiv? Was ist der Unterschied zu anderen Sportarten?
Laufen ist ein Sport, den man allein betreiben kann. Was schon gut ist. Man ist nicht abhängig von anderen Faktoren. Man hat, anders als beim Fußball, nicht das Problem, dass einen andere Leute foulen, abgrätschen. Man hat nicht ständig im Kopf: „Schnell, schnell, ich muss den Ball noch erreichen.“ Das Laufen ist eine nach vorn geführte Geradeausbewegung. Auch das ist gut für die Gesundheit, hat nur einen Nachteil: Beim Laufen springt und landet man, was für die Knochen eine andere Belastung ist als beim Fahrradfahren oder auf dem Crosstrainer. Man kann beim Laufen aber prima Kalorien verbrennen und es ist deutlich gesünder für die Gelenke als die typischen „Stop-and-go“-Sportarten.
Was muss man gerade am Anfang beachten, wenn man sich entschieden hat, loszulaufen?
Gerade am Anfang muss der Körper sich daran gewöhnen, dass ganz andere Belastungen auf ihn zukommen als beim normalen Gehen oder beim Fahrradfahren. Man kann häufig beobachten, dass die Leute zu schnell zu viel wollen. Es gibt welche, die sagen sich: „Ich bin jetzt eine Stunde Rad gefahren und habe das Gefühl, ich habe auch Luft, um eine Stunde zu laufen“ – und machen das dann auch. Solche Menschen kommen dann oft mit sogenannten Überlastungsphänomenen zu mir. Das geht bis hin zu Überlastungsbrüchen. Auch den Kreislauf muss man langsam an die Belastung anpassen. Der ganze Körper muss sich umgewöhnen. Und das braucht einfach eine gewisse Zeit. Ich kann nur sagen: langsam anfangen! In der Regel erst einmal mit 15 Minuten, unterteilt in eine Minute laufen, eine Minute gehen und schauen, wie der Körper darauf reagiert. Dann steigert man das Stück für Stück, der Körper gibt entsprechend Rückmeldung. Es ist unheimlich wichtig, dass der Mensch in sich hineinhört und sich fragt: „Was sagt das Knie, was sagt der Fuß, was sagen die Muskeln? Ist es zu viel? Ist alles okay?“ Und es ist hilfreich, wenn man jemanden hat, mit dem man sich austauschen kann, der das alles einordnen kann. Ein Physiotherapeut oder ein Trainer, auch gerne ein Arzt. Am besten alle in Kombination.
Das „in sich Hineinhören“ bringt mich auf eine entscheidende Frage! Bei mir war es so, dass ich gerade am Anfang das Gefühl hatte, mein Körper wolle mir signalisieren: „Hey, mir reicht’s eigentlich. Mach lieber wieder so weiter wie all die Jahre, das war viel gemütlicher.“ Und er sandte mal ein Ziehen ins Knie oder leichte Kreuzschmerzen, um das zu untermauern. Früher hätte ich sofort aufgehört, wäre auch danach nicht weitergelaufen und wieder im alten Trott gelandet. Ich bin meinem Körper aber dieses Mal bewusst nicht auf den Leim gegangen. Bin weitergelaufen, nur eben etwas langsamer! War das eine gute Idee?
Das Problem ist leider, übrigens auch in der Medizin, dass man oft erst im Nachhinein schlauer ist. Bei Ihnen hat das geklappt, aber ich kenne auch viele, die sind trotz Schmerzen gelaufen und zeigten dann die typischen Überlastungserscheinungen. Die Wahrheit ist: Es ist immer ein schmaler Grat. Wissen Sie, wenn Sie trainieren und merken nicht, dass Sie trainiert haben, dann war es auch nicht so effektiv. Und Sie kommen nicht voran. Aber man ist eben auch sehr schnell dieses eine Stückchen drüber, über der Grenze. Und dann kann es sehr schnell negative Auswirkungen haben. Es ist immer wichtig zu überprüfen: Wie ist es mit der Belastung während des Trainings und wie ist es danach? Beschwerden müssen in jedem Fall einen, spätestens zwei Tage später wieder verschwunden sein. Sonst war es eindeutig zu viel! Und es ist kein Problem, ein wenig abgespeckt weiterzumachen, Hauptsache, man kommt weiter. Sie sollten sich und Ihr Trainingsprogramm immer wieder hinterfragen. Sie müssen Ihre Entwicklung immer überprüfen, sich sensibel damit beschäftigen. Wissen Sie, wenn ich jetzt direkt 100 Kilo drücken würde, würden sich meine Sehnen auch direkt melden. Keine Frage!
Die Frage der Belastung, des Maßhaltens, wann muss oder sollte sich der Körper erholen – das ist ja ein ganz eigenes Thema. Ärzte und Experten sind sich praktisch alle einig: Pausen sind ein unbedingtes Muss. Ich aber hatte bereits nach vier Monaten beschlossen, wirklich jeden Tag zu laufen. Ich kann auch beim Laufen regenerieren. Dann laufe ich eben einfach langsamer. Kann man das so machen?
Ja, das kann man. Das ist alles eine Frage der Geschwindigkeit und der Belastung. Es gibt die klassischen Regenerationsläufe, die Profisportler ja auch machen. Im Fußball kenne ich das natürlich, da laufen sich die Spieler nach dem Spiel aus. Da kommt es nicht auf die Länge der Strecke an, es muss auch nicht wahnsinnig schnell sein, aber aktiv regenerieren – das ist das Zauberwort! Ich bin der Meinung, dass man keine absolute Pause braucht. Man läuft ja nicht den ganzen Tag! Dazu kann man natürlich noch in die Sauna gehen, ab und zu zum Masseur, der einen auflockert. Das geht alles. Sonst könnte ja kein Profisportler weiter aktiv sein, kein Fußballspieler seinem Beruf nachgehen. Es ist immer die Frage des Maßhaltens. Wie im richtigen Leben.
Das Buch heißt „More Power – Lauf dich frei!“. Und besonders wichtig ist mir hier der tatsächliche Freiheitsaspekt. Mir hat das Laufen die Freiheit vom Rauchen zurückgegeben, von zu viel Zucker, von den sogenannten Alltagssüchten. Kann man sich wirklich „freilaufen“? Kommt man durch das Laufen aus Abhängigkeiten heraus? Teilen Sie diese These?
Ja. Unbedingt. Das ist so. Wobei man als Suchtmensch natürlich auch wieder aufpassen muss, dass das Laufen nicht auch wieder zur Sucht wird. Aber ich finde es letztendlich auch völlig okay, wenn man ungesunde Süchte durch gesunde Süchte ersetzt. Ich kenne viele, die das Laufen für sich entdeckt haben. Die es als Freiheit empfinden. Und sogar sagen, dass sie unruhig, teilweise sogar ungehalten werden, wenn sie nicht laufen können. Weil es ihnen einfach guttut. Man bekommt durch das Laufen...