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E-Book

Jean Paul

AutorWalther Harich
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl707 Seiten
ISBN9783849643225
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Harichs extensive Biografie des deutschen Schriftstellers Jean Paul gehört heute zu den literaturhistorisch bedeutsamen Werken seiner Zeit. Auf vielen hundert Seiten beleuchtet Harich das Leben und Werk des 1825 in Bayreuth verstorbenen Jean Paul.

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Leseprobe

Gymnasiast und Student


 


 Fritz glaubte die Aufnahmeprüfung schlecht bestanden zu haben. Die regellose Art des bisher genossenen Unterrichts hätte einen einigermaßen kläglichen Ausfall der Aufnahmeprüfung in ein richtiges Gymnasium nicht weiter verwunderlich erscheinen lassen. Aber zu seiner und des Vaters Überraschung war der Rektor Kirsch über das ungewöhnliche Wissen des Knaben erstaunt und wollte ihn sogleich in die oberste Klasse aufnehmen. Der Vater aber setzte es durch, daß Fritz nur auf die mittlere Prima aufgenommen wurde, hier allerdings nicht, wie bei Neuaufgenommenen üblich, den letzten Platz, sondern einen besseren erhielt.

 

Christian Otto, Jean Pauls späterer Freund, der mit ihm gleichzeitig das Hofer Gymnasium besuchte, gibt von den Lehrern, deren Unterricht Jean Paul nun zwei Jahre zu genießen hatte, keine sehr einnehmende Schilderung: »Keiner der beiden Männer, welche die Primaner unterrichteten, hatte das großartige Talent, reinen wissenschaftlichen Eifer und Dankbarkeit in den Schülern zu erwecken. Ihre ärmliche Besoldung war wohl vornehmlich daran schuld.« Das armselige Los der Theologen und Schulmänner im Fürstentum Baireuth drückte den gesamten Stand und seine Arbeitsfreudigkeit auf eine kümmerliche Stufe herab, und die Männer, die Zeit ihres Lebens bitterste Not litten und durch den ständigen Anblick ihrer darbenden Familie niedergedrückt waren, hatten in den seltensten Fällen noch Kraft genug,  erzieherisch und wissenschaftlich auf ihre Schüler einzuwirken. »Der erste und bedeutendste«, schreibt Otto, »war der Rektor Kirsch, der andere der Konrektor Rennebaum. Keiner von beiden hatte Lehrtalent und besonders Liebe zur Jugend.« Kirsch beschäftigte sich mit Vorliebe mit den orientalischen Sprachen. Seine Kenntnisse, obwohl sie dem Knaben selber bald oberflächlich erschienen, waren nicht ohne Umfang. Er langweilte seine Schüler nicht mit Wiederholungen, sondern eilte wie im Fluge vorwärts, »so wie auch die alten Autoren unter seiner Leitung meistenteils kursorisch gelesen wurden«. Jean Paul war vorzüglich im Anfang mehr auf den Unterricht des Konrektors Rennebaum angewiesen, der wohl für einen Schüler von seiner Begabung noch ungeeigneter war. Rennebaum ging langsam und zögernd vorwärts und konnte dem kleinen Fritz Richter, der schon manches gelesen und gedacht, was nicht nur seinen Mitschülern, sondern auch seinen Lehrern noch ganz fremd war, nichts darreichen als unerträgliche Langeweile. Erst als Student entdeckte Jean Paul für sich die Welt der lateinischen Klassiker, die ihm der schlechte Unterricht auf der Schule verleidet hatte.

 

Das grellste Licht auf die Hofer Schulverhältnisse wirft aber Ottos Beschreibung des französischen Unterrichts. Diesen erteilte ein ärmlich besoldeter ehemaliger Tapetenwirker, der das Französische unrichtig aussprach und fehlerhaft schrieb. Für Lehrer wie Schüler war nur ein einziges französisches Buch vorhanden, das der Lehrer auf der großen Tafel aufstellte. Der Reihe nach mußten sich die einzelnen Primaner zu ihm hinsetzen, um ein Pensum zu übertragen, während die übrigen zwanzig oder dreißig unbeaufsichtigt sich die Zeit mit Unfug vertrieben.

 

Die Bevorzugung, die Fritz seitens des Rektors entgegengebracht wurde, mußte natürlich die Mitschüler von  Anfang an gegen ihn einnehmen. Er, der in der Einsamkeit aufgewachsen war, fern von gleichaltrigen Gespielen, mit dem eigenartigen Entwicklungsgang eines aus dem Durchschnitt herausfallenden Knaben, mußte auch von seinem ersten Auftreten an befremdend und fast beängstigend auf seine Kameraden wirken, die in Geselligkeit und Stadtluft sich gegenseitig abgeschliffen hatten. Christian Otto schildert den späteren Freund, wie er in einer dorfmäßigen, neuen und doch vernachlässigten Kleidung, mit treuherzig unbefangenem Anstand unter die Primaner getreten sei. Sein freimütiges Entgegenkommen sei für zudringlich gehalten worden, sein in sich gekehrter, auf die äußere Erscheinung unaufmerksamer Sinn habe den Spott herausgefordert, sein begeistert nach oben gerichteter Blick sei ihnen schielend erschienen, und so seien die Mitschüler ihm gleich seine »Hussiten« geworden, wie es Jean Paul im Hinblick auf die Hussitenbelagerung seiner Heimatstadt Wunsiedel nannte.

 

Gleich am ersten Unterrichtstage wurde Jean Paul das Opfer der erbarmenslosen Arglist aufgebrachter Jugend. Der ihm gespielte Streich ging dem Knaben um so näher, als er von dem einzigen Primaner ausging, dem er von früher her bekannt war, namens Reinhart. Reinhart redete dem neuen Mitschüler ein, daß jeder neu Eintretende dem französischen Lehrer die Hand zu küssen habe. Arglos, da er an die Sitte des Handkusses von Kindheit auf gewöhnt war, trat Fritz auf den alten Tapetenwirker zu, um die vermeintlich schuldige Pflicht zu erfüllen. Der Sprachmeister, an Spott und Verhöhnung seitens der Schüler gewöhnt, überhäufte den gänzlich Erstaunten mit Haß- und Wutausbrüchen und verließ unter dem Gelächter der Klasse fluchend und tobend die Stube.

 

Nicht nur der Mißbrauch seines arglosen Vertrauens traf  Fritz ins tiefste Herz, sondern vor allem der Umstand, daß er in den Augen seiner neuen Mitschüler einer kriechenden Demütigung fähig gewesen war. Er hat Reinhart diesen Streich nie vergeben und bis zu seinem Tode jeden Umgang mit ihm gemieden, obwohl sie später in Baireuth zusammen lebten. Ein eigenartiger Zufall wollte es, daß Reinhart, der in Baireuth Prediger wurde, nach Jean Pauls Tode an seinem Grabe die Leichenrede zu halten hatte.

 

Anderer Übergriffe erwehrte sich Jean Paul mit leichter Mühe. In jeder Woche mußten zwei der unteren Primaner die diensttuenden Brüder oder die Excurrentes machen, die Stunden ausrufen und das Frühstücksbrot für die ganze Klasse herbeischaffen. Da man den Neuling nur als unteren Primaner anerkennen wollte, obwohl er als mittlerer aufgenommen war, suchte man ihn zu diesem Dienst zu zwingen. Er aber stand stumm und trotzig mit gesenkten und geschlossenen Händen da und weigerte sich, das Geld zum Broteinkauf entgegenzunehmen, so daß schließlich die richtigen Excurrentes ihres Amtes walten mußten. Seine entschlossene Haltung blieb auf die Dauer nicht ohne Wirkung, und allmählich errang er die Achtung und Zuneigung seiner Mitschüler.

 

Ein besonderer Vorfall gab ihm sogar die unumstrittene Führerstellung innerhalb der Klasse. Konrektor Rennebaum war auf den Einfall geraten, öffentliche Disputierübungen anzustellen, wobei er sich die Stelle des immer siegreichen Präses vorbehielt, während Primaner die Rollen des Respondenten und des Opponenten erhielten. Fritz war bei einer solchen Disputation Opponent, als eine Thesis aus der Dogmatik zur Diskussion stand. Der Akt sollte nun planmäßig so verlaufen, daß das kirchliche Dogma neugestärkt und bewiesen aus dem Kampf der Meinungen hervorgehe und  Präses und Respondent als Sieger über den Opponenten triumphierten. Jean Paul war aber der Meinung, daß man bei Disputierübungen wie bei allem Forschen nach der Wahrheit unbekümmert um das Resultat so lange fortopponieren müsse, als man Gründe anzubringen wisse. Niemand auf der Schule hatte bis dahin eine Ahnung von seinen überragenden theologischen Kenntnissen, die er unter der Anleitung seiner Gönner Völkel und Vogel erworben. Zum ersten Male konnte er nun die Schätze seines heterodoxen Wissens zur Schau stellen, und er tat es mit einem sachlichen Eifer, daß er den zur These erhobenen Kirchenartikel in Kürze zu Fall brachte. Der Konrektor wie der als Respondent tätige Primaner waren auf einen derartigen Widerstand bei weitem nicht gefaßt und mit den theologischen Streitfragen nicht annähernd so vertraut wie Jean Paul. Der Respondent war bald zum Schweigen gebracht, und auch der Präses so in die Enge getrieben, daß ihm schließlich nichts übrigblieb, als dem siegreichen Opponenten Schweigen zu gebieten und das Katheder plötzlich und unwillig zu verlassen.

 

Diese Niederlage des Konrektors wurde von den Primanern als ihr eigener Sieg aufgefaßt, und Jean Paul blieb von da ab von allen Neckereien verschont und galt als das geistige Haupt der ganzen Klasse. Die Angelegenheit hatte aber für ihn noch eine andere Folge: Die öffentliche Meinung der engherzigen und bigotten Höfer brandmarkte den jugendlichen Opponenten als Freigeist und Atheisten und verdammte seine heterodoxen Äußerungen auf das erbittertste. Von da ab blieb Jean Paul für seine Landsleute gezeichnet, und die verunglückte Disputation war der erste Anlaß für die gehässige Geringschätzung, mit der ihm seither von den Höfern begegnet wurde.

 

 Jean Pauls Vater, der sicherlich auf seiten des Konrektors und der Hofer gestanden hätte, erlebte diesen Vorfall nicht mehr. Wenige Wochen, nachdem sein Sohn das Gymnasium bezogen hatte, starb er am 15. April 1779 in Schwarzenbach. Der Tod enthob ihn den schweren Konflikten mit dem eigenwillig sich entwickelnden Fritz, die jedenfalls nicht lange ausgeblieben wären. Wir haben kein Zeugnis darüber, wie des Vaters Tod auf den Jüngling wirkte. Vielleicht kann man aus seinem Schweigen schließen, daß er mehr das Gefühl einer Befreiung als eines Verlustes gehabt hat. Ja, bei seinem pietätvollen Sinn ist es nicht ausgeschlossen, daß seine Entfremdung mit dem Vater ihn später seine...

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