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E-Book

Sehr verehrte Frau Bundesministerin für das deutsche Schulwesen...

Nachdenkliches über die Bildungsrepublik

AutorBertrand Stern
Verlagtologo Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl174 Seiten
ISBN9783940596413
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Bertrand Sterns neues Buch 'Sehr verehrte Frau Bundes- ministerin für das deutsche Schulwesen... Nachdenkliches über die Bildungsrepublik' faßt fünf der zahlreichen Vorträge zusammen, die er 2007 und 2008 zum komplexen Thema eines Ausbruchs aus der widersinnigen Institution Schule gehalten hat. Nach 'Schluß mit Schule! Das Menschenrecht, sich frei zu bilden' - so eindeutig betitelte der Philosoph sein letztes Buch - publiziert der engagierte Autor nun eine weitere, wieder pointierte und kritische Anregung zur Reflektion. Daß Bertrand Stern sich der großen (gesellschafts-)politischen Bedeutung der Frage des sich frei bildenden Subjekts bewußt ist, unterstreicht seine titelgebende Einleitung: Sein an eine fiktive 'Bundesschulministerin' gerichteter Brief ist eine deutliche Aufforderung, statt das schulische Elend zu reformieren sich für eine konstruktive Neugestaltung der 'Landschaften der freien Bildung' einzusetzen. Dieses engagierte und deshalb unbequeme Buch ist ein deutliches Plädoyer für die bedingungslose Freiheit des Menschen.

Bertrand Stern Seine Wirkung als freischaffender Philosoph versteht der Autor so, daß er einerseits frei schafft, also ungebunden denkt; daß er andererseits Freiheit schaffen will. Bie unzähligen Vorträgen, Seminaren, Podien, Rundfunk- und TV-Sendungen im In- und Ausland und in vielen Publikationen unterzieht er seit Jahrzehnten ganz unterschiedliche Aspekte unserer gesellschaftlichen Realitäten einer kritischen Analyse. Stets geht es ihm hierbei um die Selbstbestimmtheit und die Würde der Person: In eben der radikalen und energievollen Lebendigkeit des kreativen Menschen erblickt er die Chance, aus den freiheitsfeindlichen, entwürdigenden und zumeist widersinnigen zivilisatorischen Ideologien auszubrechen

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›kindlich‹ oder ›kindisch‹?


Eine Reflektion über die ethischen Grundlagen zwischengenerationellen Handelns

Herzlichen Dank für die Einladung, Ihnen die kritische Reflektion eines notorischen Querdenkers zuzumuten! Das Motto Ihrer Veranstaltung könnte wahrlich zur Illusion verleiten, die Lage junger Menschen verbesserte sich in dem Maße, wie die gesetzlichen und juridischen Grundlagen endlich modernisiert würden! Mein Ansinnen ist es nun darzustellen, erstens daß der Ansatz dieser Hoffnung eine gefährliche Illusion ist; zweitens daß die Erweiterung jedweder strukturellen Für- oder Obsorge im Gegenteil die dramatischen Nöte und Probleme einer wuchernden Infantilität nur verschlimmern würde; und drittens daß das, was Sie anstreben, in den Maße erst besser, einfacher, logischer wird, wie es Ihrem eigentlichen Impuls entspringt und somit für Sie selbst beglückender und sinnvoller ist! Deshalb will ich es der Wichtigkeit wegen klar sagen: Mit meiner radikalen Kritik will ich nicht Sie in Ihrer juridischen Kompetenz oder in Ihrem politischen Einsatz anklagen; vielmehr möge dem Beklagen die klare Aufforderung und Ermunterung folgen, sich selbst und Ihr Engagement zu würdigen!

Gestatten Sie mir zunächst einen anekdotischen Hinweis, den ich meiner querdenkerischen Redlichkeit schulde und der mich zum Schmunzeln veranlaßte: Im Untertitel meines heutigen Referats hatte ich mit Bedacht die Reflektion mit KT geschrieben, um sie abzuheben von der mit X geschriebenen Reflexion, der Widerspiegelung. Da einem zwar wundersamen, aber denkunfähigen Rechner heute mehr Autorität gewährt wird als der verqueren Überlegung eines kritischen Geistes, hat ein Rechtschreibprogramm sicherlich diese automatische Korrektur veranlaßt: Dies ein Beispiel von neuer Autorität und subtiler Infantilität... Dennoch bleiben meine Ausführungen als Reflektion eine Einladung an Sie, über dieses komplexe Thema zu reflektieren – ich gehe nicht davon aus, daß ich Sie einfach als meine Widerspiegelung ansehen darf.

Eine andere Vorbemerkung: Im Juni 2006 veranstaltete die »Steirische Kinder- und Jugendanwaltschaft« die Tagung: »meine Meinung – (k)eine Meinung? – Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der sozialen Arbeit im Feld der Jugendwohlfahrt«. Meinen in Graz gehaltenen Einführungsvortrag: »Stellen wir uns vor, Kinder wären auch Menschen! – Widersprechen sich Mündigkeit und Wohlfahrt?« hätte ich mit wenigen Änderungen heute halten können: Gewiß wäre es auch hier bedeutsam, kritisch darüber zu spekulieren, aus welchem Impuls heraus Sie sich in der Jugendwohlfahrt, der Kinderpflege, der Sozialarbeit, der Jurisdiktion, der Schule usw. engagieren. Daß ich mich zu einem anderen Vortrag entschieden habe, liegt daran, daß Sie einerseits den Text jenes Grazer Vortrags – sogar in einer erweiterten Form – im Internet1 und wichtige Teile daraus in meinem kürzlich publizierten Buch2 finden können; und ich andererseits in meinem heutigen Referat die Akzente setze auf die üblicherweise als »Kinder« bezeichneten Empfänger Ihrer Fürsorge und folglich auf die gesellschaftlichen Konsequenzen dieses Engagements: das, was ich als Infantilität bezeichne. Die zweifellos reizvolle Aufgabe, all diese Aspekte zugleich zu beleuchten, würde allerdings weit mehr als die mir zugeteilte knappe Zeit erfordern!

* * *

Lassen Sie mich zunächst festhalten: Gern nehme ich Ihnen ab, daß Sie die Sorge, die Sie umtreibt, als begründet betrachten. Ohne die Ernsthaftigkeit Ihres Engagements zu bezweifeln, ist dennoch zu fragen, ob Ihr Handeln nicht die unmittelbare Ableitung der von Ihnen gesetzten Prämissen ist; folglich würden andere, kritische Ansätze zu anderen Konsequenzen führen. Zur Verdeutlichung wähle ich mit Bedacht ein Beispiel aus einem völlig anderen Bereich und hoffe, daß Sie meine Reflektion nicht aus allzu großer Betroffenheit ablehnen werden!

Weshalb engagieren sich bestimmte Menschen als Entwicklungshelfer? Den meisten geht es darum, katastrophalen Mißständen entgegenzuwirken. Statt sich mit Dürre und Verkargung, mit Landflucht und Slumbildung, mit Aids und Unterernährung, mit Zwangsprostitution und Kinderausbeutung abzufinden, wollen sie etwas unternehmen. Allein kann die gute Absicht, so verständlich und gar lobenswert sie auch sein möge, die kritische Analyse des Ansatzes von Entwicklungshilfe ersetzen? Verkommt das Wohlmeinende nicht zu einer weiteren Verfestigung der Normen des zivilisatorischen Systems, wenn es nicht zuvor radikal hinterfragt worden ist? Schlimmer: Verankert womöglich die Entwicklungshilfe gewisse subtil transportierte Normen? Dadurch werden die Helfer – sicherlich nicht bewußt! – zu Agenten just jener Verelendung, gegen die sie eigentlich vorgehen wollten! Habe ich damit verdeutlichen können, daß die in einer Sorge wurzelnde gute Absicht keine konkrete Handlung zu rechtfertigen vermag? Vielmehr gilt es, jene »Normen der Normalität« zu entlarven, welche der bewegenden Sorge und der sich daraus ergebenden Handlung zugrundeliegen.

Gewiß spreche ich denjenigen, die sich in einer der vielen pädagogischen und therapeutischen Aufgaben engagieren, ihre Sorge um junge Menschen nicht ab; und gewiß werden sie vielerlei Belege und Beweise beibringen, um die Notwendigkeit ihrer Intervention zu begründen. Und dennoch will ich an den Fundamenten dieser Aktivität rütteln: Was begründet sie eigentlich? Betrachten wir mal die üblichen Pfade des Systems von einer höheren Warte aus: Auffallend sind zum einen, nach welch simplem »Reiz-Reaktions-Schema« die meisten pädagogischen und therapeutischen Handlungen sind; zum anderen, was sie, vor allem sprachlich, rechtfertigen soll. Zur Verdeutlichung: Ihr Engagement beruht teilweise auf der Einführung von drei Schlüsselbegriffen:

  • Ihre ursprüngliche Sorge wird erst dadurch offizialisiert und anerkannt, daß sie in Fürsorge oder Obsorge umgewandelt wird.
  • Zur Rechtfertigung der notwendig gewordenen Für- oder Obsorge wird das Zauberwort Krise eingeführt und diese Krise allenthalben festgestellt: in der Familie, in der Schule, in der Arbeit, in der Freizeit, in der Psychiatrie, im Jugendknast...
  • Der Krise entspricht logischerweise die von Experten durchgeführte Krisen-Intervention.

Indes bedingt der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs Krise fünferlei:

  • Erstens verschleiert das Wort Krise, daß das ganze Leben ein Prozeß eben von Krisen und Lösungen ist und kein Mensch sich ohne sie entfalten würde. Insofern unterhält das Wort Krise eine sorgsam verheimlichte Lüge: Natürliche und konstruktive Prozesse werden so problematisiert, daß sie Fachkräften zu überantworten sind.
  • Zweitens sollen Krisen die von der Gesellschaft aufgebrachten und bestgemeinten Hilfen rechtfertigen: Hat sie nicht alles getan, um sich nun entschuldet zu fühlen?
  • Drittens impliziert dieses Entschulden eine Schuld an der tragischen Krise, die selbstverständlich bei jenen liegt, denen geholfen werden sollte: Wie undankbar sie jene »bösen, unerzogenen, lauten, kiffenden Jugendlichen«, die als Unruhestifter laut rebellieren, statt sich in die nunmal erforderlichen Normen einzufügen! Insofern handelt es sich hier um eine subtile weil unausgesprochene Kriminalisierung.
  • Viertens ist zu fragen, ob Experten es wirklich vermögen, die ihnen auferlegte Verpflichtung aufzunehmen, auf sich zu nehmen, um die erwartete Krisenlösung zu bieten. Durch die bloße Instrumentalisierung der Sorge in eine Fürsorge oder Obsorge verwandelt sich lediglich die ursprüngliche Aktivität in Aktivismus, ja schlimmer: in Agitation, vielleicht in »päd-agitatorischen Aktionismus«.
  • Fünftens muß nun gefragt werden, weshalb die Krisenintervention eigentlich gescheitert ist. Liegt dies an den unüberwindlichen Umständen draußen, in der ach wie bösen Welt? Oder an den stets zu knappen Mitteln und zu schlechten Bedingungen? Oder ist es nicht eher so, daß der gehegte Anspruch einer Krisenlösung das Scheitern, das Versagen unabwendbar impliziert? Wie logisch ist nun das Gefühl des Ausgebrannt-Seins, das soviele soziale Berufe kennzeichnet?

Angesichts der nicht zu leugnenden Spannungs- und Konfliktfelder ist die Frage berechtigt: Was also ist zu tun? Der erste Schritt scheint mir die Klärung jener üblichen normativen Vorzeichen und Setzungen unserer Gesellschaft, welche der Krise vielleicht zugrundeliegen. Erst danach lassen sich, in einem zweiten Schritt, die beobachteten Symptome anders analysieren, um zu wahrhaftigeren Schlußfolgerungen zu gelangen.

Dies unmittelbar verdeutlicht: Werden nicht bei jeder Neubildung einer Regierung Hoffnungen gehegt, die Mittel für die Jugendarbeit würden, statt tendenziell verknappt, endlich den Notwendigkeiten entsprechend erhöht? Und: Gesetzgeberische Maßnahmen könnten zu einem Wandel der Rechtsposition und somit der Wirklichkeit führen. Diese Illusionen scheinen mir erfahrungsgemäß aus drei wesentlichen Gründen bedenklich:

  • Das Legislative kann die Wirklichkeit nur dann verändern, wenn der Ansatz der gesetzgeberischen Wegweisung radikal ist; alles andere verstärkt, ja verschlimmert die realen Gegebenheiten, schlimmer noch: versieht sie allenfalls mit dem Mantel des Wohlmeinenden.
  • Juristen beanspruchen gern das Pragmatische; ähneln sie...
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