Einblick
»Sie können hier mit niemandem telefonieren, schicken Sie eine Mail!« – Um Unternehmen, die so mit ihren Kunden hantieren, muss man sich wohl Sorgen machen. Ich werde sie in diesem Buch die alten, analogen Unternehmen nennen. Sie sind nicht unbedingt alt an Jahren, sondern alt im Kopf, zu alt, um die Zukunft erreichen zu können. Denn etwas Großes ist im Gange. Wir leben in einer neuen, sich unaufhaltsam digitalisierenden Businesswelt. Und wir stecken mittendrin im größten Change-Prozess aller Zeiten. Die Macht ist zu den Mitarbeitern gewandert. Und die Kunden haben, von vielen nahezu unbemerkt, die Macht schon längst übernommen. Was das bedeutet? Heute entscheiden vor allem die eigenen Kunden darüber, ob neue Kunden kommen und kaufen. Und die eigenen Mitarbeiter entscheiden maßgeblich mit, wer die besten Talente gewinnt. Passende interne Rahmenbedingungen und eine auf diesen Wandel ausgerichtete Führungskultur sind unausweichlich, damit es gelingt, in volatilen Märkten auf immer neue Weise verlockend zu sein.
Doch während sich draußen unumkehrbar alles verändert, vertrödeln sich drinnen in den Unternehmen die Manager mit »gängigen« Verfahren und verbrauchten Ritualen aus dem letzten Jahrhundert: Top-down-Formationen, Silodenke, Insellösungen, Abteilungsegoismen, Hierarchiegehabe, Budgetierungsmarathons, Anweisungskultur, Kontrollitis, Kennzahlenkult. Dies wie auch ein antiquiertes Führungsverständnis und der kundenfeindliche Standardisierungswahn sind die größten Bremsklötze auf dem Weg in eine neue Business- und Arbeitswelt. Mit Werkzeugen von vorvorgestern ist die Zukunft nun mal nicht zu packen. Die Unternehmen sind in ihren eigenen Systemen gefangen. Und sie werden nicht am Markt, sondern an ihren Strukturen scheitern. Deshalb sind Innovationen zunächst drinnen, im firmeninternen Zusammenspiel, dringendst vonnöten. Vernetzung und Kollaboration heißen die zentralen Schlüssel zum Ziel. Wie dies erreicht werden kann und welche Tools dabei helfen, zeigt dieses Buch.
Unsere schöne neue Businesswelt
Die Hochzeit zwischen dem Social Web und dem mobilen Internet hat uns mit Höchstgeschwindigkeit in die Web-3.0-Welt katapultiert. Ihr vielleicht wichtigstes Plus: eine digitale Informationsschicht, die sich per Fingerwisch über unsere Offline-Landschaften legt. Hierdurch werden die Menschen mit dem kompletten Onlinewissen praktisch überall auf der Erde in Echtzeit vernetzt. Diese neue Konstellation hat das Kräfteverhältnis zwischen Anbietern und Nachfragern endgültig auf den Kopf gestellt. Denn das Internet spielt den »kleinen Leuten« zu. Es begünstigt »die vielen«. Es verachtet Zentralisierung. Und es liebt Kollaboration.
Doch in den Schaubildern der Unternehmen sieht es noch immer aus wie anno dazumal. Sie verdeutlichen – vielleicht mehr als alles andere – die wahre (fossile) Gesinnung: Der Chef thront ganz oben, darunter, in Kästchen eingesperrt, seine brave Gefolgsmannschaft. Die Mitarbeiter kommen in solchen Organigrammen nicht einmal vor. Sie werden wie Fußvolk verwaltet und in Abteilungsschubladen organisiert. Ja, und die Kommunikation zu den Kunden läuft über Kanäle. Bei Licht betrachtet sind Werbekanäle nichts als das externe Gegenstück interner Silos und veralteter Top-down-Hierarchien: unvernetzt nebeneinanderher agierend. Denn ein Kanal dient der Datenübermittlung von einem Sender zu einem Empfänger.
Demgegenüber zeigt die Welt der Kunden ein völlig anderes Bild: Sie schwirren in Outernet- und Internet-Sphären um Unternehmensgebilde herum, die wie Netzwerke agieren (sollten). Sie kaufen an Touchpoints nach Gusto mal offline, mal online. Bei der Entscheidungsfindung lassen sie sich vor allem von ihresgleichen leiten. Von unersättlichen Konsumenten wandeln sie sich zu verantwortungsvollen Weltenbürgern. Manche sind schon »Sharer« und »Maker« geworden, das heißt, sie kaufen nicht neu, sondern sie teilen sich das, was sie brauchen, mit Dritten. Oder sie produzieren es selbst. Die meist webbasierte »Share-Economy« wird das ohnehin dürftiger werdende Wachstum auf ganz neue Weise bedrohen. Und der Selbermachen-Trend, der durch die aufkommenden 3-D-Drucker begünstigt wird, wird völlig neue Geschäftsmodelle kreieren.
Es ist also höchste Zeit für einen neuen Typus von Organisation. Ich nenne es das Touchpoint-Unternehmen.
Touchpoint-Unternehmen und Touchpoint-Manager
Niemals zuvor waren die Kunden einem Unternehmen so nahe wie heute. Spätestens jetzt muss sich jede Führungskraft in jedem Bereich neben ihrer Kernaufgabe intensiv mit den Kunden befassen. Denn über die sozialen Medien kann heute jeder Externe praktisch mit jedem Mitarbeiter direkt in Verbindung treten, ganz egal, in welcher Abteilung der sitzt, und egal auch, ob das dem Management passt oder nicht. Die Zahl der Kontaktpunkte zwischen drinnen und draußen ist explosionsartig gestiegen; sie ist jetzt schon unüberschaubar geworden. Dies ist Risiko und Chance zugleich.
Früher wurde das, was die Öffentlichkeit über ein Unternehmen erfahren sollte, über sorgsam formulierte Pressemitteilungen und gut geschulte Vorstandssprecher gesteuert. Was sich hinter den Firmenfassaden aber tatsächlich begab, gelangte nur vereinzelt nach draußen: wenn jemand in seinem persönlichen Umfeld von einem Vorfall erzählte oder wenn es über persönliche Kontakte bis zu den Medien drang. Heute sieht das völlig anders aus: Die Mitarbeiter berichten über Interna im Web. Sie sind zu Botschaftern ihrer Arbeitgeber geworden. Und die Unternehmen haben keinerlei Kontrolle darüber, was sie dem Cyberspace alles anvertrauen.
Wer führt, behandle seine Leute also besser gut und halte ethische Werte ein, denn im Internet kommt es irgendwann raus. Vorbildliches wird dort vergnüglich gefeiert und Gutes kräftig gelobt, Übles hingegen herbe bestraft. Wer lügt und betrügt, wer seine Leute wie ein Berserker behandelt oder sich eigennützig Vorteile verschafft, wird geteert und gefedert und dann an den Onlinepranger gestellt. Das lesen dann nicht nur alle Kollegen, nein, die gesamte Öffentlichkeit liest das auch. Schon längst wird das zweifelhafte Innenleben eines Anbieters durch kollektive Nichtkäufe bestraft. Und die besten Bewerber kehren Reputationsschwachen den Rücken, noch ehe es zu einer ersten Annäherung kommt. Denn bevor man hört, was ein Unternehmen selbst über sich sagt, lauscht man denen, die aus erster Hand berichten.
In dieser neuen Realität werden Kunden kaum mehr den vorgezeichneten Kanälen altehrwürdiger Ablauforganisationen folgen. Sie lassen sich auch nicht mehr an Service, Sales und Marketing wegdelegieren – und schon gar nicht von provisionssüchtigen Verkäufern zum LEO, einem leicht erlegbaren Opfer, machen. Vielmehr steuern sie die direkten und indirekten Touchpoints spannender Anbieter selbstbestimmt an. Deshalb folgen Touchpoint-Unternehmen dem Outside-in-bottom-up-Weg, das heißt, sie bewegen sich vom Kunden her nach drinnen und dann vom Mitarbeiter her in Richtung Führungsebene. Denn nur so herum kann der Erfolg künftig gelingen. Dabei wird es im Unternehmensorchester schon bald auch ein neues Berufsbild geben: den Touchpoint-Manager. Er steht wie ein Advokat für die Kundeninteressen ein und setzt sie kraftvoll durch. Und er weiß: Wer lange Strecken laufen will, braucht geduldiges Geld.
Was ist eigentlich ein Touchpoint?
Ein Touchpoint wird im Deutschen gern als Kontaktpunkt bezeichnet. Doch dies ist ein unterkühlter und versachlichter Begriff. Das Wort »Berührungspunkt« drückt sehr viel besser aus, wie Beziehungen in Social-Media-Zeiten nun zu gestalten sind. Wer nämlich Menschen erreichen will, der muss sie »berühren« – und Emotionalität zum Schwingen bringen. Wenn dann noch ein Hauch von Magie und eine Brise »Sternenstaub« hinzugefügt werden, dann weckt dies ein heftiges Habenwollen.
Nicht was in ambitionierten Businessplänen und aufwendigen Handbüchern geschrieben steht, sondern was der Kunde in den »Momenten der Wahrheit« (Jan Carlzon) an den einzelnen Touchpoints tatsächlich erlebt, entscheidet über hopp oder top. Diese so virtuos zu bespielen, dass Transaktionen für kaufwillige Kunden immer wieder begehrenswert sind und ein engagiertes Weiterempfehlen bewirken, das ist die neue große Herausforderung. Und sie geht jeden im Unternehmen an, egal, ob er direkt an der Kundenfront tätig ist oder etwa in der Buchhaltung, in der Produktion oder im Lager wirkt.
All dies verlangt ein kundennahes Management und auch einen neuen Führungsstil: die kundenorientierte Mitarbeiterführung. Basis dafür ist das Meistern der internen Touchpoints, also der Interaktionspunkte zwischen den Mitarbeitenden, den Führungskräften und der Organisation. Kollaborative Prozesse, bei denen man die »Ideenfunken« aller Mitarbeitenden einfängt und die »Weisheit der Vielen« nutzt, werden dabei, wie wir gleich sehen, aus gutem Grund zu bevorzugen sein.
Touchpoints zwischen Bewerber und Arbeitgeber
Der demografische Wandel, der Kampf um die Besten und der Glashauseffekt, den das Social Web mit sich bringt, halten ganz neue Anforderungen parat: Personaler müssen das Verkaufen lernen. Dabei sind die Ressourcen, die bereits jetzt für das effiziente Suchen, Finden und Gewinnen passender Talente in den Markt geworfen werden, ganz enorm.
Doch nicht die Firmenwebsite und deren Karriereteil, sondern das Eingabefeld der Suchmaschinen ist zunehmend der Startpunkt für eine potenzielle Mitarbeiterbeziehung – und oftmals gleichzeitig das Ende. Dabei spielen die indirekten Touchpoints wie zum Beispiel Meinungsportale,...