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Step 1: Marktbewertung und -auswahl
Management-Summary
Die Entscheidung ist gefallen: Wir expandieren ins Ausland! In der Anfangseuphorie stellt sich schnell die Frage nach dem Wohin. Mit Begeisterung beteiligen sich große Teile des Unternehmens an der Diskussion. Manche schlagen den Standort ihres Ferienhauses vor, stellen ihre profunden Marktkenntnisse heraus und träumen insgeheim von der Möglichkeit, Dienst- und Urlaubsreise zu verbinden. Andere haben Flugangst oder befürchten eine höhere Arbeitszeitbelastung. Sie bevorzugen einen Markt, der vor der Haustür liegt und dem Heimatmarkt gleicht. Die Nächsten betrachten fehlende Sprachkenntnisse als Hindernis und wünschen sich eine Expansion vor allem im deutschsprachigen Raum. All diese Argumente sind subjektiv. Sie sind nachvollziehbar und spielen in der betrieblichen Praxis für jeden Auslandsmanager eine Rolle. Selten wird er den Markteintritt in ein Land vorschlagen, gegen welches große subjektive Vorbehalte der maßgeblichen Entscheidungsträger bestehen. Trotzdem erfordern die hohe wirtschaftliche Bedeutung dieser Entscheidung, die große Anzahl an möglichen Märkten und die Komplexität der Entscheidungsvorbereitung eine klar strukturierte Vorgehensweise. Dadurch erhalten alle Entscheidungsträger objektive Gründe für die Auswahl der attraktivsten Zielmärkte. Selbst wenn bei der Entscheidungsfindung auch subjektive Gründe eine Rolle spielen, wird man sich objektiven Gründen nicht verschließen und somit das Risiko einer Fehlentscheidung deutlich senken. Die dazu notwendigen Tasks sind in einer sinnvollen Reihenfolge übersichtlich vorgestellt und mit den jeweiligen Tools ist die schnelle und einfache Umsetzung gewährleistet.
2.1 Task 1: Definition der Marktauswahlstrategie
2.1.1 Beschreibung von Marktauswahlstrategien
In der Praxis lassen sich grundsätzlich reaktive und aktive Verhaltensweisen bei der Auswahl möglicher Zielmärkte unterscheiden. Ein typisch reaktives Verhalten zeigt sich oftmals in Business-to-Business-Märkten (B2B) wie der Automobil-Zulieferindustrie und auch bei Banken im Bereich Corporate Finance. So folgen Zulieferer Automobilherstellern ins Ausland und siedeln sich neben den neuen Produktionshallen an. Dabei bleiben zum beiderseitigen Nutzen Wertschöpfungsketten intakt, was in neuen Märkten durchaus ein Wettbewerbsvorteil sein kann. Dienstleistungen von Banken für internationale Firmen umfassen zum Beispiel die Finanzierung von Exporten, die Entwicklung von Lösungen zur Absatzfinanzierung (zum Beispiel Kredite und Leasing), Kurssicherungsinstrumente für den Einkauf von Rohstoffen und Währungen, internationalen elektronischen Zahlungsverkehr oder Cash-Management-Systeme. Diese Dienstleistungen – insbesondere die Absatzfinanzierung – können ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Ausland sein. Der maßgebliche Impuls für die Entwicklung einer Expansionsstrategie entsteht hier durch die Nachfrage bestehender Kunden, die Motivation liegt vor allem in der Sicherung und dem Erhalt der Kundenbeziehung.
Sobald ein Unternehmen nicht auf bestehende Kundenbeziehungen für seine Auslandsexpansion zurückgreifen kann oder vor allem Produkte für den privaten Endverbraucher (B2C = Business to Consumer) anbietet, ist eine aktive Verhaltensweise zu beobachten. In diesem Fall ist der maßgebliche Impuls die Attraktivität eines möglichen Zielmarktes. Die Entscheidung für einen Markteintritt erfolgt dann, wenn sich mit den vorhandenen Kernkompetenzen für Kunden relevante und nachhaltige Wettbewerbsvorteile in neuen Märkten aufbauen lassen, die ein schnelleres und profitableres Wachstum des Gesamtunternehmens versprechen. Dies erfordert eine genaue Analyse der kulturellen Markt- und Wettbewerbsbedingungen sowie der Chancen und Risiken. So werden sich Handelsunternehmen wie IKEA, Media-Markt oder Zara beziehungsweise Restaurantketten wie McDonald’s und Starbucks den jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Hinblick auf Konsumverhalten, Preisgestaltung und Kleidergröße, anpassen, ohne die eigene Marke zu verwässern. Die genannten Beispiele zeigen, dass die Wahl des Verhaltens von der Kundenstruktur, dem Geschäftsmodell und der Branche abhängt. Es reicht von traditionell internationalen Branchen (born globals) wie Produktion und Handel von Rohstoffen bis zu lokalen Geschäftsmodellen wie zum Beispiel Fremdenführer einer Touristenattraktion. Als Differenzierungskriterien (siehe folgende Grafik) können unter anderem der Anpassungsdruck an die Anforderungen lokaler Märkte – hervorgerufen zum Beispiel durch nationale Gesetze oder kulturelle Unterschiede im Kaufverhalten – und der Globalisierungsdruck durch Skaleneffekte verwendet werden, zum Beispiel in der Produktion, der Forschung & Entwicklung oder dem Marketing. Grundsätzlich ist in den letzten Jahrzehnten ein tendenziell zunehmender Globalisierungsdruck in allen Branchen zu verspüren.
Abbildung 16: Globalisierungsfähigkeit von Geschäftsmodellen und Branchen
Unabhängig davon ist eine klar strukturierte Vorgehensweise der aktiven Marktauswahl notwendig. Hier sind drei Marktauswahlstrategien zu unterscheiden:
Erfahrungsbasierte Marktauswahl
Ausgehend von den Erfahrungen im Heimatmarkt werden Märkte gesucht, die ähnliche Gegebenheiten aufweisen, dem Heimatmarkt kulturell nahestehen und vielleicht sogar die gleiche Sprache sprechen. Länder mit ähnlichen Marktgegebenheiten lassen sich zu Clustern zusammenfassen. Beispiele für solche Ländersegmente sind die Europäische Union, Skandinavien, Nordamerika (USA und Kanada) oder der Südpazifik (Australien und Neuseeland). Innerhalb dieser Wirtschaftsregionen herrschen oftmals gleichartige Marktstrukturen, geringere kulturelle Unterschiede und ähnliche Gesetzeslagen. Deshalb gruppieren sich Wirtschaftsregionen, zum Beispiel die EU, NAFTA, ASEAN oder MERCOSUR, zu sogenannten Freihandelszonen. Darüber hinaus existieren interkulturelle Gruppen, die historisch eng miteinander verbunden sind wie der Commonwealth of Nations, die engen Bindungen zwischen Frankreich und Nordafrika oder zwischen Spanien oder Portugal und Südamerika. Es ist verständlich, dass Unternehmen, die in solchen Ländersegmenten angesiedelt sind, bei der Erschließung neuer Märkte auch Prioritäten für Auslandsmärkte des gleichen Länderverbundes entwickeln. Schließlich reduziert sich das Markteintrittsrisiko bei ähnlichen Marktstrukturen erheblich. Darüber hinaus lassen sich durch eine schrittweise Erschließung von Ländern, die dem Heimatmarkt ähnlich sind, nach und nach Kompetenzen und Erfahrungen im Rahmen der Internationalisierung gewinnen, sodass im Laufe der Zeit die Bereitschaft des Unternehmens steigt, auch in (kulturell) weiter entfernte Märkte zu expandieren.
Abbildung 17: Länder-Cluster ausgewählter Märkte
Oft führen die ersten Schritte in neue Märkte in die Nachbarstaaten Österreich und Schweiz. Dieser Schritt ist grundsätzlich zu empfehlen. Die kulturelle Nähe und die Vermeidung sprachlicher Probleme senken die Komplexität eines Markteintritts deutlich. Die räumliche Nähe erleichtert eine enge Begleitung des Markteintritts durch eine intensive Kommunikation und regelmäßige Besuche der neuen Landesgesellschaft. Trotzdem kann der Auslandsmanager Erfahrungen erwerben, die sich auch in den nächsten Ländern als äußerst wertvoll erweisen. Denn er gewinnt zusätzlich zwei »Expansionsplattformen« mit traditionell engen Bindungen zu Nachbarregionen. So befinden sich in Wien Zulieferer, Mitarbeiter und Dienstleister (Banken, Steuerberater, Anwälte, Personalberater), die Sprachen und Märkte in Zentral- und Osteuropa ausgezeichnet kennen sowie gut ausgebaute Transportwege in diese Zielmärkte. Diese Infrastruktur findet sich auch in der Schweiz für die Märkte Frankreich und Italien. Dieses Mehr an Wissen über Märkte ist ein klarer Vorteil, der die Wettbewerbsfähigkeit erhöht und eine Vielzahl neuer strategischer Optionen eröffnet.
Optionsbasierte Marktauswahl
Die optionsbasierte Marktauswahl gründet auf der Vorstellung, dass sich durch eine einzigartige Situation oder ein Ereignis plötzlich Möglichkeiten für den Eintritt in einen neuen Markt ergeben. Ein Beispiel ist die Möglichkeit zum Erwerb eines Wettbewerbers im Zielmarkt. Dies führt meistens sofort zu einer starken Marktposition. Neben der Attraktivität des Zielmarktes haben dabei oftmals Argumente wie die Nutzung von Synergien und Größeneffekten eine große Bedeutung in der Entscheidungsfindung.
Eine Ursache für einen marktbasierten Kauf eines Wettbewerbers lässt sich in ähnlichen Marktentwicklungen und identischem Kaufverhalten finden. Das beste Beispiel hierfür ist die kulturelle Bedeutung von Wohneigentum, welches besonders in...