Heutzutage stellen sich viele Eltern die Frage, wie sie ihren Kindern moralische und ethische Werte vermitteln können in einer von Oberflächlichkeit, Materialismus und Medienkonsum beeinflussten Gesellschaft. Die heutigen gesellschaftlichen Bedingungen sind nicht gerade förderlich für ein harmonisches Familienleben. Die Individualisierung und die Auflösung traditioneller Bindungen führt zu einem Rückgang des öffentlichen Lebens, „… dem eine erhöhte Erwartung an das Private und im speziellen an die familiären Beziehungen in der Kernfamilie folgt.“ (vgl. Sennet, 1998, S. 189/190; zit. nach Lossin, 2003, S. 19) Wenn sich heute Eltern für ein Kind entscheiden, geschieht dies vorwiegend (im Hinblick auf heutige Verhütungsmöglichkeiten) aufgrund emotionaler Bedürfnisse. Kinder sollen den emotionalen Wunsch erfüllen, den sowohl die Gesellschaft als auch die Partnerschaft häufig nicht mehr erfüllen können. Eltern wollen im Umgang mit dem Kind „…Fähigkeiten wieder entdecken und Bedürfnisse äußern, die in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation schmerzhaft vermisst werden: Geduld und Gelassenheit, Fürsorglichkeit und Einfühlungsvermögen, Zärtlichkeit, Offenheit, Nähe. (…)“ (vgl. Beck, Beck-Gernsheim, 1990, S. 139; zit. nach Lossin, 2003, S. 28) Die Fähigkeit sich gegenseitig in der Familie Freude, Halt, Trost, Sinn und Identität zu geben, soll die Familie aus sich selbst heraus entwickeln und sich ständig erneuern. Unterstützung bekommt sie von außen in der Regel wenig, sondern wird mit Konkurrenz und Rechtfertigungsnöten konfrontiert. Das Familienleben soll zudem die Wünsche und Gefühle aller Beteiligten berücksichtigen, auch die der Kinder, wodurch ein dauerndes Aushandeln und Diskutieren erforderlich ist. Helfen können hier Rituale. Sie können in einer sich ständig verändernden Gesellschaft Halt und Stabilität bieten. Rituale schaffen in der Familie Gemeinsamkeiten, die im Alltag sonst unter gehen und sie können den Zusammenhalt der Familie stärken. Sie werden in der Familie entwickelt und gepflegt, stehen jedoch im Kontext mit der Kultur und Gesellschaft, in der die Familie lebt. Familienrituale können vielfältig sein und sich auf die kleinsten Handlungen oder Gefühle beziehen. (vgl. Lossin, 2003, S.1-28)
Besonders Kinder brauchen Rituale, um sich in der Welt wohl zu fühlen und in ihr Orientierung zu finden. In einer Zeit, in der der familiäre Alltag auseinander zu laufen droht, geben Rituale Kindern ein Gefühl von Sicherheit, Dazugehörigkeit und Geborgenheit.
In meiner Arbeit möchte ich mich diesbezüglich mit Kindern und Ritualen auseinandersetzen. Von zentralem Interesse ist, warum Rituale gerade für Kinder sinnvoll und wichtig sind und welche Bedeutung diese sie für haben.
Ein persönliches Interesse an der Thematik Rituale entstand durch das Seminar „Spiritualität im Alltag“.
Ich denke, viele Menschen meinen, dass sich hinter Ritualen mystische Elemente verbergen. Doch Rituale sind mehr als Mystik und Feste. Ich möchte gerade jene Leser für das Thema sensibilisieren und informieren, die häufig mit Kindern Umgang haben, wie Eltern, Erzieher oder Pädagogen, denn durch Rituale können kindliche Krisen bewältigt werden, was diese Arbeit zeigen soll.
Der Inhalt der Arbeit gliedert sich in zwei Teile und im Folgenden sollen die einzelnen Teile kurz skizziert werden.
Im ersten Teil werde ich auf grundlegende Aspekte zu Ritualen eingehen.
Es wir der Begriff Ritual geklärt und von dem Begriff Gewohnheit unterschieden, bevor ich auf die vielseitigen wissenschaftlich begründeten Funktionen von Ritualen eingehe.
Im zweiten Teil der Arbeit werden zunächst die Begriffe Familie geklärt. Danach gilt es Rituale in der Familie zu betrachten, insbesondere wie sich die Familie als Entwicklungsort von Ritualen gestaltet. Im Anschluss wird deutlich, warum für Kinder Rituale von Bedeutung sind und es werden einige Beispiele diesbezüglich aufgeführt. Zum Schluss werde ich kurz auf die Grenzen von Ritualen eingehen bevor ich mein Thema mit der Zusammenfassung und dem Fazit beende.
Zu Beginn möchte ich den Begriff „Ritual“ klären, da er Hauptbestandteil meiner Arbeit ist und die Grundlage bildet. Bei den Begriffen Familie und Kinder bietet es sich an, diese erst im II. Teil zu definieren.
„Ein Ritual ist eine metaphorische Aussage über die Widersprüche der menschlichen Existenz.“ C. Crocker (vgl. Shaughnessy, 1973, S. 43; zit. nach Imber – Black, Roberts, Whiting, 2001, S. 28)
Im Alltag wird der Begriff Ritual relativ problemlos verwendet. Meist werden darunter feierlich-religiöse oder auch weltliche Zeremonien verstanden, die nach einem genau festgelegten Schema vollzogen werden, wie z.B. die Messe, die Krönung eines Königs oder bestimmte Feste wie Weihnachten und Geburtstag.
Wissenschaftlich gesehen, stößt man auf einige Schwierigkeiten, da sich im Laufe der Zeit die Auffassung, was genau unter einem Ritual zu verstehen ist, gravierend geändert hat. Die Definition ist von dem Kontext abhängig, in dem das zu definierende Ritual steht, z.B. ob es sich um biologische, politische oder soziale Rituale handelt.
„Tatsächlich sind Rituale in einer derart großen morphologischen Vielfalt vorhanden und haben derart viele verschiedene Funktionen in menschlichen Gesellschaften, dass die Wissenschaft bis heute keine eindeutige Definition hat finden können.“ (vgl. Tambiah, 1979, S. 115-16; zit. nach Belliger & Krieger, 2003, S. 173)
Der Begriff Ritual kommt aus den lateinischen von ritualis = „den Ritus betreffend“. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Rituale#Funktionen_des_Rituals)
Ursprünglich bedeutete „Ritual“, „Gottesdienst“ oder die schriftliche Anweisung dazu. Seit der Jahrhundertwende wird der Ritualbegriff auf symbolische Handlungen ganz allgemein angewandt. Wenig gegenwärtige Ritualtheorien haben noch mit Religion zu tun. Das Wort „Religion“ kommt zwar in heutigen Analysen noch immer vor, aber spezifische Riten und das Ritual im Allgemeinen werden kaum noch als ausschließlich religiöse Phänomene betrachtet. ( vgl. Belliger & Krieger, 2003, S. 7)
Laut Kaiser (2001) sind Rituale ganz allgemein betrachtet, besonders sozial gestaltete situative und aktionale Ausdrucksformen von Kultur. „Sie sind geschlossene Erlebnisse, die durch wiederholende Handlungen, einen erkennbaren szenischen Aufwand und eine Aufmerksamkeit für Details im Ablaufgeschehen wie auch der räumlichen Kontextgestaltung eines Rituals zum Ausdruck kommen.“ (zit. nach Kaiser, 2001 in http://astrid-kaiser.de/lehre/veranstaltungen/ritualesu.php)
Das Ritual erzeugt einen gemeinsamen Bezugspunkt, der die teilnehmenden Individuen als Einheit zusammenfasst, die aus Sicht der jeweiligen Ritualisten unverzichtbar sind. Sie haben einen symbolischen Charakter und eine interaktive Dimension. (vgl. Kaiser, 2001 in http://astrid-kaiser.de/lehre/veranstaltungen/ritualesu.php)
Des Weiteren ist ein Ritual „…eine (aufmerksam vollzogene) Sequenz von verbalen und/oder nonverbalen Äußerungen und Handlungen symbolischen Gehalts ….“ (zit. nach Kaiser, 2001 in http://astrid-kaiser.de/lehre/veranstaltungen/ritualesu.php) Die vielschichtige Bedeutung eines Rituals kann nicht einfach und in jeder Beziehung auf andere Weise wiedergegeben werden, sondern es wird bestimmt in Entwurf und Ausführung durch eine Leitidee. Es umfasst, sowohl festgelegte und unveränderlich als auch variable, jeweils konkret auszugestaltende Elemente. (vgl. Kaiser, 2001 in http://astrid-kaiser.de/lehre/veranstaltungen/ritualesu.php)
Es gibt viele verschiedene Arten von Ritualen doch bisher gibt es keine allgemeine Einteilung. Es werden in der Gesellschaft unterschiedliche soziale Praktiken als Ritual oder Ritualisierung bezeichnet. Laut Fuchs-Heinritz (1995) wird unter Ritualisierung die aktive „…Verfestigung von Verhaltens-, Mitteilungs- und Ausdrucksweisen…“ verstanden. (vgl. Fuchs-Heinritz, 1995, S.566; zit. nach Lossin, 2003, S. 5)
Neben Zeremonien, Magien, Liturgien, Feiern und Anstandregeln lassen sich je nach Anlass unterscheiden: Übergangsrituale/Jahreszeiten-Rituale, Intensifikationsrituale / Rebellionsrituale, religiöse Rituale/profane (oder säkulare) Rituale. (vgl. Grimes, 1995 in Krieger, 2003, S. 119)
Aus welcher wissenschaftlichen Perspektive Rituale auch betrachtet werden, gemeinsam ist ihnen, dass sie nach ganz bestimmten Regeln ablaufen, häufig über einen längeren Zeitraum gleich bleiben und im engen Zusammenhang mit Traditionen stehen. Rituale können auch ihren Sinn verlieren, in einer sich schnell verändernden Gesellschaft, wenn sie nicht mit neuem Sinn gefüllt werden oder sie können ganz verloren gehen bzw. werden leere Handlungen, die niemanden etwas bedeuten. (vgl. Kaufmann – Huber, 1995, S.10)
Es muss deshalb zwischen Gewohnheiten und Ritualen unterschieden werden.
„Als Gewohnheit (auch Usus, lat. Uti – gebrauchen) wird eine unter gleichartigen Bedingungen reflexhaft entwickelte Reaktionsweise bezeichnet, die durch Wiederholung stereotypisiert wurde und beim Erleben gleichartiger Situationsbedingungen wie „automatisch“ nach dem selben Reaktionsschema ausgeführt wird, wenn sie nicht bewusst vermieden oder unterdrückt wird.“ (zit. nach http://de.wikipedia.org/wiki/Gewohnheit)
Wenn Gewohnheiten in einer besonderen Weise zelebriert werden oder eine emotionale Bedeutung erlangen, werden sie zu Ritualen. (vgl. Basle`& Maar, 1999, S.19...