Es ist ein Augenblick – das Bereitsein und das Eingießen.
(Meister Eckehart)
Erstes Prinzip: Das Gebet
Das Wichtigste beim Handauflegen ist für mich das Gebet. Gebet verstehe ich als eine innere Haltung, die nicht auf die Zeiten beschränkt ist, in denen ein Gebet in Worte gefasst wird. Die Haltung beim Gebet besteht darin, sich des Göttlichen als Sichtbarem und Unsichtbarem bewusst zu sein. Oft vergessen wir dies und verbringen dadurch viel Zeit in Unbewusstheit. Das Handauflegen hilft uns aus dieser Unbewusstheit heraus, weil das Gebet – die bewusste Einstimmung auf das Göttliche – dazugehört. Beim Handauflegen üben wir dies, bis es zur Selbstverständlichkeit wird. Es wird zu einer natürlichen Reaktion – selbst dann, wenn wir auf extreme Herausforderungen reagieren müssen.
Viele Menschen, die das Handauflegen praktizieren, fühlen sich dabei glücklich und erleben Frieden und innere Freude. Ein wesentlicher Faktor hierfür ist, dass wir uns auf etwas einstimmen, das größer ist als unser Verstand. Die Öffnung für die spirituelle Dimension bringt eine Weite mit sich, die Raum schafft. Dieser Raum bewirkt, dass die Sorgen, Ängste und Kümmernisse des Alltags nicht mehr so viel Macht über uns haben. Sie sind da, aber wir identifizieren uns nicht mehr mit ihnen. In diesem Raum nehmen wir unsere Sorgen, Ängste und Gedanken nur wahr, ohne sie zu bewerten.
Das Praktizieren des Handauflegens ist für mich Gebet. Wir öffnen uns dabei für das, was wir die göttliche Heilkraft nennen, und es entsteht eine grenzenlose, absichtslose Kommunikation zwischen uns und dem Menschen, dem wir die Hände auflegen. Wenn ich in Kursen Menschen beim Handauflegen beobachte und sehe, wie vollkommen offen sie für das Göttliche sind, bin ich oft tief berührt. Sie öffnen sich zum einen für das Göttliche als unsichtbare Kraft und zum anderen zugleich für das Göttliche, das sichtbar ist in der Gestalt des Menschen vor ihnen, dem sie die Hände auflegen. Das ist für mich Gebet.
Möge die göttliche heilende Kraft durch uns fließen –
uns reinigen, stärken und heilen,
uns erfüllen mit Liebe, heilender Wärme und Licht,
uns schützen und führen auf unserem Weg.
Wir danken dafür, dass dies geschieht.
Dieses Heilgebet, das ich vor etwa 20 Jahren in einer etwas anderen Form von einem Heiler hörte, verwenden wir beim Handauflegen. Mittlerweile ist es für Tausende von Menschen, die in Kurse über Handauflegen kamen, zu einem Anker geworden. Das Gebet hat große Kraft, und je mehr Menschen ein Gebet verwenden, desto mehr gewinnt es an Kraft.
Es gibt viele Menschen, die in weiterführende Kurse kommen, obwohl sie anderen Menschen gar nicht so oft die Hände auflegen. Vielleicht praktizieren sie das Handauflegen ausschließlich in den monatlichen Übungskreisen, die mittlerweile in vielen Städten entstanden sind. Dennoch berichten sie oft, wie wichtig dieses Gebet für sie geworden ist und dass sie es morgens als Erstes und abends als Letztes sprechen. Mitunter sagen sie, dass sie es wie ein Mantra verwenden, wenn sie sich in einer schwierigen Situation befinden oder an jemanden denken, dem es schlechtgeht. Für mich ist dieses Gebet eine Einstimmung auf das, was immer da ist: die göttliche Kraft. In dem Moment, da ich mich für sie öffne, ist sie da.
Wenn ein Mensch erstmals zum Handauflegen kommt, ist das gesprochene Gebet auch eine Möglichkeit, deutlich zu machen, worum es sich beim Handauflegen handelt. Ich erkläre, dass ich ein Gebet sprechen und dabei um Liebe, Licht und Heilung bitten werde. Menschen kommen zu mir, weil sie ein gesundheitliches Problem haben oder unter bestimmten Symptomen leiden, die sie loshaben möchten. Dies können wir alle nachvollziehen – wenn wir Zahnschmerzen haben, wollen wir diese schließlich auch loswerden. Es kann für einen Menschen innerlich einen großen Sprung bedeuten, sich nicht allein auf das Verschwinden von Symptomen zu konzentrieren, sondern sich für eine Heilung zu öffnen, die größer oder ganz anders verlaufen kann, als er zunächst dachte. Der Buddha lehrte, dass es drei Ursachen von Leid gibt: Anhaften, Abneigung und Verblendung. Unter Anhaften würden wir heute »Haben-Wollen« und unter Abneigung »Loshaben-Wollen« verstehen. Wenn sich daher jemand während des Handauflegens für einen Raum öffnet, in dem nicht nur das Loshaben-Wollen von Symptomen existiert, verringert sich sein Leid bereits.
Es ist natürlich etwas Wunderbares, wenn körperliche Symptome durch das Handauflegen verschwinden. Heilung kann aber ebenso auf der emotionalen oder mentalen Ebene geschehen. Alles ist möglich. Heilung kann auch bedeuten, dass einem Menschen das Sterben leichterfällt, wenn ihm behutsam und achtsam die Hände aufgelegt werden. Das Gebet ist wie eine Brücke und gibt uns die Möglichkeit, uns auf das einzustimmen, was wir als die göttliche Heilkraft bezeichnen. Ohne Gebet würde ich nie die Hände auflegen, denn ohne diese Einstimmung ist das Potenzial des Handauflegens nicht ausgeschöpft. Es kann durchaus sein, dass die Berührung auch ohne Gebet guttut und Energieblockaden gelöst werden. Die spirituelle Ebene des Menschen, der zu uns kommt, kann jedoch nur dann berührt werden, wenn wir uns selbst auf der spirituellen Ebene befinden. Es hängt von unserem Bewusstsein ab, wie das Bewusstsein des anderen Menschen berührt wird. Für mich gilt hier der wichtige Satz: »Ich tue mein Bestes.« Mehr ist einfach nicht möglich. Unser Bewusstsein ist so, wie es gerade ist – nicht mehr und nicht weniger. Wir können uns nach bestem Vermögen öffnen, aber wir können nichts »machen«. Wie die Heilung geschieht, und was dabei passiert, ist Gnade und liegt jenseits von Können oder Nichtkönnen.
In den Kursen wird häufig die Frage gestellt, ob das Gebet immer laut gesprochen werden muss oder ob es auch leise geht. Wenn Menschen zu mir kommen, spreche ich es stets laut. Ich finde, der Respekt vor dem Menschen, der zu mir kommt, erfordert es, dass er weiß, was ich mache. Außerdem erhält dadurch jeder, der mit dem Gebet etwas anfangen kann, die Möglichkeit, es zu Hause selbst zu verwenden. Seit Erscheinen meines Buches Leg mir die Hand auf suchen mich viele Eltern von kranken Kindern auf. Es ist mir sehr wichtig, den Eltern zu zeigen, wie sie selbst bei ihren Kindern die Hände auflegen können. Oft beginnt die Heilung in dem Elternteil, der die Hände auflegt. Er erfährt dadurch mehr Ruhe, Gelassenheit und Vertrauen. Vor allem von Müttern habe ich oft gehört, dass das Gebet in Form des Handauflegens die ganze Atmosphäre des Familienalltags verändert hat.
Auf meinem eigenen Weg ist es für mich sehr wichtig geworden, das zu ehren, was wirklich die Heilung bewirkt: das unnennbare, das namenlose ES. Wir selbst können letztlich nichts anderes tun, als uns diesem zur Verfügung zu stellen.
Mir ist es am Anfang sehr schwergefallen, ein Gebet laut zu sprechen. Irgendwie habe ich mich geschämt und mich davor gescheut. Es hat mir vor allem bei Menschen, die mich kannten, viel Mut abverlangt. Hier wäre es wichtig, sich zu fragen: Will ich es nicht laut sprechen, weil mir der Mut dazu fehlt oder weil es in manchen Situationen für den zu Behandelnden ein Problem wäre, z.B. in einem Mehrbettzimmer im Krankenhaus? Wenn Menschen das erste Mal zu mir kommen, sage ich ihnen, dass ich ein Gebet sprechen werde. Es gehört einfach zu dem dazu, was ich anbiete. Da ich selbst davon überzeugt bin und es für mich mittlerweile eine Selbstverständlichkeit ist, haben meiner Erfahrung zufolge andere ebenfalls kein Problem damit. Auch wenn mein eigenes Gebet mehr und mehr zum stillen und gegenstandslosen Gebet der Kontemplation wurde, hat für mich das Heilgebet, wie wir es in den Kursen beim Handauflegen üben, in der Begegnung mit Menschen nach wie vor große Bedeutung.
Ein weiteres Gebet, das für mich sehr wichtig geworden ist, ist das folgende:
Durch die Kraft und die Wahrheit meiner Übung
mögen alle Wesen Glück erfahren und die Ursachen von Glück.
Mögen alle frei sein von Leid und den Ursachen von Leid.
Mögen alle niemals getrennt sein vom höchsten Glück, das frei ist von Leid.
Mögen alle in Gleichmut leben, ohne allzu viel Anhaftung und allzu viel Abneigung.
Und mögen sie leben im Wissen um die Gleichheit von allem, was lebt.
Dieses Gebet lernte ich durch das Tibetische Buch vom Leben und Sterben von Sogyal Rinpoche kennen. Es ist für mich sehr wichtig geworden. Insbesondere die erste Zeile hat mir geholfen zu erkennen, dass alles, was mir geschieht und was auf mich zukommt, als Übung gesehen werden kann. Wenn uns dies gelingt, dann liegen schwierige Situationen und Situationen, die wir leicht meistern können, nicht mehr ganz so weit auseinander. Vor etwa 15 Jahren war ich an Pfeiffer-Drüsenfieber erkrankt. Jede Nacht war mir, als müsste ich durch ein Feuer gehen. Das Einzige, was mir wirklich half, waren die Worte dieses Gebetes. Oft schaffte ich nur die ersten Zeilen, ehe das Feuer mich scheinbar verschlang, aber sie halfen mir. Sie gaben mir Halt, sie gaben mir das Gefühl, auch in meiner Schwäche und in meinem Schmerz nicht allein zu sein. Wenn wir unser Leid mit dem Wunsch verbinden, dass es dazu beitragen möge, andere Menschen von ihrem Leid zu befreien, sind wir nicht mehr einsam. Dies hat einen doppelten Effekt: Es setzt positive Energien für andere frei und lindert zugleich unser eigenes Leid. Das ist eine wunderbare Wirkung, die wir erfahren können, wenn wir uns in diese Übung begeben. Ich...