1 Was heißt Key-Account-Management?
»Account« bedeutet im Englischen »das Konto«: Firmen führen die Umsätze mit ihren Kunden als »Konten«. Von daher hat sich der Begriff »account« oder »Konto« als Begriff für den Kunden selbst eingebürgert. »Key« ist im Englischen der Schlüssel, der Key-Account folglich der »Schlüsselkunde«. Schlüsselkunden werden in der Regel mithilfe von ABC-Analysen nach dem bestehenden Ist-Umsatz-Anteil ermittelt. Daneben finden eine Reihe anderer Auswahlkriterien Anwendung (mehr dazu unter 2.1).
Unter Key-Account-Management wird Folgendes verstanden:
- Es ist eine grundsätzlich kundenorientierte Einstellung und Arbeitsweise des Unternehmens, die – gut ausgebaut – einen strategischen Wettbewerbsvorteil ergeben kann. Denn die Erfahrung über Unternehmenskulturen und die Art ihrer Orientierung hat erwiesen, dass kundenorientiert denkende und arbeitende Unternehmen tendenziell höhere Gewinne erwirtschaften.
- Es liefert einen Ansatz für die Differenzierung des unternehmerischen Vorgehens: Auf der Basis von ABC-Analysen werden differenzierte Bearbeitungsformen für unterschiedliche Kundengruppen gewählt, um den Anforderungen dieser Kundengruppen sowie eigenen Kosten- und Ertragsgesichtspunkten besser Rechnung tragen zu können.
- Es bietet spezielle Organisationsformen für den Verkauf an und die Zusammenarbeit mit Schlüsselkunden als Ausdruck einer differenzierten Bearbeitungsform.
- – Dabei werden in der Aufbauorganisation spezielle Stellen oder Kundenteams gebildet, welche auf die Zusammenarbeit mit bestimmten Key-Accounts spezialisiert sind. Man kann diese Formen auch als »institutionelles Key-Account-Management« bezeichnen.
- – Zum anderen werden die eigenen, internen Leistungsprozesse und Ablaufstrukturen auf Marktsegmente, Kundengruppen oder Einzelkunden ausgerichtet und nicht auf die herkömmlichen vertikalen Hierarchien und »Ab«-Teilungen. Man spricht dabei auch von »Streamlining« oder »Pipelinenisierung« interner Arbeitsprozesse und Wertschöpfungsketten. Dies steht bei der Einführung in der Regel mit umfassenden Business-Reengineering-Programmen in Zusammenhang.
- Es ist die Summe professioneller Arbeitsmethoden und Arbeitstechniken aus Marketing, Verkauf und strategischem Management, mit deren Hilfe die geschäftlichen Möglichkeiten mit Key-Accounts besser gesichert und ausgeschöpft werden können. Man kann diesen Ansatz auch als »funktionales Key-Account-Management« oder auch als Kundenmarketing bezeichnen. Der einzelne (Groß-)Kunde wird dabei wie ein (kleinerer) Teilmarkt bearbeitet.
- Die fundamentale Unterstützung des Key-Account-Management-Konzeptes durch das Top-Management und andere Bereiche des Unternehmens sind für Verständnis und Funktionieren eines Key-Account-Management-Programms von außerordentlich großer Bedeutung. Denn was die Firmenleitung nicht unterstützt, wird auch vom Rest eines Unternehmens nicht getragen und forciert.
In der Praxis treten diese unterschiedlichen Verständnisformen in verschiedenartigsten Kombinationen auf. Nicht nur die einzelnen Branchen, sondern auch die einzelnen Firmen einer Branche verstehen unter Key-Account-Management Unterschiedliches – meist das, was sie selbst praktizieren. So gibt es in der Konsumgüterindustrie viele Firmen, die vor allem den Ansatz des institutionellen Key-Account-Managements verfolgen. Daneben gibt es aber einige wenige, die lediglich funktionales Key-Account-Management betreiben. Dabei bleibt die Bearbeitung der Key-Accounts voll in der Linie, ohne dass spezielle Stellen für das Key-Account-Management gebildet werden. Am häufigsten wird eine Kombination aus institutionellem und funktionalem Key-Account-Management betrieben.
So spiegelt Key-Account-Management in der Praxis letztlich immer die sehr individuellen Beziehungen zwischen einem Unternehmen, seiner Firmenphilosophie, seiner Unternehmenskonzeption, seinem Marketing und seiner Art des Verkaufens mit allen Eigenarten, Stärken und Schwächen zu seinen Kunden wider. Dabei wird versucht, zwischen diesen oftmals sehr eigenständigen – auch historisch gewachsenen – Formen, ein Geschäft mehr oder weniger erfolgreich zu betreiben, und den unterschiedlichen Strategien, Anforderungskriterien, Kulturen, Arbeitsweisen und auch Umgangsformen der verschiedenen Kunden und Branchen eine für beide Teile sinnvolle Wertschöpfungsbrücke herzustellen. Damit ist die Summe aller Maßnahmen von Anbieter und Abnehmer gemeint, Wertschöpfungspotenziale für beide Beteiligte zu erkennen, zu erschließen, zu vergrößern und »gerecht« oder – viel strapaziert! – »partnerschaftlich«, meist jedoch unter Einsatz der jeweiligen Übermacht, zu teilen.
Lassen sich Unternehmensstrategien und Wertschöpfungsketten mit Key-Accounts erfolgreich realisieren, so ist dies meist ein Prüfstein für die Erfolgsträchtigkeit und Schlüssigkeit der eigenen Vorgehensweisen gegenüber den übrigen Marktpartnern.
Insofern ist der Erfolg im Key-Account-Management zugleich auch immer ein wichtiger Test für das eigene Unternehmen,
- in welchem Maße seine Strategien, Konzeptionen, und Vorgehensweisen greifen und
- inwieweit veränderte Anforderungen, Probleme, Bedürfnisse, Strategien, Konzeptionen und Vorgehensweisen der Kunden eine Anpassung der eigenen Strategien erfordern.
Hier überschneidet sich Key-Account-Management mit den Überlegungen des Unternehmens zur Strategienbildung, welche sich von den Themen des Key-Account-Managements auch kaum trennen lassen und in diesem Buch zusammen behandelt werden.
Die Rückkopplung zwischen Großkunden und Hersteller kann sehr wichtige Anstöße für die Verbesserung der Wertschöpfung in der Kette geben. Das Herstellerunternehmen erhält dadurch wichtige Informationen über Probleme, Anforderungen und Veränderungstendenzen im Markt. Das erfordert aber Key-Account-Manager als Gesprächspartner, welche die Fachsprache der Branche ihrer Key-Accounts beherrschen, auf deren Wellenlänge mitdenken und Anregungen positiv und kritisch verstehen können. Key-Account-Manager müssen sich in den Märkten ihrer Kunden und in deren Köpfen auskennen. Solche Fachkräfte sind keineswegs ohne weiteres zu »beschaffen«, sondern müssen konsequent aufgebaut werden.
Früher hat oftmals der Chef des Unternehmens persönlich die Rolle des ersten Verkäufers seiner Firma gespielt und war Träger der Firmenphilosophie und des Firmen-Know-hows. Quelle des Firmen-Know-hows waren die Informationen aus vielen Gesprächen mit großen und kleinen Kunden. Key-Account-Management war Chefsache. In kleineren Firmen ist es dies heute noch. Bei größeren Firmen muss heute als Äquivalent der qualifizierte Key-Account-Manager aufgebaut werden. Das heißt zugleich auch, dass Key-Account-Management nicht nur dann Key-Account-Management ist, wenn es ausdrücklich als solches bezeichnet oder als Institution organisiert wird (»institutionelles Key-Account-Management«). Vielmehr liegt Key-Account-Management auch dann vor, wenn es Key-Accounts gibt und diese in einer besonderen – zunächst nicht näher definierten – Form bearbeitet werden.
Key-Account-Management wird als Funktion im Unternehmen oft auch von mehreren Personen oder Key-Account-Teams betrieben. Denn die Frage der Schlüssigkeit und Tragfähigkeit der eigenen Konzeptionen und Strategien ist keineswegs nur vom Key-Account-Manager zu verantworten, sondern fordert natürlich auch alle anderen, das heißt: die Geschäftsleitung, die Marketingleitung, die Vertriebsleitung, das Produkt-Management, die Werbeleitung, die Forschung und Entwicklung, die Produktion, die Logistik, das Controlling, die Beschaffung et cetera, also im Prinzip das gesamte Unternehmen. Key-Account-Management erfordert, dass es von den anderen Bereichen des Unternehmens Unterstützung und Ressourcen erhält. Deswegen kann man die Rolle des Key-Account-Managements auch mit der einer »Spinne im Netz« vergleichen, welche das Zusammenwirken unterschiedlicher Unternehmensbereiche zu einem key-accountorientierten Leistungsmanagement »konzertiert«: An der Nahtstelle zu den Key-Accounts werden die unterschiedlichsten Personen des eigenen...