I. The Lost Consumer – die Dimension von Brand Communities
Trendreports und Zielgruppenanalysen, Milieustudien und empirische Markterhebungen haben Hochkonjunktur. Hätten Wahrsager in unserer aufgeklärten und nüchternen Zeit ein professionelleres Image, sie säßen in den Marketingabteilungen der Großkonzerne. Hohe Budgets werden dort ausgegeben, um den Geheimcode dafür zu finden, was die Konsumenten wollen und erwarten, auf welche Trends sie ansprechen und was ihnen missfällt. Denn verschiedenste Faktoren, um die es in diesem Buch gehen wird, machen aus den westlichen Konsumenten heute ein schwer durchschaubares Gebilde unterschiedlichster und sich rasch verändernder Strömungen. Zielgruppen zu erreichen, zu verstehen und sie zu lenken, ist im medialen Zeitalter der Weblogs, der E-Commerce Sites, des permanenten Infotainments und der neuen Konsumentendemokratie, wonach eine deutliche Machtverlagerung weg von den Unternehmen hin zu den Konsumenten stattfindet, für die meisten Unternehmen zum strategischen Horrortrip und kostspieligen Wagnis geworden. Der penible und ehrgeizige Versuch, Konsumenten immer genauer zu erforschen und zu ergründen, ihr tiefstes Bedürfnis hervorzulocken, in die verborgenen Gefilde ihrer Wünsche vorzudringen, ist das Ergebnis. Im Fieber dieser Nachforschungen entsteht ein immer unübersichtlicheres und feinmaschigeres Netz aus kleinteiligen Zielgruppen-Definitionen. Hinterfragt wird dieses Netz aus zweifelhaften Kenntnissen von den Marketern jedoch nicht. Wer weiß schon, was Zielgruppenbegriffe wie „Self-rewarding empty Nester“, „Spirited Connaiseur“, „Try Hards“ oder „Workplace Functionalists“ wirklich aussagen? Welche Strategie erwächst daraus? Wie spricht man einen „Try Hards“ am Point of Sale an, ist er gegen den Wettbewerb immun? Haben diese temporären Kategorisierungen auch morgen noch Bestand oder wurden bis dahin unzählige neue erfunden? Definitionen verschwimmen vor den Anforderungen der Realität und werden diffus. Denn nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass Konsumenten heute anders denken und vor allem schneller reagieren, als Unternehmen es bislang von ihnen gewohnt waren.
1. Das bewährte Sender- und Empfängermodell zwischen Marke und Konsument funktioniert nicht mehr
Wegen der Unwägbarkeiten, wie die Zielgruppen heute überhaupt noch dauerhaft erreicht werden können, stellt sich dem modernen Markenmanagement mehr denn je die Aufgabe, neue Wege zu Markenloyalität und Kundenbindung zu finden. In den Fokus rücken dabei der Begriff des Relationship Marketings und die One-to-One-Kommunikation. Kundenbindung, Imagepflege und Dialogmarketing verbinden sich dabei auf einem neuen Niveau: Die kurzfristige Sicht auf den Konsumenten wird durch eine langfristige ersetzt. Dabei offenbart sich ein Widerspruch.
Der Prozess unkontrollierter Zielgruppenveränderungen und der Hilfeschrei, sie möglichst schnell und dauerhaft erfassen zu wollen, um langfristige Strategien entwickeln zu können, fällt in eine Zeit, da Marketingchefs schneller als je zuvor Entscheidungen treffen müssen und zum Aktionismus neigen. Immer kurzfristigere Produktzyklen, Preiskämpfe und ein Verdrängungswettbewerb ungeahnten Ausmaßes machen aus den Marketingabteilungen, Kreativ- und Kommunikationsagenturen Durchlauferhitzer einer gnadenlos kurzlebigen Vertriebs- und Karrieremaschinerie. Produkte als Neuheiten zu positionieren und zur perfekten Wirkung zu bringen, hat selten ein so großes Risiko geborgen wie heute. Und das nicht nur wegen dem Wagnis, Zielgruppen überhaupt noch erreichen zu können, sondern auch durch die kaum zu bewältigende Reaktionsgeschwindigkeit in Marketing und Vertrieb. Die zahlreichen Trendreports werden dabei gern, wie eingangs erwähnt, als Entscheidungsgrundlage herangezogen, um in einem atemlosen Alltag noch so etwas wie ein Fundament zu haben, um Geschäftsrisiken minimieren und Strategien mit Fakten untermauern zu können: Wie viel Oberflächliches allerdings bei all diesen Trenderhebungen in Umlauf gebracht wird, ist enorm. Anders ausgedrückt: Wie viel Geld dabei täglich aus dem Fenster geworfen wird, ist erschreckend.
Ein gutes Beispiel dafür ist eine Sitzung, die in einer großen Designagentur für Industrieprodukte stattfand: Drei Leute trafen sich wegen den Trendergebnissen einer neuen Farbstudie. Eine Institutsleiterin war dabei, der Agentur-Chef der Abteilung New Business und die Leiterin der Farbentwicklung. Sie wollten neue Farbtrends für die nächsten zehn Jahre vor dem Hintergrund veränderter Konsumentenbedürfnisse besprechen. Unübersichtlich sei die westliche Konsumgesellschaft geworden, sagte die Institutsleiterin, nicht greifbar, verschwommen und von schnellen Reflexen erschüttert. Der New Business-Chef nickte interessiert und machte sich Notizen für seine nächste Präsentation, die er vor den Marketing- und Designleitern eines Automobilkonzerns halten sollte. Nach den ersten Ausführungen stellte die Leiterin der Farbentwicklung die Hintergründe ihrer neuesten Farbtrends vor, zeigte gestalterische Entwicklungen auf und erläuterte der Runde ihre Argumente. Doch mit diesen Argumenten konnte die Institutsleiterin wenig anfangen, sie hatte andere, wenn auch rein subjektive Beobachtungen auf einer Pferderennbahn in Frankreich gemacht. Dort trugen die jungen Damen Sakkos und Blusen in verwaschenen Farben, vor allem in Altrosa. Auch in London sei Altrosa angesagt, ein Zufall könne das wohl kaum sein. Ihrem analytischen Blick war auch nicht der Schmuck der Damen entgangen: alte Familienerbstücke an Hals und Ohren neben billigen Trashteilen an Revers und Handgelenken. Da wurde eifrig mit Traditionalismen gespielt. Lifestyle bedeutet heute, so das Fazit, ein wildes Experimentierlabor. Für die Institutsleiterin waren die Beobachtungen der sichtbare Beweis dafür, was ihre Mitarbeiter bei Befragungen in Montreal, Tokio und Barcelona auch herausgefunden hatten: „Wir leben in einer Zeit der Unsicherheit, die Orientierung verschwimmt dabei genauso zur Undeutlichkeit, wie es die Nuancen von Altrosa machen.“ Das Ergebnis dieser Sitzung führte dazu, dass am Ende Farben in den Trendreport aufgenommen wurden, die allein auf die subjektiven Begründungen der Institutsleiterin zurückzuführen waren, ganz zum Leidwesen der Farbentwicklerin, die sich umsonst wochenlang abgemüht hatte.
Warum ist nun diese kurze Story für ein Buch über „Brand Communities“ so interessant? Diese Aufzeichnung über eine Trendforschungssitzung zeigt, mit welcher Unwissenheit, Ratlosigkeit und Naivität heute Konsumentenbedürfnisse behandelt und hinterfragt werden. Gleichwohl setzen Marketing- und Innovationsmanager auf solche Studien, um Leitlinien des Handelns zu definieren. Stichworte und schnelle, zum Teil fadenscheinige Fakten ersetzen den Weitblick. Der allerdings ist notwendig: Denn nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass sich die Konsumorientierung gegenüber allen Lebensbereichen individualisiert hat und sich schneller verändert, als die Gurus der empirischen Forschung vorhersagen können. Neue Konsumentengruppierungen und Markennetzwerke wie Brand Communities entstehen täglich, sie wachsen sich zu Eintagesphänomenen aus oder zu übermächtigen, stilbildenden Größen mit durchschlagenden Auswirkungen. Zwar ist diese Tatsache bekannt, eine strategische Antwort darauf haben Marketingexperten aber vor dem Hintergrund rasanter Entscheidungsprozesse nicht, sie verlassen sich deshalb auf Berater, Agenturen, Trendforscher und empirische Studien, die ebenfalls die Konsumentenveränderungen dieser Tage in ihrer Relevanz und Hochgeschwindigkeit nicht schnell genug ergreifen. Die klassische Empirie schafft es dabei häufig nicht, komplexere und schwer fassbare Erkenntnisse zu ermitteln. Assoziationen, unbewusstes Verhalten, Motive und Einstellungen der Konsumenten bleiben im Dunklen.
Die traditionelle Business-to-Consumer-Kommunikation weicht heute einer Business-to-Network-Kommunikation. Davor versagt die Kontrolllust der klassischen, empirischen Forschung. Ihre stoische Routine angesichts des radikalen Wandels wird dabei zum Verhängnis für die Unternehmen: Bisher schätzten es die Auftraggeber, die Studienergebnisse in möglichst wenigen, aussagekräftigen Indizes eingedampft präsentiert zu bekommen. Vier, fünf Kennzahlen, mit denen die Kundenzufriedenheit dargestellt wurde, genügten den zahlengläubigen Controllern und Vorständen völlig. Was Unternehmen deshalb bis heute erhalten, sind oftmals dünne Argumentationshilfen: Eine Handvoll Indexwerte, die den Erfolg einer neuen Werbekampagne vorhersagen. Verdienen können die Institute damit bisher mühelos satte Millionen. Neue, alternative Entwicklungen bei empirischen...