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DIE JUGENDZEIT
BIS ZUR ERMORDUNG CAESARS
MORIENDUM EST!
Die Reaktionen auf seinen Tod lassen erahnen, welche Bedeutung die Zeitgenossen dem ersten römischen Kaiser beimaßen. Die römischen Senatoren etwa übertrafen sich gegenseitig darin, nie dagewesene Ehren für den am 19. August 14 n. Chr. im Alter von 77 Jahren in Nola verstorbenen Princeps – den ersten Mann im Staat – vorzuschlagen. Der Leichnam möge auf der Totenbahre wie ein Triumphator durch die porta triumphalis aus der Stadt geleitet werden, die Victoria-Statue aus der Kurie sei ihm voranzutragen. Die Aristokraten wollten in der Trauerzeit die goldenen Ringe, Abzeichen ihres Standes, ablegen und eiserne tragen. Priester sollten nach der Kremation seine Knochen auflesen und ihnen so göttliche Weihen verschaffen. Der Monat September sollte fortan ebenfalls August heißen, da er in dem einen Monat geboren, in dem anderen gestorben sei. Schließlich schlug jemand vor, die Zeit zwischen Geburts- und Todestag das «Augusteische Zeitalter» (saeculum Augustum) zu nennen und unter diesem Namen für alle Zeiten in den Kalender einzutragen (Sueton, Augustus 100, 2–3).
Die Lebenszeit des Augustus war für die antiken Römer eine unvergleichliche Ära, deren Nachleben keine zeitlichen Grenzen zu besitzen schien. Die mit Augustus verbundenen Umwälzungen und Neuerungen sahen sie als so elementar an, dass ihr Urheber ohne Vorbild in der Geschichte dastand. Kein anderer Politiker vorher, so nahm es jedenfalls ein ihm wohlgesinnter Zeitzeuge wie sein Biograph Nikolaos von Damaskus wahr, habe über derart viele Menschen und über ein Gebiet solchen Umfangs geherrscht wie Augustus. Keiner sei nach kritischen Anfängen auf Grund der zahllosen Wohltaten so beliebt gewesen und überall (gemeint war der griechische Osten) als Gott verehrt worden wie er.
Man datiert diese Biographie, in der sich solch überschwängliche Worte finden, mit guten Argumenten in die Zeit um 20 v. Chr. Sie wurde demnach verfasst, als Augustus gerade einmal 15 Jahre an der Spitze der römischen Politik stand. Es sollten noch rund 35 Regierungsjahre folgen, was der Autor selbstverständlich nicht wissen konnte. Dennoch lag es für Nikolaos schon zu diesem Zeitpunkt nahe, dem erst 43-jährigen Augustus ein glänzendes Zeugnis für sein Lebenswerk auszustellen. Angesichts der antiken Lebenserwartung und einer eher schwachen Konstitution des Augustus schien dies auch dem solcherart Geehrten sicherlich nicht anstößig, zumal er selbst wenige Jahre zuvor mit Mitte Dreißig bereits seine Autobiographie mit dem Titel De vita sua verfasst hatte.
Was einem Griechen wie Nikolaos bereits nach 15 Jahren Regierungszeit seines Protagonisten ehrliche Anerkennung abnötigte, musste den Römern folglich beim Tode des Augustus 14 n. Chr. und nach dann insgesamt 50 Jahren politischen Wirkens noch ungeheuerlicher erscheinen. Augustus hat mit rücksichtsloser, ja äußerst brutaler Konsequenz seine Machtstellung okkupiert und nach den Bürgerkriegen einen kompletten Neuanfang gestaltet, der alle Bereiche römischen Lebens betraf. Selbst kritische Zeitgenossen mussten eingestehen, dass wirtschaftliche Prosperität und die gewonnene innere Sicherheit ihm in seinem Handeln Recht gaben. Man war in Folge der unbestritten positiven Konsequenzen seiner Politik sogar bereit, eine bis dahin unbekannte Machtfülle einer einzelnen Person zu akzeptieren, die man sich in Rom bis dahin nur als drückende Tyrannis hatte vorstellen können. Es gibt gleichwohl kaum einen Herrscher der europäischen Geschichte, bei dem sich die Frage, ob das Ergebnis die dafür eingesetzten Mittel rechtfertigt, so dringend stellt wie bei Augustus. An keinem anderen lässt sich so gut studieren, wie es einem Politiker nach düstersten, geradezu erschreckend gewalttätigen Anfängen gelang, die Mehrheit der Beherrschten auf sich zu verpflichten und schließlich selbst in gleißendem Licht zu erscheinen, oder besser gesagt, wie er es zumindest schaffte, dieses Licht zu entzünden.
ANNÄHERUNGEN
Augustus selbst hat alles daran gesetzt, die Schattenseiten seines Handelns vergessen zu machen. Zu diesen Bemühungen zählt zweifellos auch die erwähnte Autobiographie, die er bereits wenige Jahre, nachdem er sich gegen seine innenpolitischen Gegner im Bürgerkrieg durchgesetzt hatte, verfasste. Es ging ihm darin in erster Linie darum, seine dunklen Anfänge nach dem Tod Caesars aus dem öffentlichen Bewusstsein zu tilgen und die Geschichte der Bürgerkriege aus seiner Sicht, eben der Sicht des Siegers zu erzählen. Zu Beginn des Werkes setzte er die eigene Herkunft, Kindheit und Jugend ins rechte Licht. Dass in seiner Darstellung das Kind, das wie sein Vater den Namen C. Octavius trug, vor lauter Lobhudelei geradezu gesichtslos wurde, war durchaus beabsichtigt. In seiner Autobiographie konnte er die eigene Kindheit und Jugend nur als mustergültiges Beispiel einer traditionell strengen aristokratischen Erziehung präsentieren, die ihn bestens auf eine politische Karriere vorbereitet hatte.
Das Buch ist verloren, aber man kann sich anhand anderer Texte, wie der späteren Biographie des Nikolaos, einen ungefähren Eindruck davon verschaffen, welches Bild der Princeps von sich selbst zeichnete. Als Knabe habe er bereits seine gleichaltrigen Gefährten an Beredsamkeit, Auffassungsgabe und in allen anderen Fähigkeiten überragt, die für eine glänzende politische Laufbahn erforderlich waren. Alle, die später eine politische Karriere planten, hätten damals bereits die Nähe des Knaben gesucht. Er sei nicht müde geworden, seinen Geist in den schönsten Studien zu üben und seinen Körper mit sportlichem wie militärischem Training zu stärken. Seine Eltern behielten ihn stets im Auge. Besonders die Mutter Atia sei streng gewesen. Selbst nach dem Anlegen der toga virilis – dem Zeichen der Mannbarkeit – im Alter von 14 Jahren habe er außerhalb des Hauses keine ihm unbekannten Orte aufsuchen dürfen und zuhause weiter in seinem Jugendzimmer schlafen müssen. Er sei nach dem Gesetz ein Mann gewesen, aber weiterhin behandelt worden wie ein Knabe. Als gottesfürchtiger Jüngling habe er die Tempel nur nachts besucht, da ihm auf Grund seiner äußeren Erscheinung viele Frauen nachgestellt hätten. Octavius habe nämlich stets keusch und ganz auf sein späteres öffentliches Wirken hin orientiert leben wollen.
Diese Selbstinszenierung im Stile hellenistischer Fürstenspiegel hat durchaus Wirkung gezeigt. Der Kaiserbiograph Sueton berichtet, man habe die Orte dieser vorbildlichen Kindheit und Jugend in seiner Geburtsstadt Rom und der Heimatstadt seiner Familie – Velitrae, das rund 20 km von der Hauptstadt entfernt lag – noch den folgenden Generationen gezeigt. Am Ort seiner Geburt auf dem Palatin wurde nach seinem Tod gar eine kleine Kapelle (sacrarium) errichtet (Suet. Aug. 4,5–6). Jedenfalls ließ sich noch im 2. Jahrhundert n. Chr. in den Senatsakten ein Beschluss finden, demgemäß der Teil des Hauses, in dem der Princeps am Tag der Geburt nach römischem Ritus zuerst den Boden berührte und der später in den Besitz eines anderen Senators übergegangen war, heilig sein sollte. Noch hundert Jahre nach seinem Tod habe man ferner das Zimmer, in dem der nachmalige Augustus einst als Kleinkind laufen lernte, auf einem Landgut der Familie besichtigen können. Es soll bescheiden, kaum größer als ein Vorratsraum (cella penuaria) gewesen sein. Die Nachbarn sollen diese Kammer gar für den Ort seiner Geburt gehalten haben. Es sei verboten gewesen, den Raum zu betreten, andernfalls sei einem ein entsetzlicher Schrecken (horror) eingejagt worden.
Von offiziellen Senatsbeschlüssen bis hin zu Erzählungen und Akten schlichter Volksfrömmigkeit der Landbevölkerung reichten die Formen, mit denen man an Kindheit und Jugend des Princeps erinnerte. Andere Autoren (Suet. Aug. 94,4) vor allem griechischer Herkunft, wie etwa der Ägypter Asklepiades von Mendes, brannten in ihren Texten ganze Feuerwerke angeblicher göttlicher Vorzeichen ab, mit denen seiner Mutter, dem Kleinkind selbst sowie anderen Zeitgenossen die Geburt eines mit göttlicher Kraft ausgestatteten Weltenheilands angezeigt worden sei. Die Autobiographie des Augustus wird in dieser Hinsicht zurückhaltend gewesen sein, vermutlich Derartiges sogar gänzlich ausgespart haben. Der Princeps konnte solche Erfindungen getrost Autoren des Ostens überlassen, die auf eine lange Tradition angeblicher Wunderzeichen, welche die göttlich legitimierte Stellung von Königen unter Beweis stellten, zurückblicken konnten. Falls er von Wunderzeichen berichtet haben sollte, so wird ihm aber selbst eher an einer recht zurückhaltenden Darlegung seiner familiären Herkunft gelegen gewesen sein. Wie Sueton schreibt, hat er nämlich korrekt angegeben, dass er aus einer vermögenden ritterlichen Familie stammte und sein gleichnamiger Vater der erste Senator dieses Familienzweigs gewesen sei (Suet. Aug. 1–3). Er war mit dieser Herkunft ein ‹neuer Mann› (homo novus), der sich besonders anstrengen musste, um sich gegen die jungen Männer aus altehrwürdigen Familien...