In der Humanmedizin wird die Lymphologie von verschiedenen Gebietsärzten (Fach- bzw. Gebietsärzten), z. B. Anatomen, Physiologen, Dermatologen, Radiologen, Gynäkologen, vertreten. Sowohl in der Human- als auch der Veterinärmedizin existiert kein anerkannter Weiterbildungsgang und somit auch kein Facharzt bzw. Fachtierarzt für Lymphologie.
Die Manuelle Lymphdrainage (MLD) ist ein in der Humanmedizin anerkannter physiotherapeutischer Weiterbildungsgang von vier Wochen. Die MLD-Anwendungen sind wissenschaftlich und seit 1973 durch die Krankenkassen anerkannt. In der Veterinärmedizin ist die Ausbildung in Manueller Lymphdrainage von Tierärzten, Masseuren oder Physiotherapeuten bzw. Krankengymnasten gesetzlich weder geregelt noch geschützt. Das trifft auch für alle in Deutschland angebotenen physiotherapeutischen Fortbildungsgänge am Pferd zu. Allerdings besitzen einige dieser Kursanbieter eine Anerkennung durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) zur Qualitätssicherung im Hinblick auf die Anzahl von Ausbildungsstunden und einer Abschlussprüfung, zu welcher nur Physiotherapeuten und Tierärzte zugelassen sind. In Deutschland können Tierärzte die Zusatzbezeichnung »Physiotherapie« durch Prüfung der Tierärztekammer erlangen.
In der Schweiz bietet Frau Brigitte Stebler einen entsprechenden deutschsprachigen Physiotherapiekurs mit staatlicher Anerkennung an, den auch Physiotherapeuten und Tierärzte aus Deutschland belegen können. Die Absolventen dieses Kurses erhalten ein eidgenössisches Diplom zur Führung der Berufsbezeichnung »Physiotherapeut für Pferde, Hunde und Katzen«. Nur innerhalb dieses Kurses und in einem weiteren durch die FN und den Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten (ZVK) anerkannten Ausbildungsgang zum Pferdephysiotherapeuten von Frau Christel Auer ist eine reguläre Ausbildung in Manueller Lymphdrainage integriert, welche von den Autoren dieses Buches ausgerichtet wird.
Über die Beteiligung des Lymphgefäßsystems an equinen (equus, lat.: das Pferd) Erkrankungen ist im Vergleich zum Menschen wenig bekannt. Dies betrifft in erster Linie die Lymphgefäße und nicht die Lymphknoten, welche eine wichtige Rolle in der Veterinärpathologie und der Fleischuntersuchung spielen. Das Wissen um Lymphgefäßerkrankungen ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges in der Tiermedizin in Vergessenheit geraten, weil durch den Einsatz hochwirksamer Medikamente (wie z. B. Antibiotika) bakterielle Wundinfektionen i. d. R. vom Tierarzt beherrscht werden. Die Folge nicht medikamentös behandelter Wundinfektionen war u. a. ein Übergreifen von Bakterien auf die außerordentlich empfindliche Muskelwandpumpe peripherer Lymphgefäße mit anschließender Lymphgefäßentzündung (Lymphangitis), wodurch die weitgestellten (dilatierten), hautnahen größeren Lymphgefäße deutlich in Erscheinung traten. Besonders während und nach dem Ersten Weltkrieg bot sich der Tierärzteschaft bei vielen Pferden das Bild dieser teilweise enorm entzündlich dilatierten Lymphgefäße (Abb. 1.1). Dies hatte seine Ursache darin, dass die Kavalleriepferde unter anderem mit dem bakteriellen Erreger der Lymphangitis ulcerosa, mit Nocardiose und Rotzerkrankungen in Süd- und Osteuropa in Kontakt gerieten, ohne dass eine Antibiotikatherapie zur Verfügung stand. Aber auch die bakteriell bedingte Elephantiasis war bis Ende des Zweiten Weltkrieges mit entsprechenden lymphvaskulären Veränderungen aufgrund der nicht vorhandenen Antibiotikatherapie weitverbreitet.
Kurz angedeutet in Bezug auf den Ersten Weltkrieg sei noch, dass Pferde, welche innerhalb der Giftgasangriffe mit Senfgas (»Gelbkreuz«) in Kontakt gerieten, besonders ausgeprägte Lymphödeme im Bereich des Rumpfes entwickelten (Richters, 1939).
Im Vergleich zu anderen Haussäugetieren ist die Neigung des Pferdes zu Umfangsvermehrungen im Bereich der Extremitäten auch ohne Beteiligung einer bakteriellen Wundinfektion, z. B. in Form von »angelaufenen Beinen«, schon lange bekannt. Dass einige Pferde eine besondere funktionelle Schwäche der Lymphgefäße im Bereich des Fußes zeigen, hat Meyer (1988) durch Einsatz der indirekten Lymphangiographie an sedierten ödemfreien Pferden im Stadium 0 des »equinen Lymphödemkomplexes« (ELK; siehe Kapitel 10.2) nachweisen können. Die mit Röntgenkontrastmittel gefüllten Lymphgefäße zeigten einen auffallend geschlängelten und somit gestauten Verlauf (Abb. 1.2). Aufgrund dieser Untersuchungen wurde ein Konzept der Manuellen Lymphdrainage beim Pferd durch Berens v. Rautenfeld entwickelt, das Rötting 1999 in ihrer Dissertation (FU Berlin) bei der chronischen Phlegmone (Elephantiasis) mit Erfolg erprobte. Ein Jahr später wurde die Manuelle Lymphdrainage der Tierärzteschaft in der Pferdeheilkunde vorgestellt (Berens v. Rautenfeld et al., 2000; Rötting et al., 2000). In der Folge wurden weitere Artikel zum Thema Manuelle Lymphdrainage veröffentlicht (Fedele und Berens v. Rautenfeld, 2005; 2007; Fedele et al., 2006; 2009; Berens v. Rautenfeld et al., 2010).
Abb. 1.1:
Spritzenabszess mit Darstellung eines afferenten Kollektors zu den Buglymphknoten (aus Marek und Mósey, 1960).
Abb. 1.2:
Indirekte Lymphangiographie am Fuß der Beckengliedmaße bei einem Pferd ohne Umfangsvermehrung (siehe Weichteilschatten) bzw. Neigung zu »angelaufenen Beinen«. Die mit einem Röntgenkontrastmittel gefüllten Kollektoren zeigen beim stehenden Pferd einen gestauten, mäanderförmigen Verlauf vom Hufsaum ausgehend in die Fesselbeuge. Beachte, dass rechts neben dem tiefen Kollektor kurze oberflächliche Kollektoren aus der Haut kontrastiert sind.
Tabelle 1.1: Tierärztliche Dissertationen zum Thema Lymphologie, welche seit Erscheinen der letzten Auflage (2005) von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover verabschiedet wurden
Kurzbeschreibung der Dissertation | Autor(in) und Erscheinungsjahr |
Grundsätzliche Untersuchungen am Pferdebein zur Messgenauigkeit des opto-elektronischen Perometers im Vergleich zur Wasserverdrängung, Bandmaßmessung und des 3-D-Perometers | Frauke Haase (2006) |
Perometrische Messungen von Volumenschwankungen der Extremitäten vor und nach der Bewegung von Pferden mit und ohne Reitergewicht | Ariane Böttcher (2006) |
Erprobung des Perometers zur Umfangsbemessung der Wirkung von Bandagen auf Volumenschwankungen am Vorder- und Hinterbein des Pferdes | Nicole Korella (2007) |
Erste quantitative lymphszintigraphische Studie mit zahlreichen Hinweisen auf die Existenz des »equinen Lymphödemkomplexes« | Christine Gaedke (2007) |
Morphologische Darstellung der lymphvaskulären Architektur equiner Beugesehnen mit erstem Nachweis der Manuellen Lymphdrainage, Wirkung mit der neuen indirekten Depot-Sehnen- Lymphangiographie | Tanja Helling (2008) |
Seit 1999 werden regelmäßig Fortbildungskurse in Manueller Lymphdrainage am Pferd durch das »Europäische Seminar für Equine Lymphdrainage« (E.S.E.L.) für Tierärzte und Physiotherapeuten angeboten. Seitdem bearbeitet das Hermann-Baum-Seminar an der Medizinischen Hochschule Hannover auch wissenschaftliche lymphologische Themen beim Pferd. In der Vorauflage wurden folgende Dissertationen des Hermann-Baum-Seminars besonders vorgestellt: Harland (2003), Brandhorst (2004), Braun (2004), Risse (2004), Rothe (2004). In der vorliegenden aktualisierten Tabelle 1.1 sind die fünf Dissertationen aufgeführt, welche seit 2006 erschienen sind.
Der Einsatz des Perometers zur Umfangsbemessung von Extremitäten kann zukünftig im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen genutzt werden.
Ebenfalls für wissenschaftliche Untersuchungen könnte die Funktionslymphszintigraphie in der Zukunft als bildgebende Methode der Wahl zum Einsatz kommen. Das hier vertretene Konzept des equinen Lymphödemkomplexes (ELK) wird durch einige Befunde der ersten Funktionslymphszintigraphiestudie gestützt.
Die drei Stadien des equinen Lymphödemkomplexes (ELK) sind:
Angelaufene Beine = subkutanes equines Lymphödem
Einschuss = akutes equines Lymphödem
Elefantenbein = chronisches equines Lymphödem
Der wissenschaftliche Nachweis der Wirkung der Manuellen Lymphdrainage durch die Depot-Sehnen-Lymphangiographie dürfte für die Überzeugungsarbeit unseres lymphologischen Therapiekonzeptes in der Tierärzteschaft von eminent wichtiger Bedeutung sein. Darüber hinaus veranschaulicht der enorme Lymphgefäßbesatz der Sehne (siehe Kapitel 2.2.9.2) deren Bedeutung für die Behandlung von Tendopathien, für welche es bereits zahlreiche...