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E-Book

Wir standen nicht abseits

Frauen im Widerstand gegen Hitler

AutorFrauke Geyken
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl354 Seiten
ISBN9783406659034
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Sophie Scholl war 21 Jahre alt, als sie die Flugblätter der Weißen Rose verteilte. Cato Bontjes van Beek arbeitete im gleichen Alter für die 'Rote Kapelle'. Die Kommunistin Antje Havemann engagierte sich mit 30 Jahren für ein geeintes, freies, sozialistisches Europa. Die Schneidermeisterin Annedore Leber kämpfte mit Mitte 30 an der Seite der Attentäter vom 20.Juli, und die gleichaltrige vierfache Mutter Rosemarie Reichwein unterstützte den Kreisauer Kreis. Frauke Geyken versteht es meisterhaft, die unterschiedlichen Lebensgeschichten dieser und anderer Frauen miteinander zu verflechten. Sie erzählt einfühlsam, wie sie in den Widerstand kamen, was sie antrieb, ob und wie sie entdeckt wurden - und warum man sie nach 1945 so lange vergessen hat. Zur Sprache kommen auch Frauen wie Inge Aicher-Scholl und Marie Louise von Scheliha, deren Leben nach 1945 von dem erstaunlich mühsamen Kampf um Anerkennung des Widerstands bestimmt war. - Eine mitreißende Hommage an den Kampf von Frauen für Freiheit und Gerechtigkeit.

Frauke Geyken, Dr. phil., Historikerin und Publizistin, lebt in Göttingen und arbeitet für verschiedene Bibliotheken und Museen. Ihre erfolgreiche Biographie über Freya von Moltke wurde von der Kritik einhellig gelobt. 'Es wird schwer fallen, das hier erreichte dokumentarische und erzählerische Niveau zu übertreffen.'

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Leseprobe

 

 

«Ein feines schmales Gesicht fällt mir
auf. Der Blick ist nach innen gekehrt.
Plötzlich im Vorbeigehen ein Hauch:
‹Erhalten Sie sich, ich bin hier ohne
Namen, damit mich niemand finden
kann, ich bin hier in der Zelle 25, vergessen
Sie mich nicht, wenn Sie wieder
frei kommen, ich heiße …› Den Namen
konnte ich nicht mehr verstehen.»

Marie Louise von Scheliha

«Vergessen Sie mich nicht!»


Die Frau, deren Namen Marie Louise von Scheliha nicht verstehen konnte, war Mildred Harnack. Die gebürtige Amerikanerin hatte ihren Mann, den Juristen und Nationalökonomen Arvid Harnack, in den USA kennengelernt, 1926 gingen sie gemeinsam nach Deutschland. Die Literaturwissenschaftlerin war damals Lektorin an der Berliner Universität, nebenher übersetzte sie Goethe ins Englische. Ab 1933 verbrachte Mildred Harnack einen Teil ihrer Zeit damit, über Beziehungen zur amerikanischen Botschaft Informationen zu beschaffen, die es in Goebbels’ Propaganda-Blättern längst nicht mehr zu lesen gab. Dazu gehörten Nachrichten über den Spanischen Bürgerkrieg oder Reden und Kommentare ausländischer Politiker und Journalisten, die sie unter Freunden verbreitete. Ihr Mann organisierte einen Schulungszirkel, in dem er mit Gleichgesinnten die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Nationalsozialismus analysierte und Perspektiven für eine Zeit danach diskutierte. 1940 schloss sich dieser Kreis mit einem weiteren oppositionellen Freundeskreis um den Publizisten Harro Schulze-Boysen zusammen. Diese vereinigte Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe wurde später von der Gestapo als «Rote Kapelle» bezeichnet. Ein Großteil der Beteiligten wurde von den Nazis 1942/43 hingerichtet, darunter ungewöhnlich viele Frauen. Mildred Harnack war eine von ihnen. Ihre Bitte: «Vergessen Sie mich nicht!» sollte in Erfüllung gehen, als sehr viel später, im Jahr 2000, eine umfangreiche Biographie über sie erschien.[1]

Marie Louise von Scheliha war in demselben Gefängnis wie Mildred Harnack inhaftiert, die sie später auf Fotografien wiedererkannt hat. Sie hatte begonnen, sich mit dem Widerstand zu beschäftigen, da ihr Mann, der Diplomat Rudolf von Scheliha, ebenfalls exekutiert worden war. Sein widerständiges Handeln hatte er vor seiner Frau weitestgehend verborgen gehalten – vor allem, um sie zu schützen. So musste sie sich nach 1945 die Geschehnisse erst mühsam im Zuge eines quälend langen Wiedergutmachungsverfahrens erschließen. Marie Louise von Scheliha ist eine der Frauen, die im Zentrum dieses Buches stehen. Es wäre unmöglich, auf so wenig Raum allen Frauen des Widerstands mit ihren ganz unterschiedlichen Biographien und Schicksalen gerecht zu werden. Darum wurden sieben Frauen ausgewählt, die verschiedene Facetten des Widerstands widerspiegeln.

Behandelt werden drei Frauen, die selbst Widerstand geleistet haben: Antje Hasenclever (1909–1985), die erste Frau von Robert Havemann, setzte sich für Verfolgte ein und gehört damit zum sogenannten Rettungswiderstand. Außerdem war sie für die sozialistische Gruppe «Europäische Union» aktiv. Cato Bontjes van Beek (1920–1943) engagierte sich im Widerstand ähnlich wie die ein Jahr jüngere Sophie Scholl, indem sie illegale Flugblätter und Schriften verteilte. Am 5. August 1943 wurde sie im Alter von zweiundzwanzig Jahren in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Sie wird dem Umfeld der vermeintlich kommunistischen Roten Kapelle zugeordnet. Sophie Scholl (1921–1943) verbreitete zusammen mit ihrem Bruder Hans und anderen Mitstreitern die Flugblätter der «Weißen Rose» gegen das NS-Regime. Sie wurde im Februar 1943 in München-Stadelheim enthauptet.

Außerdem nimmt das Buch exemplarisch zwei Frauen in den Blick, die den Widerstand ihrer Männer unterstützten: Annedore Leber (1904–1968) war in die Aktivitäten von Julius Leber zur Vorbereitung des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 eingeweiht. Rosemarie Reichwein (1904–2002) wusste vom Engagement Adolf Reichweins für den «Kreisauer Kreis» und billigte es, obwohl er damit nicht nur sich selbst, sondern auch sie und die vier Kinder aufs Höchste gefährdete.

Schließlich soll es auch um zwei Frauen gehen, die aus Widerstandsfamilien stammen, ohne selbst informiert oder beteiligt gewesen zu sein, deren späteres Leben aber maßgeblich vom Widerstand bestimmt war: Inge Aicher-Scholl (1917–1998), die ältere Schwester von Sophie und Hans Scholl, begriff ihr Handeln nach 1943/45 ausdrücklich als Erfüllung des Erbes ihrer ermordeten Geschwister. Das Leben der bereits erwähnten Marie Louise von Scheliha (1904–2003), deren Ehemann Rudolf von Scheliha als Kommunist und käuflicher Spion verleumdet und hingerichtet worden war, wurde nach 1945 ganz von dem Verdikt gegen ihren Mann überschattet.

Diese Frauen, die im Mittelpunkt des Buches stehen, repräsentieren völlig unterschiedliche Widerstandsgruppen. Ihre Schicksale sollen jedoch nicht unverbunden nebeneinandergestellt werden. Das Buch folgt vielmehr der Chronologie der politischen Ereignisse und zeigt immer wieder, wo Verbindungen zwischen den Frauen bestanden, wo sich die Wege kreuzten oder auseinanderliefen. Auf diese Weise wird neben den Protagonistinnen auch immer wieder das Leben anderer Frauen im Widerstand gegen Hitler betrachtet.

Viele der überlebenden Frauen sind sehr alt geworden. Sie lebten nur zwölf Jahre in einer Diktatur, die jedoch ihr gesamtes späteres Leben geprägt hat. Die Darstellung beschränkt sich daher nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus, sondern zeigt auch, wie unterschiedlich die Betroffenen mit dem Erbe des Widerstandes umgegangen sind, mit dem sie sich unweigerlich beschäftigen mussten. Es wird deutlich, dass vor allem in den 1950er Jahren für die überlebenden Frauen die Kontinuitäten zur Zeit vor 1945 überwogen.

Gemeinsam ist allen Frauen, mit Ausnahme von Sophie Scholl, vor allem eines: Sie waren lange Zeit – und sind es teils bis heute –«vergessene Frauen» des Widerstands. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich das Interesse von Forschung und Öffentlichkeit ihnen zuwandte. Viele Quellen zu den Frauen wurden bisher noch gar nicht erschlossen und konnten von mir erstmals ausgewertet werden. Auf diese Weise will das Buch der einfachen, aber oft gar nicht erst gestellten Frage nachgehen, was diese Frauen im Widerstand denn eigentlich gemacht haben. Was genau war ihr Beitrag? Worin besteht ihre Leistung, die sie von ihren Zeitgenossinnen unterscheidet?

Als im Jahr 2011 anlässlich des hundertsten Geburtstags von Freya von Moltke gleich zwei Biographien über die am 1. Januar 2010 im Alter von achtundneunzig Jahren verstorbene Witwe des Widerstandskämpfers Helmuth James von Moltke erschienen,[2] stellte einer der Rezensenten, Klaus-Jürgen Bremm, fest: Hundert Jahre Leben machen noch keine Jahrhundertgestalt, und eine «wirkliche Lebensleistung» sei bei Freya von Moltke nicht zu erkennen. Schließlich habe sie ja nicht einmal in ihrem erlernten Beruf gearbeitet – sie war promovierte Juristin –, sondern «behalf» sich mit «Gelegenheitspositionen im sozialen Bereich» mit der Begründung, sie sei ja «für die Menschen gemacht», was für den Autor «eher wie eine pathetische Selbstlegitimierung ihres Hausfrauendaseins» klingt.[3]

Hausfrau, sonst nichts? Abgesehen von der Häme, die aus diesen Worten spricht und die generell ein «Hausfrauendasein» nicht als Lebensleistung anerkennt, ist diese Klassifizierung im vorliegenden Fall unangemessen. Freya von Moltke selbst hätte sich dagegen verwahrt. 1992 schrieb sie an Irene Etzersdorfer, die das Buch von Dorothee von Meding Mit dem Mut des Herzens. Die Frauen des 20. Juli rezensiert hatte: «Es stimmt, wir haben nicht alle gleich viel von den Einzelheiten des Widerstandes unserer Männer gewusst – einige mehr, andere weniger. Und eine ganze Reihe von uns Frauen war auch selber ganz schön aktiv. Alle haben aber gewusst, worum es ging, mit allen Konsequenzen, die das für uns und unsere Kinder haben konnte und dann auch hatte. Und alle haben den Widerstand gebilligt. Ich meine, wir hätten verdient, dass das ganz klar und eindeutig gesagt wird. Weil Sie das nicht tun, darum schreibe ich Ihnen heute. Und wenn Sie so etwas von oben herunter über uns schreiben, dass wir nur als glückliche und liebende Ehefrauen dabei waren, dann unterschätzen Sie unseren persönlichen Einsatz.»[4]

Dieser Einsatz war zwar in vielen Fällen durch das Hausfrauendasein getarnt, aber er ging weit darüber hinaus. Kaffee kochen ist kein Widerstandskampf, aber als Mitwisserin und Zeugin Kaffee für eine Gruppe von Verschwörern zu kochen – wie es zum Beispiel Marion Yorck bei den Treffen des Kreisauer Kreises in der Berliner Hortensienstraße oft tat oder auch Antje Havemann für sozialistische Gruppen –, das war in den Augen der Nazis Hochverrat und konnte mit dem Tod bestraft werden. Man tut sich schwer, die unterschiedlichen Erscheinungsformen widerständigen Handelns als «Kampf» zu bezeichnen. Eine Hausfrau konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte,...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel4
Impressum5
Inhalt6
«Vergessen Sie mich nicht!»10
Erstes Kapitel: Kindheiten18
Antje Hasenclever, eine Kaufmannstochter «ohne Traditionsbelastung»18
Cato Bontjes van Beek, ein Künstlerkind aus Fischerhude21
Sophie und Inge Scholl, geborgen in einer schwäbischen Familie24
Annedore Rosenthal, eine höhere Tochter aus Lübeck29
Rosemarie Pallat, eine Berliner Professorentochter31
Marie Louise Edle von Medinger, ein adeliges Fräulein aus Böhmen35
Zweites Kapitel: Wege in den Widerstand, 1933–193940
Ermächtigung und Gleichschaltung40
Diplomatenleben: Marie Louise von Scheliha45
Haftbesuche und ein eigenes Modeatelier: Annedore Leber48
Reformpädagogik auf dem Dorfe: Rosemarie Reichwein59
Antje Havemann und die Widerstandsgruppe Neu Beginnen66
Die Scholl-Kinder in der Hitlerjugend72
Konfirmation statt BDM: Cato Bontjes van Beek80
Drittes Kapitel: Leben im Krieg, 1939–194382
Der Freundeskreis der Roten Kapelle82
«Landesverräer»: Marie Louise und Rudolf von Scheliha90
«Ich wusste sofort, das ist der Henkerstuhl»: Cato Bontjes van Beek100
Helfernetzwerke für verfolgte Juden: Antje und Robert Havemann114
Die Widerstandsgruppe Europäische Union118
«Meine Seele hat Hunger»: Inge und Sophie Scholl122
Die Weiße Rose: Mut und Übermut130
Entfremdung in Berlin: Rosemarie und Adolf Reichwein137
«Federnd und nicht zu zerbrechen, diese Frau»: Annedore Leber141
Viertes Kapitel: Die Schatten des 20. Juli 1944144
Konspirative Netzwerke unter Männern144
Kreisauer Kreis: «Wenn das schiefgeht, kostet es das Leben»149
Liebesbriefe und Trauerarbeit158
Sippenhaft für die Frauen der «Verräter»164
Ausgebombt und ein Kind: Antje Havemann167
Überleben bis zum Kriegsende: Inge Scholl und Marie Louise von Scheliha172
Fünftes Kapitel: Not überwinden, Neuanfang wagen? 1945/46176
«Besinnungsloser Wiederaufbau»178
Zersplitterung und Missachtung des Widerstands181
«One is not tooo alone» – Hilfe aus der Emigration185
Weiterleben wofür? Marie Louise von Scheliha187
Neue Ehe ohne neues Glück: Antje Kind-Hasenclever191
Kreisau bleibt – und die Freundschaft mit Freya: Rosemarie Reichwein194
Wiedereinstieg in den Beruf199
Journalistin, Verlegerin, Politikerin: Annedore Leber202
Leiterin der Volkshochschule Ulm: Inge Aicher-Scholl211
Engelserlebnis215
Sechstes Kapitel: Kampf um das Erbe des Widerstands218
Endlich Interesse?218
«Der 20. Juli kommt vor Gericht»221
Denkmal im Bendlerblock226
Ausbilden, aufklären, warnen: Annedore Leber229
Die Geschichte von der reinen Weißen Rose231
Wiedergutmachung und Gnadenrente: Marie Louise von Scheliha237
Verteufelung und Seligsprechung der Roten Kapelle: Cato Bontjes van Beek245
«Ein Unterdrücken von etwas, mit dem man eigentlich nicht fertig wird»: Rosemarie Reichwein253
Frei für Neues – Designerin und Kunstliebhaberin: Antje Kind-Hasenclever256
Siebtes Kapitel: Lebensenden258
Nachlassverwalterin des Widerstands: Annedore Leber258
1968: Wandel in der Wahrnehmung261
Hüterin ihrer Geschwister: Inge Aicher-Scholl264
Lebensfreude und eiserner Wille: Antje Kind-Hasenclever267
Ebbe und Flut der Erinnerungen: Marie Louise von Scheliha268
Politisch denken: Rosemarie Reichwein271
Die Frauen des Widerstands melden sich zu Wort273
Erinnerungsorte280
Anhang284
Dank286
Förderer des Buches287
Anmerkungen288
Quellen und Literatur328
Bildnachweis345
Personenregister346
Zum Buch354
Über die Autorin354

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