Vom Mann & seiner Welt: Ein Wesen zwischen Verstand und Gefühl
„Der Mann sehntsichnachder Brusteines Mannes, um seine. Gedanken, undnachdem Busen eines Weibes, um seine Gefühle ausströmen zu lassen."
Siegfried August Mahl mann
Was ist der Mann? Eines ist er sicher nicht: ein Sexmonster; ein Versager im Bett; ein Wrack; eine Katastrophe.
Wer heute Sexual ratgeber liest, hat jedoch oft das Gefühl, dass das Liebesleben des Mannes vor allem eines ist: traurig, Getrieben vom Sexus, gegängelt von Versagensängsten, irritiert durch Stress, überfordert von weiblichen Wünschen, liegt der Mann schlaff im Bett und hadert mit sich und seiner Potenz. Da wird der männliche Mangel an emotionalem Engagement analysiert, sein geringes Selbstwertgefühl, seine Masturbationsangst, seine Erektionsprobleme, seine vorzeitige und verzögerte Ejakulation, seine Konflikte mit Hetero- und Homosexualität, seine sexuelle Langeweile. Da werden Stimulationspraktiken propagiert und Techniken, die Hemmungen abbauen, die Angst vor Intimität überwinden und das Selbstwertgefühl steigern sollen.
Dieses Buch wird den Mann zwar auch mit Problemen konfrontieren. Vor allem aber wird er sich hier wiederfinden als der, der er ist: ein selbstbestimmtes, seiner Sexualität bewusstes Wesen, dem es weder an Verstand noch an Gefühl fehlt, um in Partnerschaft und Sexualität seinen Mann zu stehen. Dieses Buch schafft ein Problembewusstsein, doch übertreibt es nicht. Es will - und das ist Anspruch genug - aufklären. Unser Anliegen ist es, die Wahrheit über Männer und Sex zu schreiben, aufzuräumen mit Vorurteilen, Lügen und Irrtümern, zu sensibilisieren für Wünsche, Hoffnungen und Phantasien. Sex ist kein weiteres Feld, auf dem Männer in den Wettkampf treten, Hochleistungen erbringen müssen. Sex soll Spaß machen, wie hoffentlich auch dieses Buch seinen Lesern Spaß macht— und seinen Leserinnen.
Der Mann ist ein Wesen mit Verstand und Gefühl, und im Spannungsfeld dieser ungeheuer starken Kräfte bewegt er sich. Ein Leben lang versucht er die Balance zu finden zwischen Beruf- und Privatleben, zwischen Hirn und Herz, Die Fähigkeit zu denken und zu urteilen gehört zu seiner wichtigsten Ausstattung. Ebenso wichtig ist aber seine Fähigkeit zu fühlen und Gefühle auch zu zeigen. Nicht nur als Pause in der Produktion, sondern als Widerpart und Partner der Ratio. Nach und mit seinen Gefühlen und Empfindungen zu leben, liegt in der Natur jedes Menschen und so auch in der des Mannes. Nur blieb es ihm lange versagt, das zuzugeben und zuzulassen.
„Mit dem Verstand möchte ich ein Genie werden, mit dem Gefühl möchte ich nackt unter üppigen jungen Frauen sitzen, die stark nach ihren Geschlechtsorganen riechen und die, wenn sie mich ansehen, erregt werden", formuliert es der russische Schriftsteller und Dadaist Daniel Charms in seinem Notizbuch.1
Jean Paul Sartre spürte eine Enttäuschung im Glied
Die vielleicht beste Beschreibung für die Spannung zwischen Gefühl und Verstand lieferte der Pariser Philosoph und Schriftsteller Jean Paul Sartre. „Ich spürte eine Enttäuschung im Glied", schrieb er in seinem Flaubert-Buch Der Idiot der Familie2. Sechs Worte, die alles sagen und alles umfassen: Gehirnzellen und Schwellkörper, Leid und Lust.
Noch immer hält sich die Mär, dass Männer ABG-Schützen sind (A wie Arsch, B wie Busen, G wie Coitus) und „schwanzgesteuert" durchs Leben gehen. Aber wenn es so ist, warum rangiert dann die „Natürlichkeit der Frau" mit 97 Prozent auf der Vorzugsskala des Mannes ganz oben? Nach einer repräsentativen Umfrage des Emnid-Instituts legen Männer mehr Wert auf die inneren Werte der Frau als auf Äußerlichkeiten wie einen großen Busen und einem gut geformten Hintern. Den wünschen sich zwar noch 81 Prozent der Männer, aber noch mehr (95 Prozent) lieben die Fröhlichkeit der Partnerin, und 86 Prozent schätzen deren Intelligenz.3
Die Emanzipation des Mannes hat - zumindest im öffentlichen Bewusstsein - mit der Emanzipation der Frau nicht Schritt gehalten, obwohl doch unbestritten ist, dass sich beide Geschlechter dem evolutionären und gesellschaftlichen Anpassungsdruck gebeugt haben und beugen und sich darum unablässig verändern. Die Frau beweist uns jeden Tag, dass sie Fortschritte gemacht hat: Im Beruf gelingt ihr die große Karriere, in der Gesellschaft erobert sie Anerkennung und Positionen, in der Familie zeigt sie sich dem Mann gleichberechtigt und in der Politik hat sie Aussicht auf den höchsten Posten, den der Bundeskanzlerin. Er hingegen ist im öffentlichen Bewusstsein weitgehend geblieben, was er immer war: der Jäger, der Macher, der Karrieregeile. Und nicht zuletzt: der Triebgesteuerte.
Da über Sexualität - zumindest in der Öffenüichkeit - nur selten Vorurteils- und schamfrei gesprochen wird, formen auch die Humoristen und Kabarettisten am Bild des Mannes kräftig mit. Mit seiner Erektion ist es wie mit dem Ikea-Regal - man hofft immer, dass es fünf Minuten stehen bleibt. Mit solchen Sprüchen unterhält Harald Schmidt sein Publikum. Ebenso unterhaltsam gibt sich manch „wissenschafdiche" Umfrage. Das Nachrichtenmagazin Focus stellte bei einer Befragung fest, dass jeder zweite Mann beim Sex das Handy nicht abschaltet.4 Woraus manche Zeitgenossen folgerten, dass der Mann auch beim Sex für (alles) andere erreichbar sein will. Vielleicht hat er das Handy aber einfach nicht ausgeschaltet, weil ihn Gefühl und Leidenschaft übermannt haben und seine Sinne in solchen Momenten auf Wichtigeres gerichtet sind. Welcher Mann denkt schon ans Handy, wenn ihm gerade die Hose aufgeknöpft wird? Und welche Frau greift in derselben Situation zu ihrem Mobiltelefon? Eben. In einigen, sehr entscheidenden Punkten sind sich Mann und Frau dann doch sehr ähnlich.
Auch in diesem: „Wer verliebt ist, ist ein bisschen verrückt", sagt die Psychiaterin Donatella Marazziti.5 Die Wissenschaftlerin von der Universität Pisa stellte fest, dass der Zustand von Liebenden denen von Menschen gleicht, die an krankhaften Zwangshandlungen wie wiederholtem Händewaschen oder Staubwischen leiden. Marazziti entdeckte, dass dies am Serotonin liegt, einem körpereigenen Botenstoff, der bei Liebenden stark vermindert ausgeschüttet wird. Serotonin sorgt für Ausgeglichenheit und verhindert, dass das Gehirn überaktiv ist. Auch stimuliert das Zusammensein mit dem oder der Geliebten die gleichen Gehirnaktivitäten von Mann und Frau wie der Konsum von Kokain. Das fanden die Neurologen Andreas Bartels und Semir Zeki vom Londoner University College heraus.6 Für die New Yorker Anthropologin Helen Fisher ist die romantische Liebe nach 1.000 Interviews und der Sichtung zahlreicher wissenschaftlicher Studien „eine Sucht erzeugende Droge".7
Liebe wirkt also wie ein Aufputschmittel. Auf Frau und Mann. Bei einem 20-jährigen ebenso wie bei einem Angehörigen der 50pl us-Generation, denn das Verlangen nach Eroük und Sexualität nimmt mit dem Alter nicht zwangsläufig ab.
Die Sexualität des Mannes beginnt mit Träumen
Wenn sich Mann wie Frau an Liebe, Lust und Leidenschaft berauschen, wenn verliebte Männer ebenso verrückt sind wie verliebte Frauen - warum behandelt dieses Buch dann allein die Sexualität des einen, nicht aber des anderen Geschlechts? Weil es mindestens ebenso viele, vermutlich sogar sehr viel mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt. Und das fängt schon bei den Träumen an. Ein Beispiel dafür liefern uns die schöne russische Operndiva Anna Netrebko und ihr Biograph Gregor Dolak. In seinem Buch Opernstar der neuen Generation gibt der Feuilletonist Dolak eine Unterhaltung mit der Diva wieder, so wie er sie verstanden hat. Die beiden hatten über die Ähnlichkeit zwischen einer Opernbühne und einer Stripbühne gesprochen. „Also, ich bin jetzt mal sehr offen", hatte sie gesagt, „wenn ich nachts träume, sehe ich mich manchmal auf der Bühne singen. Dann bin ich fast immer nackt. In meinen Träumen singe ich nackt."
„Wie schön", muss Dolak gedacht haben. Doch hatte die Netrebko mitnichten ihren erotischen Traum offen gelegt, sondern ihren Albtraum: nämlich ausgeliefert zu sein und zu versagen.8 Autor Dolak machte daraus eine Story unter dem Titel In meinen Träumen singe ich nackt. Ein Traum - zwei Wahrheiten.
Der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität beginnt mit...