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E-Book

Bertolt Brecht

AutorReinhold Jaretzky
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783644517516
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Bertolt Brecht fasziniert weiterhin als wandlungsfähiges Genie und Autor unverwüstlicher Theaterstücke. Ins Blickfeld rücken aber immer mehr der mit sich selbst und seinem Umfeld experimentierende Antibürger Brecht, der sprachgewaltige Lyriker und der radikaldemokratische Medientheoretiker. In dieser kurzen Biographie erfährt der Leser alles Wichtige über Leben und Werk des großen Dichters. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Reinhold Jaretzky, geb. 1952, Dr. phil., studierte Germanistik und Sozialwissenschaften in Marburg und Hamburg. Von 1985 bis 1990 DAAD-Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Rom «La Sapienza». Buchveröffentlichungen u. a.: Bertolt Brecht. Der Jasager und der Neinsager, Frankfurt a. M. 1991; «Interimsästhetik». Franz Mehrings früher Versuch einer sozialgeschichtlichen Literaturbetrachtung, Frankfurt a. M. 1991. Für «rowohlts monographien» schrieb er den Band über Bertolt Brecht (rm 50692, 2006). Als Journalist arbeitet er seit 1990 für die TV-Kulturmagazine «aspekte», «titel, thesen, temperamente» und «Kulturzeit». Er ist Autor zahlreicher Dokumentarfilme, u. a. über Friedrich Hölderlin, Friedrich Nietzsche, Kurt Masur, Richard Strauss, Umberto Eco, Alexander Kluge.

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Leseprobe

Die frühen Dramen: «Baal» und «Trommeln»


Im Juni 1918 schreibt Brecht an Caspar Neher: Meine Komödie Baal frisst! Baal tanzt!! Baal verklärt sich!!! Was tut Baal? ist fertig und getippt – ein stattlicher Schmöker! Ich hoffe damit einiges zu erreichen.[65] Sekretärinnen des Vaters in der Haindl’schen Papierfabrik hatten das Manuskript in eine vorzeigbare Form gebracht. Hoffnungsvoll verschickt es Brecht an kulturelle Autoritäten wie den Kritiker Alfred Kerr und den «Theaterprofessor» Artur Kutscher, beide jedoch äußern sich ablehnend. Er unterzieht das Stück nun weiteren Überarbeitungen, so wie er es mit allen späteren Stücken tun wird. Von Beginn an sind dramatische Texte für Brecht Versuche, die ständig überprüft, kritisiert und modifiziert werden, die Kritik von Freunden und Mitarbeitern wird zum Bestandteil der Revision.

Die Titelfigur des Dramas ist ein empfindsamer Lyriker, zugleich aber Mörder, Zuhälter und Zuchthäusler. Baal ist ein zynischer Genussmensch, der frisst, säuft, tanzt, kämpft und herumhurt. Sein vitalistisches Lebensgefühl artikuliert er unmittelbar in seiner Dichtung, die unter erhöhtem Alkoholeinfluss entsteht. Brecht hat das Stück programmatisch als Kontrafaktur zu Hanns Johsts Drama «Der Einsame» entworfen, das die letzten fünf Lebensjahre des Dichters Christian Dietrich Grabbe als Untergang eines großen Einsamen erzählt. Grabbe scheitert an der Mittelmäßigkeit der Masse, die ihn nicht versteht und von der er sich als Genie absondert. Dieser Dichotomie von Leben und Kunst setzt Brecht die pralle Lebensgier seines Baal entgegen. Versteigt sich Johsts idealistischer Held in visionäre Ekstasen, so verschreibt sich das Menschentier Baal dem nackten Materialismus, saugt Leben rücksichtslos in sich ein, verschleißt seine Mitmenschen, preist anstelle des Geistes jungfräuliche Körper, berauscht sich in sexuellen Exzessen. In Baal radikalisiert Brecht ein antiidealistisches Programm: Sein Held ist amoralisch wie die Natur, gewalttätig und schrecklich, ein Monster, das das Tier herauslocken[66] will. Baals Anspruch, sich hemmungslos als freies Subjekt auszuleben, brüskiert jenen von Brecht selbst erlittenen wilhelminischen Zeitgeist, der auf Hingabe, Unterordnung und Pflichterfüllung pochte. Der philiströsen Triebunterdrückung begegnet Baal mit viehischer Triebentladung. Da kommt, schreibt Brecht, ein Hamster drin vor, ein ungeheurer Genüßling, ein Kloß, der am Himmel Fettflecken hinterläßt, ein maitoller Bursche mit unsterblichen Gedärmen.[67]

Baal: Es gibt keinen schöneren Genuß als den Körper eines jungen Weibes. Er darf nicht besudelt werden. Er ist wild und geschmeidig wie der Leib eines Tigers und doch sanft und schmeichelnd, voller Wonne und ganz herrisch. Wenn Du die jungfräulichen Hüften umspannst, zuckt warmes Leben in deinen Händen und in der Angst und Seligkeit der Kreatur wirst du zum Gott. Im Tanz durch Höllen, hopp! Und gepeitscht durch Paradiese, hopp! Ihr zittert, aber das ist Kraft, und du weißt nicht, bist du’s oder ist es sie.

Aus: Baal

Baal ist ein biographisches Stationendrama in offener Form, das Einzelszenen aneinanderreiht. Es folgt dem sozialen Abstieg dieses arbeitsscheuen, gebildeten Bohemiens bis tief in die rein vegetative Existenz. Das gesellschaftliche Scheitern wird von Baal jedoch als Selbstbefreiung erlebt. Ich fliehe vor dem Tod ins Leben[68], und Baal meint damit den Ausstieg aus dem bürgerlich reglementierten Alltag in eine satte Ich-Existenz, die auf den Tod zuläuft. Baals irdisches Glück ist eine polemische Antwort auf idealistische und damit auch expressionistische Menschheitsbeglückung. Mit Sympathie für nihilistische Überlegungen lässt Brecht Dimensionen jenseits des materiellen Seins keinen Raum. Das unterstreicht ein Gedicht aus der Zeit: Ich gestehe es, ich / Habe keine Hoffnung. / Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich / Sehe. / Wenn die Irrtümer verbraucht sind / Sitzt als letzter Gesellschafter / Uns das Nichts gegenüber.[69] Ursprünglich war Baal als Stück über François Villon konzipiert, der im XV. Jahrhundert in der Bretagne Mörder, Straßenräuber und Balladendichter war[70], später rückte Paul Verlaine an dessen Stelle. Auch das Vorbild Frank Wedekind ist in der Art, wie Baal vorträgt, erkennbar. Mit dem bewunderten Dichter war Brecht bereits 1914 in Berührung gekommen, als der Vater ihm eine Wedekind-Ausgabe schenkte. Später begegnete er dem Schauspieler und Vortragskünstler im Kutscher-Seminar persönlich. Er studierte dessen Gestik und Vortragskunst, er sang dessen Bänkellieder und Balladen und lobte ihn überschwänglich: Nie hat mich ein Sänger so begeistert und erschüttert. Es war die enorme Lebendigkeit dieses Menschen, die Energie, die ihn befähigte, von Gelächter und Hohn überschüttet, sein ehernes Hoheslied auf die Menschlichkeit zu schaffen, die ihm auch diesen persönlichen Zauber verlieh. Er schien nicht sterblich.[71] Als Wedekind 1918 starb, rief Brecht seine Augsburger Freunde zu einer nächtlichen Totenfeier am Lech zusammen.

 

Mit dem Titel Baal spielt Brecht auf den semitischen Fruchtbarkeitsgott an. Eingeleitet wird das Stück in seiner zweiten Fassung von einem blasphemischen Choral, der die Baal-Figur mythisch anhebt. Gegenüber dem Ur-Baal löst sich diese Version von der Fixierung auf das Johst’sche Drama und entwickelt eine größere Eigenständigkeit. Die Uraufführung 1923 in Leipzig führte zum erwarteten Skandal und erntete ungnädige Kritiken. Brecht hat sich von dem Drama zeit seines Lebens innerlich nicht getrennt. Er hat die Figur des Baal mal sozialkritisch, als Opfer asozialer Verhältnisse, konturiert, er hat mit ihr in Form eines Lehrstücks experimentiert und sich dabei stets vom radikalen Glücksverlangen seines Helden faszinieren lassen. Zwar repräsentiere dieser Held kaum etwas anderes als die Verherrlichung nackter Ich-Sucht, notiert Brecht im März 1954, es widersetze sich mit ihm aber ein «Ich» gegen die Zumutungen und Entmutigungen[72] einer ausbeuterischen Welt.

Ein halbes Jahr nach Abschluss des Ur-Baal beginnt Brecht mit der Arbeit an seinem Erfolgsstück Trommeln in der Nacht, das zunächst noch Spartakus heißt. Mit diesem Drama erlebt der Stückeschreiber erstmalig die Aufführung eines eigenen Werks, und zwar am 29. September 1922 in den Münchner Kammerspielen unter der Regie von Otto Falckenberg. Brechts Wunsch, selbst Regie zu führen, wurde abgelehnt, das hinderte den Autor jedoch nicht, auf die Inszenierung jeden erdenklichen Einfluss zu nehmen: «Er war, ehe er noch irgendwo aufgeführt worden war, der Schrecken des durchschnittlichen Regisseurs, das Entsetzen des Theaterdirektors. Er diktierte die Besetzung, von der ersten bis zur zweiundzwanzigsten Rolle; er kämpfte mit nie erlahmender Zähigkeit für den Darsteller, für die Darstellerin, die er in sein Szenenbild eingebaut hatte.»[73] Trommeln in der Nacht wird zum meistgespielten Stück Brechts bis 1930. Mit einer Lobeshymne befördert der Kritiker Herbert Ihering den jungen Dramatiker in die Autorenelite des Landes: Dieser habe «über Nacht das dichterische Antlitz Deutschlands verändert. Mit Bert Brecht ist ein neuer Ton, eine neue Melodie, eine neue Vision in der Zeit»[74]. Die Berliner Premiere am 20. Dezember des Jahres löst eine öffentliche Kontroverse aus und etabliert den Namen Brecht unwiderruflich im deutschen Kulturbetrieb.

Die zeitgeschichtliche Kulisse von Trommeln in der Nacht ist der Berliner Januar-Aufstand von 1919, den Brecht nur durch Zeitungsberichte kannte, bei dem Arbeiter Redaktionsgebäude besetzt und Straßensperren errichtet hatten. Um die politischen Ereignisse geht es Brecht allerdings dezidiert nicht: Die Revolution, die als Milieu dienen mußte, interessierte mich nicht mehr, als der Vesuv einen Mann interessiert, der darauf seinen Suppentopf stellen will.[75] Hauptfigur ist der totgesagte Artillerist Kragler, der nach vierjähriger Gefangenschaft in Afrika nach Berlin zurückkommt und feststellt, dass sein angestammter Platz besetzt ist: Seine Braut Anna ist schwanger und mit dem Kriegsgewinnler Friedrich Murk liiert, der sich durch Heirat mit der Unternehmertochter bürgerlich etablieren möchte. Annas Eltern besitzen eine Fabrik, die im Krieg Geschosskörbe herstellte und nun, da wieder Kinder gebraucht werden, auf die Produktion von Kinderwagen umgeschwenkt ist: Produktionssortiment wie Verlobter werden der neuen Zeit angepasst. Der zurückgewiesene und für die Nachkriegsgesellschaft wertlos gewordene Kragler schließt sich aus Enttäuschung den revolutionären Arbeitern an, macht diese Entscheidung jedoch umgehend rückgängig, als Anna zu ihm zurückkehrt. Die Revolution, nur vorübergehende Zuflucht des aus der Bahn Geworfenen, wird eingetauscht gegen die Aussicht auf das große weiße, breite Bett[76]. Der zynische, antiromantische Schluss wendet sich messerscharf gegen die Idealismen der Linken, die die heimkehrenden Soldaten gern zu potenziellen Helden der Revolution stilisierten und die Wirklichkeit mit ihren Wunschvorstellungen zudeckten. Brechts Abneigung gegen die Ideologen, die...

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