Wir sind Deutschland
Die Vereinsstrukturen des ADAC
Wer den ADAC verstehen will, muss als Erstes verstehen, dass seine Organisationsstruktur nichts anderes ist als die eines aufgeblähten Kegelvereins mit Millionen Mitgliedern. Allerdings ein Kegelverein, der über Tochtergesellschaften Milliarden umsetzt.
– «Ähnlich wie Deutschland ist auch der ADAC demokratisch und föderal aufgebaut.» –
So steht es in der Selbstbeschreibung des größten deutschen Automobilclubs. Der ADAC ist Deutschland – über dieses Selbstverständnis stolpert man beim ADAC nur anfangs. Irgendwann lässt das Staunen nach. Dann sieht man sich die «demokratischen» Mitwirkungsrechte einmal genauer an und staunt doch wieder. Theoretisch mag es zutreffen, dass auch einfache Mitglieder mitentscheiden dürfen. Die gelebte Praxis ist beim ADAC allerdings so eingerichtet, dass der kleinen, abgeschirmten Funktionärskaste möglichst wenig ins Handwerk gepfuscht werden kann.
Das wichtigste Organ, jedenfalls auf dem Papier, ist die jährliche Hauptversammlung des ADAC. Allerdings hat diese Hauptversammlung wenig mit der jährlichen Zusammenkunft von beispielsweise Aktiengesellschaften zu tun. Wer zur ADAC-Hauptversammlung will, hat einen weiten Weg vor sich. Zuallererst muss man in einer Ecke der traditionell eher unübersichtlich gestalteten ADAC-Zeitschrift Motorwelt die Einladung seines Regionalclubs finden. In 18 solche regionalen Vereinigungen – der Fachterminus ist tatsächlich: Gaue – ist ADAC-Deutschland nämlich unterteilt. Ist diese Hürde übersprungen, hat das Mitglied sein Kommen rechtzeitig vorher anzukündigen, meist beträgt die Frist zwei Wochen. Wer auf der Versammlung Rederecht wünscht, muss sein Anliegen ebenfalls Wochen vorher schriftlich einreichen, und zwar per Einschreiben. Damit nicht genug: Im für mich zuständigen Regionalclub Südbayern muss, wer einen Antrag stellt, davon im Vorfeld auch noch 30 andere Mitglieder überzeugen und dies, wiederum Wochen vorher, per Einschreiben mitteilen. Noch jemand da?
All diese absurden Hürden überspringen die wenigsten normalen Mitglieder. Ein Beispiel: Zur Jahreshauptversammlung des ADAC Sachsen, der immerhin 800000 Mitglieder hat, kam nach Recherchen der Welt genau ein einziges normales Mitglied. Dabei hat der Verein nicht wirklich ein Platzproblem: Am Versammlungsort traf dieses Einzelmitglied auf gerade mal 53 andere ADAC-Kollegen. Diese 53 allerdings waren Abgesandte der Ortsclubs und durften 1045-mal abstimmen. Das Einzelmitglied einmal.
Auf dieser Versammlung aber wählen die Regionalclubs die Delegierten für die große Jahreshauptversammlung des Gesamt-ADAC e.V., auf der 2014 in Saarbrücken ein neuer Präsident gewählt wird. Je angefangene 100000 ordentliche Mitglieder darf ein Regionalclub einen Vertreter dorthin schicken. Wenn wir beim Sachsen-Beispiel bleiben, sind das acht Mitglieder. Wollte der einzelne Neuling sich wählen lassen, er müsste schon einen unglaublichen Auftritt hinlegen (was wiederum voraussetzt, dass er alle Fristen eingehalten und im Vorfeld Stimmen anderer gesammelt hat), um die meist längst gebildeten Allianzen zu zerschlagen. Die 53 können mit ganzen Stimmpaketen wedeln, um Bündnisse zu schmieden, die dafür sorgen, dass man zum Delegierten gewählt wird. Das Einzelmitglied hat eine Stimme.
Der demokratische Anstrich ist, und zwar offensichtlich für jeden, der sich interessiert, eine Farce.
So brechen also Jahr für Jahr die Vorstände der Regionalclubs mit einer Handvoll regionaler Vertrauter zur Jahreshauptversammlung auf. Dort wiederum fallen alle wichtigen Entscheidungen in der Regel am Tag vor der eigentlichen Versammlung, in einer per Satzung vorgeschriebenen «Vorbesprechung» von Verwaltungsrat und Präsidium. Am nächsten Tag wird dann mit schönen Mehrheiten das längst Beschlossene besiegelt. Zum Beispiel alle vier Jahre: die Wahl des Präsidiums.
Das Präsidium besteht aus sieben ehrenamtlichen Funktionären (wegen Peter Meyers Rücktritt sind es derzeit nur sechs), die für vier Jahre amtieren. Sie sind (derzeit) allesamt männlich, weiß, ein wenig älter und haben im Normalfall finanziell ausgesorgt. Anders könnten sie sich dieses zeitaufwendige Hobby nämlich kaum leisten, denn tatsächlich, das ging in den Skandalrufen der Affäre ein wenig unter, erhalten sie vergleichsweise niedrige Aufwandspauschalen: Den sieben Präsidiumsmitgliedern plus dem Generalsyndikus wurden 2013 insgesamt 336000 Euro ausgezahlt, durchschnittlich also 3500 Euro pro Monat. Dass Top-Funktionäre keine Geldsorgen haben, bedeutet wiederum nicht zwangsläufig, dass sie ihre Funktion nicht dennoch nutzen, um auch das materielle Privatglück zu mehren – aber dazu später. Jedenfalls: Ein Kontrollgremium für das Präsidium gibt es nicht. Sie entscheiden nach Gutsherrenart über die Geschicke des Vereins.
Dabei gibt der Präsident inoffiziell die Richtung vor (er hat also, um im ADAC-Deutschland-Bild zu bleiben, ähnlich wie die Bundeskanzlerin eine Art Richtlinienkompetenz). Peter Meyers großes Ziel war Wachstum um jeden Preis. Mehr Mitglieder, mehr Umsatz, mehr Macht. Das war die Essenz seiner Regentschaft. Mitgetragen wurde diese Linie vom Verwaltungsrat, der als Gremium das Präsidium unterstützen soll. Etwas verwirrend sitzt das Präsidium allerdings selbst im Verwaltungsrat, neben den Vorsitzenden der 18 Regionalclubs. (In der Logik des Vereins wird der Verwaltungsrat dann auch tatsächlich als der Bundesrat des ADAC verkauft.) Gleichzeitig sind meist auch Vorsitzende von Regionalclubs im Präsidium, sodass diese beiden Gremien kaum zu trennen sind. Im aktuellen Präsidium sind beispielsweise die Landesvorsitzenden der Regionalclubs Westfalen, Südbayern und Schleswig-Holstein vertreten.
Wie in jedem Kegelverein gibt es auch im ADAC Gerangel um Posten, es gibt Kampfabstimmungen und traditionelle Allianzen und Feindschaften unter den 18 Regionalclubs. Manchmal geraten die Funktionäre dermaßen aneinander, dass selbst vor Klagen nicht haltgemacht wird: So eskalierte Ende 2013 ein Streit des Sportvorstands des ADAC-Gaus Niedersachsen/Sachsen-Anhalt mit dem Vorsitzenden des ADAC-Gaus Sachsen – Ersterer habe Letzteren am Telefon genötigt. Daraufhin schritt ein Gremium ein, dem in einer Welt, die noch von Gauen spricht, ein hohes Ansehen zukommt: der Ehrenhof, ein in München tagendes Gremium, eine Art Disziplinargericht des ADAC, bestehend aus «drei ordentlichen und zwei stellvertretenden Mitgliedern; mindestens ein ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied müssen die Befähigung zum Richteramt haben». Jener Ehrenhof forderte den Sportvorstand auf, seine Ämter niederzulegen. Dieser wiederum, selbst Oberstaatsanwalt, weigerte sich, den Spruch anzuerkennen, und verklagte stattdessen den damals noch amtierenden ADAC-Präsidenten Peter Meyer und den jetzt kommissarisch führenden August Markl – sie hatten ihm vorgeworfen zu lügen. Außerdem erstattete der Oberstaatsanwalt Anzeige gegen unbekannt wegen Subventionsbetrugs an der Rennstrecke Sachsenring, die vom ADAC-Gau Sachsen betrieben wird, also von seinen Feinden und Clubkollegen (aus der Anzeige wurde allerdings nie ein Verfahren).
ADAC gegen ADAC gegen ADAC.
Man könnte fortfahren mit dieser und anderen Geschichten, allerdings ist der Erkenntnisgewinn beschränkt. Nur: Ein Großteil der in jene Posse verstrickten Funktionäre sind diejenigen, die den ADAC steuern.
Seit vielen Jahren gibt es die Diskussion, ob ein Konzern wie der ADAC tatsächlich noch mit Strukturen wie diesen funktionieren kann. Aber jeder Einschnitt in die Macht der Ehrenämtler müsste genau von diesen abgesegnet werden. Und der ADAC vergleicht sich öffentlich zwar gerne mit Deutschland, aber, obwohl weit naheliegender, weniger gerne mit anderen Konzernen – vielleicht auch weil der Verein das problematische Fehlen einer Kontrollinstanz für das Präsidium ungern thematisiert. Denn einen Aufsichtsrat oder ein Gremium mit ähnlichen Funktionen gibt es schlicht nicht. Auch hier gilt wieder: Ein solches Kontrollorgan würde ja auch die Macht des Präsidiums und der Regionalfürsten einschränken – und wäre damit schwierig durchzusetzen.
Andererseits ist klar, dass die ehrenamtlichen Präsidiumsmitglieder nicht das Tagesgeschäft leiten können in einem Konzern, der allein in Deutschland knapp 40 Tochterunternehmen hat (weltweit ist der ADAC an neun weiteren Firmen beteiligt), in dem 8600 Mitarbeiter beschäftigt sind und der 2012 einen Umsatz von knapp einer Milliarde Euro erzielte. Der ADAC bietet über seine Tochterfirmen ja ein erstaunlich breites Spektrum an Dienstleistungen und Produkten an, Rechtsschutzversicherungen und Kreuzfahrten, Mietwagen und Autokredite, Bücher und Kreditkarten. Sogar Handy-Tarife verkauft der ADAC. Für all das gibt es die ADAC-Geschäftsführung. Sie «lenkt die Geschicke des ADAC...