2.Die drei wichtigsten Fähigkeiten
Wer Menschen dazu bringen möchte, das zu tun, was er will, sollte nicht auf die Vernunft der Menschen bauen, sondern auf deren Unvernunft. Im Alltag versuchen wir meist über Sachargumente zu überzeugen, damit kommen wir aber selten weiter. Denn der rationale Verstand ist vom Standpunkt der Evolution aus gesehen recht jung. Deutlich älter und deswegen viel dominanter sind unsere instinktiven, also irrationalen Verhaltensweisen. Der frühe Mensch hatte nicht den Luxus, in Gefahrensituationen lange und rational Möglichkeiten abzuwägen, um dann den logisch besten Schluss zu ziehen. Bis dahin hatten ihn schon längst irgendwelche Urzeitwesen gefressen. Außerdem kostet Denken erhebliche Energie. Bis zu 20 Prozent der Kalorien, die wir zu uns nehmen, gehen für diese kleine graue Masse in unserem Kopf drauf. Weniger denken war also in Zeiten von Nahrungsmangel und in denen es auf Schnelligkeit ankam, von Vorteil. Deswegen hat unser Gehirn im Laufe der Evolution Abkürzungen und Notfallpläne für gewisse Situationen eingebaut. Durch diese kleinen Hilfsmittel sparen wir wertvolle Zeit, Energie und kommen schneller ans Ziel – jedoch nicht immer. Denn manchmal ergeben sich daraus auch Trugschlüsse und Verzerrungen.
Wenn sachliche Argumente den darunter schlummernden, irrationalen Beweggründen widersprechen, führt das dazu, dass Menschen nicht so handeln, wie wir es eigentlich beabsichtigt hatten. Wenn wir aber diese verhaltenspsychologischen Effekte kennen, dann kennen wir auch die Abkürzungen, die das menschliche Gehirn nimmt. Wer einmal erkannt hat, dass er zwar sachlich argumentieren kann, aber auf der irrationalen Ebene punkten muss, und vor allem wie das gelingt, dem eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten. Es ist dann wie bei Hase und Igel. Sie sind immer einen Schritt schneller als Ihre Mitmenschen. Es kommt aber noch besser. Sie können sogar den Weg beeinflussen, den der Hase läuft.
Die Illusion des gemeinsamen Ziels
»Warum machen meine Mitarbeiter nicht mit? Wir haben doch ein gemeinsames Ziel!«, raufte sich ein sehr verzweifelter Geschäftsführer die Haare. Es war gerade zwei Monate her, dass die Umstrukturierungsmaßnahmen besprochen worden waren. Die Ziele waren festgelegt, alle wussten, was getan werden sollte, aber umgesetzt wurde nicht. Der Geschäftsführer und seine Mitarbeiter waren sich zwar einig gewesen, was die Sachziele betraf, hatten aber genau jene unterschwelligen, irrationalen Ziele vernachlässigt. Sie waren einem weitverbreiteten Irrglauben verfallen – dem Mythos des einen gemeinsamen Ziels.
Der Geschäftsführer hatte zwar klare Ziele mit seinen Mitarbeitern festgelegt. Umsatz- und Verkaufszahlen, Zeitpläne, der gesamte Alltagsfokus. Dabei waren alle Mitarbeiter auch guter Dinge und überzeugt. Sie waren einer Meinung, was das Sachziel anging. Jedoch besteht jedes Ziel aus vier Zielkomponenten, und das Sachziel ist nur ein kleiner Teil davon.
Ein weiteres, eher rationales Ziel ist das Prozessziel. So wissen wir zwar, wo wir hin müssen. Aber der Weg dorthin, also wie wir das Ziel erreichen, steht noch lange nicht fest. Wenn Sie morgen in Berlin sein wollen, dann ist das ein Sachziel. Deswegen sind Sie noch lange nicht einig, welches Verkehrsmittel Sie nutzen und welche Strecke Sie fahren werden. Selbst wenn Einigkeit beim Sachziel herrscht, kann es also bereits beim Prozessziel zu den ersten Unstimmigkeiten kommen. Man scheitert an der Umsetzung.
So viel zur rationalen Ebene aus Sach- und Prozessziel. Dummerweise ist die rationale Ebene aber genau diejenige, die unser Handeln am wenigsten beeinflusst. Wie sieht es aber mit den anderen beiden Zielkomponenten aus, die bis zu 70 Prozent unserer Handlungsmotivation ausmachen, im Alltag jedoch kaum berücksichtigt werden?
Auf der irrationalen Ebene spielt einerseits das Identitätsziel eine wichtige Rolle: Wer bin ich? Wie werde ich wahrgenommen? Als was will ich wahrgenommen werden? Diese Fragen stellt sich unser Ich permanent unbewusst. Niemand wird dauerhaft und freiwillig etwas tun, was seinem Ich zuwider ist. Wenn Sie jemandem das Gefühl geben, dass das, was er tut, sein Ich erstrahlen lässt, ist seine Bereitschaft zu handeln deutlich größer, als wenn Sie nur über die Sache argumentieren. In den USA hat man jahrzehntelang in Schulen versucht, Schüler vom Rauchen abzuhalten. Es gab die üblichen Aufklärungskampagnen wegen gesundheitlicher Schäden etc. Die Erfolge waren eher mäßig. Als man jedoch in einer Kampagne begann, gezielt, aber subtil dem Rauchen das Image von schlechter gebildeten und gesellschaftlich niedrigeren Schichten zu geben, sank die Anzahl der Schüler, die mit dem Rauchen anfingen, dramatisch. Das war nicht weiter verwunderlich, denn die Hauptursache, mit dem Rauchen anzufangen, konnte kaum der gute Geschmack sein, wie es uns die Werbung glauben machen will, sondern dass man cool sein und dazugehören wollte. Wenn das Ego dazu führt, dass man mit dem Rauchen anfängt, wieso nicht genau da ansetzen, um das zu verhindern? Die Werbeindustrie spielt die Klaviatur des Egos perfekt. Die Produkte unterscheiden sich kaum. Das ist den Werbern egal, denn sie vermitteln, dass das jeweilige Produkt einen schlauer wirken lässt, erfolgreich macht oder einem Frauen bzw. Männer reihenweise in die Arme fallen lässt. Anders ausgedrückt: Ihre sachlichen Argumente können löchrig sein, sobald sie aber das Identitätsziel richtig ansprechen, haben sie schon gewonnen.
Nicht minder wichtig ist das Beziehungsziel, also die zwischenmenschlichen Beziehungen. Ist man Teil des Teams und wird man akzeptiert? Hat man Freunde, ist man beliebt und wird respektiert? Vielleicht ist man jedoch eher der Einzelkämpfer, der sich in einer Teamstruktur unwohl fühlt. Befindet man sich in der hierarchischen Position, in der man sich am wohlsten fühlt? Das muss nicht unbedingt ganz oben sein, denn höher ist nicht unbedingt besser. Ein erfahrener Ingenieur wurde vor einigen Jahren in seinem Unternehmen als Dank für seine Verdienste befördert. Nun hatte er die Führungsverantwortung für zwölf Mitarbeiter. Nach einem halben Jahr kündigte er und ging zu einem anderen Unternehmen. Er wollte einfach kein Chef sein, auch wenn das sachlich als erstrebenswert gilt. Beziehungen geben uns im Alltag Halt und Stabilität. Nur hat jeder andere Bedürfnisse.
Wenn über Ziele diskutiert wird, dann wie gesagt meist über das Sachziel, manchmal auch das Prozessziel. Die Ziele auf der wichtigeren, irrationalen Ebene bleiben meist unbeachtet. Wir alle haben die vorwurfsvollen Ermahnungen unserer Eltern im Ohr: »Kind, sei doch vernünftig!« – Wieso sollen Kinder vernünftig sein, wenn Erwachsene es selbst nicht sind? Nun sind wir aber mit dem Mythos der Vernunft aufgewachsen. Es ist unüblich, im Beruf oder beim Geschäft über persönliche Befindlichkeiten zu diskutieren. Bestenfalls wird im Alltag Kritik an der Sache geübt, die ihre Wurzeln aber oft in menschlichen Befindlichkeiten hat. Schlimmstenfalls nicken alle die sachlichen Ziele ab, setzen diese dann aber nicht um. So kann man kaum von jemandem erwarten, dass er voller Engagement gegen sein eigenes Identitätsziel arbeitet. Wir können auch nicht erwarten, dass ein Mitarbeiter aufsteht und sagt: »Das finde ich nicht gut, das deckt sich nicht mit meinem Identitätsziel!« oder besser noch »Jetzt lassen wir mal alle Vernunft beiseite und kümmern uns um unsere irrationalen Bedürfnisse.« Sie sehen, das funktioniert nicht, weil wir alle glauben, wir müssten vernünftig sein.
Übrigens ist es sehr einfach, über die Unvernunft der anderen zu reden. Dabei vergessen wir nur zu leicht, dass wir selbst nicht anders sind. Das kennt man in jeder guten Beziehung. Man selbst hat alle vernünftigen Argumente auf seiner Seite. Nur der Partner oder die Partnerin ist aus unserer Sicht (das ist völlig unabhängig vom Geschlecht) total irrational, emotional und verstockt. In Unternehmen beklagen sich Führungskräfte, Vorstände und Geschäftsführer über die Unvernunft der Mitarbeiter und sind aufgrund ihres oft übersteigerten Egos meist viel unvernünftiger. Politiker werfen sich in Talkshows gegenseitig vor, unsachlich zu sein. Der Westen wirft Putin vor, die Realität aus den Augen verloren zu haben, egozentrisch zu sein und überzureagieren. Das Gleiche sagt Putin im russischen Fernsehen über westliche Politiker. Kurzum, Unvernunft ist allgegenwärtig, nur sind es immer die anderen.
Motive, die unser Handeln antreiben
Wenn wir einmal die Irrationalität unserer Mitmenschen (und unsere eigene) erkannt und akzeptiert haben, wird es uns viel leichter fallen, sie dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Dafür müssen wir nur hinter die Fassade schauen, was die wirkliche Motivation des menschlichen Handelns und Nicht-Handelns ist. Denn im Grunde werden wir angetrieben durch unser Ego, unsere Bequemlichkeit, unsere Gier und unsere Angst:
Motiv = Ego + Bequemlichkeit + Gier + Angst |
Alles, was wir tun, alles, was wir erreichen und wonach wir uns sehnen, wird durch diese Formel ausgedrückt. Es ist quasi die Formel, die die Welt antreibt. Selbstverständlich ist es nicht gesellschaftlich konform, menschliches Handeln auf solch scheinbar niedrige Beweggründe zu reduzieren, und nicht wenige runzeln in meinen Vorträgen erst mal skeptisch die Stirn, wenn ich diese Formel nenne. Ich werde auch öfter gefragt, ob ich nicht ein ziemlich pessimistisches Menschenbild hätte, wenn ich menschliches Handeln durch so...