Wir leben in einer Zeit, in der Filme uns ein völlig unrealistisches Bild von der vollkommenen Liebe vorgaukeln: dass wir gleich um die nächste Ecke auf die/den »Eine/n« stoßen, der uns aus Versehen seinen Orangensaft überkippt, unser Herz im Sturm erobert und uns mitnimmt in ein besseres Leben. Die meisten von uns kennen auch das Gefühl, sich Hals über Kopf zu verlieben und haben für eine (mehr oder weniger lange) Weile einen Menschen gefunden, bei dem sie sich angekommen fühlten. Sie dachten, endlich zu verstehen, was es mit dem ganzen Wirbel um die liebe Liebe auf sich hat. Doch dann ließ der Zauber langsam nach, und wir fragen uns: Hat er sich schon immer auf diese nervige Weise die Zähne geputzt? Hat sie am Anfang auch ständig über meinen Kumpels gemeckert?
Meistens dauert es dann nicht lange, bis Sie Ihren Freunden oder zumindest sich selbst etwas vorjammern wie »Keine Ahnung, was ich an ihm ursprünglich so toll gefunden habe«, oder »Es hat ein Weilchen gedauert, bis sich ihr wahres Wesen zeigte«. Und irgendwann sagt dann der eine zum anderen – »Ich brauche einfach ein bisschen mehr Freiraum« (und Sie kommen darin nicht vor) oder »Vielleicht brauchen wir mal eine kleine Auszeit« (für den Rest des Lebens, so wie es klingt).
Seit unsere Spezies diese Erde bevölkert, so schätzen Evolutionsbiologen, blieben Paare im Schnitt nur etwa sechs Jahre lang zusammen – also in etwa so lange, bis die Mutter mit dem Nachwuchs selbstständig leben konnte. Dieser Hintergrund erhellt auch das Phänomen des »verflixten siebten Jahres«. Evolutionsbedingt bedeuteten die ersten sechs Jahre mit einem Kind für die Paare sehr wenig »Quality Time«, denn es galt, auf Jagd zu gehen, Räuber und Feinde abzuwehren und einen Ort zu finden, um den Kindern Schutz und Sicherheit zu gewähren. Damals, in der Frühzeit des Menschen, betrug die Lebenserwartung nur rund 25 Jahre (kaum Zeit also, um sich in Beziehungsprobleme zu verstricken oder Jahrestage zu vergessen): man paarte sich, kriegte Kinder, zog sie unter Mühen ein paar Jahre lang gemeinsam auf, trennte sich dann wieder oder erlag den Gefahren des damaligen Alltags. Ich vermute mal, unsere Vorfahren würden sich vor Lachen im Höhlengrab umdrehen, wenn sie ein Wort wie »Quality Time« bloß hören würden.
Die meisten Menschen genießen heute den Luxus, in einer Blase der Sicherheit zu leben, die uns allen Raum lässt, dem wahren Glück mit dem vollkommenen Partner entgegenzufiebern, der »uns erfüllt« – ein Glück, auf das noch nicht einmal unsere Urgroßeltern zu hoffen gewagt hätten.
Doch dieses Glück geht am Ende selten auf. Der Mensch als biologisches Wesen gehört nämlich nicht zu den monogamen Arten. Die Monogamie ist ein kulturelles Phänomen, und unserem Überlebenstrieb folgend wählen wir einen Partner nicht danach aus, wie wahrscheinlich es ist, dass er »uns erfüllen« wird. Auf einer unbewussten Ebene sind die Dinge sehr viel simpler: Unser Unterbewusstsein stellt sich zu allererst die Frage: Welcher Partner bietet gute Gene für mein Kind, und wird er/sie ein guter Vater/eine gute Mutter sein?
Und das führt uns ganz schön weit weg von alledem, was wir zu suchen glauben, wenn wir uns nach einem Partner umsehen. Was, glauben Sie, spricht Sie an einer Person als Erstes an? Ihre Augen? Ihr Lächeln? Ihr Auto? Nein! Ihr Körpergeruch. Eine geradezu ironische Antwort, wenn man bedenkt, welche Unsummen wir für alle möglichen Duftwässerchen ausgeben, um beim anderen Geschlecht Aufmerksamkeit zu erregen. Professor Robert Winston stellte sich zusammen mit sechs Frauen als Proband für ein Experiment zur Verfügung. Dazu wurde ihm (wie auch den Frauen) Blut abgenommen und auf sechs Gene hin untersucht, die als spezifische Marker für das Immunsystem gelten. Anschließend schlief jede der Frauen zwei Nächte lang im selben T-Shirt, das dann jeweils unter Verschluss in ein Glas kam. Professor Winston sollte an jedem Glas schnuppern und die Frauen allein anhand des Geruchs in attraktive »Duftfavoritinnen« einstufen. Etwas Interessantes passierte: Zielsicher bevorzugte er die T-Shirts mit dem Körpergeruch jener Frauen, deren Immun-Gene sich deutlich von seinen eigenen unterschieden. Oder anders gesagt, er fühlte sich am meisten von den Gegensätzen angezogen. Und Evolutionsbiologisch betrachtet ist dies absolut sinnvoll: Wenn ein Kind ein möglichst breit gefächertes Immunsystem hat, hat es größere Chancen, die Widrigkeiten des Lebens zu meistern und zu überleben.
Ich erwähne dieses Experiment, um hervorzuheben, wie unbewusst unser Partnerwahlsystem tatsächlich abläuft. »Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt«, um es mit Blaise Pascal zu sagen.
Wenn Amor – sprich unser Unterbewusstsein – seinen Pfeil auf jemanden richtet, bricht im ganzen Körper ein wahres Feuerwerk an Chemikalien los, wovon das bekannteste das Oxytocin ist, das sogenannte »Liebeshormon«. Es spielt eine wichtige Rolle beim Aufbau sozialer Bindungen und Beziehungen. Es wird im Gehirn in großen Mengen während der Geburt bei Mutter und Kind ausgeschüttet, ebenso wie bei zwei Menschen, die sich verlieben. Oxytocin aktiviert Areale im Stammhirn, das zahlreiche Vorgänge steuert, die auf einer Ebene unterhalb des bewussten Denkens und sogar der bewussten Gefühle ablaufen. Dieser Teil des Gehirns wird auch aktiviert, wenn wir Drogen wie Kokain einnehmen. Die Liebe macht uns genauso süchtig, sie ist das höchste aller natürlichen Hochgefühle und hat ähnliche Symptome wie eine Zwangsstörung. Wir können einfach nicht aufhören, an die Person unseres Herzens zu denken, verlieren den Appetit, können nicht mehr schlafen und tun die verrücktesten Dinge, in der Hoffnung, dass diese große Liebe, die wir empfinden, erwidert wird. Wird sie das nicht, verfallen wir häufig in überspannte Verhaltensweisen, stellen dem oder der Angebeteten nach, bombardieren ihn bzw. sie mit SMS oder machen uns auf seiner oder ihrer Facebook-Seite präsent (Sie wissen schon – wir tun einfach alles, um auf Teufel komm raus die Zuneigung des anderen zu gewinnen). Und wir können nicht einmal etwas dafür. Es ist das Oxytocin, das uns wie besessen macht.
Sie glauben mir nicht? Dann treffen Sie sich einmal mit einer frisch gebackenen Mama und Sie werden merken, wie sie alle Aufmerksamkeit ausschließlich auf ihren Nachwuchs richtet.
In einer Situation der erwiderten Liebe sind wir rund achtzehn Monate lange wie benebelt von diesem Gefühl, sind völlig vernarrt ineinander, was lediglich für alle anderen um uns herum etwas nervig ist. Danach lässt das erste Hoch ein wenig nach, und der Blick durch die rosarot beschlagene Brille wird langsam wieder klarer. Dinge, die wir anfangs am anderen noch ganz reizend und liebenswert fanden, beginnen uns nun auf die Nerven zu gehen. Aber es wird sich nichts ändern, denn wie wir merken, sind alle Versuche, den Partner ändern zu wollen, vergebliche Liebesmüh. Wir spüren erste Zweifel, runzeln skeptisch die Stirn, so wie unsere Freunde damals, als wir ihnen unsere neue Flamme das erste Mal präsentierten.
Und genau hier, an diesem Punkt beginnt die eigentliche Beziehungsarbeit … wenn wir langsam erwachen aus unserem Liebesrausch.
Die Wissenschaftlerin Helen Fisher nennt drei Phasen der Liebe: Lust, romantische Verliebtheit und langfristige Bindung. Die ersten beiden scheinen stets zu dominieren, doch ist es die Letztere, anhand derer wir den Erfolg unserer Beziehungen zunehmend bemessen, je älter wir werden. Warum? Vielleicht gerade weil es so schwierig ist. Ohne den fixenden Kick des Oxytocins, das uns im Liebesnebel gefangen hält und uns die Sicht auf alles andere versperrt, kann es sein, dass wir nach achtzehn Monaten Beziehung (spätestens!) wie am Morgen nach einer rauschenden Party verkatert die Augen aufschlagen und uns fragen: »Habe ich wirklich …?«.
Ich hatte eingangs erwähnt, dass die meisten Paare, die ich in meiner Sprechstunde erlebe, nicht deshalb miteinander Probleme haben, weil sie sich nicht lieben, sondern weil sie einander nicht verstehen oder sich nicht wertgeschätzt fühlen. Ich denke, dass das Partnerauswahlverhalten, das offenbar dem Prinzip der Unterschiedlichkeit folgt, über das Immunsystem hinausreicht und auch Aspekte der Persönlichkeit umfasst. Dieses Buch richtet sich daher weniger an Paare, die einander ähnlich sind, aber es hat auch für diese Paare durchaus ein paar Tipps parat. Dieses Buch ist in erster Linie eine Hilfe für die, die ihren Partner ansehen und nur noch ein Kopfschütteln haben für alles, was er tut oder nicht tut, und für alles, was sie an ihm stört, ärgert oder auf die Palme bringt.
Aber die Sache ist die: Jeder hat Gründe für das, was er tut (oder nicht tut); nur decken die sich eben nicht mit den Ihren.
Wir Menschen sind denkende Wesen; das Problem ist nur, dass wir aber nicht darüber nachdenken, wie wir denken und dass wir automatisch annehmen, dass jeder andere genauso denkt wie wir. Aber dem ist nicht so. Es gibt Unterschiede in der Art und Weise, wie Sie und Ihr Partner die Welt deuten und ihr begegnen, was großen Einfluss darauf hat, wie Sie beide miteinander zurechtkommen. Das Problem besteht wie gesagt darin, dass wir glauben, unser Partner würde denken wie wir und die Welt mit den gleichen Augen sehen.
Das bedeutet Folgendes: Wenn die Person, die Sie lieben, etwas tut, das Ihnen nicht gefällt, oder vielleicht etwas nicht tut, das Ihnen gefallen würde, neigen Sie dazu, sich so zu verhalten, als würde Ihr Partner Sie mit Absicht ärgern oder enttäuschen. Mit der Zeit kann dieser tropfende Wasserhahn der Enttäuschungen sich zu einem gewaltigen Tsunami aus Frust und Wut anstauen, der die Liebe aus dem Blick schwemmt, und...