Habemus Papam
Der neue Papst ist gewählt
13. März 2013, 17.45 Uhr. Der Petersplatz hat sich gefüllt. Beim Konklave acht Jahre zuvor stieg um diese Zeit der weiße Rauch auf. Damals war Joseph Ratzinger im vierten Wahlgang zum 264. Nachfolger des Apostels Petrus gewählt worden. Auch jetzt sind viele Römer und Schaulustige am späten Nachmittag zum Vatikan gekommen. Zwar war vor dem Einzug ins Konklave immer wieder zu hören gewesen, dass es dieses Mal länger dauern werde und die Kardinäle wohl zwei oder drei Tage brauchen würden, um sich auf einen Kandidaten zu verständigen. Aber man weiß ja nie. Es regnet. Tausende Regenschirme bedecken den Platz. Der Blick geht immer wieder nach oben zu dem kleinen Schornstein auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle. Dank des Vatikanischen Fernsehzentrums CTV können die Menschen auf den vier Großbildschirmen auf dem Petersplatz den Kamin ganz nah beobachten. Doch es tut sich nichts. Als gegen kurz nach 18 Uhr immer noch kein Rauch aufsteigt, ist den Menschen klar, dass auch der vierte Wahlgang erfolglos war. Doch sie bleiben, denn spätestens in einer Stunde muss es ein Rauchsignal geben: schwarz oder weiß. Es ist üblich, dass immer nach zwei Wahlgängen die Stimmzettel verbrannt werden. So war es am Vormittag, als gegen 11.39 Uhr schwarzer Rauch aufstieg und signalisierte, dass die Wahlgänge zwei und drei zu keinem Ergebnis geführt hatten. Am Vorabend, nach dem feierlichen Einzug ins Konklave am 12. März, hatte beim ersten Wahlgang niemand mit einem positiven Ergebnis gerechnet. Daher war der schwarze Rauch um 19.41 Uhr keine Überraschung gewesen.
Doch jetzt? Wird es im fünften Wahlgang gelingen? Der Platz füllt sich weiter. Viele Römer kommen nach Feierabend vorbei, um beiläufig etwas Konklavestimmung mitzuerleben. Drinnen in der Sixtinischen Kapelle werden in diesem Moment die Stimmen des fünften Wahlgangs ausgezählt.
Das passiert nach einem fest vorgeschriebenen Prozedere. Nachdem jeder Kardinal möglichst mit verstellter Schrift den Namen seines Kandidaten auf den vorbereiteten Wahlzettel geschrieben hat, tritt er mit erhobener Hand nach vorne an den Tisch unter dem imposanten Fresko des Jüngsten Gerichts Michelangelos. Quasi Auge in Auge mit dem auferstandenen, richtenden Christus spricht er die Worte: »Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte.« Dann gibt er seinen Zettel in die Urne. Sind alle Stimmen abgegeben, wird überprüft, ob ihre Zahl derjenigen der teilnehmenden Kardinäle entspricht – 115. Erst dann beginnt die Auszählung. Drei durch das Los bestimmte Kardinäle ermitteln das Ergebnis. Der erste nimmt an dem Tisch unter dem Jüngsten Gericht einen Stimmzettel aus der Urne, stellt den darauf verzeichneten Namen fest, gibt ihn an den zweiten weiter, der ebenfalls den Namen einsieht, bevor der dritte diesen dann laut verkündet. Dabei gibt es ein kleines Problem. Die Akustik in der Sixtinischen Kapelle ist nicht die beste. Dazu kommt, dass viele Kardinäle sich in einem fortgeschrittenen Alter befinden und nicht mehr ganz so gut hören. Das Durchschnittsalter im Konklave liegt immerhin bei fast 72 Jahren. Die Mikrofonanlage wollen die Kardinäle aber nicht benutzen. Sie haben Sorge, dass das Übertragungssystem nicht abhörsicher sei und etwas von der geheimen Wahl nach außen dringen könnte. Also beschließen sie, dass einer aus ihren Reihen, der eine kräftige Stimme hat, sich in die Mitte der Sixtina stellen muss, um laut und deutlich den Namen des Gewählten in die Runde zu rufen. So können alle anwesenden Purpurträger auf den Notizzetteln, die sie an ihrem Platz vorgefunden hatten, selbst mitzählen, wer wie viele Stimmen bekommt. Bei der aktuellen Auszählung wird vor allem ein Name immer wieder genannt: Jorge Mario Bergoglio.
Was die Menschen im Regen draußen auf dem Platz nicht mitbekommen: Gegen 18.45 Uhr hören die Zeremoniare und Konklavehelfer, die während der Wahlgänge vor der Sixtinischen Kapelle in der Sala Regia ausharren, einen lang anhaltenden Applaus durch die massive Holztür der Sixtina nach draußen dringen. Es ist der Moment, in dem der Erzbischof von Buenos Aires die Zweidrittelmehrheit von 77 Stimmen erreicht hat. Doch die Auszählung geht weiter. Am Ende hat Jorge Mario Bergoglio weit über 90 Stimmen auf sich vereint; mehr als vor acht Jahren Joseph Ratzinger bei seiner Wahl. Er soll damals 84 Stimmen bekommen haben. Kurz vor 19 Uhr sind alle Stimmen ausgezählt. Eigentlich ist es nun die Aufgabe des Dekans des Kardinalskollegiums, den Kandidaten mit den meisten Stimmen zu fragen, ob er die Wahl annimmt. Doch Angelo Kardinal Sodano ist nicht im Konklave dabei, da er die Altersgrenze überschritten hat. So leitet der ranghöchste der unter 80-jährigen Purpurträger die Wahl: Kardinal Giovanni Battista Re. Er tritt zu Kardinal Bergoglio, der auf der linken Seite der Sixtinischen Kapelle in der zweiten Reihe seinen Platz hat, und fragt ihn, ob er die Wahl annehme.
Der 76-Jährige antwortet: »Ich bin ein großer Sünder und vertraue auf die Barmherzigkeit und Geduld Gottes. Unter Schmerzen nehme ich an.« Erneut brandet Applaus in der Sixtinischen Kapelle auf. Dann die Frage Res an den neuen Papst nach seinem Namen. Bergoglio antwortet, er wolle sich Franziskus nennen – in Erinnerung und zu Ehren des heiligen Franz von Assisi.
Viele Kardinäle schauen sich fragend und überrascht an. Der indische Kardinal Oswald Gracias, der Bergoglio fast genau gegenübersitzt, erinnert sich, dass Kardinal William Levada vor ihm sich umdreht und nachfragt, wie denn der Name des neuen Papstes nun genau sei. Teils wegen der Verständnisprobleme, teils wegen der großen Überraschung angesichts der Namenswahl geht ein Raunen durch die Sixtinische Kapelle. Vielen Anwesenden ist sofort klar, dass mit diesem Amtsnamen ein Programm verbunden ist, das die Kirche verändern würde. Während der dienstjüngste der Kardinaldiakone, James M. Harvey, die Türen der Sixtina öffnet, um die Zeremoniare sowie die Helfer zum Verbrennen der Stimmzettel hereinzulassen, begibt sich der neue Papst Franziskus in den »Raum der Tränen« neben der Sixtina. Dort liegen weiße Soutanen und die roten Schuhe in verschiedenen Größen bereit, ebenso der rote Schulterumhang, die Mozzetta mit Hermelineinfassung, ein goldenes Brustkreuz und eine Stola.
Draußen auf dem Petersplatz bricht Jubel aus. Um 19.06 Uhr steigt Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle auf. Schnell ist klar: Er ist weiß. Dieses Mal hat sich der Vatikan gut vorbereitet, um wirklich klare Rauchsignale zu senden. Feuerwerker stellten dafür Kartuschen mit speziellen Chemikalien her. Der schwarze Rauch wird mit einer Mischung aus Kaliumperchlorat, Anthracen und Schwefel erzeugt, der weiße mit einem Zusatz aus Kaliumchlorat, Laktose und Kiefernharz. Eine Kartusche hat eine Brenndauer von rund sieben Minuten. In der Sixtina sind eigens zwei Öfen installiert: einer zur Erzeugung des Rauchs und einer zum Verbrennen der Wahlunterlagen. Dazu gehören neben den Stimmzetteln auch alle persönlichen Notizen der Kardinäle. Der schwarze Rauch am ersten Abend war dieses Mal so stark, dass sich einige Journalisten Sorgen um die Kardinäle und die Fresken in der Sixtinischen Kapelle machten. Vatikansprecher Federico Lombardi versicherte aber, von den Kartuschen gehe keine Gefahr für die Gesundheit der Kardinäle und die Fresken aus.
Kurz nach dem Rauch am Mittwochabend fangen auch die Glocken von Sankt Peter an zu läuten – ein untrügliches Zeichen, dass die Wahl erfolgt ist. »Habemus Papam« rufen sich die Menschen begeistert zu. Der 265. Nachfolger des Apostels Petrus ist gewählt. Fernsehsender rund um die Welt unterbrechen ihr Programm. Überall von den Dächern rings um den Petersplatz wird nun live gesendet. In Rom verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Aus allen Richtungen kommen die Massen auf den Petersplatz geströmt. Die große Prachtstraße Via della Conciliazione, die von der Engelsburg am Tiber über mehrere hundert Meter zum Vatikan hinaufführt, wird kurzerhand zur Fußgängerzone. Die Menschen blicken gespannt zur Mittelloggia des Petersdoms hinauf. Dort hatte schon am Vortag die vatikanische Feuerwehr mit ihrem Leiterwagen den schweren roten Samtvorhang angebracht, durch den in wenigen Minuten der neue Papst schreiten wird. Bei jeder kleinsten Bewegung des Vorhangs brandet Applaus auf. Doch die Menschen werden auf eine lange Geduldsprobe gestellt. Der Kardinalprotodiakon, der die freudige Nachricht überbringen wird, lässt über eine Stunde auf sich warten.
Um 19.10 Uhr kehrt Franziskus aus dem »Raum der Tränen« in die Sixtinische Kapelle zurück. Dort warten die Kardinäle auf ihn. Und er sorgt sofort für Aufsehen: Der neue Papst trägt einen schlichten weißen Talar. Die rote Mozzetta hat er nicht angelegt, ebenso wenig die roten Schuhe und das goldene Brustkreuz. Der Stellvertreter Christi erscheint in schwarzen Straßenschuhen und mit dem schlichten silbernen Bischofskreuz. Er steht, setzt sich nicht auf den mittlerweile bereitgestellten Thron. Als Erstes geht er auf den nigerianischen Kardinal Anthony Olubunmi Okogie zu, der im Rollstuhl sitzt. Eine herzliche Umarmung. Das hat wenig mit dem Akt der Huldigung zu tun, den die Kardinäle laut Protokoll dem neuen Kirchenoberhaupt leisten müssen. Was sich mit der Namensgebung angedeutet hat, erfährt in den ersten Minuten des Pontifikats seine Konkretisierung. Franziskus pflegt einen brüderlichen Umgang mit den Kardinälen. Nachdem alle 114 Kardinäle einzeln zu ihm vorgetreten waren, kommen noch einige weitere...