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Wer soll das bezahlen?

Antworten auf die globale Wirtschaftskrise

AutorDr. Jörn Quitzau, Prof. Dr. Norbert Walter
VerlagPattloch Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783629320377
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Das Wort des ehemaligen Chefvolkswirts der Deutschen Bank findet weltweit Beachtung. Norbert Walter hat als einziger Ökonom den Absturz der deutschen Wirtschaft in der Finanzkrise 2008 präzise vorausgesagt. Zusammen mit seinem Kollegen Jörn Quitzau von der traditionsreichen Hamburger Berenberg Bank bilanziert er die Konsequenzen, die aus der Weltfinanzkrise zu ziehen sind. Sie fordern 'Schluss mit dem Schuldenmachen!' und mahnen einen radikalen Kurswechsel in Wirtschaft und Politik an.

Prof. Dr. Norbert Walter ist der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Geschäftsführer der Fa. Walter & Töchter Consult. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Promotion war Norbert Walter zunächst Mitarbeiter am Institut für Kapitalmarktforschung in Frankfurt/Main (1968-1971), dann am Kieler Institut für Weltwirtschaft, an dem er u.a. die Abteilungen Konjunktur sowie Ressourcenökonomik leitete. 1987 Wechsel zur Deutsche Bank Gruppe. Von 1990 bis Ende 2009 Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Geschäftsführer von Deutsche Bank Research. Norbert Walter war Mitglied im Gremium der 'Sieben Weisen' zur Regulierung der europäischen Wertpapiermärkte bei der EU-Kommission in Brüssel sowie Mitglied in der interinstitutionellen Monitoring-Gruppe (ernannt vom Europäischen Parlament, Rat und der Europäischen Kommission) für den Lamfalussy-Prozess zur Überwachung der Wertpapiermärkte. Norbert Walter war zudem Mitglied des Economic and Monetary Affairs Committee der European Banking Federation und Chairman der International Conference of Commercial Bank Economists. Seit Anfang 2010 arbeitet Prof. Walter in seiner eigenen Firma, der Walter & Töchter Consult.

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Leseprobe

USA: Drahtseilakt ohne Fangnetz


Deutschlands Schuldenstand ist zu hoch, aber zumindest im internationalen Vergleich derzeit noch nicht alarmierend. Noch droht uns keine hausgemachte Schuldenkrise. Aber wir verfügen nicht über die nötigen Reserven, um den hoch verschuldeten Staaten dieser Welt den nötigen Halt geben zu können. Für uns geht die eigentliche Gefahr nicht von Griechenland oder von Portugal aus.

Mittelfristig – möglicherweise sogar schon kurzfristig – lauert die eigentliche Gefahr in den USA!

Die Amerikaner betreiben einen Drahtseilakt ohne sichtbares Fangnetz. Sie verabreichen seit Jahren Finanz-Doping ohne jegliche Hemmung. Schon vor der Krise hatten die USA Leitzinssenkungen als Allheilmittel für jedes ökonomische Problem gesehen. Die Blase am Immobilienmarkt war eine Folge davon. Als die Blase platzte, wurden die Aufräumarbeiten in der amerikanischen Wirtschaft mit Schulden finanziert. Außerdem lockerte die US-Notenbank erneut die Geldpolitik – nun auch auf unkonventionelle Weise: Sie kaufte amerikanische Staatsanleihen und finanzierte damit den öffentlichen Haushalt. Inzwischen ist die Notenbank dadurch zum größten Gläubiger der amerikanischen Regierung geworden.

Mit dieser Politik wurde eine Illusion am Leben gehalten. Bis zur Finanzkrise lebten die Amerikaner mit einer Vermögensillusion, weil sie sich durch die Übertreibungen bei den Hauspreisen reicher fühlen durften, als sie tatsächlich waren. Statt die Realität zu akzeptieren, entschied sich der Staat dafür, seinen Bürgern mit laxer Finanzpolitik weiterhin einen Reichtum zu suggerieren, den es eigentlich nicht gibt. Während der Finanzkrise waren Staatsausgaben als konjunkturbelebende Maßnahme durchaus gerechtfertigt. Es ging darum, die Schockstarre nach dem Lehman-Kollaps zu überwinden. Die Amerikaner scheinen jedoch so viel Gefallen an der Medizin gefunden zu haben, dass sie nicht mehr auf sie verzichten möchten. Damit wird Medizin zur Droge. Aber auch für die USA gilt: Drogen machen high, aber nicht gesund.

Die amerikanischen Kennzahlen zur öffentlichen Verschuldung haben es in sich: Vor Ausbruch der Krise lag der Schuldenstand noch bei rund 65 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und damit gleichauf mit der deutschen Verschuldung. Seither ist der Wert hierzulande auf rund 80 Prozent gestiegen, in den USA dagegen auf knapp 100 Prozent. Während die jährliche Neuverschuldung in Deutschland und in den anderen europäischen Staaten bereits zurückgeführt wird, halten die USA ihre finanzpolitischen Schleusen weit offen. Der IWF erwartet für 2011 ein US-Haushaltsdefizit von 9,6 Prozent. Zum Vergleich: Selbst unser größtes Sorgenkind Griechenland steht mit 8 Prozent besser da. Und Spanien, das gelegentlich als weiterer Kandidat für die Inanspruchnahme des EU-Rettungsschirms gilt, fährt 2011 mit einem erwarteten Defizit von 6,1 Prozent einen deutlich seriöseren haushaltspolitischen Kurs als die USA. Dies hat Folgen für den Gesamtschuldenstand: Die USA werden 2012 die 100-Prozent-Marke überschreiten. Am Jahresende 2012 werden die Schulden des amerikanischen Staates somit der Wirtschaftsleistung eines kompletten Jahres entsprechen. Hinzu kommen in den USA die im internationalen Vergleich hohen Schulden des Privatsektors.

In Europa läuten angesichts der Schulden die Alarmglocken. Mit bangem Blick wurde, bzw. wird jede Anleiheemission in Portugal, Spanien oder Italien verfolgt. Immer wieder wurde die Frage gestellt, ob der gewaltige Rettungsschirm im Ernstfall für die klammen europäischen Länder ausreichen würde oder ob er aufgestockt werden muss. »Bricht der Euro auseinander?«, war eine der meistgestellten Fragen der Jahre 2010/2011.

Dagegen blieb es auf der anderen Seite des Atlantiks lange ruhig. Einen ersten Weckruf gab es Anfang 2011 vom amerikanischen Finanzminister Timothy Geithner. Er mahnte an, dass die gesetzlich festgeschriebene Schuldengrenze von maximal 14,3 Billionen US-Dollar erhöht werden müsste, weil den USA sonst schon im ersten Halbjahr 2011 die technische Zahlungsunfähigkeit drohen würde. Der amerikanische Notenbank-Präsident, Ben Bernanke, schlug kurze Zeit später in die gleiche Kerbe. Mediale Überschriften wie »Geithner warnt vor Staatsbankrott« klangen dramatisch. Die Reaktion an den Märkten war es zunächst nicht. Der Dollar-Wechselkurs zuckte nur kurz. Auch die Anleihemärkte waren nicht beeindruckt.

Wie ist die Gleichmütigkeit der Märkte gegenüber der US-Schuldenlage zu erklären? Immerhin verfügt der US-Dollar im Gegensatz zum Euroraum über keinen Rettungsschirm. Mit Blick auf die Äußerung von Finanzminister Geithner ist zu berücksichtigen, dass er lediglich vor einem technisch-juristisch verursachten Staatsbankrott gewarnt hat. In so einem Fall droht die Zahlungsunfähigkeit nicht, weil potenzielle Kapitalgeber die Kreditwürdigkeit bezweifeln und das Land dadurch keinen Zugang zum Kapitalmarkt mehr bekommt. Der Punkt ist, dass sich die USA per Gesetz Grenzen auferlegt hatten, die sie zu überschreiten drohten. Ein solcher Staatsbankrott kann leicht abgewendet werden, indem die Grenze per Kongress-Beschluss erhöht wird. Allerdings: Eine Schuldengrenze, die nie zur Anwendung kommt, sollte nicht erhöht, sondern abgeschafft werden, denn sie ist unglaubwürdig und wertlos. In sprichwörtlich letzter Sekunde einigten sich die zerstrittenen Parteien im August 2011 auf eine Anhebung der Schuldengrenze. Die extrem halsstarrige Haltung führte schließlich doch zu großer Nervosität an den Finanzmärkten.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob und wann den USA letztlich der ökonomische, also der echte Staatsbankrott drohen könnte. Sehr lange haben sich die Kapitalgeber von den Schulden scheinbar nicht schrecken lassen. Die Renditen amerikanischer Staatsanleihen notierten auf niedrigem Niveau, wozu allerdings die Notenbank mit dem Aufkauf von Anleihen ihren Beitrag geleistet hat. Risikoprämien sind deshalb nicht angemessen eingepreist. Auch der Wechselkurs des US-Dollars konnte sich gegenüber dem Euro trotz aller geldpolitischen Eskapaden der Notenbank FED lange Zeit erstaunlich stabil halten. Man kann argumentieren, dass die USA den modernsten und tiefsten Kapitalmarkt der Welt haben und mit dem Dollar über die Weltleitwährung verfügen. Damit genießt Amerika ein viel größeres Vertrauen als kleine Länder, die ähnlich hohe Schulden haben.

Dass der Gegenwind für die USA noch nicht stärker ist, hat aber wahrscheinlich noch einen besonderen Grund: Die USA sind »too big to fail« – also zu groß zum Scheitern. Wenn schon ein kleines Land wie Griechenland in der Lage ist, mit seinem Schuldenproblem die internationalen Finanzmärkte in Angst und Schrecken zu versetzen, dann muss man über Amerika nicht lange reden. Fände Amerika keine Käufer für seine Staatsanleihen, wäre das wohl die größtmögliche Schuldenkrise für die Weltfinanzmärkte und die Weltkonjunktur; ein Schulden-Tsunami, der auch fiskalisch solide Länder mitreißen würde.

Die USA nehmen damit eine Sonderstellung ein. Sie verfügen quasi über einen unsichtbaren, einen impliziten Rettungsschirm – auf den sich Amerika gleichwohl nicht verlassen sollte. Niemand kann ein Interesse daran haben, die USA über Kapitalentzug ernsthaft abzustrafen. Man sägt nicht an dem Ast, auf dem man sitzt. China kann ein Lied davon singen: Zu gern würden die Chinesen einen größeren Teil ihrer Währungsreserven aus dem Dollar abziehen und andernorts investieren. Allerdings würden umfangreiche Verkäufe den Dollarkurs unter Druck setzen und damit den verbleibenden Bestand an Währungsreserven entwerten.

Das Kreditrisiko der USA ist also eng verbunden mit dem Kreditrisiko der restlichen Welt. Wer die USA mit drastischem Vertrauensentzug abzustrafen versucht, bestraft sich letztlich auch selbst. Dieser Zusammenhang dürfte auch die Ratingagenturen beschäftigen und beeindrucken. Da die Risiken nicht unabhängig voneinander sind, ist eine substanzielle Herabstufung der USA kaum möglich, ohne gleichzeitig das Rating der übrigen Länder ebenfalls herunterzusetzen. Daran ändern auch die jüngsten Androhungen der Ratingagenturen und die erste Herabstufung durch Standard & Poors’s nur wenig.

Wie lange sich die permissive US-Finanzpolitik durchhalten lässt, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Allein das Vertrauen der Kapitalgeber entscheidet darüber, wann es für die USA und damit für den Rest der Welt eng wird. Zu sicher dürfen sich die USA nicht sein. Im März 2011 machte der weltweit größte Anleihe-Investor Pimco, eine Tochtergesellschaft der Allianz, von sich reden, weil Pimco sämtliche US-Staatsanleihen verkauft hatte. Wenig später meldete sich Yu Yongding, ehemaliger Berater der chinesischen Zentralbank, mit der Forderung zu Wort, China solle keine weiteren US-Staatsanleihen mehr kaufen. Die Situation ist also durchaus fragil.

Amerika hat eine besondere Verantwortung für die Weltwirtschaft. Eher früher als später sollten sie dem Vorbild der Europäer folgen und damit beginnen, ihren...

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