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E-Book

Seien Sie unbesorgt!

Vorschläge für ein erfülltes Leben

AutorAbtprimas Notker Wolf
VerlagPattloch Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783629320032
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Viele Menschen, die in Beruf und Familie jeden Tag aufs Neue gefordert sind, können von den Regeln des Klosterlebens lernen. Abtprimas Notker Wolf entwirft ein ganzheitliches Konzept zur Orientierung in der heutigen Zeit. Dabei geht es um wichtige Fragen wie: Was sind unsere wirklichen Bedürfnisse? Wie gehen wir respektvoll mit unseren Mitmenschen um? Wie schaffen wir die richtige Balance zwischen Arbeit und Muße? Notker Wolf schöpft aus der 1500 Jahre alten Quelle des benediktinischen Denkens und präsentiert einen überzeugenden Leitfaden für ein erfülltes Leben.

Notker Wolf, Jahrgang 1940, trat 1961 in das Benediktinerkloster St. Ottilien ein. In Rom und München studierte er Philosophie, Theologie, Zoologie, Anorganische Chemie und Astronomiegeschichte und promovierte zum Doktor der Philosophie. 1968 wurde er zum Priester geweiht. 1971 erhielt er eine Professur für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie an der Päpstlichen Hochschule Sant'Anselmo in Rom. Sechs Jahre später wurde er Erzabt von St. Ottilien und damit Abtpräses der Missionsbenediktiner. 2000 wurde er zum Abtprimas und damit zum obersten Repräsentanten der Benediktiner gewählt. Er war bis zum Ende seiner Amtszeit weltweiter Sprecher des ältesten Ordens der Christenheit mit 7.200 Mönchen und 14.000 Nonnen und Schwestern. Im Oktober 2016 kehrte er von Rom nach St. Ottilien zurück.

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Leseprobe

ICH: Bei sich wohnen


Aufbrechen und loslassen


Die Welt der zu vielen Möglichkeiten


Es gibt zwei Produkte der vergangenen zehn Jahre, die mich besonders verstören. Das eine sind Kaffeebecher, an denen sich jeden Morgen in den Bahnhöfen dieser Welt Tausende Menschen zunächst die Hände und dann den Mund verbrennen, mit den Bechern durch die Gegend laufen, telefonieren und dann wieder einen Schluck nehmen und so tun, als wäre das ein besonders schöner Beginn des Tages. Die andere Erfindung sah ich kürzlich in einer Werbung. Dort wurde ein Gerät angepriesen, das einem Muskeln schenkt, ohne dass man sich dafür bewegen muss. Dabei legt man zwei Sensoren auf die eigene »Problemzone«, und durch Stromstöße werden dabei die Muskeln bewegt. In der Werbung sah man Männer, die fernsehen, und Frauen, die telefonieren.

Beunruhigend an den beiden Erfindungen finde ich nicht die Gefahr für den Körper – verbrannte Zunge oder Muskelkater –, sondern dass man alles gleichzeitig machen soll: Kaffee »genießen«, laufen, telefonieren; Sport treiben, fernsehen, telefonieren. Tausende weitere und viel bessere Beispiele gibt es, mit denen uns die Werbung oder wir uns selbst einreden, was wir alles leisten müssen, am besten natürlich alles gleichzeitig. Den Druck geben Eltern schon an ihre Kinder weiter, die sie sorgenvoll anschauen, wenn sie überlegen, ob sie sie in einen englischsprachigen Kindergarten schicken sollten, nun ja, wegen des Lebenslaufes. Längst gibt es nicht mehr nur ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern wir sind bereits eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, die uns an jeder Straßenecke anzuschreien scheint: Dies und das und jenes musst oder kannst du machen, um besser, schöner, erfolgreicher, intelligenter und glücklicher zu werden – wann machst du es endlich? Der Wahn der absoluten Machbarkeit macht uns verrückt.

Doch natürlich gibt es auch längst eine Gegenbewegung. Der Markt des Alles-Habens und Alles-Machens hat einen Markt des Entspannens und Zu-sich-Findens hervorgebracht. Wir trinken sündteure Joghurts, die uns ausgleichen sollen; wir machen Wellness-Kuren und »schalten einfach mal ab« und »lassen die Seele baumeln« und »finden wieder ganz zu uns«; Müsliriegel, Schaumbäder und Buddha-Figuren am Spielfeldrand des FC Bayern München entspannen oder vernebeln uns die Sinne. Auch das kann zur Sucht werden, ständig nach Entspannung zu suchen und sie doch nicht zu finden: Das ist dann der sogenannte »Freizeitstress«. Wenn jemand »Freizeitstress hat«, heißt das, abgesehen von den Lasten seiner Arbeit empfindet er auch noch das Leben nach der Arbeit, die Stunden der Zerstreuung oder der Muße, nur noch als Last. Wie kann man dann überhaupt jemals zur Ruhe kommen?

Leider sind übertriebener Stress und Entspannung auf Knopfdruck kein Nullsummenspiel – das eine gleicht das andere nicht aus, also jagen wir weiter nach unserer Mitte. Es wird Sie nicht überraschen, dass ich als Mönch und Priester sage, ich bin überzeugt davon, dass wir über uns hinausschauen müssen, um zur Mitte zu finden, hinaus aus unserem Alltag zu Gott. Wenn wir einsehen, dass wir nicht alles vermögen, und uns mit dem zufriedengeben, was unser Leben uns schenkt, dann sind wir dem ach so ersehnten »inneren Gleichgewicht« am nächsten. Um es mit dem Titel eines Buches zu sagen: »Es muss doch mehr als das alles geben!«

 

Fast immer, wenn ich mein Heimatkloster Sankt Ottilien in Oberbayern oder andere Klöster auf der ganzen Welt besuche, sitzen da bei den Mönchen auch Männer – und bei den Nonnen Frauen – jeden Alters, die nicht unsere schwarze Ordenskleidung tragen. Sie wollten mal raus, sagen sie dann, aussteigen auf Zeit, zu sich selber finden. Manager sind darunter, Studentinnen, Handwerker, Künstler. Die Welt sei ihnen zu schnell geworden, der Stress zu groß, sie hätten gar nicht mehr gewusst, wo ihnen der Kopf steht, sagen sie. Sie wären griesgrämig und übel gelaunt durch die Welt gelaufen und hätten sich umso mehr in die Arbeit gestürzt.

Nun sitzen sie im Chor der Kirche und im Speisesaal, leben unseren Rhythmus und entdecken, dass sie hier hinter der Enge der Mauern gar nichts vermissen von der zurückgelassenen weiten Welt der unzähligen Möglichkeiten – im Gegenteil.

Die vermeintliche Enge des Klosters ist für sie zur Weite geworden, weil sie hier endlich suchen können, was das Geheimnis des Lebens ausmacht – und nicht nur mit dem Arbeits- und Freizeitstress des nächsten Tages beschäftigt sind.

Am Anfang steht das Suchen


Wenn man etwas im Internet sucht, benutzt man eine Suchmaschine. Wenn man in den Bergen ist und den weiteren Weg durch die Felsen sucht, benutzt man ein Fernglas. Aber was können wir benutzen, um in unserem Leben einen Sinn zu finden?

Früher hat man sich darüber keine Gedanken gemacht – die Religion, in meinem Fall der katholische Glaube, gehörte zum Leben dazu. Die Bauern arbeiteten auf dem Feld und legten um zwölf Uhr, wenn die Glocken läuteten, ihr Werkzeug zur Seite und beteten den »Engel des Herrn«. Das ganze Leben war vom Glauben umfangen. Und insofern war es für mich auch kein besonders revolutionärer Schritt, als ich mich nach gut katholischer Erziehung zu Hause und im Internat dazu entschied, ins Kloster einzutreten und Mönch zu werden. Natürlich habe ich auch mit mir gehadert – aber ein Kloster war damals noch nicht eine komplett andere Welt, sondern nur eine, in der man den Glauben und den Sinn noch etwas eindringlicher suchte als draußen vor den Mauern.

Ich bin letztlich im Kloster gelandet, weil ich eines Tages auf dem Dachboden meiner Eltern herumstöberte, ich war damals vierzehneinhalb Jahre alt. Da fiel mir eine Nummer der »Katholischen Missionen«, einer Zeitschrift über die Verbreitung des Glaubens in der Welt, in die Hand. Ich blätterte darin, dann begann ich zu lesen: »Das Leben des Pierre Chanel«. Da war von einer Insel die Rede, die hieß Futuna, lag Tausende Kilometer nördlich von Neuseeland, Tausende östlich von Australien, in der fernen Südsee, im Nirgendwo. Ich las weiter: Pierre Chanel habe die Einwohner bekehren wollen, doch Häuptling Niuliki tötete ihn. Nach seinem gewaltsamen Tod aber ließen sich die Inselbewohner taufen – im Tod des Missionars war ihnen ein Licht aufgegangen. »Christus braucht dich«, dachte ich, »das gibt meinem Leben einen Sinn. Wenn ich für Gott arbeite, brauche ich nie auf irdischen Erfolg zu schauen.«

Ich versteckte das Heft eine Woche unter meinem Kopfkissen und las in den folgenden Tagen die Geschichte immer wieder. Nach einer Woche habe ich es meiner Mutter gesagt, ein paar Tage später meinem Pfarrer: »Wohin soll ich gehen?«, fragte ich ihn und dachte an die Südsee. Er schaute mich von oben bis unten an und sagte: »So, wie ich dich kenne, gehörst du nach Sankt Ottilien – zu den Missionsbenediktinern.«

Recht hatte er. Das Kloster im bayerischen Voralpenland war die Antwort auf mein Suchen und meine Liebe zum Gottesdienst, zur Musik und zum Leben in Gemeinschaft. Natürlich habe ich noch oft darüber nachgedacht, ob ich den Schritt wagen sollte. Aber letztlich bin ich froh, mich früh entschieden zu haben.

Heute sehe ich, dass Menschen in drastischerer Weise ihr Leben zu verändern suchen, manchmal schon mit einem esoterischen Wochenendseminar, nachdem man das ganze Leben plötzlich in Frage stellt. Kürzlich erzählte mir ein Bekannter, der Freund seiner Tochter habe nach einem esoterischen Seminar sein Leben radikal verändern wollen und aus heiterem Himmel die Beziehung zu ihr beendet. Pfingstgemeinden predigen in Südamerika die Umkehr, machen Teufelsaustreibungen und verwandeln so manchen Alkoholiker in das andere Extrem, in einen radikal tugendhaften Nichttrinker.

Ich glaube, solche Sinnangebote stürzen vor allem auf Menschen ein, die lange ohne Glaubenskompass in der Welt umherliefen, die nie irgendeinen Glauben hatten, vielleicht weil die Eltern meinten, ihr Kind solle später einmal »selbst entscheiden können«. Wie viele Kinder sitzen heute »konfessionslos« in ihren Schulklassen und wachsen bindungslos und ohne Leitbild auf? Ich glaube, unsere Welt war gesünder, als der Glaube noch selbstverständlich und nicht so verkopft war.

Glauben ist ein lebenslanges Suchen, das man mit Geduld beginnen sollte, nicht in der Gruppe beim Wochenendseminar, sondern in der Einsamkeit: Moses zog 40 Tage durch die Wüste auf der Suche nach dem Gelobten Land, Jesus ging, »vom Geist getrieben«, 40 Tage in die Wüste, selbst Mohammed zog von Mekka nach Medina durch die Wüste. Die Wüste, das Nichts, das Zurücklassen von Bindungen und Einflüssen, die Einsamkeit, ist Voraussetzung dafür, zu sich selbst zu finden. Als die ersten Mönche die Wüste aufsuchten, wollten sie durch die Einsamkeit und das Schweigen frei werden von Sünden, um »Ruhe zu finden für die Seelen«, wie Matthäus einmal schreibt. Auch der Abt Arsenios war gewiss als kaiserlicher Hofbeamter ein geschäftiger Mann, bis er der Überlieferung nach einmal eine Stimme hörte, die sprach: »Arsenios! Zieh dich zurück! Sei still! Werde ruhig!« Die äußere Ruhe sollte innere Bewegung ermöglichen.

Auch ein gewisser Benedictus aus der Stadt Nursia, dem heutigen Norcia (200 Kilometer von Rom entfernt), suchte Herzensruhe im Rom des Jahres 495. Als er im Alter von 18, wie Papst Gregor der Große berichtet, das sicher nicht unangenehme Studentenleben in Rom hinter sich ließ und in die Einsamkeit zog, hätte niemand geglaubt, dass aus dem Mann einmal der »Patron...

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