Das Comeback der Treue
When leaders can’t be trusted
When heroes let us down
And innocence lies rusted
Frozen beneath the ground.
Why do we marry?
Why do we fall in love?
Keep on believing in love?
Because love, love is my sword,
Love is a weapon,
Love is a lesson
And we, we are the conquerors
We are the soldiers
We are the lovers
That’s why we fall in love
That’s why we believe in love
That’s why we marry.
(Lucinda Williams, Plan to Marry)
Die Treue kommt zurück.
Das ist jetzt schon die Nachricht des Jahrzehnts. Mit Nachrichten kenne ich mich aus. Mein Job ist es, sie im Fernsehen zu verbreiten. Wenn das hier kein Buch, sondern ein Fernsehprogramm wäre, würde ich ein Laufband durchs Bild schicken:
»Breaking News: Die Treue kommt zurück.«
Das Thema ist leider nicht besonders bildstark. Sex zu zeigen ist einfach. Nackte Körper in Action, fertig. Aber dauerhafte Liebe? Was gibt es da für Bilder? Händchenhalten? Dackelblick? Das Reservoir ist erschöpflich. Treue ist eine Langfristtugend. Momentaufnahmen geben das nicht wieder. Wenn Liebe, wie Richard David Precht in seinem gleichnamigen Bestseller feststellt, »ein unordentliches Gefühl« ist, dann ist die Treue die Ordnung, die die Liebe am Leben hält, auch wenn die Gefühle mal weg sind. Aber wie filmt man das?
Es gibt allerdings Momente, wo sich die Treue, die sonst dezent im Hintergrund bleibt, selbstbewusst nach vorne schiebt. So einen Moment habe ich erlebt und anschließend begonnen, dieses Buch zu schreiben.
Ich kam gerade von einem Besuch in Los Angeles zurück. Da redeten alle noch vom »Tiger Woods Syndrom«, benannt nach dem als Serien-Seitenspringer enttarnten Weltklassegolfer. Für viel Gesprächsstoff sorgte auch Jesse James, der bullige Biker, der seine Gattin Sandra Bullock mit einem wahrhaft bildstarken Tattoo-Model betrogen hatte. Damit nicht genug: Kate Winslet trennte sich gerade von ihrem Mann, Cameron Diaz von ihrem Lover, Jennifer Anniston war auch wieder solo. Elizabeth Edwards, die gehörnte Ex-Frau des Präsidentschaftskandidaten Jonathan Edwards, rächte sich mit Alles-muss-raus-Memoiren, Bill Clinton wurden wieder einmal Affären nachgesagt, aber das störte keinen mehr. Für die parteipolitische Ausgewogenheit sorgten einige republikanische Spitzenpolitiker mit ihren außerehelichen Techtelmechteln. Und kaum zurück in Deutschland, erfuhr ich auch noch, dass Lothar Matthäus seiner vierten Ehefrau Liliana den Laufpass gegeben hatte und dem STERN kurz darauf in einem Interview treuherzig versicherte, dass alles nicht seine Schuld war: »Ich bin sehr gewissenhaft. Auf mich kann man sich verlassen. Ich bin treu.« Zwischenzeitlich soll er wieder mit Liliana angebandelt haben. Für Schlagzeilen außerhalb des eigentlichen Spielfeldes sorgte auch die englische Fußballnationalmannschaft. Da schien jeder gerade mit irgendwem in flagranti erwischt worden zu sein.
Ich war also, wie man in meiner Branche zu sagen pflegt, »drin im Thema«, als ich meinen Eltern einen Besuch abstattete. Die beiden sind seit über 41 Jahren verheiratet. Als sie sich das Jawort gaben, war er 23, sie 25, und die sexuelle Revolution auf ihrem Höhepunkt. Meine Eltern kriegten von Woodstock allerdings nicht viel mit, auch nicht von Oswald Kolle und den Schulmädchen-Reports, und statt »Honky Tonk Woman« oder »Whole Lotta Love« sangen sie Choräle. Einige Jahre später trat mein Vater seine erste Pfarrhausstelle an und blieb da bis zur Rente. In der barocken Schlosskirche fand fast an jedem Wochenende eine Trauung statt, die Leute kamen von weit und breit und ließen die Blumen als Gottesdienst-Deko zurück.
Wenn eine Ehe auseinanderging, erfuhren wir das auch ziemlich schnell. Die Klatschmäuler vom Dienst machten ihren ersten Stopp meistens im Pfarrhaus. Dass meine Eltern auch auseinandergehen könnten, kam uns drei Geschwistern nie in den Sinn. Wenn die zwei sich stritten, was selten vorkam, machten sie vorher die Tür zu. Vor dem Schlafengehen hatten sie sich dann meistens wieder vertragen. Ich habe ausgerechnet, dass die beiden bis heute auf rund 15 000 gemeinsame Nächte und 50 000 Mahlzeiten gekommen sind. Was bei ihnen nicht dazu geführt hat, dass sie sich verschlissen, sondern dass sie sich immer besser gleichschalteten. Jetzt, als ich sie besuchte, saßen sie nebeneinander am Wohnzimmertisch und feierten den Geburtstag meiner Mutter. In alter Tradition sprach mein Vater ein Dankgebet. Er fing an mit »Lieber Vater im Himmel …« und kam bis zu »… für meine liebe Frau«. Dann war Schluss. Er fing an zu weinen. Ich linste hinüber zu den beiden, die nun beide heulten und dabei Händchen hielten.
Meine Seele machte klick. Das Bild ging in meinen Datenspeicher und bekam einen Sperrvermerk. Wer sich jetzt krümmt, weil das nach In-Your-Face-Kitsch klingt, dem kann ich auch nicht helfen. Ich habe jedenfalls auch rote Augen gekriegt und anschließend wieder mal offene dafür, was ich wirklich will im Leben.
»All You Need Is Love«, haben die Beatles gesungen. Darüber, was unter Liebe verstanden werden kann, gehen die Meinungen auseinander. Für mich ist die einzige Liebe, die das Etikett nicht beschmutzt, die treue Liebe. Die Liebe, die sich über den Moment hinaus verspricht und die dieses Versprechen hält. Wieder die Beatles: »Will you still feed me, will you still need me, when I’m 64?«
Die XL-Version des Lebens heißt 3L. Das ist für mich die Abkürzung für Lebenslängliche Liebe. Manchmal zweifle ich daran, ob wir modernen Menschen noch die Fähigkeit für 3L haben. Wir wollen sie auf jeden Fall. Das sagen alle Statistiken, inklusive der jüngsten Shell-Jugendstudie. Wir wünschen uns, dass wir wie der zynische Tyrann in Schillers Ballade »Die Bürgschaft« feststellen dürfen: »Die Treue – sie ist doch kein leerer Wahn!« Ob Treue dann tatsächlich den Dauercheck übersteht, das steht auf einem anderen Blatt. Aber dass sie zumindest als Sehnsucht hochaktuell ist, bestätigen die Demoskopen.
Fragt man die Deutschen danach, was ihnen am wichtigsten ist, sagt die Mehrheit: gute Beziehungen. Sie haben das begriffen, was Glücksforscher bestätigen: Mehr Geld macht nur bis zu einem Sockelbetrag von rund 50 000 Euro im Jahr etwas glücklicher. Danach kommt es nur noch auf gute Beziehungen an, davor weitestgehend auch.
Fragt man weiter, was eine gute Beziehung ausmacht, antworten die Deutschen: erstens Vertrauen, zweitens Treue.
Neun von zehn Deutschen halten einen Seitensprung für grundsätzlich falsch und ticken damit so wie der überwiegende Rest der Weltbevölkerung.
Und alle Menschen, die ich kenne, wünschen sich, dass sie alt werden mit dem Menschen, den sie lieben.
Es ist verblüffend, aber das Ideal der Treue übersteht mühelos alle Varianten des Zeitgeistes – bürgerliche, unbürgerliche, antibürgerliche, konservative, liberale, rechte, linke. Treue ist zeitlos. Ja, Treue ist die zeitlose »In«-Tugend, wie Blau die zeitlose »In«-Farbe ist. Hartnäckig hält Blau den ersten Platz in der Farben-Hitparade der Deutschen. Die Farbe Blau symbolisiert die Treue, aber auch die Sehnsucht und die Ferne, vielleicht deshalb, weil es Treue als Sehnsucht und als Versprechen und als Erinnerung gibt, nicht als ekstatische Momenterfahrung.
Als ich das Thema im Freundeskreis als Titel meines nächsten Buches angeteased habe, gab es immer positive Reaktionen. Mir fiel auf, dass sich bei meinen weiblichen Gesprächspartnern die Augen noch etwas weiter öffneten, emphatisch und erwartungsvoll, bevor sie sich wieder verengten: »Treue – gibt’s das noch?«, habe ich öfter gehört.
Die Skepsis ist berechtigt. Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden, fast jede zweite bei den neu geschlossenen Ehen. Und weil wir Menschen uns in der Regel nicht von Wünschen, sondern von Erfahrungen leiten lassen, weil wir unser Verhalten bei anderen abschauen, ist anzunehmen, dass sich die Beziehungsbrüche in Zukunft noch vermehren werden.
Kein Grund zur Panik, versichern uns affärengestählte Promis. Til Schweiger mutmaßt: »Die Monogamie hat sich die Kirche ausgedacht.« Das heißt also: Untreue ist normal. Aha. Mario Adorf weiß noch mehr: »Nach einem Seitensprung fängt die Ehe erst an.« Ehebruch als Ehestimulans? Aha. Zusammengeschusterte Familien werden von der Ausnahme zur Regel. Mittlerweile hat das Patchwork-Prinzip auch im Schloss Bellevue Einzug gehalten.
Was denen da oben recht ist, ist denen da unten billig. Als rustikales Alternativprogramm zur feinen Berlin-Mitte-Gastronomieszene habe ich einmal mit einem Freund die Neuköllner Eckkneipe »Gießkanne« besucht: »Du musst unbedingt Horst und Heidi kennenlernen!« Das Mobiliar sah aus, als stammte es aus der Nachkriegszeit, und es roch auch so. Aber die Moral war auf der Höhe unserer Zeit. Mein Freund hatte eine Reportage über den Kiez geschrieben und dabei ein alteingesessenes Ehepaar, eben Horst und Heidi, kennengelernt. Die beiden gehörten zur Stammbelegschaft der »Gießkanne«. »Jeden Abend um Punkt neun kommen die beiden und setzen sich an ihren Stammplatz«, sagte mein...