1 Einführung
Es muss dem Patienten Freude machen, dass er wieder etwas kann.
Dieses Zitat von Berta Bobath hat seit der Entwicklung des Bobath-Konzepts bis zum heutigen Tag nicht an Bedeutung verloren! Das von Berta Bobath und ihrem Mann Karel entwickelte Bobath-Konzept betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit und reduziert ihn nicht auf seine Defizite. Berta Bobath war ihr Leben lang fasziniert von den Menschen und ihren Bewegungen. Als Therapeutin gelang es ihr, den Patienten während der Behandlung so überzeugend mit einzubeziehen, dass er ungeahnte Fähigkeiten entwickeln konnte.
„Schau zuerst den Patienten an, was er in seinem Alltag kann, erst dann registriere seine Defizite und beginne die Behandlung damit, herauszufinden, warum der Bewegungsablauf gestört ist.“ Dieser Grundgedanke stellt für alle an der Förderung des Patienten beteiligten Menschen eine hohe Herausforderung dar. Eine veränderte Umgebung, eine andere Ausgangsposition, der geistige, seelische und körperliche Zustand sind nur einige wenige Faktoren, warum die Behandlung und pflegerische Unterstützung sich an die wechselnden und individuellen Bedürfnisse täglich anpassen muss. Das Ziel wird dabei nicht aus den Augen verloren. Hieraus erklärt sich, warum Berta und Karel Bobath ihr therapeutisches Vorgehen als Konzept und nicht als feststehende Methode verstanden haben.
1.1 Geschichte und Entwicklung des Konzepts
Berta Bobath, geb. Busse, wurde am 5.Dezember 1907 in Berlin geboren. Ihr Elternhaus war jüdischer Abstammung, worin ihre spätere Emigration nach London begründet ist. Schon früh entdeckte sie ihr Interesse an Musik, Tanz und Gymnastik. Ihre Eltern bezahlten ihre ersten Gymnastikstunden und erlaubten den späteren Besuch der Anna-Herrmann-Schule in Berlin. Diese Schule lehnte den damals üblichen Drill und die im Sportunterricht praktizierten mechanischen Bewegungsübungen ab. Durch das Wahrnehmen eines Zusammenhangs zwischen Körper, Seele und Geist wurde der Individualismus betont. Der Ausdruckstanz fand seinen Einzug. Atmung und Bewegung wurden in Verbindung gebracht und der Zusammenhang zwischen Atmung und Stimme wurde erforscht.
Berta Busse fühlte sich besonders zu Mary Wigman (Begründerin des Ausdrucktanzes) hingezogen, ein Tanz mit und in die Schwerkraft. Die Zusammenarbeit mit Elsa Gindler (Lehrerin an der Anna-Hermann-Schule) hatte auch einen großen Einfluss auf Berta Busse. Sie „unterrichtete keine festen Übungen, sondern forderte ihre Schülerinnen auf, die Beziehung zwischen Haltung, Bewegung, Geist und Seele herauszufinden. Sie erkannte die Bedeutung von Fühlen und Empfinden.“ (aus Biewald, 2004).
Diese Gesichtspunkte finden sich bis heute im Bobath-Konzept wieder. Auch Berta Busse unterrichtete ab 1926 an der Anna-Hermann-Schule, bis sie diese aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1933 verlassen musste. Die Emigration nach London folgte 1938.
Karel Bobath wurde 1905 in Berlin geboren. Er war auch jüdischen Glaubens mit ungarisch-tschechischer Abstammung. Er lernte Berta Busse im Alter von 16 Jahren im Sportverein kennen. Sie besuchte ihn oft in seinem sehr musikalischen Elternhaus. Karel studierte Medizin und war 1933 gezwungen, in die Tschechoslowakei zu fliehen. In Deutschland war ihm die Approbation und Promotion aberkannt worden, sodass er diese Prüfungen erneut ablegen musste. 1939 floh er nach England, wo er Berta Busse wieder traf. Sie heirateten 1941 in London.
Berta Bobath behandelte Patienten mit pflegerischer Gymnastik in verschiedenen Krankenhäusern. Ihre Behandlungen schlossen das bewusste Gefühl für Bewegung (das Spüren und die Kontrolle), die Persönlichkeit des Menschen und eine ganzheitliche Sichtweise mit ein. Sie behandelte Kinder und Erwachsene. 1950 bestand sie ihren Abschluss zur Physiotherapeutin. Sie beschäftigte sich mit den Fragestellungen: Wie geht Bewegung leicht? Wie kann ich andere Menschen in ihrer individuellen Bewegung begleiten?
Berta Bobath hat empirisch (also rein auf Erfahrung beruhend) festgestellt, dass sich „Spastik“ beeinflussen lässt. Sie hat sich nicht mit dem bestehenden Zustand bei einem Patienten nach einer Schussverletzung des Kopfes mit nachfolgender Hemiparese zufrieden gegeben. Sie hat dafür gesorgt, dass die betroffene Seite mit einbezogen wurde und nicht unmittelbar nach dem Ereignis kompensatorisch geübt und behandelt wurde. Dieses publizierte Berta Bobath zu einer Zeit, wo die Erkenntnisse über Neuroplastizität noch nicht vorlagen und eine Erklärung ermöglicht hätten. Ihre empirischen Aussagen wurden erst Jahre später durch neue Erkenntnisse untermauert.
Neurowissenschaftlich ging man Anfang der 30er Jahre davon aus, dass das zentrale Nervensystem hierarchisch aufgebaut ist. Der Kortex des Großhirns steuert alle untergeordneten Zentren wie das Zwischenhirn, das Mittelhirn, das Stammhirn und das Kleinhirn. Gibt es also eine Störung im Kortex, so erhalten die „unteren“ Zentren keine Befehle mehr und können aus diesem Grund nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen. Aus diesen Vorstellungen heraus haben sich Gedanken und therapeutische Ansätze entwickelt. Spastik wurde als Reflex gesehen und entsprechend waren reflexhemmende Lagerungen und Behandlungen Interventionen, die dem zu entgegnen versuchten. Aus dieser Zeit heraus haben sich die Lagerungen in „reflexhemmenden“ Positionen entwickelt, die nicht nur während der Therapiezeit, sondern auch in Ruhezeiten ihre Anwendung fanden.
Diese Form der Behandlung war von Berta Bobath nie gelehrt und schon gar nicht gewollt. Der Wissenstand zu diesem Zeitpunkt bezog sich auf Reflexhemmung, aber niemals auf eine starre Methode, Menschen in eine Position zu bringen und sie dort zu halten. Sie hat immer Wert darauf gelegt, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen und ihn in die Therapie mit einzubeziehen.
Die Neurowissenschaft hat sich in den folgenden Jahren schnell weiterentwickelt und so kamen mit neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge des Gehirns auch neue therapeutische Ansätze dazu. Das Gehirn als kommunizierendes System (Systemmodell) zu verstehen, eröffnete vollkommen neue Herangehensweisen und ermöglichte mehr Behandlungsansätze. Dennoch blieben und bleibt das Grundkonzept des Bobath-Konzepts bestehen. Muskeltonus, insbesondere Haltungstonus lässt sich beeinflussen und über die Kenntnisse der normalen Bewegung lassen sich Handlungsabläufe durch eine Förderung der Körperwahrnehmung wieder erlernen.
Berta Bobath eröffnete gemeinsam mit ihrem Mann 1951 ein Zentrum für Kinder mit zentralen Bewegungsstörungen. Dort behandelten sie Kinder mit zum Teil sehr schweren Behinderungen. Sie schaffte es, die hohen Tonusverhältnisse zu verändern, sodass diese Kinder von ihren Eltern leichter gepflegt werden konnten oder sie z. B. durch einen verbesserten Sitz aktiver am Leben teilnehmen konnten. Berta Bobath bildete zusätzlich Physiotherapeuten in ihrem Konzept aus. Ihr erster Ausbildungsgang startete mit sechs Therapeuten.
Während der Fortbildungen und Vorträge, die Karel und Berta Bobath in den folgenden Jahren beinahe weltweit hielten, wurde an Berta Bobath immer wieder die gleiche Frage gerichtet: „Woran erkennen Sie, ob das, was Sie tun, das Richtige ist?“ Darauf antwortete sie: „Ob das, was Sie tun, das Richtige für den Patienten ist, zeigt die Reaktion des Patienten auf das, was Sie tun.“
Schon zu diesem Zeitpunkt stand die Reaktion des Patienten, die Antwort des Individuums mit all seinen biografischen Daten im Vordergrund. Fast spielerisch hat Berta Bobath Menschen in Bewegung gebracht.
1.1.1 Das Bobath-Konzept in der Diskussion
Die Förderung der mehr betroffenen Seite stand so sehr im Vordergrund, dass einige Schüler von Berta Bobath daraus leider Dogmen erschufen. Es gab Verbote, der Patient durfte sich nicht mit der besseren Seite helfen oder wurde in seinem Bewegungsdrang gebremst, weil er noch kompensatorische Komponenten aufwies.
Diese Fehlinterpretationen hängen dem Konzept noch heute negativ an. Von Kritikern werden alte Beispiele herangezogen, statt...