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Je älter desto besser

AutorDr. Beatrice Wagner, Prof. Dr. Ernst Pöppel
VerlagGräfe und Unzer Autorenverlag, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783833824333
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Das Älterwerden hat in unserer Kultur kein gutes Image. Zu Unrecht. Denn das Alter hält positive Überraschungen bereit, besonders was die Entwicklung des Gehirns betrifft. Es arbeitet mit zunehmendem Alter immer besser. Man muss es nur richtig verstehen und bedienen. Wie das funktioniert, präsentieren die Autoren in zehn überraschenden Thesen. Jede These beruht auf einem Forschungsbereich von Prof. Ernst Pöppel. Sie zeigt Funktionsweisen des Gehirns, die der Hirnforscher selbst entdeckt hat. Kennt man diese Funktionsweisen, kann man richtig mit ihnen umgehen. Denn erst dann kommen seine Stärken richtig zum Vorschein. So wird das Altern zu einer Bereicherung für das eigene Leben. Bei aller Wissenschaft ist das Buch spannend und persönlich gehalten. Lebendig und fesselnd beschreibt die Mitautorin Dr. Beatrice Wagner, wie der geniale Hirnforscher zu seinen Erkenntnissen kam. Kleine Übungen führen den Leser dann zu eigenen Erfahrungen und dem richtigen Umgang mit dem eigenen Gehirn.

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Leseprobe

Ich werde älter und entdecke die Gegenwart


Augustinus schrieb vor 1600 Jahren, dass es nur die Gegenwart gibt; Vergangenheit sind Erinnerungen. Zukunft sind Erwartungen. Und tatsächlich: Die moderne Hirnforschung hat festgestellt, dass das menschliche Gehirn ein Zeitfenster der Gegenwart von etwa drei Sekunden Dauer bereithält. Diese zeitliche Bühne kann im Alter trainiert werden, um die Konzentrationsfähigkeit zu erhalten.

Forschung I – Die Entdeckung des Gegenwartsfensters


»Genial!« – Fast andächtig sagte Pöppel dieses Wort, klappte das Heft zu. »Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung« war nach »Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen« der zweite Text von Konrad Lorenz, den er nun gelesen hatte. Oder besser verschlungen. Es ging im ersten Buch um die Instinkte von Tieren, mit denen sich die Verhaltensforscher Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen in den 1930er-Jahren beschäftigt hatten. Das hatte Pöppel auch schon gut gefallen. Aber kein Vergleich zu dem, was er jetzt gelesen hatte. In den »möglichen Erfahrungen« gab Konrad Lorenz Einblick in die natürlichen Grundlagen dessen, was den Menschen ausmacht. So sind wir einerseits kulturell eingebettet, haben Regeln des Umgangs miteinander erworben. Aber andererseits gehört zu uns auch ein angeborenes Repertoire an Verhaltensweisen. ›Das heißt doch, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielen kann, wie das so gerne gemacht wird‹, dachte sich Pöppel. ›Das Prägungslernen, das Lorenz bei seinen Beobachtungen mit Tieren entdeckt hat, kann dann bedeuten, dass beim Menschen die genetischen Programme durch kulturelle Erfahrung bestätigt werden; in dem Augenblick kann man nicht mehr zwischen Umwelt und Anlage unterscheiden. Unser Verhalten ist notwendigerweise beides.‹ Während Pöppel sich diese Gedanken zu den Werken von Konrad Lorenz machte, wurde der für ihn zur Idealfigur eines Wissenschaftlers.

Von Freiburg nach Seewiesen


›Forschen bei Konrad Lorenz. Das wäre das Richtige. Aber ist das nicht zu gewagt?‹ Pöppel wusste nicht so recht, wie es weitergehen sollte. Er studierte nun Psychologie und Biologie in Freiburg. Aber das Studium war einfach langweilig geworden. »Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren.« Es war 1964, und die Studenten begannen sich über die Weltfremdheit ihres Studiums zu beschweren. Dann hatte er diesen Aufsatz von Konrad Lorenz gelesen. ›Bei diesem Mann ein Praktikum zu machen und vielleicht sogar ein paar Monate an der Forschung teilzunehmen, das bringt doch viel mehr, als sich weiter in die engen, staubigen Hörsäle zu zwängen‹, dachte er sich. Und bevor ihn der Mut verließ, setzte er sich in sein Auto, einen VW Käfer, und fuhr nach München. Nicht weit davon entfernt lag in Seewiesen an dem kleinen Eßsee das Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie, wo sich Konrad Lorenz mit den Graugänsen und mit der Psyche von Tieren beschäftigte, was ihm den Namen »Einstein der Tierseele« eingebracht hatte.

›Ich fahre da jetzt hin, er wird schon ein paar Minuten für mich Zeit haben, und dann weiß ich ja, ob er mich nimmt oder nicht. Am Abend bin ich wieder zurück in Freiburg.‹ So lautete der Plan. Nur damit hatte Pöppel nicht gerechnet: dass der Forscher gar nicht in Seewiesen war. Konrad Lorenz nahm ausgerechnet an diesem Tag in Wien eine Auszeichnung entgegen. Was tun? Da fiel Pöppel ein, dass an diesem Institut noch jemand anderes tätig war, jemand, der ebenfalls interessante Experimente machte. Es war Jürgen Aschoff, der Begründer der modernen Chronobiologie, der Menschen für einige Wochen von der Welt isolierte, um deren innere Uhr und den Tagesrhythmus zu verstehen. Und so bat Pöppel – mit Erfolg – Jürgen Aschoff um eine Praktikumsstelle, brach sein Studium ab und zog als Jungforscher in den Süden von München.

Pöppels Forschungsthema in einem Stapel Papier


Was er nicht ahnte: Diese Entscheidung legte den Grundstein für ein Forschungsthema, das ihn sein Leben lang begleiten würde. Pöppel entwickelte in seiner neuen Umgebung nämlich ein Konzept von der Gegenwart und dem Umgang mit ihr. Dieses Konzept konnte er über Jahrzehnte hinweg beständig um neue Aspekte und Nuancen bereichern. Und schlussendlich würde das Gegenwartskonzept ihm im Alter sogar dabei helfen, seine Konzentrationsfähigkeit zu behalten und weiter auszubauen. Aber damit diese Entwicklung in Gang kam, musste erst noch ein weiteres Mal der Zufall ins Spiel kommen.

Dieser ereignete sich im Studierzimmer von Jürgen Aschoff. Der Chronobiologe hatte schon die ganze Zeit, seit Pöppel ihn das erste Mal besucht hatte, auf seinem Schreibtisch einen hohen Stapel von Papieren liegen. Diese Papiere waren ziemlich verstaubt und vergilbt. Nun kam dem Forscher die pragmatische Idee, jemand anderem die Verantwortung für den Stapel zu übertragen, und er bat Pöppel, sich darum zu kümmern. Pöppel schaute mit einem skeptischen Blick auf den Stoß Papier. ›Das ist ja fast wie an der Uni‹, dachte er.

Gelangweilt blätterte er die Papiere durch. Es ging um die Zeit, die Zeitwahrnehmung und ob bestimmte Drogen diese verändern. Plötzlich fiel ihm etwas auf. Die Zeitwahrnehmung wurde immer auf reichlich merkwürdige Art und Weise gemessen. Zum Beispiel sollte ein Proband immer wenn er meinte, dass zehn Sekunden vorbei wären, einen Knopf drücken. Oder es wurde ihm eine Zeitstrecke vorgegeben, also etwa ein Ton oder ein Lichtsignal mit einer Länge von mehreren Sekunden; dann wurde er gefragt, wie lang diese Signale denn gedauert hätten. Das heißt, der Proband musste sein Zeitempfinden in Worte fassen. Diese Messungen wurden bei verschiedenen Probandengruppen durchgeführt, wobei den einen zuvor Drogen verabreicht worden waren, den anderen nicht. Aber war das wirklich die richtige Methode, um erlebte Zeit zu messen?

»Ich möchte die Zeitwahrnehmung anders messen, Herr Aschoff«, sagte Pöppel. Er hatte den Stapel relativ flott gesichtet, sich dann aber viele Gedanken zur Zeitwahrnehmung gemacht. Diese stellte er nun, ein paar Wochen später, den Mitarbeitern des gesamten Instituts, inklusive Konrad Lorenz und Jürgen Aschoff, vor. Unter Konrad Lorenz war es üblich, dass sich alle Mitarbeiter des Instituts für Verhaltensphysiologie an einem festen Tag in der Woche zusammensetzten und über Projekte und Ergebnisse diskutierten. Diese Mittwochskolloquien bedeuteten für denjenigen, der seine Ideen vorstellte, Stunden höchster Anspannung. Jede gedankliche Nachlässigkeit kam dabei zutage. Vor allem Jürgen Aschoff schonte seine jungen Mitarbeiter nicht. Auch Konrad Lorenz war außerordentlich kritisch, doch er fand auch immer etwas Positives, das einen ermunterte, weiterzumachen.

Pöppel misst die innere Zeit


Und nun stand Pöppel vor den Wissenschaftlern. »In den Verfahren, die in der Literatur beschrieben werden, ist immer die Sprache im Spiel. Doch wenn wir etwas erleben, dann denken wir nicht in Sekunden oder Minuten. Wir erleben es einfach. Erst hinterher stellen wir uns die Frage, wie lange etwas gedauert hat. Könnte es nicht sein, dass wir eine innere Zeit haben?« – Jürgen Aschoff sprang Pöppel erst einmal bei. Schließlich arbeitete auch er gerade an der Frage, wie sich die biologische Uhr verhält. »Eine Art innere Zeit oder biologische Uhr haben wir ganz sicher. Zum Beispiel schwingt sich unsere Körpertemperatur stets gegen Abend auf den höchsten Wert hoch und sinkt am frühen Morgen auf den niedrigsten Wert.« – Doch Konrad Lorenz hakte nach: »Wie willst du die Zeitwahrnehmung messen, Pöppel, wenn nicht mithilfe der Sprache?« Lorenz duzte seine Mitarbeiter grundsätzlich, auf eine nette, väterliche Art. Aber das hieß nicht, dass man ihn zurückduzen durfte. Auf diese Idee kam aber ohnehin niemand, auch Pöppel nicht. »Zum Beispiel, Herr Lorenz, indem ich ein Tonsignal eine Zeit lang abspiele oder ein Lichtsignal in einer bestimmten Dauer zeige. Anschließend bitte ich den Probanden, das Signal in der gleichen Dauer zu wiederholen. Dann muss er das nicht erst in Sprache übersetzen, sondern kann auf derselben Ebene bleiben.« – »Mhm.« Konrad Lorenz dachte aber offenbar nicht daran, den jungen Kollegen schon zu erlösen. Er schwieg und schaute Pöppel einfach nur mit einem intensiven Blick an. Der schwitzte schon seit geraumer Zeit. Eigentlich hatte er nur die herkömmliche Methode zur Messung der Zeitwahrnehmung kritisieren wollen. Dass man seine Worte so ernst nahm und wirklich auf die Goldwaage legte, das war er nicht gewohnt. Vielleicht sollte er den Versuch weiter erläutern, um Zeit zu gewinnen? »Eine andere Möglichkeit besteht darin, dem Probanden zwei Zeitstrecken vorzugeben, wieder mit Licht oder Ton, und ihn dann zu fragen, welche länger dauerte oder ob sie gleich lang waren. Der Proband muss die beiden Zeitstrecken also einfach vom Empfinden her vergleichen und muss nicht deren Länge in eine sprachlich ausgedrückte Länge umrechnen.« – »Und was ist deine Arbeitshypothese hinter dem Versuch?« Lorenz ließ nicht locker. – »Dass es eine innere und eine äußere Zeit gibt. Denn schließlich erleben wir die Zeit, auch wenn wir nicht auf die Uhr schauen.« – Volltreffer! Denn Lorenz nickte und begann schließlich zu sprechen: »Ja, das gefällt mir. Und du arbeitest schon an dem Versuch, wie ich gehört habe?« In der Stimme des Institutsleiters schwang etwas Wohlwollendes mit. Puh! Jetzt hatte Pöppel gewonnen. »Ja, unser Feinmechaniker baut die Maschine schon auf, die ich skizziert habe. Sie gibt Töne und Lichtsignale von sich, deren Dauer ich bestimmen kann«, erklärte Pöppel. »Es gibt eine Stoppuhr, um die Dauer der Signale zu messen. Der Proband bekommt einen Ton...

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