VORWORT
Jugendliche sind immer eine Schlagzeile wert: als coole Lifestyle-Kids, als hippe Technologie-Trendsetter oder als pragmatische Karrieristen. Und auch die anderen Bilder, die die öffentliche Jugenddebatte bestimmen, kennen wir alle nur zu gut: Komasäufer, die der Notarztwagen Samstagabend aus der Disco abholt, Sport verweigernde Fettsäcke, die ihr Faible für Computerspiele nicht im Griff haben und den lieben langen Tag nichts anderes tun als zu „daddeln“, Sprayer, die Privateigentum mit Graffiti verschandeln, „Style Victims“, die den angesagtesten Markenklamotten hinterherrennen, und, nicht zu vergessen, die üblen „Fascho-Jungs“, die alles Fremde hassen und rechte Ideologen umschwirren wie die Motten das Licht. Wenn es um die Jugend geht, ist es offenbar sexy, auf dem Klavier der Skandalisierungen zu spielen. Der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, ist im Gegensatz dazu geradezu beklemmend. Dann nämlich steht man plötzlich Auge in Auge mit den „Kindern der Krise“.
Jugendliche leben an einer Bruchkante von Altem und Neuem. Das war schon immer so. Und doch ist die Sache heute in gewisser Weise sehr speziell. Im frühen 21. Jahrhundert scheint die Gesellschaft an einem Wendepunkt angekommen: Wachstumsdenken und Fortschrittsideologien, die uns im 20. Jahrhundert zu Wohlstand verhalfen, funktionieren nicht mehr. Deregulierte Finanzmärkte haben die Wirtschaft und die Politik in Turbulenzen gebracht. Der Wohlfahrtsstaat ist im Umbruch. Gewohnte Sicherheiten beginnen zu bröckeln. Detroit ist im Konkurs. Griechenland steht vor der Pleite. Spanien beklagt die „generación cero“ (Generation Null): eine Jugend, die trotz Motivation und guter Ausbildung kaum Aussichten auf einen guten und sicheren Vollzeitjob hat. Im krisengeschüttelten Süden Europas explodiert die Jugendarbeitslosigkeit. Und im vergleichsweise stabilen Mitteleuropa schränkt „Otto Normalverbraucher“ seine Konsumausgaben ein. Nicht einmal Schlussverkäufe kommen mehr richtig in Schwung, meldet der Fernsehsender ORF (ZIB vom 21.7.2013). Die Krise schlägt auch hierzulande auf den Konsum des Durchschnittsbürgers durch. Kurz gesagt: Die Bruchkante, an der die heutige Jugend steht, ist ungewohnt scharf. Und die Gefahr, dass sie sich daran verletzt, wächst.
Als „Kinder der Krise“ sind junge Menschen wahrlich in keiner einfachen Situation: Alles ist möglich, nichts ist fix. Sicherheiten gibt es wenige, dafür hohes Risiko. Der gesellschaftlichen Zukunft blickt die Jugend daher großteils pessimistisch entgegen. Wie es weitergehen soll, weiß sie nicht. Wirtschafts-, Banken-, Finanzmarkt-, Euro- und Schuldenkrisen drohen uns den Boden, auf dem sich sichere Existenzen gründen lassen, unter den Füßen wegzuziehen. Viele fragen sich: Wie kann es dazu kommen? Was kann man dagegen tun? Aber auch: Was bedeutet das für mich und meine Zukunft? In Österreich stellt die Bevölkerung staunenden Auges fest, dass Bundesländer und Gemeinden jahrelang riskante Spekulationsgeschäfte tätigten und dabei, angeblich ohne dass das irgendjemand bemerkte, riesige Summen an Steuergeldern verzockten, wofür nun der Steuerzahler und die Steuerzahlerin aufkommen müssen. In Deutschland nehmen Betriebe spanische Jugendliche, die in ihrer Heimat kaum Jobchancen haben, als Azubis auf (Hecking 2013: 24). Und in Griechenland tragen sich immer mehr junge Menschen mit dem Gedanken auszuwandern, weil Perspektiven fehlen. „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht“, so hieß es in den 1980ern im vielleicht populärsten deutschsprachigen Katastrophenlied der Band Geier Sturzflug (Schneider 2007: 221). Heute ist der Song vergessen. Doch die Botschaft trifft – unter veränderten Vorzeichen – plötzlich wieder voll den Nerv der Zeit. Was morgen kommen wird, ist unvorhersehbar. Nur eines ist klar: Das Alte ist obsolet geworden, und das Neue eher beängstigend.
Viele reden heute über die Krise. In Alltagsgesprächen wird das Wort „Krise“ dabei meist mit einer schwierigen Situation gleichgesetzt. In direkter Ableitung vom griechischen Wort „krísis“ steht Krise hingegen für eine „entscheidende Wendung“. Das beschreibt die aktuelle Situation vermutlich um einiges besser. Ein wenig scheint es so, als würde sich die Gesellschaft an einer Weggabelung befinden. Politische Konzepte, die sich in der Lösung der Probleme des 20. Jahrhunderts bewährt haben, taugen nicht mehr. Wer schlecht qualifiziert ist, hat in der neuen Arbeitswelt keine Chance. Und auch wer imponierende Abschlüsse vorweisen kann, hat auf einen attraktiven Fixplatz keine Garantie. Das ist die Welt, in der die heutige Jugend aufwächst. Strukturwandel und Krise haben sich in ihre Grundstimmung tief eingeschrieben. Zwar merkt man das dieser Generation auf den ersten Blick gar nicht an, denn sie spielt nicht den „Blues“. Und doch schlägt beides auf ihre Mentalität durch und prägt ihr Denken, Fühlen und Handeln. Als „Kinder der Krise“ lernen Jugendliche heute beispielsweise früh, dass es besser ist, nicht langfristig zu planen, da es meist ohnehin anders kommt, als man es sich erhofft. Und sie lernen auch, dass man in Zeiten wie diesen leichter lebt, wenn man strikte Prinzipien über Bord wirft und sich nicht festlegt, sondern Optionen offen hält. „Einfach einmal schauen, was geht“, das ist das Motto dieser Generation. Grundsätzlich für alles Mögliche offen sein, ist ihre Überlebensstrategie. Ein wenig träumen, wie es sein könnte, wenn es anders wäre, als es ist, ist dabei erlaubt. Aber sonst gilt: Nur nicht zu viel nachdenken, das macht lediglich trübselig.
Generell entwickeln Jugendliche ihre Lebensperspektiven nahe am persönlichen Alltag. Fragt man sie, was ihnen besonders wichtig ist, kommen immer die gleichen Antworten: Familie, Freunde, genügend Freizeit, eine solide Ausbildung, später einmal ein guter Job, der als sichere Existenzgrundlage und Garant für einen akzeptablen Lebensstandard dient. Die Wünsche der Jugend sind im Grunde einfach, doch lassen sie sich nicht immer so ohne weiteres realisieren. Das will zwar niemand wirklich wahrhaben. Eine vage Ahnung haben die Jugendlichen aber doch. Und so ziehen sie die Konsequenzen, und zwar auf ihre eigene Art und Weise. Während auf der großen gesellschaftlichen Bühne der Ernst des Lebens spielt, igeln sie sich in der kleinen Welt des Privaten ein. Dort suchen und finden sie Geborgenheit, aber auch Spaß und Vergessen. Ein harmonisches Familienleben, gute Freunde und eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Liebesbeziehung sind für sie wie ein „Airbag“, der vieles abfedert. Das ist ein wertvolles Gut, wenn die Zeiten härter werden und das Drohgespenst einer unkalkulierbaren Zukunft scheinbar ungebremst auf die Menschen einprallt. Und je trister der Alltag, desto wichtiger wird es, dass man in der Freizeit richtig Gas geben und Ablenkung finden kann. Auf Teilzeit in die bunten Freizeitwelten und populären Jugendkulturen abzutauchen, kuriert zwar nicht die Krankheit, aber lindert immerhin die Symptome.
In der Altersgruppe der Sechzehn- bis Neunzehnjährigen fühlen sich, wie deutsche und österreichische Jugendstudien in Übereinstimmung zeigen, drei Viertel der Jugendlichen jugendkulturellen Szenen zugehörig. Mit speziellen Themen aus den Bereichen der populären Musik, des Fun- und Freestyle-Sports und der „Neuen Medien“, seien es Computer- und Konsolenspiele oder Web 2.0, grenzen sie sich von der Welt der Erwachsenen ab. Vor allem diejenigen, die für sich kaum Chancen sehen, als „Helden der Arbeit“ zu Ehren zu kommen, konzentrieren ihre Energien darauf, „Helden des Konsums“ zu sein. In die Fußstapfen der älteren Generation zu treten, findet generell kaum einer verlockend. Und schnell erwachsen werden wollen auch nur wenige. Jugendliche gehen lieber ihre eigenen Wege und suchen nach dem „eigenen Ding“. Dass es dabei gelegentlich auch ein wenig widersprüchlich zugeht, fällt nicht einmal auf. In der oberen Mittelschicht träumen die Jungen beispielsweise davon, eine eigene kleine Familie zu haben, und doch werden, wenn der statistische Trend anhält, sie es sein, die seltener als andere und wenn überhaupt, dann erst in eher fortgeschrittenem Alter Familien gründen. Oder um zwei weitere Beispiel zu nennen: Die breite Mehrheit wünscht sich einen Beruf, der Spaß macht, hat allerdings oft schon Probleme, zumindest einen halbwegs adäquaten Job zu finden. Und: Die heutige Jugend ist toleranter gegenüber Schwulen als die Jugend früher, doch psychisch Kranken begegnen viele distanziert. Sie meiden den Kontakt, so als wären Menschen mit psychischen Problemen ansteckend, und ignorieren dabei, dass Depressionen und Burnout als neue Volkskrankheiten die Herz-Kreislauferkrankungen mittlerweile überholen. „Früher war nicht alles besser, aber es war alles anders“, sagt DJ Steve Bug (FAZEmag 8/2012: 19). Damit hat er zweifelsohne recht.
Die Lebensphase „Jugend“ markiert heute eine ausgedehnte Zeit des Übergangs. Sie beginnt irgendwann mit elf, zwölf oder dreizehn Jahren, wenn Kids für sich selbst beschließen, ab sofort kein Kind mehr, sondern Jugendlicher zu...