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E-Book

Sokrates trifft Jesus

AutorPeter Kreeft
VerlagMedia Maria Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783945401491
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Was würde geschehen, wenn Sokrates plötzlich auf dem Gelände einer der großen Universitäten erscheinen und sich in Theologie einschreiben würde? Was würde er über den menschlichen Fortschritt denken? Wie würde er auf unsere Werte reagieren? Auf unsere Kultur? Und was würde er über Jesus denken? Peter Kreeft, ein christlicher Philosoph und seit langer Zeit ein Bewunderer des historischen Sokrates, stellt sich das Ergebnis vor: Sokrates trifft auf Professoren und Studenten an der Theologischen Fakultät und setzt sich mit ihnen auseinander. Entstanden ist eine überraschende und provokative Darstellung der Vernunft auf der Suche nach der Wahrheit.

Peter Kreeft, ein christlicher Philosoph und seit langer Zeit ein Bewunderer des historischen Sokrates, stellt sich das Ergebnis vor: Sokrates trifft auf Professoren und Studenten an der Theologischen Fakultät und setzt sich mit ihnen auseinander. Entstanden ist eine überraschende und provokative Darstellung der Vernunft auf der Suche nach der Wahrheit.

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Leseprobe

1. Kapitel:
Vom Schierlingsbecher zur Have It University

Im Jahr 1987 liegt Sokrates, mit seinem griechischen Alltagsgewand (Philosophenrobe) angekleidet und mit einem Bettlaken vollständig bedeckt, auf einer Stein- oder Marmorplatte mit unbestimmtem Verwendungszweck in einem großen Kellerraum der Broadener Library4 an der Have It University, einem berühmten Studienzentrum in Camp Rich, Massachusetts. Das Betttuch bewegt sich. Langsam, zögernd hebt Sokrates einen Zipfel, späht hervor, blinzelt mit fragendem Blick.

Sokrates: Phaidon! Phaidon! Bist du noch da? Ich glaube, der Schierling hat nicht so gewirkt, wie er sollte. (Er bewegt seine Beine, blickt auf sie, richtet sich vorsichtig auf, streckt seine Arme.) Tatsächlich, ich fühle mich lebendiger denn je. (Er wirft das Betttuch weg.) Oder … könnte es sein, dass ich … (schaut erwartungsvoll umher). Wo bin ich? Kriton? Phaidon? Simmias? Cebes? Meine Freunde, meine Freunde. (Er hält inne und blickt auf.) Apollon? (Längere Pause. Verharrt regungslos. Blickt abwärts auf sein Herz, zittert.) Namenloser?

Flanagan: (stürzt mit einem Besen herein) Hier, da! Was ist das für ein Rummel und Gequassel? (sieht Sokrates) Ach! Entschuldigen Sie, mein Herr. Ich hab’ nicht gewusst, dass der Theaterclub hier probt. Wer sind Sie eigentlich?

Sokrates: Diese Frage zu lösen, war zeitlebens mein Bemühen.

Flanagan: Hä? War? Haben Sie den Verstand verloren? Denken Sie, dass Sie tot waren?

Sokrates: (ausnahmsweise in Verlegenheit) Ich … um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht recht. (Besinnt sich wieder.) Ich habe immer gedacht und gelehrt, das wahre Selbst sei die Seele, und die Seele sei unsterblich, und daher sei das Ich – das wahre Ich – unsterblich. Aber ich dachte, mein Leib sei gerade hingerichtet worden. Ich trank den ganzen Schierlingsbecher. Der Gefängniswärter wollte mich nicht einmal einen Tropfen als Gabe für die Götter opfern lassen. Er sagte, es sei alles genauestens abgemessen.

Flanagan: Unter uns gesagt, Sie spielen Ihre Rolle ziemlich gut. Ist das die Generalprobe?

Sokrates: Hmmm … Als eines der letzten Dinge, bevor ich das Gift nahm, lehrte ich meine Freunde, dass für einen wahren Philosophen das Leben die Generalprobe für den Tod sei. »Die Philosophie richtig zu betreiben bedeutet, das Sterben zu üben«, sagte ich zu ihnen. Aber ich dachte, meine Premiere sei bereits vorüber. Doch da bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher. Die bekannte Geschichte – ich erfahre wieder einmal, dass meine sicherste Sicherheit darin besteht, zu lernen, dass ich nicht sicher bin. Scheinbar lernen wir die Lektion Nummer eins nie. Aber … wo bin ich eigentlich? Es sieht hier nicht nach der Insel der Seligen aus, zumindest nicht so, wie ich es erwartet hatte. Allerdings ich habe ja gelernt, gegenüber allen Erwartungen und Vorurteilen, vor allem meinen eigenen, misstrauisch zu sein und Überraschungen willkommen zu heißen, das Unerwartete zu erwarten. (Er schaut durch die offene Tür.) Was sehe ich da? Bücher?

Flanagan: Natürlich. Hier gibt es fünfhunderttausend davon.

Sokrates: (blickt ungläubig umher) Fünfhunderttausend Bücher? Oh … vielleicht ist hier doch die Insel der Seligen. Aber wo sind ihre Autoren? Mit einem Buch kann ich mich ja nicht unterhalten. Es gibt immer die gleiche Antwort, egal was man es fragt. Einige der Autoren haben doch sicher auch die Inseln der Seligen erreicht. Ist Homer hier? Seit Jahren habe ich mich drauf gefreut, ihm ein paar Hundert kleine Fragen zu stellen wegen seiner Götter …

Flanagan: Aha, ich verstehe. Sie spielen immer noch Ihre Rolle. In Ordnung, mein Freund, ich spiele mit. Haben Sie ein paar Zeilen für mich zum Mitlesen? Oder ist es ad libitum, wie man hier sagt?

Sokrates: Jetzt bin ich doppelt verwirrt – erstens, weil ich Ihre Frage nicht verstehe, und zweitens, weil ich Ihre barbarische Sprache sehr wohl verstehe, obwohl sie nicht meine attische Muttersprache ist und ich sie nie gelernt habe. Vielleicht ist das ja die Anamnese. Ich hatte ja gelehrt, Lernen sei in Wirklichkeit ein Erinnern, aber ich hatte nicht gedacht, dass auch Fremdsprachen mit eingeschlossen seien, sondern nur zeitlose universale Wahrheiten. Hmmm … (Er denkt zehn Sekunden lang nach, schüttelt verwirrt seinen Kopf, wendet sich wieder an Flanagan.) Und Sie? Sie sehen auch nicht wie ein Gott aus oder wie ein seliger Geist. Aber nochmals, ich muss lernen, überrascht zu sein. Wie heißen Sie? Und noch wichtiger, zu welcher Spezies gehören Sie?

Flanagan: Ich heiße Flanagan und ich bin hier der Hausmeister. Und ich bin weder ein Gott noch ein Geist, außer wenn ein heißblütiger Iro-Schotte zu den seligen Geistern gehört – dann sogar doppelt selig. Aber Sie sind doch das Rätsel, Mann, nicht ich. Für einen Studenten sehen Sie zu alt aus, außer wenn die Leute in der Maske ein Meisterwerk vollbracht hätten.

Sokrates: Oh, nein. Man ist nie zu alt, um Student zu sein.

Flanagan: Sind Sie also hier immatrikuliert?

Sokrates: Hier? Bitte, was heißt hier?

Flanagan: Wie? Hier ist die Have It natürlich.

Sokrates: Have was? Wollen Sie mir etwas anbieten?

Flanagan: Nein, nein. Hier ist die Have It University in Camp Rich, Massachusetts, das Herz der akademischen Welt.

Sokrates: Akademische Welt! Mein Schüler Platon hatte grandiose Pläne für etwas, das er seine »Akademie« nannte, im Garten des Akademos. Und das ist daraus geworden? Diese … (macht eine große Geste)?

Flanagan: Ja, so könnte man es nennen.

Sokrates: Was geht hier vor? Ist hier das Zentrum des idealen Staates?

Flanagan: Nein! Hier ist nur die Broadener Library. Die Bücher sind dafür vorgesehen, euren Horizont zu erweitern. Obwohl ich immer sage, dass dieses ganze Lernen aus kleinen Verrückten große Verrückte macht. Aber wissen Sie wirklich nicht, wo Sie sind? Leiden Sie unter Gedächtnisschwund?

Sokrates: Nur in dem Sinne, wie wir alle darunter leiden: Vergesslichkeit, tatsächlich das Vergessen darüber, wer wir wirklich sind.

Flanagan: Aha, verstehe. Sie gehören hierher, alles klar. Zu all diesen Verrückten. Ein Philosoph, richtig?

Sokrates: Ja, das bin ich. Ein Liebhaber der Weisheit.

Flanagan: Sie spielen eben jetzt Ihre Rolle, oder?

Sokrates: Ich meine es ganz ernst. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, bevor ich an diesem Ort hier aufwachte, war der Gifttrank und das Warten auf den Tod. Aber Sie sind nicht der Tod, oder doch?

Flanagan: Ist der Tod ein Hausmeister?

Sokrates: Viele meiner Mitmenschen dachten, er sei ein Fährmann.

Flanagan: Aber warum haben Sie Gift getrunken?

Sokrates: Oh, ich versichere Ihnen, es war kein Selbstmord. Ich wurde hingerichtet.

Flanagan: Jetzt hingerichtet! Und von wem denn, bitte?

Sokrates: Natürlich vom Rat der Fünfhundert. Die Hand des Gefängniswärters, die mir den Becher gab, war nicht blutrünstiger als meine eigene. Beide haben dem Volkswillen entsprochen. Diese dämlichen Demokraten glaubten, dass »die Stimme des Volkes die Stimme Gottes sei«. Ich hoffe sehr, dass ihr diesen Aberglauben hier inzwischen überwunden habt, wo auch immer wir hier sind.

Flanagan: Ich hab’ Ihnen eben erklärt, wo wir hier sind. Und fangen Sie nun nicht an, über die Demokraten herzuziehen. Nach Ihren Kleidern zu schließen sehen Sie nicht so reich aus, um ein Republikaner zu sein.

Sokrates: Ich verstehe das Ganze nicht. Dieser Ort ist keine Gefängniszelle und Sie sind kein Athener. Wurde ich in der letzten Minute doch von meinen Freunden ins Exil weggezaubert? Ich habe doch Kriton dringend gebeten, dies nicht zu tun. Welches fremde Land ist Cabbage5 Massachusetts?

Flanagan: Wenn Sie das wirklich ernst meinen, müssen Sie einen Albtraum gehabt haben und jetzt sind Sie mit einem Gedächtnisverlust aufgewacht.

Sokrates: (ratlos, nachdenklich) Ich habe mir oft überlegt, das Leben mit einem Traum zu vergleichen, weil der Tod mir immer als ein Erwachen erschien. Aber das Leben schien mir immer wirklicher als jeder Traum. Und genauso geht es mir auch jetzt.

Flanagan: Kennen Sie wenigstens noch Ihren Namen?

Sokrates: Natürlich. Ich heiße Sokrates.

Flanagan: Ja, ganz klar. Und ich heiße Einstein.

Sokrates: Das verstehe ich nicht. Ich dachte, Sie hätten gesagt, Sie würden Flanagan heißen?

Flanagan: (zur Seite) Verdammt, ich glaube, der Kerl ist wirklich verrückt! … (zu Sokrates) Lassen Sie uns versuchen, die Sache irgendwie zu Ende zu bringen. Haben Sie einen Ausweis bei sich?

Sokrates: In Athen war mein Gesicht Ausweis genug für...

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