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Die Geschichte der Oder-Neiße-Linie

'Westverschiebung' und 'Umsiedlung' - Kriegsziele der Alliierten oder Postulat polnischer Politik?

AutorMichael A. Hartenstein
VerlagLau-Verlag & Handel KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783957681300
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
In der Endphase des Zweiten Weltkrieges entstand die 'Oder-Neiße-Linie', die heutige deutsch-polnische Grenze. Folge der 'Verschiebung' der deutsch-polnischen Grenze nach Westen an Oder und Lausitzer Neiße waren Flucht und Vertreibung von etwa 10 Millionen Deutschen. Das vorliegende Buch von Michael Hartenstein beschäftigt sich im wesentlichen mit folgenden Fragen: Wie kam es zur Oder-Neiße-Linie? Wer wollte diese Grenze seit wann und aus welchen Gründen? Wer hat die Oder-Neiße-Linie tatsächlich als Staatsgrenze durchgesetzt und verwirklicht? War im Grunde Hitler schuld an der Oder-Neiße-Grenze und damit an der Vertreibung der Ostdeutschen? Gab es je eine Möglichkeit der Revision dieser Grenze? War die neue deutsch-polnische Grenze als gemeinsamer Beschluss der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges eine Folge der Potsdamer Konferenz? Der Autor stellt die Geschichte der Oder-Neiße-Linie erstmals zusammengefaßt von ihrer Vorgeschichte im 19. Jahrhundert bis zur völkerrechtlichen Anerkennung im Jahr 1990 dar. Schwerpunkt des Buches sind die Jahre 1939 bis 1950. Hartenstein kommt zu einem fundierten und pointierten Ergebnis, das der derzeitigen 'offiziellen' Geschichtslesart in Deutschland und Polen nicht gerade entspricht: Die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens verbunden mit der 'Umsiedlung' war keine Polen bei der Potsdamer Konferenz verordnete alliierte Lösung eines Grenzproblems, sondern die energisch betriebene Verwirklichung von lange bestehenden und öffentlich formulierten Zielen des polnischen Nationalismus. Der von Deutschland verlorene Zweite Weltkrieg öffnete mit Hilfe der Sowjetunion der Verwirklichung dieser polnischen Ziele ab Jahresbeginn 1945 Tür und Tor.

Dr. Michael Hartenstein, Jahrgang 1964, studierte als Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung Geschichte, Historische Geographie und Staatsrecht in Bonn und promovierte über nationalsozialistische Raum-, Siedlungs- und Landschaftsplanung im Osten. Hartenstein lebt und arbeitet heute in Österreich.

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Leseprobe

Vorwort


Von Deutschland wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs etwa ein Viertel seines Staatsgebietes innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937, mithin also des Staatsgebietes der vormaligen „Weimarer Republik“, abgetrennt. Neue deutsch-polnische Grenze wurde eine willkürliche Linie an Oder und Lausitzer Neiße.

Das Thema „Oder-Neiße-Grenze“ scheint heute, zumal nach den deutsch-polnischen Verträgen der Jahre 1990/91, uninteressant geworden zu sein. Weite Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland können sachlich oder emotional mit diesem Thema heute kaum noch etwas anfangen. Nach den politischen Umbrüchen in den sechziger und siebziger Jahren in Westdeutschland, der daraufhin dort folgenden weitgehenden Ausblendung der Thematik im Geschichtsunterricht sowie nach der jahrzehntelangen Tabuisierung der Problematik in der DDR assoziieren viele Deutsche mit den Begriffen Oder-Neiße, Pommern, Schlesien oder Ostpreußen diffus allenfalls etwas „Ewiggestriges“ bzw. „Heimattümelei“ – oder wittern gar immer noch „Revanchismus“. Für andere heutige Deutsche liegen Breslau, Stettin, Danzig, die Marienburg, Masuren, das Riesengebirge schlicht in „Polen“, ohne daß sie wissen, daß diese und andere Stätten jahrhundertelang von Deutschen bewohnt waren und zu Deutschland gehört haben. Die einseitige historische Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland und die damit einhergehende notorische Geschichtsvergessenheit konnte, wie in Gesprächen manchmal festzustellen ist, sogar dazu führen, daß es heute Deutsche (darunter sogar Nachfahren von Ostvertriebenen) gibt, die ernsthaft glauben, die alten Ostgebiete Deutschlands seien 1939 von Hitler erobert worden – und 1945 mußten diese Gebiete nach solcher Auffassung eben gerechterweise wieder zurückgegeben werden. Die früher angewandte polnische Propagandaformel von den „wiedergewonnenen Gebieten“ mag dazu das Ihrige auch bei den Deutschen von heute beigetragen haben. Die verbreitete Tabuisierung, die in der deutschen Öffentlichkeit über den endgültigen Verlust der deutschen Ostgebiete nach wie vor vorherrscht, gehört wohl mit zu den eigenartigsten Phänomenen in der Bundesrepublik Deutschland. Daran haben auch Fernsehserien über die Vertreibung oder Günter Grass’ Buch „Im Krebsgang“ sowie die Diskussion um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ wenig geändert.

Entsprechend unbekannt sind heute in Deutschland (und übrigens auch in Polen!) die Umstände und Abläufe, die 1945 dazu führten, daß diese Grenze entstehen konnte, sowie die Folgen dieser Grenzziehung.

Das vorliegende Buch soll eine übersichtliche geschichtswissenschaftliche Darstellung der Vorgänge sein, die zur Faktizität der heutigen deutsch-polnischen Grenze führten.

Die Zeit der konkreten Entstehung der „Oder-Neiße-Grenze“ fällt eigentlich in den Zeitraum des Zweiten Weltkrieges. In dessen Endphase führten die Alliierten USA, Großbritannien und Sowjetunion auf „Kriegskonferenzen“ in Teheran, Jalta und Potsdam von 1943 bis 1945 intensive Verhandlungen zum Thema polnische Nachkriegsgrenzen, in die direkt und indirekt auch die polnische Exilregierung bzw. die von Moskau unterstützte kommunistische polnische Regierung einbezogen waren.

Die Entstehungsgeschichte der Oder-Neiße-Linie als Grenze war mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch noch nicht abgeschlossen, da es auch noch eine lange Geschichte der völkerrechtlichen Anerkennung dieser Grenze gab. Auch existierte ein polnischer „Drang nach Westen“ nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg, eine Tatsache, die bisher nicht genügend Aufmerksamkeit seitens der Historiographie erhalten hat.

In diesem Buch wird demzufolge die Geschichte der Oder-Neiße-Linie von ihrer „Vorgeschichte“ in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrer endgültigen völkerrechtlichen Anerkennung 1990/92 im Zuge der „abschließenden Regelung in bezug auf Deutschland“ erstmals in diesem Umfang zusammenfassend dargestellt. Ein eindeutiger Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei in der Zeit der schon erwähnten „Kriegskonferenzen“ von Teheran, Jalta und Potsdam, in der für die neue deutsch-polnische Grenze die Entscheidungen getroffen und verwirklicht wurden. Ferner werden jedoch ausführlicher die für die Entstehung dieser Grenze wichtige, lange vor dem Zweiten Weltkrieg entstandene polnische Ideologie des „Westgedankens“ behandelt, sowie für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg westliche Revisionsvorstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Haltung zur Oder-Neiße-Linie in den direkt davon betroffenen Staaten sowie bei den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges.

Die grobe Zweiteilung der vorliegenden Darstellung in die Zeit einer reinen Entstehungsgeschichte und die Zeit der „Anerkennungsgeschichte“ der Oder-Neiße-Linie soll den sachlichen Unterschied zwischen einerseits der eigentlichen Entstehungsgeschichte der Grenzlinie vor allem in der Zeit der „Anti-Hitler-Koalition“ und andererseits dem späteren politischen und völkerrechtlichen „Oder-Neiße-Konflikt“ verdeutlichen. Der zeitliche Schnitt wurde dabei an der Zeit nach der Potsdamer Konferenz angelegt, da schon kurz nach dem Ende dieses interalliierten Gipfeltreffens das die Niederringung des „Dritten Reiches“ und damit auch die Oder-Neiße-Linie ermöglichende Zweckbündnis „Anti-Hitler-Koalition“ im beginnenden „Kalten Krieg“ zerbrach, nachdem seine Hauptaufgabe erfüllt war.

Dieses Buch will im wesentlichen folgende Fragen beantworten: Wie kam es zur Oder-Neiße-Linie? Wer wollte diese Grenze seit wann und aus welchen Gründen? Wer hat die Oder-Neiße-Linie tatsächlich als Staatsgrenze durchgesetzt und verwirklicht? War im Grunde Hitler schuld an der Oder-Neiße-Grenze und damit an der Vertreibung der Ostdeutschen? Gab es je eine Möglichkeit der Revision dieser Grenze? Welche Bedeutung für die Entstehung der Oder-Neiße-Linie hatte eigentlich die Konferenz von Potsdam, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa stattfand, wirklich? War die neue deutsch-polnische Grenze tatsächlich als gemeinsamer Beschluß der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges eine Folge der Potsdamer Konferenz?

Da das Problem der Entstehung der Oder-Neiße-Linie sehr umfangreich ist, mußte für die Beantwortung dieser Fragen im Rahmen eines bewußt kurz und lesbar gehaltenen Buches eine Beschränkung auf das Wesentliche und Exemplarische erfolgen. Es wurde versucht, konkrete Entscheidungen, die Schritte in die Richtung der neuen deutsch-polnischen Grenze erbrachten, im Rahmen der teils auseinanderlaufenden, teils deckungsgleichen übergeordneten Interessen der Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges darzustellen, da zwar die Polenfrage für die Alliierten ein zentrales Problem der Nachkriegsordnung war, die Grenzfrage demgegenüber jedoch eine vergleichsweise untergeordnete Bedeutung besaß, Entscheidungen oder Kompromisse in der Grenzfrage also immer in Zusammenhang mit für die Sieger übergeordneten Interessen gesehen werden müssen.

Zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie ist seit Ende der 1940er Jahre bis heute eine sehr große Zahl an relevanten Quellenveröffentlichungen, Erinnerungsliteratur und wissenschaftlichen Darstellungen erschienen. Es sei diesbezüglich auf die Fußnoten sowie auf das Quellen- und Literaturverzeichnis verwiesen, in welchem alle für die Erarbeitung dieses Buches berücksichtigten Titel aufgeführt sind.

Jede in diesem Buch getroffene Aussage wird durch einen oder mehrere Fundstellennachweise belegt, wodurch nicht nur eine Überprüfbarkeit, sondern auch der Anreiz zu weiterem Nachlesen gegeben werden soll.

Mehrere Kartenskizzen verdeutlichen das im Text Dargestellte.

Diese Untersuchung möchte über die reine Darstellung historischer Tatsachen hinaus auch eine Auseinandersetzung mit der schwierigen und tragischen deutsch-polnischen jüngeren Vergangenheit leisten. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist jedoch nur möglich, wenn man diese auch kennt. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die nichts ausspart, auch keine unbequemen Wahrheiten, ist darüber hinaus eine wichtige Voraussetzung dafür, daß eine zukunftsweisende deutsch-polnische Verständigung, die diesen Namen verdient, überhaupt stattfinden kann. Auch hier gelten die Worte Richard von Weizsäckers, der im Zusammenhang mit der Ermordung der Juden durch das NS-Regime am 8. Mai 1985 ausführte, „daß es Versöhnung ohne Erinnerung gar nicht geben kann“.1 Anschließen möchte ich mich an dieser Stelle auch den Worten des Historikers Michael Wolffsohn, der zum Volkstrauertag 1996 in der Frankfurter Paulskirche u. a. ausführte, daß man seelische Abwehrreaktionen erzeuge, „wenn aufgrund der verbrecherischen Nationalgeschichte des sogenannten ‚Dritten Reiches‘ das millionenfache individuelle Leid von Deutschen, zum Beispiel Flucht, Vertreibung oder der...

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