VORWORT ZUR NEUAUFLAGE 2014
Von Prof. Dr. Gerd Habermann
Dieses „politische“ Buch Friedrich August von Hayeks – 1940–1943 konzipiert, 1944 in England mit sofortigem überraschenden Erfolg (bis Mai 1945 60.000 verkaufte Exemplare) publiziert, ist, von Hayek kaum erwartet, zum zeitlosen liberalen Klassiker avanciert, obwohl der „heiße“ Sozialismus, gegen den Hayek sich im Besonderen wendet, sowohl in seiner rechten als auch (seit 1989) in seiner linken Variante untergegangen ist. Im nationalsozialistischen Fall militärisch überwunden, im anderen ohne großes Blutvergießen aus innerer Untauglichkeit implodiert (wie von Mises und Hayek schon Jahrzehnte vorher vorausgesagt). Das Buch war ursprünglich England und dort den „Sozialisten in allen Parteien“ gewidmet. Es ist erstaunlich, dass diese Botschaft eines emigrierten deutschsprachigen Ausländers bei den Engländern dermaßen zünden konnte. Dies lag wahrscheinlich daran, dass seine ökonomisch-strukturellen Analysen den Kern dessen ansprachen, was auch das reformerisch-interventionistische Projekt des bis heute überlebenden Wohlfahrtsstaates ausmacht, den Hayek (1971) mit einem berühmten Zitat Tocquevilles charakterisierte:
„Nachdem der Souverän auf diese Weise den einen nach dem anderen in seine mächtigen Hände genommen und nach seinem Gutdünken zurechtgeknetet hat, breitet er seine Arme über die Gesellschaft als Ganzes aus; er bedeckt ihre Oberfläche mit einem Netz verwickelter, äußerst genauer und einheitlicher kleiner Vorschriften, die die ursprünglichsten Geister und kräftigsten Seelen nicht zu durchbrechen vermögen, um sich über die Menge hinaus zu schwingen; er bricht ihren Willen nicht, aber er weicht ihn auf und beugt und lenkt ihn; er zwingt selten zu einem Tun, aber er wendet sich fortwährend dagegen, daß man etwas tue; er zerstört nicht, er hindert, daß etwas entstehe; er tyrannisiert nicht, er hemmt, er drückt nieder, er zermürbt, er löscht aus, er stumpft ab und schließlich bringt er jedes Volk so weit herunter, dass es nur noch eine Herde ängstlicher und arbeitsamer Tiere bildet, deren Hirte die Regierung ist.“
Es steht nach Hayek zu befürchten, dass der wohlfahrtsstaatliche Weg am Ende die individualistische Freiheit überwinden wird, vermutlich als nicht gewolltes Resultat vieler Einzelinterventionen, auch ohne großen zusammenhängenden Gesamtplan. In dieser Diagnose folgt er seinem großen Lehrer Ludwig von Mises. Die herrschenden Ideale des „inkonsequenten“ Wohlfahrtsstaates sind ja im Grunde dieselben wie in den untergegangenen Totalitarismen: Das Ideal der „sozialen Gerechtigkeit“ etwa oder auch der „Gleichheit der Anfangsbedingungen“ und jener „Freiheit von Not“, das, durch den Staat garantiert, alle Bürger in die Knechtschaft führen muss. Man kann eben „arm“ und doch „frei“ sein und umgekehrt gut versorgt, aber unfrei. So ist der kümmerlich dahinlebende Almbauer gleichwohl „frei“, denn er hat niemanden über sich, der ihn willkürlich herumkommandieren kann. Ein gutversorgter Soldat oder Plantagenarbeiter kann gleichwohl „unfrei“, dem willkürlichen Kommando anderer unterworfen sein.
„Der Weg zur Knechtschaft“ zeigt die Sackgassen zeitgenössischen wirtschafts- und sozialpolitischen Denkens und die Illusionen eines demokratischen oder „freiheitlichen“ Sozialismus auf. Wie Hayek schreibt, „bedeutet die Herrschaft über die Mittel auch die Herrschaft über alle unsere (auch nicht-ökonomischen) Ziele.“ Das Buch ist das Präludium zu jenem Weg aus der Knechtschaft, den Hayek dann in seiner fundamentalen „Verfassung der Freiheit“ (zuerst 1960) und schließlich in seiner großen liberalen Utopie „Recht, Gesetz und Freiheit“ (zuerst 1982) beschrieben hat, zwei Werken, die bis heute nicht annähernd die Popularität von „Der Weg zur Knechtschaft“ erreicht haben.
Damals fand diese Publikation auch Beifall bei jenen, die in wichtigen Punkten seiner Philosophie nicht folgen konnten. Der Sozialist George Orwell etwa, der sich zweifellos von Hayek zu seinem berühmten „1984“ inspirieren ließ, aber vor einer Rückkehr zum freien Wettbewerb warnte. Dann auch sein großer Gegenspieler John Maynard Keynes, dessen interventionistische Ideale auch in der gegenwärtigen Schuldenkrise wieder triumphieren, wenigstens vorläufig. Keynes schrieb damals an Hayek: „Sie werden nicht von mir erwarten, dass ich alle ökonomischen dicta akzeptiere. Aber moralisch und philosophisch befinde ich mich in Übereinstimmung mit praktisch allem darin; und nicht nur in Übereinstimmung damit, sondern in einer tief bewegten Übereinstimmung.“
Joseph A. Schumpeter, mehr als Theoretiker der wirtschaftlichen Entwicklung denn als Prognostiker des Kapitalismus anzuerkennen, hielt unter souveräner Ignorierung der Argumente von Mises und Hayek zwar den Triumph des „sozialistischen Gesamtplanes“ für unvermeidlich, fand aber gleichwohl anerkennende Worte für den „Weg zur Knechtschaft“: „… ein mutiges Buch: Offenheit, die Verschleierung verachtet und niemals ein Blatt vor den Mund nimmt, ist sein hervorstechendes Merkmal von Anfang bis zum Schluss. Schließlich ist es auch ein faires Buch, das den Gegnern so gut wie nie etwas zuschreibt, das über intellektuellen Irrtum hinausgeht.“
„Der Weg zur Knechtschaft“ fand den Beifall von Ordoliberalen wie Walter Eucken und Wilhelm Röpke, dessen Frau Eva die deutsche Übersetzung besorgte. Im besiegten und besetzten Deutschland selbst durfte das Buch – mit Rücksicht auf die verbündeten Sowjets – zunächst nicht erscheinen. Es nahm so den Umweg über die liberale Schweiz, die derzeit in mancher Hinsicht wieder einer belagerten Festung gleicht.
In den USA machte besonders eine popularisierende Kurzfassung des Buches im „Reader’s Digest“ Furore. Hier erschien es sogar als eine Folge von Cartoons. Hayek inspirierte den Wahlkampf des britischen Kriegspremiers Winston Churchill (1945). Aber dieser unterlag mit Hayeks Argumenten gegen die Wucht des Linkspopulisten Clement Attlee, der dann mit seinen sozialistischen Experimenten den Grund zum Abstieg Großbritanniens legte (während der Hayek-Freund Ludwig Erhard den ökonomischen Wiederaufstieg (West-)Deutschlands möglich machte).
Hayek inspirierte in den 1970er- und 1980er-Jahren auch neoliberale Reformer wie Ronald Reagan oder Margaret Thatcher. Der Empfang des Nobelpreises 1974, ironischerweise zusammen mit Gunnar Myrdal, belebte das Interesse an ihm auch in Deutschland wieder. Entsprechend wurde sein Buch wieder und wieder aufgelegt (1971, 1976, 1981 und öfter). Auf der Liste des amerikanischen Internetbuchvertriebs Amazon steht das Buch bis heute an der Spitze der Sachbuchtitel. Es ist bisher in zehn Sprachen übersetzt worden.
Das annus mirabilis 1989 schien den endgültigen Triumph der Ideen und Analysen der „Wiener Schule“ der Ökonomie von Mises und Hayek zu bringen. Indessen zeigte sich, dass zwar der „heiße“ Sozialismus am Ende war, aber der creeping socialism des wohlfahrtsstaatlichen Leviathans dessen Katastrophe überdauern konnte. Die Konsequenzen dieses unglückseligen Experiments wurden allenfalls von den Austrian Economists in den USA gezogen, wo Hayek und Mises bis heute bekannter und anerkannter sind als in Deutschland (Mises-Institut in Auburn/Alabama). Dagegen griffen im befreiten Osteuropa viele Intellektuelle und auch einige Politiker wie Vaclav Klaus gern und dankbar nach Hayeks Schriften, beginnend mit dem „Weg zur Knechtschaft“, ja, das Buch avancierte dort zu einem Kultbuch.
Derzeit ist die individualistische Freiheit überall wieder in der Defensive. Aber die durch ein falsches Geldsystem (staatliches Papiergeldmonopol) verursachte weltweite Schuldenkrise rüttelt doch zunehmend an den Festen wohlfahrtsstaatlichen Denkens. Nur eine Besinnung auf die Lehren der österreichischen Schule zeigt Auswege, die mit dem Ideal der Freiheit vereinbar sind. Schon 1977 schrieb Hayek vorausahnend sein Buch „Die Entnationalisierung des Geldes“, wo er sich für Freihandel auch in den Währungen einsetzte, um Krisen dieser Art in Zukunft zu erschweren. Aber dieses Buch blieb bis heute wenig rezipiert. Immerhin bediente sich eine kleine Gruppe um den MdB Frank Schäffler im deutschen Bundestag seiner Argumente. Freilich ist die FDP im September 2013 aus dem Bundestag ausgeschieden und wohlfahrtsstaatliche Ideale dominieren den Zeitgeist mehr denn je zuvor, von den egalitären Idealen der sogenannten Antidiskriminierungsgesetzgebung bis hin zur lebensfeindlichen Utopie einer „inklusiven Gesellschaft“.
So bleibt zu hoffen, dass mit der Wiederauflage von Hayeks Klassiker diese Gedanken in Deutschland erneut kraftvoll Fuß fassen, dabei unterstützt von der deutschen Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, die mit Veranstaltungen in über 50 überregionalen Clubs und mit diversen Weiterbildungsangeboten,...