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London. Eine Stadt in Biographien

MERIAN porträts

AutorMarina Bohlmann-Modersohn
VerlagMerian / Holiday, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783834215376
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
London. Eine Stadt in Biographien - Eine Stadt wird nicht nur von Gebäuden und Straßenzügen geprägt, die Identität von London entsteht erst mit den Geschichten seiner Bewohner. Denn was wäre die Stadt ohne Shakespeare Queen Victoria oder die Beatles? 20 ausgewählte Biographien zeichnen ein lebendiges, historisches wie auch aktuelles Bild der Stadt. Die Porträts werden durch Adressen ergänzt, die eine Stadterkundung auf den Spuren der porträtierten Personen ermöglichen. Dieser Band umfasst Porträts von: Henry VIII, Elizabeth I, William Shakespeare, Oliver Cromwell, Daniel Defoe, Georg Friedrich Händel, Horatio Nelson & Emma Hamilton, William Turner, George Gordon Noel Byron, Charles Dickens, Karl Marx, Queen Victoria, Oscar Wilde, Winston Churchill, Virginia Woolf, Agatha Christie, Alec Guinness, Elizabeth II, Mick Jagger und Alexander McQueen. Autorin: Marina Bohlmann-Modersohn

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Leseprobe

HENRY VIII


14911547

Wild entschlossen war er, dieser legendäre König, der die Macht so liebte. Er neigte zu radikalen Lösungen: bei seinem Streit mit dem Papst – und bei seinen Ehefrauen. Dabei floss stets sehr viel Blut.

Eigentlich hätten sich die Dinge ganz anders entwickeln sollen. Als im Juni 1491 Henry VII aus der Tudor-Dynastie die Geburt seines gleichnamigen zweiten Sohnes verkünden ließ, konnte niemand ahnen, dass der kleine Prinz einmal Englands König würde. Thronfolger war sein älterer Bruder, Prinz Arthur, aber der starb als 15-Jähriger kurz nach seiner Hochzeit mit der gleichaltrigen Prinzessin Katharina von Aragon im Jahr 1501. Und der jüngere Henry (Heinrich) wurde zum Thronerben ernannt.

In London gibt es eine kleine Kirche, St Margaret’s, die sich an die Nordseite der gewaltigen Westminster Abbey 45 ( ? F 5) schmiegt; die Pfarrkirche des britischen Parlaments besitzt im Osten ein spätgotisches Fenster aus flämischem Glas in vorwiegend leuchtendem Blau: Prinz Arthur und Katharina von Aragon bekamen es zu ihrer Verlobung.

Zurück zu Henry, neunter Prinz of Wales, der bei seiner Ernennung zum Thronfolger, also 1501, zehn Jahre alt ist. Ein temperamentvoller Knabe, geistig wach und voller Lebenslust. Latein, Französisch, Geschichte – das Lernen fällt ihm nicht schwer. Musik und Literatur interessieren ihn besonders, später wird er sogar Gedichte schreiben. Schritt für Schritt macht König Heinrich VII. seinen Sohn mit den künftigen Aufgaben als Souverän vertraut, und mit wem sich der Prinz einmal vermählen soll, steht auch bald fest.

Was läge näher, als die jung verwitwete Katharina zu wählen. Die anmutige Renaissanceprinzessin mit dem hüftlangen rotgoldenen Haar und dem weißen Teint ist wohlerzogen und liebenswürdig, von humanistischer Bildung und ein frommes Mädchen. Schwager und Schwägerin kennen sich, die beiden jungen Menschen verbindet ein herzliches Verhältnis. Das Wichtigste jedoch: Katharina ist Spanierin. Dem englischen Hof geht es bei dieser Heirat vor allem um ein Bündnis mit Spanien.

Am 11. Juni 1509 führt der 18-jährige Bräutigam die fünf Jahre ältere Braut, nur sechs Wochen nach dem Tod des alten Königs, zum Traualtar; beide werden kurz darauf in Westminster Abbey 45 ( ? F 5) gekrönt. Mit Musik, Tanz, Maskenspielen und Turnieren feiert der Hof das neue Herrscherpaar. Henry sitzt zu Pferde und präsentiert den Massen die beiden verschlungenen Initialen H und K, die seine Rüstung zieren, als Symbol seiner Liebe zu Katharina.

Die gewaltigen Panzer aus geschmiedetem Stahl sind noch erhalten und Teil der reichen Sammlung von Rüstungen und Waffen aus verschiedenen Epochen, die im Tower 43 ( ? K 4) zu sehen ist, genauer im White Tower, dem ältesten Teil und Herzstück der Trutzburg am Themseufer. Hier stehen sie alle aufgereiht, die englischen Könige. Heinrich VIII. ist nur einer von ihnen. Hoch zu Ross, das Haupt erhoben – kaum zu glauben, dass aus dem einst so ranken Regenten ein schwergewichtiger Kahlkopf wurde, ein herrschsüchtiger Monarch, der sinnlose Kriege mit Frankreich und Schottland führte und Englands Klöster plündern ließ.

Man kennt das wenig schmeichelhafte Antlitz des wohlgenährten Herrschers mit dem roten Bart aus seinen späteren Jahren von zahlreichen Porträts, die Hans Holbein d.J. (14971543) von ihm gemacht hat. Der Renaissancemaler, Sohn einer Augsburger Künstlerfamilie, war während seines London-Aufenthaltes an den englischen Hof gekommen. Heinrich VIII. ernannte Holbein schließlich zu seinem Hofmaler.

EINE EHE UNTER EINEM SCHLECHTEN STERN

Doch 1509 ist Henry noch ein junger, schöner Mann, und ganz England jubelt, als der Hof verkündet, dass Königin Katharina schwanger ist. Niemand zweifelt daran: Es wird ein gesunder Junge sein, die Tudor-Thronfolge ist damit gesichert!

Das im Januar 1510 geborene Kind ist eine Tochter und kommt tot zur Welt. Zum Glück erfreut das Herrscherpaar sein Volk schon bald mit der Verkündung einer erneuten Schwangerschaft. Am Neujahrstag 1511 wird der ersehnte Prinz geboren. Wieder haben Hof und Untertanen Grund zum Jubeln, und wieder ist der Kummer groß, als sich nur wenige Wochen später die Nachricht vom Tod des neugeborenen Prinzen verbreitet. 1513 gebiert Katharina abermals ein Kind, auch dieses, es soll ein Junge gewesen sein, wird eine Totgeburt, 1516 dann noch ein Mädchen, Mary Tudor.

Königin Katharina, inzwischen fast 40, trägt die Entwicklungen mit Fassung, aber ihre Kräfte drohen zu schwinden. Dass sie England nach 20-jähriger Ehe nun noch den ersehnten legitimen Erben schenken könnte, daran glauben weder sie noch ihr Mann.

Auf einem Maskenball verliebt sich der 35-jährige König in die zehn Jahre jüngere Hofdame der Königin, Anne Boleyn. Hans Holbein hat die junge Diplomatentochter gemalt, ihr Porträt hängt in der National Portrait Gallery 25 ( ? F 4): eine aparte Frau, gebildet, schlagfertig und von der Mode bis zur Lebensart vom französischen Hof geprägt, an dem sie ihre frühe Jugend verbrachte. Der Regent hätte sie liebend gern zur Mätresse. Anne Boleyn reicht diese Rolle nicht, sie gibt dem verliebten König zu verstehen, dass sie nur unter einer Bedingung auf seine Bewerbung eingehen könne: Er müsse sich scheiden lassen und sie zu seiner Königin machen.

Wie ist die Situation zu lösen? Ganz einfach: Henry lässt die Ehe mit der Frau seines verstorbenen Bruders rückwirkend für ungültig erklären. Mit der Begründung, sie sei gegen das göttliche Gebot geschlossen worden, wendet er sich mit der Bitte an Papst Clemens VII. in Rom, ihm die Einwilligung zur Scheidung zu geben. Das Kirchenoberhaupt lehnt ab; dennoch heiratet Heinrich VIII. heimlich Anne Boleyn am 25. Januar 1533. Seine Ehe mit Katharina von Aragon wird vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklärt, und am 7. September 1533 bringt Anne Boleyn ein Mädchen zur Welt, Elizabeth, die spätere Königin Elizabeth I.

Heinrich VIII. ist nun wild entschlossen, fortan auch in religiösen Fragen das letzte Wort zu haben: Im November 1534 lässt er sich mit dem »Act of Supremacy« durch das Parlament zum »höchsten Oberhaupt der Kirche von England auf Erden« machen. Die Trennung der englischen Kirche von Rom ist damit endgültig, die anglikanische oder »High Church« gegründet und der Weg frei für die protestantische Reformation in England.

Verfolgung und Todesstrafe drohen nun all denen, die dem König die Anerkennung als höchstes Kirchenoberhaupt verweigern. Heinrich sammelt für die Krone entschlossen alles, was sich an herrlichem Kirchengut raffen lässt, er schafft die Klöster ab, lässt Mönche enthaupten. Die Residenz der Erzbischöfe von York verwandelt er binnen Kurzem in seinen prächtigen Londoner Stadtpalast, den er Whitehall Palace ( ? F 4) nennt.

Whitehall fällt 200 Jahre später einem Feuer zum Opfer: »Whitehall restlos abgebrannt, nichts mehr übrig außer Mauern und Ruinen«, notiert Sir John Evelyn in seinem Tagebuch. Aber ein Gebäude ist stehen geblieben, das architektonisch bedeutende Bankettgebäude Banqueting House 6 ( ? F 4). Inigo Jones, der den venezianischen Baumeister Palladio bewunderte und die italienische Renaissance nach England brachte, hat es errichten lassen. Der 1622 vollendete Bau ist sein Meisterwerk. Sehenswert die lange Galerie im ersten Stock mit einem prachtvollen Deckengemälde des flämischen Malers Rubens. Bei dem Feuer in Whitehall muss auch das große Wandgemälde von Hans Holbein zerstört worden sein. Der Maler hatte darauf Heinrich VIII. in Lebensgröße dargestellt.

London, 19. Mai 1536: Im Innenhof des Tower 43 ( ? K 4) geht die 36-jährige Königin Anne die leicht ansteigende Rasenfläche, Tower Green, hoch zum Schafott. Wegen angeblichen Ehebruchs hat sich Heinrich VIII. von ihr getrennt und sie vor Gericht stellen lassen. Anne trägt einen Mantel aus Hermelin, darunter ein Gewand aus dunkelgrauem Damast und einen karmesinroten Unterrock. Eine Kappe aus weißem Leinen hält ihr Haar zusammen.

Sie kniet nieder und betet, ein Lächeln auf den Lippen, wie es ein Zeitzeuge beobachtet haben will, für den König, »den besten, edelsten und mildesten Fürsten, den es gibt« und wünscht ihrem Volk: »Und möge er lange über euch regieren.« Man...

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