I.
Wer bin ich, und wie reagiere ich?
Wir möchten vorweg klarstellen, an welche Leser wir bei diesem Buch gedacht haben. Wir wenden uns besonders an die folgenden drei Gruppen:
- Leser, die etwas von Transaktionsanalyse gehört haben und genauer erfahren wollen, worum es sich dabei eigentlich handelt.
- Leser, die erwägen, an sich zu arbeiten und sich darüber informieren möchten, welche der verschiedenen psychologischen Methoden für sie geeignet ist.
- Leser, die seelisch weiterwachsen wollen und entschlossen sind, sich zu ändern. Menschen, die vorankommen wollen, äußerlich und innerlich. Und wir wollen zeigen, wie solche Änderungen möglich, sinnvoll und dauerhaft sind.
Ehe wir im Einzelnen auf die psychologischen Zusammenhänge eingehen, von denen dieses Buch handelt, wollen wir einige Grundüberzeugungen festhalten, die sich als fruchtbar erwiesen haben in unserer Arbeit und in unserem Leben überhaupt.
1. Jeder Mensch kann sich ändern.
Wir Menschen sind Lebewesen, das heißt, wir wachsen, entfalten uns und vergehen. Körperliches Wachstum ist ständige Erneuerung und ständige Veränderung. Auch seelisches Wachstum ist stete Veränderung. Veränderung ist das Natürlichste der Welt; leben heißt sich ändern.
2. Ich kann mich nicht beliebig ändern.
Wachstum kann man nicht machen, aber man kann es fördern und steuern. Man kann die Lebenskräfte anregen, zur Entfaltung bringen und üben, die von Natur aus angelegt sind, mögen sie im bisherigen Wachstum verkümmert oder ausgebildet worden sein. Das geht nicht in jeder beliebigen Richtung. Um zu ermessen, wie ich einmal sein könnte, muss ich erst sehen, wer ich bin. Wer sich für seine Persönlichkeitsentwicklung utopische Ziele setzt, schafft sich unweigerlich Misserfolge. Wenn du wirklich der werden willst, der du werden kannst, dann heißt der erste Schritt: Nimm dich, wie du bist.
3. Ich kann den Mitmenschen nicht ändern.
Wo ich mich geändert habe in der Art und Weise, wie ich die Welt erlebe und auf Geschehnisse reagiere, da habe eben ich mich geändert und nicht jemand anders. Und was ich für mich in Anspruch nehme, muss ich billigerweise auch dem anderen einräumen. Wenn nur ich selbst Änderungen bei mir herbeiführen kann und nicht ein anderer Mensch, dann kann ich eben auch den anderen nicht ändern.
Die Erkenntnis, dass ich den Mitmenschen nicht ändern kann, ist für Eltern, Erzieher und Vorgesetzte besonders wichtig. Wer sie sich zu eigen macht, kann seine Energien auf sinnvollere Ziele richten als auf den vergeblichen Versuch, das Kind, den Schüler oder Mitarbeiter umzukrempeln oder ihn »so zu kneten, wie ich ihn haben will«. Er wird sich auch die Selbstvorwürfe ersparen, wenn er feststellen muss, dass er damit scheitert. Natürlich kann und wird er den anderen beeinflussen. Er wird Mitverantwortung übernehmen für die Leistung des anderen, nicht für sein Wesen. Umso mehr kann er Verantwortung dafür übernehmen, wie er selbst ist, denkt, fühlt, auftritt. Ich kann den Mitmenschen nicht ändern, aber ich kann mich selbst ändern – wenn ich wirklich will.
Die TA befasst sich damit, wie wir uns und die Welt erleben, wie wir reagieren und wozu. Sie stützt sich auf wissenschaftliche Beobachtung und hält sich an das, was nachprüfbar ist. Soweit uns die tieferen Zusammenhänge unserer Existenz überhaupt zugänglich sind, erklärt sie klipp und klar, wie wir empfinden, denken und handeln und wieso. Sie zeigt uns, wie wir miteinander umgehen und warum.
Es wird unterschieden zwischen drei verschiedenen Energiezentren, drei unterschiedlichen Anteilen, aus denen heraus wir aufnehmen und reagieren, denken und handeln und die wir als Persönlichkeitselemente oder Ich-Zustände bezeichnen. Welches sind nun diese Persönlichkeitselemente, und wie entstehen sie?
Wir veranschaulichen uns die Grundzüge der drei Elemente durch ein paar typische Szenen, die wir alle erlebt haben, und prägen sie uns mit einfachen Schlüsselwörtern ein.
1. Szene:
Ein Kind in der Wiege. Es weint, hat Angst, schreit, wirkt hilflos, verlassen und angsterfüllt. Das steht für eine Urerfahrung, die keinem Menschen erspart bleibt, das Erlebnis von Einengung und Schmerz, das durch das Schlüsselwort Leiden ausgedrückt wird. In der Tat ist »Leiden« in den verschiedensten Formen eine Reaktionsweise, die aus dem »kindhaften Element« in uns hervorgeht. »Kindhaft« soll nicht besagen, dass solche Erlebnismöglichkeiten auf die Kindheit beschränkt sind, sondern dass sie in ihrer Art eher kindhaft, also unreflektiert, emotional und »natürlich« sind. Das kindhafte Element ist im Erwachsenen genauso wirksam wie beim Kleinkind und noch im Greisenalter höchst lebendig.
2. Szene:
Kinder im Sandkasten. Da ist Leben! Voller Neugier probieren die Kleinen allerhand aus. Sie sind recht egozentrisch, sind ganz mit sich selbst beschäftigt oder gehen jeweils zu zweit so in ihrem Spiel auf, dass sie überhaupt nicht merken, was um sie herum vorgeht. Dabei sind sie weder rücksichtsvoll noch verschämt, laufen ungeniert nackt herum und wirken bisweilen hemmungs- oder gefühllos. Das Schlüsselwort für die Szene heißt Spielen, und »Spielen« zieht sich in allen möglichen Ausprägungen durch unser ganzes Leben. Allerdings erlauben wir uns später oft nicht, Spielen noch beim Namen zu nennen, und geben uns dem Spiel höchstens etwas versteckt oder verschämt hin oder brauchen Rechtfertigungen für die natürlichsten Impulse. Oder wir merken gar nicht, wie wir uns ins Spielen vertiefen, und »erwischen« uns dann dabei und kommen uns gleich »kindisch« vor. Wir würden besser sagen »kindhaft«, denn in solchen Augenblicken leben wir eben ganz im kindhaften Element.
3. Szene:
Kinder unter dem Weihnachtsbaum. Wen ergreift nicht die Seligkeit in den Gesichtern, wenn sie ihre Geschenke auspacken! Und wie sie sich freuen: Sie klatschen in die Hände, springen und jauchzen und zeigen, was sie so beglückt. Sie sind spontan, fröhlich und ganz frei, wie sie so von innen heraus ihr Glück genießen. In der Tat wollen wir Genießen festhalten als Schlüsselwort für diese Seelenverfassung. Auch »Genießen« ist etwas, das uns durch das ganze Leben hindurch immer wieder erfüllt, sei es das schöne Genießen von Sinnenfreuden, von Formen, Farben, Klängen, über Gaumenreize bis hin zu den wonnigsten sexuellen Erlebnissen, oder das Auskosten inneren Glücks von der Begeisterung über erreichte Erfolge, vom Hochgefühl der Selbstverwirklichung bis hin zur Seligkeit des Einklangs mit einem anderen Menschen.
Mütter, Psychologen und Ärzte haben beobachtet, dass das kindhafte Element im Menschen im Grunde gar nicht »entsteht«, sondern schon bei der Geburt vorhanden ist, jedenfalls lange bevor der Mensch anfängt zu sprechen und sein Seelenleben in Gedanken und Worte zu fassen. Der Einfachheit halber werden in den Darstellungen der Transaktionsanalyse die Bezeichnungen für die Persönlichkeitselemente oft abgekürzt. Statt immer vom »kindhaften Element« zu reden, sprechen wir vom »K-Element« oder einfach vom »K«. Das K ist also der Anteil unserer Gesamtperson, in dem sich elementare Wünsche, Bedürfnisse und vor allem Gefühle ausdrücken. Es wird beherrscht von Bedrückung und Schmerz, oder von Neugier und Spannung, oder aber von Freude und Übermut. Wenn der Mensch von solchen Impulsen, Empfindungen oder Stimmungen erfüllt ist, so besagt das, dass bei ihm das K-Element, »die Führung übernommen« hat.
Das Kleinkind kann gewiss leicht Tadel und Ermahnungen der Eltern als bedrückende Zurückweisung erleben, so gut sie auch gemeint sein mögen. Wenn es das oft so erlebt, kann sich im kindlichen Gemüt die Ansicht bilden und verfestigen, irgendwas sei mit ihm selbst letztlich nicht in Ordnung. Wenn ein solches (am Anfang wohl eher vages) Gefühl nicht durch spätere Erlebnisse und Einsichten korrigiert wird, kann daraus eine Art Grundeinstellung werden: »Mit mir stimmt was nicht«, die dann ein Leben lang weite Bereiche des Erlebens und Verhaltens insgeheim prägt.
Fazit
Aus dem K-Element kommen
- Einengung, Angst und Trotz,
- Wissensdrang, Abenteuerlust und Kreativität,
- Spontaneität, Hochgefühl und Begeisterung.
Diese drei Seiten fassen wir in die Schlüsselwörter Leiden, Spielen, Genießen.
4. Szene:
In der Schule geht es um Wissen, um Information. Lehrer geben ein Wissen weiter, das die anderen noch nicht haben. Das erste Schlüsselwort für das »lehrhafte Element« oder L-Element heißt also Wissen.
5. Szene:
Wenn Kinder Räuber und Gendarm spielen, erleben sie, wie man Anordnungen durchsetzt, Verbote erlässt und Strafen verhängt. Ordnung muss sein!
Jeder hat seine Wertvorstellung in sich und kann gar nicht verstehen, wie andere dagegen verstoßen können. Das Schlüsselwort für diese Einstellung heißt Werten, und wie im Kinderspiel, so wird auch im Erwachsenenleben das »Werten« sehr rasch zum »Abwerten«.
6. Szene:
Eine Weise, für jemanden da zu sein, ist, wenn beispielsweise die Mutter ihr Neugeborenes im Arm hält und liebevoll hegt, nährt, umsorgt und pflegt. Das Schlüsselwort, das sich hierfür anbietet, heißt Wiegen. Ein Mensch in dieser Verfassung will für den anderen da sein, ihn umsorgen und pflegen, fürsorglich schützend und hingebungsvoll.
Wir haben...