Juni
Von meiner Landung im spanischen Immobilienboom
Die Zeit war gekommen. Ich war reif, nach Europa zurückzukehren. Der Gedanke hatte sich irgendwann in mein Hirn eingeschlichen und dort festgesetzt. Ich begann, immer konkretere Pläne zu schmieden. Irgendwann musste dann nur noch das Glück mitspielen.
Und es spielte mit. Als ich dem Auslandschef meiner Zeitung sagte, ich wolle zurück nach Europa, ob es da nicht einen Job für mich gäbe, reagierte er prompt: Wie wäre es mit Spanien?
Spanien. Na klar. Da kamen längst vergessene Träume hoch. Als pubertierende Jugendliche hatte ich im kleinen Feriendomizil meiner Eltern in dem touristischen Städtchen Javea an der spanischen Levante-Küste nachts auf meinem Bett am Fenster gesessen, den Beats der fernen Discos unten in der Stadt gelauscht und von einem selbstbestimmten, sonnendurchfluteten Leben in Spanien geträumt. Nun sollte es also Wahrheit werden.
Eine kleine Hürde blieb noch: Ich musste meinen langjährigen Freund, einen argentinischen Querflötisten und Musiklehrer, davon überzeugen, dass es ein guter Zeitpunkt sei, um auf den alten Kontinent, meinen Kontinent, überzusiedeln – immerhin in ein Land, wo seine Sprache gesprochen wird, in seine „madre patria“, die „Mutter-Heimat“, wie die Spanier sich als ehemalige Kolonialherren euphemistisch gegenüber Südamerika beschreiben.
Zwar sind die Argentinier ähnlich heimatverbunden wie die Spanier, wie ich später feststellen sollte. Doch ich hatte gute Argumente auf meiner Seite: Nach sieben Jahren in Argentinien war eine Veränderung fällig. Und mit meinem Job in Spanien würde ich erst mal uns beide ernähren können.
Wir versuchen es, so lautete schließlich die Abmachung. Ein Jahr lang. Wenn es uns nach einem Jahr nicht gefällt, dann geht es entweder wieder nach Argentinien oder zurück nach Deutschland. Insgeheim war ich natürlich entschlossen, Europa nicht so bald wieder zu verlassen. Aber ich ließ die Dinge auf mich zukommen.
Meine spanische Freundin und Kollegin Carmen sagte mir sogleich ihre tatkräftige Unterstützung zu. Carmen ist Südamerika-Korrespondentin für die spanische Zeitung ABC, eine konservative und sehr monarchiefreundliche Zeitung, die selbst angesichts welterschütternder Ereignisse imstande ist, ihr Blatt mit einem großen Foto des Kronprinzen Felipe und seiner Frau Letizia aufzumachen, wie sie gerade ihre Tochter in den Kindergarten bringen.
Dank Carmen und ihrer Familie erfuhr ich nun zum ersten Mal am eigenen Leib, wie ungeheuer selbstlos und hilfsbereit die Spanier sein können, wenn es drauf ankommt. Meine Freundin ließ es sich nicht nehmen, zu Alejandros und meiner kurzfristig noch in Buenos Aires anberaumten Hochzeit eine kleine Feier auszurichten. Da Alejandro nun meinetwegen den Schritt weg von seiner Heimat nach Europa machen wollte, war es uns nur logisch erschienen, vorher noch zu heiraten. Nur für Eheringe reichte die Zeit nicht mehr. Das, so nahmen wir uns vor, würden wir nachholen, sobald wir uns in Madrid richtig eingelebt hatten. Die von Carmen in der Wohnung einer anderen Kollegin organisierte wunderschöne Hochzeitsfeier, zu der sie Alejandros Familie und unsere besten Freunde eingeladen hatte, fand dann zwei Wochen vor unserer Abreise nach Spanien statt und war zugleich eine Art Abschiedsfest.
Zuvor schon hatte Carmen außerdem ihre in Madrid residierende Mutter Julia eingeschaltet, eine ungeheuer energische, effiziente und intelligente Achtzigjährige, die ich nur einmal flüchtig bei einem ihrer Besuche in Buenos Aires kennengelernt hatte. Carmen erzählte ihrer Mamá, dass ich im Juli nach Madrid umsiedeln würde und dort vor allem erst einmal eine Wohnung bräuchte.
Kurze Zeit später bekam ich eine E-Mail von Julia. Welche Vorstellungen ich denn in Bezug auf Preis und Größe des Domizils hätte. Ich bräuchte drei Zimmer, antwortete ich ihr, da mein Mann und ich beide zu Hause arbeiten würden und wir dies unmöglich im selben Raum tun könnten. Außerdem ein gemeinsames Wohnzimmer. Mein Hund Lola, eine argentinische Straßenmischung, sollte natürlich in der Wohnung willkommen sein und im Übrigen einen Park zum Auslauf in der Nähe haben.
Dann müsse ich im Norden Madrids wohnen, und sicherlich wolle ich für die heißen Madrider Sommermonate ein Schwimmbad in meiner Wohnsiedlung haben, kam sogleich die Antwort. Nun ja, wenn denn das in Madrid zur Standardausstattung gehört, dann wollte ich selbstverständlich ein Schwimmbad.
Um es kurz zu machen: Julia fand genau zwei Angebote für mich, die sie auch sogleich höchstpersönlich in Augenschein nahm. Eines der Objekte liege an einer lauten Ausfallstraße, schrieb sie mir. Die andere Wohnung, eine Dreizimmerwohnung im Vorort Alcobendas, sei dagegen sehr schön, Fotos anbei.
Die Fotos zeigten eine Neubauwohnung, Parkettfußboden, drei Bäder. Die Spanier sparen niemals an Bädern in ihren Behausungen, eine durchaus nachahmenswerte Gewohnheit, finde ich. Ein Balkon war auch dabei. Draußen im gemeinschaftlichen Garten dieser etwa achtzig Parteien umfassenden Siedlung das Schwimmbad, sehr einladend. Sogar ein kleines Gym gab es da. Direkt gegenüber war eine S-Bahn-Station, von der aus man in einer Viertelstunde ins Zentrum fahren konnte. Die U-Bahn hatte ich in fünf Gehminuten Entfernung. Was wollte ich mehr. Zumindest die ersten heißen Monate wären wir dort sicher gut aufgehoben.
Alcobendas, wohin ich also nun ziehen würde, ist auch die Heimat der Schauspielerin Penelope Cruz, so recherchierte ich. „I grew up in a place called Alcobendas, where this was not a very realistic dream“, stammelte eine emotionsgeladene Penelope, nachdem sie für ihre Rolle im Woody-Allen-Film „Vicky Cristina Barcelona“ gerade einen Oscar bekommen hatte. In ihrer Heimatstadt Alcobendas sei sie als junges Mädchen nachts aufgeblieben, um die Oscar-Verleihungen im Fernsehen anzusehen.
Penelopes Vater, so erfuhr ich später, war sogar mein direkter Nachbar. Er wohnte direkt in der „Urbanización“, wie die Spanier die überall aus dem Boden geschossenen kleinen Wohnsiedlungen mit gemeinsamer Gartenanlage nennen, neben meiner.
Als ich vom Flughafen mit dem Taxi in meine neue, aus der Ferne mit Julias Hilfe angemietete Wohnung fuhr, wurde mir doch etwas mulmig. Von der vierspurigen Ringautobahn M-40 ging es direkt in ein Neubauviertel, wo eine Urbanización sich an die nächste reihte, alles ein einheitlicher, backsteinfarbener Brei. Ich war mitten im spanischen Immobilienboom gelandet. Der war zwar zum Glück vorbei, doch hier zeigten sich seine Auswüchse in all seiner Fantasielosigkeit. Nur ein winzig kleiner alter Stadtkern ist von Alcobendas und dem Nachbardorf San Sebastian de los Reyes geblieben, die mittlerweile durch die neuen Urbanizaciónes zu einer größeren Vorstadt verschmolzen sind. Für Penelope Cruz musste es ein Riesenschritt von hier zu Almodóvar und Woody Allen gewesen sein. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann Javier Bardem und ihren beiden kleinen Kindern übrigens wieder in Madrid, und zwar in Valdelagua, noch weiter auswärts in Richtung Norden von Alcobendas aus.
Hätten sie es so richtig luxuriös haben wollen, hätten sie auch in die Moraleja ziehen können, eines der teuersten Wohngebiete Madrids ganz am Rand von Alcobendas, an dem unser Taxi auf dem Weg vom Flughafen vorbeibrauste. Die Lage direkt an der Kreuzung zwischen der Autobahn A-1 Richtung Norden und der äußeren Ringstraße M-40 war für die Bewohner mit ihren großen SUVs besonders praktisch. In La Moraleja hatte etwa der Fußballer David Beckham während seiner Jahre bei Real Madrid gewohnt. Ein Viertel mit schmalen Straßen, gesäumt von imposanten Villen und hohen Zäunen, an denen gigantische Überwachungskameras klebten. Die schmalen Bürgersteige waren leer, wurden allenfalls von Dienstmädchen in Uniformen benutzt, die den Hund der Herrschaft spazieren führten oder nach einem langen Arbeitstag zum Bus liefen, um anderthalb bis zwei Stunden in den Süden, ans andere Ende der Stadt zu fahren, wo sie eine kleine Behausung mit ihrer Familie oder mit anderen Dienstmädchen teilten.
Die Gegend, in der ich wohnen würde, entpuppte sich als ein typisches Mittelstandswohngebiet. Meine Wohnung war Teil eines gesichtslosen Backsteingebildes, das sich von den umliegenden Gebäuden auf den ersten Blick kaum unterschied.
Der Hausmeister Pedro sollte mir die von Julia deponierten Schlüssel überreichen. Ich suchte auf dem Klingelbrett vergeblich nach einem Schild, auf dem „Portero“, Hausmeister, stand. Weit gefehlt. Überhaupt gibt es in Madrid keine Namensschilder an den Türen. Es gibt nur eine Tastatur wie bei einem Bankautomaten, in den man den Code der Wohnung eingeben musste. Wenn man ihn denn hätte.
Da ich keinen Code hatte, versuchte ich stattdessen, durch eine Glaswand neben der Haustür zu spähen, konnte aber nicht viel erkennen und winkte einfach mal wild, dass mir doch jemand aufmachen solle. Nach einer Weile öffnete sich tatsächlich die Tür. Ein wackerer Mittfünfziger mit Kugelbäuchlein und einem etwas indignierten Gesichtsausdruck schaute mich an. „Hallo, ich suche Pedro“, sagte ich. „Ich bin Pedro“, entgegnete Pedro und schaute mich weiter starr an. „Ich bin Anne, ich werde hier einziehen, Julia hat Schlüssel für mich bei Ihnen hinterlegt“, sagte ich und setzte mein strahlendstes Lächeln auf. Denn eines hatte ich schon in Argentinien gelernt: Mit dem Portero muss man sich immer gut stellen. Das ist lebenswichtig.
Bei Pedro aber perlte meine Charmeoffensive ab wie das Wasser an der Seife. „Pues venga, dann kommen Sie mal mit“, sagte er und schritt voran. Pedro ist ein häufig aufzufindender Prototyp in Madrid. Wortkarg, das absolute...