Charlotte Corday
»Das Ziel heiligt die Mittel« –
Die Frau, die den Revolutionär Marat in der Badewanne erstach
Die Einzelgängerin
Zu denjenigen Frauen, deren Namen untrennbar mit der Französischen Revolution verbunden sind, gehört zweifelsohne auch Marie Anne Charlotte Corday d’Armont, die als Charlotte Corday in die Geschichte eingegangen ist. Daher soll sie auch hier so genannt werden, obwohl sie eigentlich Marie gerufen wurde und so auch ihre Briefe unterzeichnete.
Nahezu jeder kennt wohl das berühmte Bild des Malers Jacques-Louis David, auf dem der ermordete Jean-Paul Marat über den Badewannenrand hängend dargestellt wird, Papier und Feder noch in der Hand haltend. Seine Mörderin hingegen, eine junge Frau von knapp 25 Jahren, ist immer ein wenig konturlos geblieben und hat es nie geschafft, als strahlender Racheengel in die Geschichte einzugehen oder gleich einer alttestamentarischen Judith gar zum Mythos zu werden. Ganz im Gegensatz zu einigen ihrer Zeitgenossinnen war Charlotte Corday eine nach außen hin völlig unauffällige Erscheinung, die bis zu ihrer spektakulären Bluttat niemals politisch aktiv geworden war.
Zahllose andere Frauen hatten sich hingegen auf die eine oder andere Art durchaus an den revolutionären Aktionen beteiligt, am Sturm auf die Bastille ebenso wie am Marsch auf Versailles, als die Pariser Marktfrauen im Oktober 1789 mit Hacken und Piken bewaffnet zum Schloss Ludwigs XVI. zogen, um gegen die ständig weiter steigenden Brotpreise zu demonstrieren. Die privilegierteren Damen wie Germaine de Staël (1766 – 1817), Sophie de Condorcet (1764 – 1822) oder Olympe de Gouge (1748 – 1793) fanden derweil ein Betätigungsfeld in den zahlreichen Pariser Salons, jenen bevorzugten Foren politischer Debatten, die zwar von Männern dominiert, von schönen und geistreichen Damen jedoch nicht selten inspiriert wurden.
Dabei zählte es freilich keineswegs zu den Zielen der Französischen Revolution, die Gleichberechtigung der Frau voranzutreiben, im Gegenteil. Man hielt es eher mit dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778), der schlichtweg der Meinung war: »Wenn es nur vernünftige Männer auf der Welt gäbe, so bliebe jedes gelehrte Mädchen ein Leben lang eine alte Jungfer.« Die meisten Frauen waren da natürlich ganz anderer Meinung: Wenn sich die Herren Revolutionäre schon anschickten, die Welt aus den Angeln zu heben, dann wollten sie nicht weiterhin im Abseits stehen: »Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen«, schrieb die Schriftstellerin Olympe de Gouge in ihrer »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«, »sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Tribüne zu besteigen.«
Eine Tribüne hat Charlotte Corday, eine junge Frau aus der Provinz, niemals bestiegen, auch gar nicht besteigen wollen, und in ihrem kurzen Leben keinen einzigen Pariser Salon betreten. Die Emanzipation der Frau gehörte ohnehin nicht zu den Themen, mit denen sie sich beschäftigte, wenn sie abends bei Kerzenlicht die Werke der Philosophen der Aufklärung las und sich darüber ihre Gedanken machte. Auch sie fühlte den brennenden Wunsch nach einer besseren, gerechteren Welt, die am 14. Juli 1789 tatsächlich anzubrechen schien. Doch Charlottes anfängliche Hoffnungen wichen nach einiger Zeit einem unbändigen Hass auf die Wortführer der Revolution, insbesondere auf Jean-Paul Marat, den sie für den Schlimmsten und Blutrünstigsten von allen hielt. Ganz langsam wuchs daher in ihr der Wunsch, den teuflischen Journalisten zu liquidieren und durch diese Tat das französische Volk zu retten – so wie Judith einst mit der Ermordung des Holofernes das hebräische Volk gerettet hatte.
Das Klosterfräulein
Charlotte wurde am 27. August 1768 als Kind einer verarmten Adelsfamilie in einem kleinen Ort mit Namen St. Saturnin-des-Ligneries in der Normandie geboren. Zusammen mit vier Geschwistern wuchs sie auf dem elterlichen Gut in recht bescheidenen Verhältnissen auf, die insbesondere der Vater Jacques-François jedoch nicht so einfach hinzunehmen gewillt war. Als gebildeter Mann war auch er von den Ideen der Aufklärung durchdrungen, doch scheint er eher ein Träumer und romantischer Utopist gewesen zu sein als ein Mann der Praxis. Auf jeden Fall verbrachte er seine Zeit mit der Abfassung zahlloser Pamphlete und Resolutionen, um so gegen die weitere Verarmung des Landadels anzukämpfen, vergeblich …
Charlotte war also schon recht früh mit den Grundzügen des aufklärerischen Gedankenguts vertraut gewesen. In der Familie wurde viel gelesen, und man war stolz darauf, dass der Dichter Pierre Corneille zu den Vorfahren der Mutter zählte.
Als Charlotte neun Jahre alt war, zog die Familie nach Caen, da sich der Vater, des tristen Landlebens überdrüssig, hier offenbar bessere Chancen erhoffte. Doch dann kam alles anders: Bei der Geburt eines weiteren Kindes starb Charlottes Mutter mit 45 Jahren, und der Witwer stand plötzlich mit zwei kleinen Mädchen allein da, mit denen er im Grunde nichts anzufangen wusste. Die älteste Schwester war schon vor einigen Jahren gestorben, und die beiden Söhne besuchten inzwischen die Militärakademie. Blieben also noch Charlotte und ihre zwei Jahre jüngere Schwester Eléonore zu versorgen. Doch Jacques-François Corday hatte Glück: Das Benediktinerinnenkloster Abbaye-aux-Dames in Caen, das einst von Mathilde, der Gemahlin Wilhelm des Eroberers, gegründet worden war, erklärte sich bereit, die beiden Halbwaisen bei sich aufzunehmen. Hin und wieder nämlich wählten die Klosterfrauen unter den vielen mittellosen Töchtern des Landadels einige wenige aus, die dann kostenlos die Klosterschule besuchen durften.
Es scheint, als habe sich Charlotte in der ruhigen und kontemplativen Atmosphäre ausgesprochen wohlgefühlt. Denn als sie ihre Schulausbildung beendet hatte, beschloss sie, nicht zu ihrem Vater zurückzukehren, sondern im Kloster zu bleiben. Nachdem sie sich zunächst als Spitzenklöpplerin betätigt hatte, um zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen, wurde sie schon bald von der Äbtissin gebeten, als ihre Privatsekretärin zu fungieren. Man mochte die ruhige und nachdenkliche Charlotte, die nicht viel sprach, aber alle ihr aufgetragenen Arbeiten sorgsam und zuverlässig erledigte. Es war ein friedliches und beschauliches Leben, abgeschirmt von den Geschehnissen auf der Welt, die nur hin und wieder durch die dicken Klostermauern drangen. Vielleicht war dies der Grund, warum Charlotte schließlich den Entschluss fasste, Nonne zu werden. Es ist freilich auch möglich, dass sie es nur tat, um weiterhin versorgt zu sein. Denn zum Heiraten fehlte ihr nicht nur die notwendige Aussteuer, sondern auch, so scheint es, die rechte Lust. Und Frauenklöster waren ja bekanntlich seit je nicht nur Orte frommer Besinnung, sondern ebenso beliebte Unterkünfte für unversorgte Töchter. Doch es sollte ohnehin alles anders kommen, denn das friedliche Leben endete ziemlich abrupt. Nachdem eine »Regulierungskommission« in Frankreich bereits seit 1766 einschneidende Programme ausgearbeitet hatte, die in der Folgezeit zur Aufhebung von zahlreichen Konventen führten, wurden am 13. Februar 1790 im Zuge der Französischen Revolution sämtliche Klöster (mit Ausnahme der krankenpflegenden Orden) aufgelöst und so stand Charlotte mit 21 Jahren völlig allein und mittellos auf der Straße, denn eine Entschädigungszahlung vom Staat erhielten nur ehemalige Nonnen.
In dieser verzweifelten Situation fand Charlotte schließlich Aufnahme bei einer entfernten Verwandten, Madame de Bretteville, die ebenfalls in Caen lebte. Hier verbrachte sie die nächsten drei Jahre, doch es war ein recht eintöniges Leben, das sie führte. Hin und wieder brachten Verwandtenbesuche ein wenig Abwechslung in ihren Alltag, doch meistens vertrieb sie sich die Zeit mit Lektüre und Briefeschreiben oder erledigte für ihre Tante ein paar kleine Gefälligkeiten. Und auch wenn sich gewiss der eine oder andere Verehrer für das stille Mädchen mit den aschblonden Haaren und sanften Gesichtszügen interessiert haben wird, so gab es doch keine engeren Männerbekanntschaften in Charlottes Leben und sie hatte Zeit, viel zu viel Zeit zum Lesen, Träumen und Nachdenken.
Bücher als einzige Freunde
Charlottes einzige Freunde waren und blieben die Bücher, allen voran die Schriften der Aufklärer Locke, Montesquieu und Rousseau, die damals in ganz Frankreich weite Verbreitung fanden. Die Lehre von der Gewaltenteilung, die verhindern sollte, dass die Staatsgewalt in den Händen eines Einzelnen ruhte, schien auch Charlotte der einzig richtige Weg zu sein, Frankreich zu einem ähnlich freien Land zu machen, wie es die Vereinigten Staaten von Amerika bereits waren. Dort hatte man schließlich bereits 1776 mit der Unabhängigkeitserklärung bewiesen, dass die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz nicht länger eine Utopie bleiben musste!
So hatten es auch die Schriften des aus Genf stammenden Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) gelehrt, die besagten, dass alle Staatsgewalt beim souveränen Volk ruhe und es die vornehmste Aufgabe des Staates sei, den Menschen, die sich zusammengeschlossen hatten, zu dienen – nicht sie zu unterdrücken und sich an ihnen zu bereichern.
Dieses Gedankengut erfüllte Charlotte mit großer Hoffnung, und vorübergehend hatte es ja...