EINLEITUNG
1. Allgemeine Vorüberlegungen
Dieses Buch versucht, eine Einführung in den Begriff des Christentums zu geben. Es handelt sich also erstens bloß um eine Einführung und nicht mehr. Selbstverständlich steht ein derartiges Unternehmen in einer größeren Nähe zu einer persönlichen Entscheidung zum Glauben als andere wissenschaftliche oder theologische Publikationen oder akademische Veranstaltungen. Es soll sich aber dennoch um eine Einführung im Rahmen einer intellektuellen Überlegung handeln und nicht direkt und unmittelbar um religiöse Erbauung, obwohl klar ist, daß das Verhältnis einer Theologie des Geistes und des Intellekts zu einer Theologie der Herzen, der Entscheidung und des religiösen Lebens nochmals ein sehr schwieriges Problem darstellt. Es ist zweitens eine Einführung in den Begriff des Christentums beabsichtigt. Wir setzen dafür zunächst die Existenz dieses unseres eigenen persönlichen Christentums in seiner normalen kirchlichen Gestalt voraus und versuchen, es – drittens – auf den Begriff zu bringen. Dieses Wort „Begriff“ ist hinzugefügt, damit deutlich wird, daß es sich hier – um mit Hegel zu sprechen – um eine „Anstrengung des Begriffs“ handelt. Wer von vornherein nur religiöse Anregung sucht und diese Anstrengung des geduldigen, mühsamen, langweiligen Nachdenkens scheut, der sollte sich deshalb auf diese Untersuchung nicht einlassen.
2. Wissenschaftstheoretische Vorbemerkungen
Die Forderung des Vaticanum II nach einem Einführungskurs
Der äußere Anlaß für die Frage nach dem Wesen und Sinn einer ‚Einführung in den Begriff des Christentums‘ als eines Grundkurses innerhalb der Theologie ist für uns das Dekret über die Ausbildung der Priester des Vaticanum II. Dort heißt es:
Die „theologische Enzyklopädie“ im 19. Jahrhundert
Die Enzyklopädie, wie sie ursprünglich im 19. Jahrhundert konzipiert war, ist hierfür immer noch von Interesse. Sie war nicht nur als Materialsammlung alles bisher bekannten theologischen Wissens gemeint, sondern als eine Rekonstruktion dieses Wissens von seinem Ursprung her und in seiner Einheit. Man kann hier an den Tübinger Theologen Franz Anton Staudenmaier erinnern. Nach seiner ‚Encyklopädie‘ von 1834 bietet diese Disziplin den „systematischen Grundriß der gesammten Theologie“, den „gedrängten Entwurf ihrer concreten Idee nach allen wesentlichen Bestimmungen“. Er schreibt: „Denn wie der menschliche Geist ein organischer ist und ein System lebendiger Kräfte, so will er auch in der Wissenschaft einen Organismus, ein System erblicken, und er ruhet selbst nicht, bis er einen systematischen Zusammenhang der wesentlichen Theile, die den Inhalt bilden, durch seine organisierende Thätigkeit erzeugt hat. Dieser systematische Zusammenhang der verschiedenen Theile einer Wissenschaft nach ihren wesentlichen Grundbegriffen stellt sich dar in der Encyklopädie.“ Die Enzyklopädie entwickelt nach ihm den notwendigen und organischen Zusammenhang aller Teile der Theologie und stellt diese damit als wirkliche Wissenschaft dar, indem sie sie als Einheit und Totalität ihrer Verzweigungen erfaßt. Sie ist wirklicher Organismus und trägt ihr Lebensprinzip in sich.
Der Adressat der heutigen Theologie
Wer heute zur Theologie kommt – und dabei handelt es sich nicht nur um solche, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten –, ist im Durchschnitt nicht in einem Glauben beheimatet, der – gestützt durch ein homogenes, allen gemeinsames religiöses Milieu – selbstverständlich wäre. Auch der junge Theologe hat einen angefochtenen, einen gar nicht selbstverständlichen, einen heute immer neu zu erringenden, einen erst aufzubauenden Glauben, und er braucht sich dessen nicht zu schämen. Er kann sich durchaus zu dieser seiner ihm vorgegebenen Situation bekennen, weil er heute in einer geistigen Situation lebt oder sogar schon aus einer solchen kommt, die das Christentum nicht als eine selbstverständliche, indiskutable Größe erscheinen läßt.
Der Pluralismus in der heutigen Theologie und Philosophie
Die Theologie ist faktisch zerfallen in eine Unzahl von Einzeldisziplinen, wobei jeweils in der einzelnen Disziplin ein ungeheurer Stoff mit einer sehr differenzierten, schwierigen Methodologie und bei einem außerordentlich geringen Kontakt mit den anderen verwandten oder benachbarten theologischen Disziplinen geboten wird. Man muß diese Situation der heutigen Theologie nüchtern sehen und darf sich nicht Hoffnungen machen, daß dies so ohne weiteres durch die theologischen Disziplinen selbst geändert werden könnte. Es gibt zwar innerhalb der Theologie das Bemühen, z. B. Dogmatik und Exegese wieder besser zusammenzubringen oder im Kirchenrecht mehr Theologie zu treiben, als das vor zwanzig Jahren der Fall war. Selbstverständlich sind solche Kontaktbestrebungen nützlich, aber sie können den Pluralismus der Theologie heute nicht mehr überwinden.
Glaubensrechtfertigung auf einer „ersten Reflexionsstufe“
In der Dogmatik, in dem dogmatischen Traktat ‚De fide‘ (über den Glauben als solchen), gibt es eine sogenannte analysis fidei. In ihr wird von dem inneren Zusammenhang der fundamentaltheologischen Glaubwürdigkeitsargumente und von der Bedeutung gesprochen, die diese für den Glauben und den Glaubensvollzug haben. Es wird gesagt, daß diese Glaubwürdigkeitsbeweise oder Glaubwürdigkeitsargumente nach katholischer Auffassung den Glauben zwar nicht innerlich in seiner eigentlichen theologischen Eigenart als assensus super omnia firmus propter auctoritatem ipsius Dei revelantis (als eine über alles feste Zustimmung auf die Autorität des offenbarenden Gottes selbst hin) stiften, daß sie aber trotzdem zum Glauben gehören und daß solche Glaubwürdigkeitsargumente am Glauben als ganzem ihre Funktion haben. Aber in diesem Zusammenhang wird angenommen, daß für die theologisch Ungebildeten, die rudes, unter Umständen – ohne daß deswegen ihr Glaube unmöglich gemacht würde – nicht die ganze reflexe Fundamentaltheologie (auch nicht in einer Kurzausgabe) als Voraussetzung des Glaubens notwendig sei, sondern daß es auch anders gehe. Die alte Theologie des Glaubens hat immer gewußt, daß für die rudes ein Durchgang des Glaubens durch eine adäquat vollzogene Reflexion der intellektuellen Glaubwürdigkeitsgründe nicht möglich und nicht notwendig ist.
Zur inhaltlichen Konzeption der Einführung
In einer solchen ersten Reflexion über das eigene christliche Dasein und seine Berechtigung, wie sie der Einführungskurs bieten will, haben wir zweifellos noch eine Einheit von Philosophie und Theologie, denn es wird über das konkrete Ganze des einen menschlichen Selbstvollzugs eines Christen nachgedacht. Das ist eigentlich schon „Philosophie“. Es wird über ein christliches Dasein und über die intellektuelle Berechtigung eines christlichen Selbstvollzugs nachgedacht, und das ist im Grunde schon „Theologie“. Theoretisch, praktisch und didaktisch berechtigt kann hier in der Theologie selber philosophiert werden, und diese „Philosophie“ braucht sich keine Skrupel darüber zu machen, daß sie dauernd auch in die eigentlichen Gebiete der Theologie hinüberschreitet.
3. Zu einigen erkenntnistheoretischen Grundproblemen
Zum Verhältnis von Sache und Begriff, von ursprünglichem Selbstbesitz und Reflexion
Wir nennen diesen Versuch eine Einführung in den Begriff des Christentums, um dadurch auch anzudeuten, daß es hier nicht um eine mystagogische Einweihung in das Christentum gehen kann, sondern um eine begrifflich denkende Bemühung um Theologie und Religionsphilosophie auf der ersten Reflexionsstufe. Es handelt sich um den Begriff, nicht um die Sache unmittelbar, weil und obwohl hier, wie nirgends, Begriff und Sache voneinander entfernt sind und anderseits der Begriff, um verstanden zu werden, nirgends so sehr die Hinwendung zur Sache selbst verlangt wie hier. Auch wenn dieser unser Versuch scheitern würde; er muß prinzipiell nach dem Anspruch eben dieses Christentums möglich sein. Denn das Christentum ist einerseits im einzelnen Menschen bei seiner konkreten geschichtlich bedingten Endlichkeit nur dann gegeben, wenn dieser Mensch es wenigstens mit einem Minimum an personal erworbenem und glaubensmäßig umfaßtem Wissen annimmt, und dies ist anderseits, was vom Christentum als das jedermann...