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(Kein) Sex im Altenheim?

Körperlichkeit und Sexualität in der Altenhilfe. Mit Praxisleitfaden.

AutorRuth van der Vight-Klußmann
VerlagSchlütersche
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl116 Seiten
ISBN9783842685888
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
kurz und knapp: Sicherheit im Umgang mit der Sexualität der Betreuten Antworten auf ein Tabu-Thema Leitfaden als Orientierungs- und Entscheidungshilfe Alte Menschen in betreuten Wohn- und Lebensituationen haben ebenso das Bedürfnis nach gelebter Sexualität wie jüngere Personen. Dies stellt Pflege- und Betreuungskräfte jedoch vor große Herausforderungen: Wie gehen sie mit den sexuellen Wünschen ihrer Kunden um? Wie reagieren sie auf sexuelle Avancen ihrer Klienten? Wie wehren sie sexuelle Übergriffe ab? Wie gehen sie mit der Sexualität von Demenzbetroffenen um? Was bieten Sexualbegleiterinnen und wie werden sie ggf. engagiert? Auf diese und weitere Fragen bietet das Buch Antworten. In gut verständlicher Sprache werden Probleme erörtert und Perspektiven aufgezeigt - viele Beispiele vermitteln dabei einen direkten Praxisbezug. Das Besondere: Dieses Buch enthält einen praktischen Leitfaden, der Pflegenden als Orientierungs- und Entscheidungshilfe und im Alltag dienen kann.

Ruth van der Vight-Klußmann ist Soziologin und M. A. in Sozialer Arbeit. Sie betreut Menschen in schwierigen Lebenslagen und ist als gesetzliche Betreuerin selbstständig tätig.

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Leseprobe

2 WAS IST SEXUALITÄT?


Sexuelles Verhalten von Menschen, auch in Altenhilfeeinrichtungen, ist in der basalen Funktion von Sexualität begründet, wie diese sich im Verlaufe einer langen evolutionären Stammesgeschichte herausgebildet und stabilisiert hat. Es ist deshalb notwendig, sich wenigstens »im Vorübergehen« der Grundfunktion von Sexualität und ihren geschlechtsspezifischen Ausprägungen zu erinnern.

Alles individuelle Leben ist zeitlich begrenzt und muss bei zweigeschlechtlichen Lebewesen – um artspezifisch erhalten zu werden – durch das Nadelöhr der Sexualität von Mann und Frau. Durch diesen »Umweg« der zufälligen Mischung von Erbanlagen zweier Menschen (Mann und Frau) können adaptive genetische Anpassungsprozesse an veränderte Umweltbedingungen in langen Zeiträumen ablaufen und »die Art«, in diesem Fall die Spezies Mensch, bleibt lange erhalten.

2.1 Soziobiologische Perspektive


Da die einschlägige Idee zur biologischen Evolution von Geschlechtsunterschieden von Darwin abstammt, wird hier erkennbar, dass eine Erkenntnisquelle nicht dem allerneusten Datum entsprechen muss, zumal es sich hierbei um grundlegende Erkenntnisse handelt.

Männer und Frauen sind dabei biologisch unterschiedlich ausgestattet (vgl. Bischof 1980). Neben anderen haben bedeutende Soziobiologen und Evolutionäre Psychologen1 in vielen Untersuchungen plausibel gemacht, dass daraus auch unterschiedliches, also geschlechtsspezifisches Verhalten wahrscheinlich wird – auch und gerade, was die Sexualität betrifft.

Laut Bischof erfordert schon die innere Brutpflege (Schwangerschaft) ein hohes »Parental Investment«, eine hohe elterliche »Investition«. Das weibliche Geschlecht muss ein nicht unterschreitbares Mindestmaß an »Parental Investment« mit Eintreten der Befruchtung erbringen, das höher liegt als der minimal mögliche Beitrag im männlichen Geschlecht. Die Natur zwingt die Frau, ihre Investitionen »in großen Portionen« zu verteilen, sie wird kaum 20 Kinder gebären können. Beim Mann ist die Zahl möglicher Nachkommen praktisch unbeschränkt. Auch während der Geburt muss die Frau (als Mutter) – aber auch, wenn sie stillt – die ersten Jahre nach der Geburt, mehr in die genetische Replikation investieren als der Mann (als Vater). Weil die Frau das »knappe Gut« (befruchtungsfähiger Eiszellen) verwaltet, müssen Männer dagegen dafür im Rahmen der sexuellen Selektion mehr investieren. Schon auf dieser Ebene lassen sich deutlich geschlechtsspezifische Verhaltensweisen unterscheiden. Sie können im Einzelfall individuell oder kulturell überformt oder verändert werden; im Durchschnitt und auf lange Sicht dürften sich solche geschlechtstypischen Verhaltensweisen auch bis hinein ins hohe Alter durchsetzen.

Mit anderen Worten, laut Bischoff: Die »Weibchen« sind selektiver als die »Männchen« und die »Männchen« sind kompetitiver als die »Weibchen«2. Das bedeutet, dass die Weibchen die Kinderzahl rationieren und die Männchen, um etwas von der rationierten Kinderzahl abzubekommen, um die Weibchen buhlen müssen. Gewissermaßen »prügeln« sie sich um die knappen Fortpflanzungschancen. Mit Bezug auf die Rivalität mit dem gleichgeschlechtlichen Artgenossen um den andersgeschlechtlichen Artgenossen, die Partnerrivalität, verhalten sich die Männchen weitaus aggressiver als die Weibchen. Die Weibchen suchen sich ihren Partner aus, weil sie das knappe Gut verwalten und gleichzeitig mehr in Schwangerschaft und Geburt investieren. Wenn sie bei der Partnerwahl einen Fehler machen, bezahlen sie das teurer, als wenn dem Männchen ein Fehler unterläuft (vgl. Bischof 1980, S. 34).

Weil Frauen einen hohen Reproduktionsaufwand betreiben, werden sie umworben, so Voland. Und weil Männer lediglich ihre Spermien produzieren und nicht viel in die Reproduktion investieren müssen, konkurrieren sie um die Frauen, die lange und ausgiebig mit ihrem Nachwuchs beschäftigt sind. Aus der Asymmetrie der Kosten für die Fortpflanzung resultieren unterschiedliche strategische Verhaltensweisen zwischen Frauen und Männern. Typischerweise verhalten sich Frauen in der Auswahl ihres Gatten eher selektiv und Männer in der Auswahl ihrer Partnerin eher günstig an die jeweilige Situation angepasst (vgl. Voland 2007, S. 50 f.).

So finden Männer jene Frauen sexy, postuliert der Biologe und Sozialwissenschaftler Eckart Voland in seinem Kapitel »Auf dem Markt der Liebe« (2007), die eindeutige Anzeichen von Gesundheit und Fruchtbarkeit zur Schau stellen, wie beispielsweise die Gesichtssymmetrie. Hingegen suchen Frauen bei den Männern eher Hinweise in der Kategorie der sozialen Platzierung, die eine Absicherung des Nachwuchses sicherstellen, wie etwa Macht, Geld, Ehrgeiz (vgl. Voland 2007, S. 57).

Da Traumpartner und Traumpartnerinnen in der Regel aber nicht zu bekommen sind, regeln Kompromisse auf dem Markt die Nachfrage und das Angebot von Sexualität und Partnerschaft. So stellen ältere Frauen laut Volant weniger Ansprüche an die gesuchten Männer, Männer mit zunehmendem Alter werden hingegen anspruchsvoller. Auch Frauen mit Kindern verfügen über einen reduzierten »Marktwert« und fordern weniger als ungebundene. Je unattraktiver Frauen sich selbst bewerten, desto weniger Ansprüche stellen sie an ihre Sexualpartner. Und je attraktiver sich Männer selbst bewerten, desto mehr sind sie bereit in sexuelle Abenteuer zu investieren und die väterliche Fürsorge zu reduzieren (vgl. Voland 2007, S. 59 f.).

Soziobiologisch sind die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen laut Volant so zu erklären, dass im Kern gleiche Genotypen (erblich identische Organismen) auf unterschiedlich vorgefundene sozioökologische Rahmenbedingungen und Entwicklungswege Antworten in Form von Verhalten entwickeln. Somit ist die Soziobiologie eine Milieutheorie menschlichen Verhaltens, die auf einer genetischen Basis beruht (vgl. Voland 2007, S. 61).

2.2 Biologische Perspektive


Aus biologischer Sicht kann man Sexualität als den biologischen Reproduktionsmechanismus verstehen, der bei zweigeschlechtlichen Lebewesen eine intergenerative Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen ermöglicht. Der US-amerikanische Evolutionspsychologe David Buss weist darauf hin, dass sich Männer und Frauen in solchen Bereichen voneinander unterscheiden, in denen sie im Laufe der Evolutionsgeschichte wiederholt auf unterschiedliche Anpassungsprobleme gestoßen sind (vgl. Buss 2004, S. 149). Die Sicherung der Nachkommenschaft, also die genetische Replikation durch Sexualität, ist ein solches dauerhaftes Anpassungsproblem.

Im Zeitalter der Geschlechterforschung (Gender Studies) ist die Erinnerung an die biologischen Grundlagen von Sexualität vielleicht erklärungsbedürftig. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen, dass man auch in der Evolutionsbiologie davon ausgeht, dass ererbte Steuerungsmechanismen den Menschen nicht »zwingen«, etwas zu tun, sondern vielmehr als evolutionär bewährte »Vorschläge« interpretiert werden müssen: Sie geben Anstöße, motivieren ihn, sich so und nicht anders zu verhalten (vgl. Bischof 1980, S. 39). Auch ein geschlechtsspezifisches Verhalten im Rahmen der Sexualität ist also nicht genetisch determiniert. Vielmehr ist die Bandbreite möglicher Reaktionsnormen vererbt, innerhalb deren ein bestimmtes Verhalten wahrscheinlich wird.

Trotz (gendertypischer Betonung) kultureller Überformungen darf man nicht vergessen, dass biologische Prozesse genitale Reaktionsabläufe bestimmen, wie auch hirnphysiologische (insbesondere hormonelle) Aktivitäten die Grundlage der Sexualität sind. Diese biologischen und hirnphysiologischen Aktivitäten sind der Modus für diese Abläufe und sie definieren nicht nur den biologischen Aspekt weitgehend als das, was die Grundfunktion der Sexualität einrahmt und ermöglicht, sondern auch die Formen, wie diese biologische Funktion kulturell und individuell bedient wird. Sie bleiben beiden Geschlechtern unabhängig von der Reproduktionsfähigkeit erhalten und spielen deshalb auch im Alter eine bedeutende Rolle.

2.3 Geschlechtsspezifische Aspekte


Möglicherweise lässt sich das unterschiedliche Verhalten der Geschlechter bezüglich ihrer sexuellen Bedürfnisse auch noch im Alter auf die angelegte sexuelle Asymmetrie zurückführen. Bemerkenswert ist die Beobachtung des aggressiveren Verhaltens bei Männern bezüglich der Partnereroberung, was auch in den Altenhilfeeinrichtungen als Problem aufgerufen wird. Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang. Im Verlauf des Textes werden immer wieder Fälle dargestellt, die auch auf die Aggression im Bereich der Sexualität hinweisen.

Sexualität impliziert psychische Prozesse (seien sie bewusst oder unbewusst) einschließlich der sie ermöglichenden und begleitenden Gefühle: etwa Liebe, Verliebtsein, sexuelle Erregung, Lust usw. Das sind bedeutende Aspekte der Sexualität, die für das Verständnis von Sexualität im Alter von wesentlicher Bedeutung sind....

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