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E-Book

Die Familie Mann

AutorHans Wißkirchen
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783644541719
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Die Familie Mann repräsentiert ein Kapitel deutscher Zeit- und Kulturgeschichte. Der britische Diplomat Harold Nicolson nannte die Manns einmal eine «amazing family», eine erstaunliche Familie: voller Talente und Begabungen, Widersprüche und Verwicklungen. Die ungleichen Brüder Heinrich und Thomas Mann, ihre Vorfahren und Geschwister, ihre Lebenspartner und Nachkommen werden im vorliegenden Buch porträtiert. Ihre Biographien verdichten sich zu einer einzigartigen Familienchronik - und zugleich spiegelt sich in den Schicksalen der Familie Mann eine ganze Epoche. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Hans Wißkirchen, geb. 1955 in Düsseldorf. 1985 Promotion über Thomas Manns Romane «Der Zauberberg» und «Doktor Faustus». Ab 1993 Leiter des Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrums im Buddenbrookhaus der Hansestadt Lübeck. Seit 2006 Honorarprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Universität zu Lübeck und Leitender Direktor sämtlicher Lübecker Museen. Präsident der Deutschen Thomas Mann Gesellschaft.Hans Wißkirchen veröffentlichte zahlreiche Arbeiten vor allem über Heinrich und Thomas Mann. Unter anderem ist er Mitherausgeber des Katalogs «Heinrich und Thomas Mann. Ihr Leben und Werk in Text und Bild», Lübeck 1994, Autor des Bandes «Spaziergänge durch das Lübeck von Heinrich und Thomas Mann», Zürich 1996, und Mitherausgeber des Katalogs zur Neugestaltung des Buddenbrookhauses zur Expo 2000 «Buddenbrooks. Neue Blicke in ein altes Buch», Lübeck 2000.  

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Leseprobe

Die Vorfahren und die Jahre in Lübeck (1600–1894)


Wer bin ich, woher komme ich, daß ich bin, wie ich bin, und mich anders nicht machen noch wünschen kann? (GW XII, 115) Es ist Thomas Mann, der dies in den Betrachtungen eines Unpolitischen fragt, jener 1918 erschienenen großen Bekenntnisschrift, die unter anderem eine Suche nach dem geistigen Herkommen ist. Seine erste Antwort lautet: Ich bin Städter, Bürger, ein Kind und Urenkelkind deutsch-bürgerlicher Kultur. Das mütterlich-exotische Blut mochte als Ferment, mochte entfremdend und abwandelnd wirken, das Wesen, die Grundlagen veränderte es nicht, die seelischen Hauptüberlieferungen setzte es nicht außer Kraft. Waren meine Ahnen nicht Nürnberger Handwerker von jenem Schlage, den Deutschland in alle Welt und bis in den fernen Osten entsandte, zum Zeichen, es sei das Land der Städte? Sie saßen als Ratsherren im Mecklenburgischen, sie kamen nach Lübeck, sie waren «Kaufleute des römischen Reiches». (GW XII, 115)

Die Geschichte der Familie Mann lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Und tatsächlich sind im Meisterbuch 1534–1571 des Nürnberger Stadtarchivs acht Familien mit dem Namen Mann aufgeführt. Auch in Mecklenburg kann man schon im Spätmittelalter den Namen Mann nachweisen. Eine direkte Linie zwischen dieser und der Nürnberger Linie ist allerdings nicht zweifelsfrei zu belegen. Die eindeutig nachweisbare Linie der Vorfahren beginnt mit dem in Parchim ansässigen, 1611 geborenen Kaufmann Johann Mourer Mann. Seine zwei Söhne heiraten im mecklenburgischen Grabow, wo der ältere von ihnen 1694 zum Bürgermeister gewählt wurde. Der Sohn des jüngsten Bruders, Siegmund Mann, zog 1713 nach Rostock. Einer seiner Söhne, Joachim Siegmund, erlernte den Beruf des Brauers und Kaufmanns. Dessen einziger Sohn Johann Siegmund kam 1775 als Kaufmannslehrling nach Lübeck und gründete dort 1790 die Firma «Johann Siegmund Mann, Commissions- und Speditionsgeschäft». Sein Sohn, Johann Siegmund Mann jun. – der Großvater Heinrich und Thomas Manns – heiratete 1837 als zweite Frau Elisabeth Marty, die Tochter eines wohlhabenden, aus der Schweiz stammenden Kaufmanns, der ein aktives Mitglied der angesehenen reformierten Gemeinde in Lübeck war, und die Familie kam somit erstmals mit dem Süden in Kontakt.

Wir sind damit bei den Eltern von Heinrich und Thomas Mann angelangt. Der Vater, Thomas Johann Heinrich Mann, 1840 geboren, übernahm die Firma 1862. Im Jahre 1877 wird er zum Senator für Wirtschaft und Finanzen des Stadtstaates Lübeck gewählt. Er war damit nach dem Bürgermeister der wichtigste Politiker und dem Range nach Minister eines deutschen Bundesstaates. Denn Lübeck war, und das ist für Heinrich und Thomas Mann eine für das Leben prägende Erfahrung gewesen, bis 1937 ein eigenständiger Staat, eine kleine res publica mit allen dafür notwendigen Institutionen.

Der Vater war für beide Brüder eine dominante Figur, gerade weil sie sich so ganz anders entwickelten, weil sie seinem Wunsche, die Firma weiterzuführen, nicht entsprachen. Wie oft im Leben habe ich mit Lächeln festgestellt, mich geradezu dabei ertappt, daß doch eigentlich die Persönlichkeit meines verstorbenen Vaters es sei, die als geheimes Vorbild mein Tun und Lassen bestimme. (GW XI, 386) So Thomas Mann in seiner berühmten Rede Lübeck als geistige Lebensform. Und auch Heinrich Mann spiegelt das eigene Arbeitsethos, das den Zeitgenossen immer wieder aufgefallen ist, in der Person des Vaters, wenn er in seiner großen Autobiographie Ein Zeitalter wird besichtigt dessen Arbeit als die geheime Folie des eigenen Tuns schildert: Unser Vater arbeitete mit derselben Gewissenhaftigkeit für sein Haus wie für das öffentliche Wohl. Weder das eine noch das andere würde er dem Ungefähr überlassen haben. Wer erhält und fortsetzt, hat nichts anderes so sehr zu fürchten wie das Ungefähr. Um aber erst zu gestalten, was dauern soll, muß einer pünktlich und genau sein. Es gibt kein Genie außerhalb der Geschäftsstunden.[3]

In diese norddeutsche Kaufmannswelt, die sich seit dem Mittelalter langsam und stetig herausgebildet hatte und gegenüber dem restlichen wilhelminischen Deutschland immer noch eine stark konservativ-traditionelle Ausprägung besaß, kam nun die Mutter, kam Julia Bruhns, als etwas ganz Exklusives und Besonderes. In ihrer Lebensgeschichte finden sich der Norden und der Süden auf zugespitzte Weise gemischt. Ihr Vater, der Lübecker Weinhandelskaufmann Johann Ludwig Bruhns, brach mit 19 Jahren nach Brasilien auf und gründete 1841 in São Paulo eine Exportfirma für Kaffee und Zucker, die sich rasch und glänzend entwickelte. 1848 heiratete er Maria da Silva, die innerhalb von sieben Jahren sechs Kinder zur Welt brachte. 1851 schließlich wurde Julia geboren. Nach dem Tod der Mutter im Jahre 1856 siedelte der Witwer mit seinen Kindern nach Lübeck um. Er fühlte sich freilich in der protestantischen Enge des Nordens nicht mehr wohl und kehrte schon bald zurück in den Süden, nach Brasilien. Julia Mann blieb mit ihrer Schwester in einer Pension in Lübeck zurück. 1869 heiratete sie Thomas Johann Heinrich Mann.

Der Kulturschock, den Julia Mann erlebte, als sie im Alter von sieben Jahren von Brasilien nach Lübeck verpflanzt wurde, muss immens gewesen sein. Den ersten Schnee hielt sie für Zucker, und ihre Ankunft in Lübeck hat sie in einem autobiographischen Bericht festgehalten: Da die mitgebrachten, drüben getragenen seidnen Kleidchen […] ihnen bald zu klein sein würden, auch für die neuen Verhältnisse nicht paßten, wurden ihnen in Hamburg gelbe Nanking-Kleider gekauft. Mit diesen und den großen, von Rio mitgebrachten weißen Panama-Hüten über den dunklen Gesichtern, fielen sie, in Begleitung ihrer Negerin, in der kleinen Stadt – ihr neues Domizil, in welches sie darauf fuhren – sehr auf. So mußten sie sich gefallen lassen, daß ihnen auf den Straßen ganze Züge von johlenden Kindern nachliefen, bis Anna, um sie wenigstens eine Weile loszuwerden, Kuchen und Bonbons kaufte, das auf die Straße warf, wo es von den Straßenkindern aufgesammelt wurde.[4]

Die spätere Wirkung der Mutter auf die Kinder und ihre Rolle bei der Erziehung beschreibt Thomas Mann folgendermaßen: Ihre sinnlich-praeartistische Natur äußerte sich in Musikalität, geschmackvollem, bürgerlich ausgebildetem Klavierspiel und einer feinen Gesangskunst, der ich meine gute Kenntnis des deutschen Liedes verdanke. Sie war ja in sehr zartem Alter nach Lübeck verpflanzt worden und verhielt sich, solange sie den großen Hausstand leitete, durchaus als angepaßtes Kind der Stadt und ihrer oberen Gesellschaft. Aber Unterströmungen von Neigungen zum «Süden», zur Kunst, ja zur Bohème waren offenbar immer vorhanden gewesen und schlugen nach dem Tode ihres Mannes und der Aenderung der Verhältnisse durch, was die prompte Übersiedlung nach München erklärt.[5]

Julia Mann brachte fünf Kinder zur Welt. Die Söhne Heinrich und Thomas waren die ersten. Luiz Heinrich Mann wurde am 27. März 1871 geboren. Am 6. Juni 1875 kam Paul Thomas Mann auf die Welt.

Die Brüder Mann hatten eine glückliche und wohlbehütete Kindheit. Die Familie besaß ein großes und repräsentatives Haus in der Beckergrube 52, und dann gab es noch das Stammhaus der Familie in der Mengstraße 4. Hier wohnte die Großmutter, hier spielten die Brüder als Jungen sehr oft, und hier fanden vor allem die Weihnachtsfeiern für die ganze Familie statt. Das Haus ist inzwischen als «Buddenbrookhaus» weltberühmt und birgt das Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum mit einer Dauerausstellung zu Leben und Werk von Heinrich und Thomas Mann. Alle anderen Häuser, in denen die Manns gewohnt haben, also auch das Geburtshaus Thomas Manns, sind im Krieg zerstört worden.

Bei der glücklichen Kindheit gilt es, eine Einschränkung zu machen. Bei Thomas Mann lautet die Formel: Er hätte eine glückliche Kindheit gehabt, wäre da nicht die Schule gewesen: Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit, so daß es mir außerordentlich peinlich ist, vor Ihrem Publikum davon zu sprechen. Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturientenexamen gefallen wäre, – es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten. Sondern ich bin überhaupt nicht bis Prima gelangt; ich war schon in Sekunda so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze, verhaßt bei den Lehrern der altehrwürdigen Anstalt, ausgezeichneten Männern, […] so saß ich die Jahre ab, bis man mir den Berechtigungsschein zum einjährigen Militärdienst ausstellte. (GW XI, 329f.)

Ohne Umschweife gesagt: Thomas Mann war ein schlechter, ein sehr schlechter Schüler, der mit 18 Jahren gerade die mittlere Reife schaffte. Er spricht aber auch von einer schwer bestimmbaren Überlegenheit (GW XI, 330), die ihn, trotz der schlechten Leistungen, den Mitschülern gegenüber doch als etwas Besonderes erscheinen ließ. Wir wissen wenig über die Schulzeit Thomas Manns, aber es steht zu vermuten, dass er damit seine beginnenden literarischen Neigungen meinte. Schon früh nämlich hatte sich Thomas Mann auf das Schreiben verlegt. Ausgangspunkt war sein träumerischer Spieltrieb. Er war sicher nicht der «normale» Sohn eines Senators, der das Katharineum, das angesehenste Gymnasium der Stadt besuchte, um später die Firma zu übernehmen. Was er liebte, waren...

Blick ins Buch

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