2 Nichtsprachliches Verhalten im Behandlungszimmer
Manchmal fällt nichtsprachliches Verhalten nur bei dem Patienten auf, der sich vielleicht einer lebhaften Geste bedient. Gelegentlich folgt auffälligem nichtsprachlichem Verhalten des Patienten mehr oder weniger auffälliges nichtsprachliches Verhalten des Therapeuten oder umgekehrt, so als führten Patient und Therapeut in diesem Moment einen Dialog ohne Worte. Manchmal bedarf es genauen Hinsehens, um zu erkennen, dass auch subtiles nichtsprachliches Verhalten von Patient und Therapeut in diesem Moment zur Regulierung ihres wechselseitigen Verhältnisses beiträgt. Dann wieder sind die Gesten, die Patient und Therapeut verwenden, nicht zu übersehen. Aber auch, wenn Patient und Psychotherapeut sich über einige Zeit hinweg wie bewegungslos gegenübersitzen und gar kein gestisches Verhalten zeigen, kann ihr regloses Verhalten eine Funktion für ihr Gespräch haben.
Im Folgenden soll nichtsprachliches Verhalten, das Patienten und Psychotherapeuten im Gespräch miteinander zeigen, anhand von Beispielen aus der klinischen Praxis dargestellt werden. Die Beispiele beschränken sich auf nichtsprachliches Verhalten, wie es im klinischen Alltag in therapeutischen Gesprächen häufiger beobachtet werden kann. Zu Beginn wird umschriebenes, manchmal mehr, manchmal weniger flüchtiges nichtsprachliches Verhalten dargestellt, das entweder nur der Patient oder nur der Psychotherapeut zeigt, ohne dass das Verhalten korrespondierendes sichtbares oder hörbares Verhalten beim Gegenüber nach sich ziehen würde. Meist handelt es sich dabei um nichtsprachliches Verhalten, das sprachliche Konzepte illustriert. Dabei soll gleichsam am Rande eine Beobachtung wiedergegeben werden, die mehr den Charakter eines Apercus statt einer klinisch relevanten Feststellung hat, die Verwendung von Metaphern im therapeutischen Gespräch und deren Ursprungsbedeutung als eine Aktivität, die mit den Beinen oder den Füßen ausgeführt wird und von körperlichem Verhalten begleitet sein kann, das mit der Ursprungsbedeutung der jeweiligen Metapher korrespondiert.
Im Weiteren wird nichtsprachliches Verhalten als interaktives, dialogisches Geschehen beschrieben. Um dialogisches nichtsprachliches Verhalten handelt es sich unter anderem dort, wo körperliches Verhalten der einen Person körperliches Verhalten der anderen Person induziert.
Schließlich wird nichtsprachliches körperliches Verhalten beschrieben, das in Verbindung mit Ereignissen auftritt, die meist mit komplexen klinischen Konzepten wie projektiven Identifikationen, Handlungsdialogen oder Enactments bzw. szenischen Darstellungen, bei denen nichtsprachliche Mittel maßgeblich beteiligt sind, in Verbindung gebracht werden.
Weil Interaktion „turn-by-turn“ abgewickelt wird, wird das jeweilige nichtsprachliche Verhalten nicht nur beschrieben, sondern soweit wie möglich auch dessen genaue sequenzielle Abfolge dargestellt. Darüber hinaus wird nach Möglichkeit auch der lokale sprachliche Kontext wiedergegeben, in dem das körperliche Verhalten platziert war und die Worte, die Patient und Psychotherapeut miteinander ausgetauscht haben, als sie dieses Verhalten gezeigt haben. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Bedeutung nichtsprachlichen Verhaltens sich meist erst unter Bezug auf den Kontext erschließt, in dem es verankert war. Wenn das nichtsprachliche körperliche und das sprachliche Verhalten im interaktiven Austausch von Patient und Psychotherapeut schließlich auch mit seinen subtilen und oft flüchtigen Details dargestellt wird, dann geschieht das nicht aus irgendeiner Vorliebe für Nebensächlichkeiten, sondern deshalb, weil Patienten und Psychotherapeuten im Gespräch miteinander auf solche feinen Details ihres Verhaltens reagieren und sich mit Mitteln merklich beeinflussen, die mit bloßem Auge häufig kaum wahrnehmbar sind.
2.1 Nichtsprachliches Verhalten in therapeutischen Gesprächen und im Alltag
Gespräche im Alltag sind oft von vielfältigen nichtsprachlichen Aktivitäten begleitet, von lebhaften Gesten, Veränderungen der Körperhaltung, augenscheinlichen Wechseln der Blickrichtung, Vergrößerung und Verringerung des körperlichen Abstandes oder Körperberührungen. Im Vergleich dazu sind Gespräche im psychotherapeutischen Behandlungszimmer meist bewegungsarme, ruhige, manchmal scheinbar reglose Ereignisse. Außer dass Patient und Psychotherapeut mal mehr, mal weniger Worte miteinander wechseln, scheint in psychotherapeutischen Gesprächen nicht viel zu passieren. Beide sitzen auf ihren Plätzen, die sie für die Dauer des Gespräches meist unverändert beibehalten, und sie verharren dort mehr oder weniger bewegungsarm. Der körperliche Abstand zwischen ihnen bleibt für die Dauer der Behandlungsstunde meist derselbe, und auch ihre Körperhaltungen verändern sich oft in keinem nennenswerten Maße. Schließlich ist auch ausladendes Gestikulieren eher eine Ausnahme. Nur manchmal verändern sich ihre Haltungskonfigurationen45 und die Positionen, die sie zueinander einnehmen. Sichtbar mehr Bewegung zeigen beide meist nur, wenn sie Regeln des sozialen Alltags für ihr augenblickliches Zusammensein geltend machen, vor Beginn der Behandlungsstunde, wenn sie sich begrüßen, und am Ende, wenn beide die Stunde beschließen und sich voneinander verabschieden. Dann scheint es manchmal auch eher als während des therapeutischen Gesprächs möglich zu sein, an ihrem körperlichen Verhalten, das sie dabei zeigen, etwas von ihrem Verhältnis zueinander zu erkennen.
2.2 Nichtsprachliches Verhalten und sprachliche Konzepte
Selten zeigen Patienten während der Behandlung so expressives nichtsprachliches Verhalten wie die junge Dora, die, wie von Freud angenommen, mit ihrem Fingerspiel ein Handeln dargestellt hatte, an das sie sich bewusst nicht erinnern durfte. Meist ist das körperliche Verhalten des Patienten in Behandlungen flüchtiger und weniger expressiv. Dennoch können das nichtsprachliche Verhalten und die körperlichen Gesten, auch wenn sie flüchtig sind, vielfältige Funktionen haben. Gelegentlich sind die sprachlichen Mitteilungen eines Patienten nur dann zu verstehen, wenn das körperliche Verhalten, das der Patient zeigt, während er spricht, dabei im Auge behalten wird, weil sein körperliches Verhalten die Bedeutung dessen, was er sagt, in Szene setzt und darstellt, wie die sprachliche Mitteilung zu verstehen ist: Eine junge Patientin, die neben anderen Beeinträchtigungen an einer Angststörung litt, meinte zu Beginn einer Behandlungsstunde zu ihrem Therapeuten, dass es nichts gäbe, was sie mit ihm zu besprechen hätte. Wenn sie irgendetwas sagen würde, käme ihr das wie „an den Haaren herbeigezogen“ vor46.
| Th.: | So dass Ihnen fast gar nichts mehr einfällt das sie besprechen möchten |
⇒ | Pat.: | Das muss ich so richtig an den Haaren herbeiziehen was das denn sein könnte so |
| Th.: | Ja (---) wie kommt das das ist ja sonst nicht der Fall |
In dem Moment, als sie die metaphorische Wendung „an den Haaren herbeiziehen“ verwendet, zeigt die Patientin mit ihrer linken Hand ein bestimmtes gestisches Verhalten, das ihren sprachlichen Ausdruck begleitet. Sie hebt ihren linken Arm, macht eine Bewegung mit der Hand, als wolle sie sich in die Haare fassen und ballt dann die Hand zu einer Faust. Mit diesem körperlichen Verhalten setzt sie ins Bild, was sie zugleich mit Worten sagt.
Dass Gesten mit sprachlichen Konzepten kombiniert sind, wie in diesem Fall die Handgeste, die die Patientin zeigt, mit der wörtlichen Bedeutung ihres sprachlich formulierten Konzepts („an den Haaren herbeiziehen“), das sie mit ihrer Handgeste in Szene setzt, ist durchaus üblich und entspricht der konventionellen Kombination von gestischem Verhalten mit sprachlichen Ausdrücken.47 Solche körperlichen Darstellungen sprachlicher Konzepte lassen sich auch in therapeutischen Situationen häufiger beobachten. Im Weiteren vollführt die Patientin mit der noch geballten Faust eine weitere Geste, eine Art „Wegwerfbewegung“, die zu der Vermutung Anlass gibt, dass dieses gestische Verhalten den pragmatischen Sinn darstellt, dass das, was an den Haaren herbeigezogen werden muss, nicht der Rede wert ist,
fallengelassen oder eben weggeworfen werden kann. Damit liefert das körperliche Verhalten Hinweise, wie die sprachliche Mitteilung zu verstehen ist, die den Worten selber so nicht zu entnehmen ist.
Abb. 2: Gestische Darstellung und sprachliches Konzept („an den Haaren herbeiziehen“)
Untersucht man das Zusammenspiel von sprachlicher Äußerung der Patientin und ihrem körperlichen Verhalten Bild für Bild, stellt man etwas Weiteres fest: Die Patientin beginnt ihre Geste einen Bruchteil einer Sekunde bevor sie das Konzept des „An-den-Haaren-Herbeiziehens“ sprachlich formuliert. Das körperliche Verhalten geht somit der sprachlichen Konzeptualisierung voran. Auch diese zeitliche Abfolge von körperlichgestischem Verhalten und korrespondierendem sprachlichen Ausdruck ist üblich: Das körperlich-gestische Verhalten wird...