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E-Book

Lehrer als Berater in Schule und Unterricht

AutorBernhard Schmitz, Silke Hertel
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783170227828
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Im Schulalltag sind alle Lehrer beratend tätig, etwa am Elternsprechtag oder bei Schülergesprächen in der Pause. In den letzten Jahren wurde ein Ansteigen des Beratungsbedarfs von Eltern und Schülern festgestellt. In Modellen der Lehrerkompetenz zählt Beratungskompetenz zu den Schlüsselkompetenzen von Lehrern, und in der Lehreraus- und Weiterbildung finden sich zunehmend Angebote zur Schulung der Beratungskompetenz. Die Autoren leisten einen Beitrag dazu, die Ansatzpunkte für die Aus- und Weiterbildung von Lehrern im Bereich der Beratungsarbeit zu systematisieren und auf eine theoretisch fundierte Basis zu stellen.

Prof. Dr. Silke Hertel ist Juniorprofessorin im Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Professor Dr. Bernhard Schmitz ist Professor für Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Technischen Universität Darmstadt.

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Leseprobe

3 Beratungspraxis im Schulalltag


3.1 Beratungsanlässe und Beratungssituationen


Lehrpersonen nehmen bereits sehr viele Beratungsaufgaben wahr; dies ist ein Hinweis auf den hohen Beratungsbedarf von Schülern und Eltern. Die zunehmende Bedeutung von Beratungsgesprächen kann auf die vielschichtigen und rapiden Wandlungsprozesse in unterschiedlichen Lebensbereichen (im gesellschaftlichen, kulturellen und technologischen Bereich) zurückgeführt werden (siehe Palmowski, 1995).

Wichtige Gründe für das Durchführen von Beratungsgesprächen sind nach Hennig und Keller (2000), dass durch effektiv geführte Elterngespräche der Kontakt und die Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule verbessert werden können. Dabei können

  1. bestehende Ängste, Spannungen und Konflikte abgebaut und
  2. der Umgang mit Problemschülern im Schulalltag erleichtert werden, wenn Eltern als Bündnispartner gewonnen werden.

Die positiven Auswirkungen einer guten Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule auf die Leistungsentwicklung konnten in vielen empirischen Studien gezeigt werden (z. B. Manz, Fantuzzo & Power, 2004; siehe Kapitel 2.1.3).

Zunächst lassen sich im Schulalltag mindestens fünf Beratungsanlässe unterscheiden, denen wiederum spezifische Beratungsthemen zugeordnet werden können: 1. Lernberatung, 2. Verhaltensauffälligkeit und Sucht, 3. klassische Schullaufbahnberatung, 4. Erziehungsberatung und 5. Beratung in persönlichen Krisen. In Tabelle 3.1 sind die zentralen Beratungsthemen dieser fünf Beratungsanlässe aufgeführt.

In Lernberatungssituationen beraten Lehrpersonen zur Anwendung von Lernstrategien und zu Möglichkeiten der Unterstützung des Kindes beim Lernen durch die Eltern. Hier können die Bedürfnisse von Kindern mit unterschiedlichen Lerngewohnheiten gleichermaßen thematisiert werden wie die verschiedenen Möglichkeiten und Strategien der Eltern zur Unterstützung ihres Kindes beim Lernen. Entsprechende Hintergrundinformationen und Kenntnisse von Strategien lassen sich z. B. aus der pädagogisch-psychologischen Forschung und der erziehungswissenschaftlichen Forschung ableiten.

Im Hinblick auf Lernstrategien, die Gestaltung der Lernumgebungen und die Unterstützungsmöglichkeiten von Eltern lassen sich z. B. aus dem Ansatz des selbstregulierten Lernens Hinweise und Strategien ableiten, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte (siehe Exkurs S. 27). Zudem gewinnt die Beratung von Eltern zu Teilleistungsstörungen von Kindern (Legasthenie, Dyskalkulie), insbesondere im Primarbereich und in den ersten Jahren der Sekundarstufe I, zunehmend an Bedeutung.

Tab. 3.1: Beratungsanlässe und Beratungsthemen im Schulalltag

Beratungsanlässe

Beratungsthemen

1.

Lernberatung

Lernstrategien
Unterstützung des Kindes beim Lernen
Gestaltung der häuslichen Lernumgebung
Spezifische Teilleistungsschwächen (z. B. ADHS,
LRS)

2.

Verhaltensauffälligkeit
und Sucht

Unangepasstes Sozialverhalten
Soziale Ängste
Schul- und Leistungsängste
Suchtproblematiken

3.

Klassische Schullauf-
bahnberatung

Leistungsstand
Wechsel der Jahrgangsstufe (Rückstufung,
Überspringen)
Wechsel der Schulart

4.

Erziehungsberatung

Beratung zu allgemeinen Erziehungsproblemen

5.

Persönliche Krisen

Probleme im Freundeskreis
Streit mit den Eltern
Scheidung der Eltern
Gescheiterte Partnerschaft/Beziehungskrise
Tod eines engen Freundes
Tod eines Familienmitglieds

Diese Themen haben in den letzten Jahren ein breites öffentliches Interesse erlangt und werden in der Presse oft thematisiert. Informierte Eltern treten nunmehr immer häufiger auch mit Fragen zur Förderung ihres Kindes beim Lernen bzw. beim Verdacht auf eine Teilleistungsstörung an Lehrpersonen heran. Letztere sind hier als Experten für das Lernen wichtige Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler sowie für Eltern.

Exkurs: Selbstreguliertes Lernen
Das selbstregulierte Lernen ist in den letzten Jahren sehr stark in das Interesse aller an Schule und Bildung Beteiligten gerückt und wird vielfach öffentlich thematisiert. Dies ist sicherlich auch eine Folge des nicht zufriedenstellenden Abschneidens der Schüler an Schulen in Deutschland bei internationalen Vergleichsstudien wie TIMSS, PISA und IGLU.

Selbstreguliert zu lernen bedeutet, über das eigene Lernverhalten nachzudenken, motiviert an das Lernen heranzugehen und Lern- und Arbeitsstrategien effizient einzusetzen. Durch die rapiden Veränderungen in den Wissensanforderungen und vor dem Hintergrund des lebenslangen Lernens wird die Kompetenz, sich selbstreguliert Lernen und Wissen aneignen zu können, besonders wichtig. In den letzten Jahren wurden viele theoretische Modelle entwickelt, um das selbstregulierte Lernen zu beschreiben. An dieser Stelle wird das Modell des selbstregulierten Lernens nach Schmitz & Wiese (2006) bzw. Schmitz und Schmidt (2007) dargestellt, da es sich in vielen Trainingsstudien mit Schülern, Eltern und Lehrern bewährt hat.

Nach Schmitz und Schmidt (2007) lassen sich drei Phasen des selbstregulierten Lernens unterscheiden: 1. die Phase vor dem Lernen (präaktional), 2. die Phase während des Lernens (aktional) und 3. die Phase nach dem Lernen (postaktional). Die Phasen folgen nacheinander und sind verknüpft, d. h. die Handlungen vor dem Lernen wirken sich auf die Handlungen während des Lernens aus, und diese beeinflussen wiederum die Phase nach dem Lernen. Die Überlegungen, die in der Phase nach dem Lernen angestellt werden, wirken sich dann wieder auf den nächsten Lernprozess aus.

In allen drei Phasen sind verschiedene Aspekte besonders wichtig und es werden spezifische Handlungen initiiert. In der Phase vor dem Lernen überlegen die Schüler, mit welchen Strategien sie an die Aufgaben herantreten wollen. Während des Lernens werden die Strategien angewendet und die Strategiedurchführung wird „überwacht“. So kann das Verhalten direkt in der Lernsituation noch einmal angepasst werden. Nach dem Lernen überlegen die Schüler, was sie gut gemacht haben und wo sie sich noch verbessern können. Zudem suchen sie nach Ursachen für das Ergebnis.

Die Regulation des Lernens erfolgt durch den zirkulären Charakter der aufeinander folgenden Phasen (Planung, Überwachung, Reflexion) des Lernens. Dabei ist Lernen als kumulativer Prozess zu verstehen, der sich über mehrere Lernsituationen erstreckt.

Eltern und auch Lehrpersonen sind bei der Vermittlung von selbstreguliertem Lernen wichtig. Bereits vor dem Schuleintritt bekommen Kinder von ihren Eltern wichtige Inhalte vermittelt und Eltern sind mit ihrem Verhalten ein Modell für ihre Kinder (Soziales Lernen, Bandura, 1986). Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern beim Lernen lassen sich z. B. aus dem Elternmodell (Bruder, Perels & Schmitz, 2004; Miethner, Schmidt & Schmitz, 2008) ableiten. Lehrpersonen sind ebenfalls mit ihrem Verhalten ein Modell für die Schülerinnen und Schüler, zudem können sie durch Arbeitsanweisungen und die Gestaltung von Lernumgebungen das selbstregulierte Lernen ihrer Schüler unterstützen und fördern. Ein Lehrertraining zur Förderung der Selbstregulationskompetenz von Schülern im Unterricht findet sich z. B. bei Hertel (2007), einen Überblick über Trainingsprogramme und Förderansätze zum selbstregulierten Lernen geben Landmann und Schmitz (2007). Die Wirksamkeit entsprechender Trainingsprogramme konnte in vielen Studien gezeigt werden.

Unter den Beratungsanlass Verhaltensauffälligkeit und Sucht fallen Beratungen zu unangepasstem Sozialverhalten wie etwa aggressives Verhalten, distanzloses Verhalten, Mobbing und Bedrohung von Mitschülern oder Lehrpersonen. Aber auch soziale Ängste, auffällige Zurückgezogenheit, Isolation des Kindes sowie Schul- und Leistungsängste sind Verhaltensauffälligkeiten, die Anlass für eine Beratung sein können. Vor allem die Angst, vor Tests und Arbeiten zu versagen (Prüfungsangst), wird in der öffentlichen Diskussion zunehmend thematisiert und kann bereits im Grundschulalter auftreten. Im Sekundarbereich kommen dann verstärkt auch Suchtprobleme, insbesondere der Konsum von Alkohol und Drogen, als wichtige Themenbereiche für die Beratung hinzu. Allerdings gibt es an vielen Schulen bereits Lehrpersonen, die für Beratungsaufgaben insbesondere im Bereich von Suchtproblematiken ausgebildet sind.

Zu der klassischen Schullaufbahnberatung gehören all jene...

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