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E-Book

Sozialpsychologie des Schulalltags

Das Miteinander in der Schule

AutorGisela Steins
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783170227903
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Das Berufsfeld Schule fordert von Lehrern und Lehrerinnen eine große Geschicklichkeit im Umgang mit einer Fülle sozialer Phänomene. Wie man die Aufmerksamkeit einer großen Gruppe heranwachsender Jungen und Mädchen fesseln kann, wie man anregende Diskussionen im Klassenzimmer bewirken kann ... Für diese und viele andere didaktischen Grundkompetenzen bedarf es nicht nur eines fundierten Fachwissens. Die Beschäftigung mit sozialpsychologischen Theorien eröffnet auf die Handlungsfelder des schulischen Alltags spannende Perspektiven, die das Verhaltensspektrum lehrender Personen erweitern und zur konstruktiven Lösung der zahlreichen Alltagsprobleme anregen, die Schule ausmacht.

Professor Dr. Gisela Steins ist Professorin für Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie der Abteilung Psychologie des Fachbereichs Bildungswissenschaften, Universität Duisburg-Essen.

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Leseprobe

Teil II: Praktische Theorien für Facetten des Schulalltags


„Es gibt nichts, was so praktisch wäre wie eine gute Theorie.“
Kurt Lewin

Nehmen wir es ernst, dass nahezu jede Theorie, solange sie sich auf unsere konkrete Erfahrungswelt bezieht, auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden kann, dann können wir versuchen, das mit mindestens denjenigen Theorien zu machen, die für unseren Umgang mit anderen Personen bedeutsam sind.

Lehrer und Lehrerinnen können direkt bei sich selber anfangen. Nehmen wir als Auftakt zu dem nun folgenden Perspektivenwechsel die häufig gegebene Erklärung, dass es bei einer guten Lehrperson eben auf die Lehrerpersönlichkeit ankomme. Wenn wir weiterfragen, was hiermit gemeint sei, bekommen wir möglicherweise zu hören, dass es die Ausstrahlung einer Person ist, oder die Art und Weise, wie sie spricht oder mit Humor umgeht. Meistens sind es Informationen, die einen nicht weiterbringen, weil sie zu unkonkret sind. Was soll man damit anfangen, wenn man selber eine gute Lehrperson werden möchte, oder wenn Eltern möchten, dass das eigene Kind eine bessere Beziehung zur Lehrperson entwickelt?

Glauben wir an ein Konstrukt wie „Lehrerpersönlichkeit“, dann hat unser Kind Pech gehabt, wenn es den falschen Lehrer oder die falsche Lehrerin erwischt. Wir haben als Lehrperson Glück, wenn wir die „richtige“ Persönlichkeit haben.

Aber möglicherweise kommen wir weiter, wenn wir uns Fragen stellen wie „Unter welchen Bedingungen kann eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre entstehen?“, „Unter welchen Bedingungen kann eine Lehrperson auch schwierige Schüler und Schülerinnen erreichen?“ oder „Welche Einflussfaktoren bestimmen Aggression?“

Weg von stabilen Personeigenschaften hin zu situativen und interpersonellen Variablen scheint ein Weg zu sein, der allen in das komplexe System Schule involvierten Personen einen größeren Handlungsspielraum verschafft. Da das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, kann ein gelingender Unterricht nicht ausschließlich von einer guten Lehrkraft abhängen. Es bedarf der Analyse mehrerer Variablen, um zu verstehen, wie sich die Atmosphäre in einer Gruppe herausbildet, die von den meisten als motivierend empfunden wird.

Vor diesem Hintergrund sind die Theorien in dem nun folgenden Teil ausgewählt worden. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die ausgewählten Theorien, deren inhaltlichen Hintergrund und den Realitätsausschnitt des schulischen Alltags, auf den sie angewendet werden.

Der aufmerksame Leser und die aufmerksame Leserin mögen selbst entscheiden, inwieweit es sich um „gute“ Theorien handelt. Jede dieser Theorien wird im folgenden Teil zunächst dargestellt und dann jeweils auf Ausschnitte des schulischen Alltags angewendet.

Tab. 2: Ausgewählte sozialpsychologische Theorien zur Beschreibung und Erklärung von Facetten des Schulalltags. Ein Überblick

Bereich

Theorien

Variablen,
Prozesse

Anwendungs-
ausschnitt

Personenwahr-
nehmung

Implizite Persönlich-
keitstheorien

Selektion, Inferenz, Zentralität von Merkmalen, Selbsterfüllende Prophezeiungen

Vorurteile, Stereotype in der Lehrer, Schülerinteraktion

Bedingungen der
Perspektiven-
übernahme

Aufforderungscharakter, Konflikt, Egozentrismus, Perspektivenübernahme

Motivation in der Wahrnehmung der Lehrer

Gruppen-
psychologie

Macht

Machtquellen, Gehorsam

Machtverhältnisse im Schulalltag

Majorität und Minorität

Konversion, Komplizenschaft, Konformität

Gruppendruck unter Peers, im Kollegium

Sozialer
Vergleich

Soziale Vergleichs-
theorie

Konformität, Vergleichspersonen, soziale Realität, Kommunikation in Gruppen

Notengebung, Selbsteinschätzung von Fähigkeiten

Selbstwerterhaltungs-
modell

Psychologische Nähe, Leistung, Relevanz, Selbstwertminderung, Selbstwertsteigerung, Vergleichsprozess, Reflexionsprozess

Neid, Rivalität, Konkurrenz unter Schülern und Schülerinnen

Attributions-
theorie

Kelleys Attributions-
theorie

Kovariationsprinzip, Informationsquellen, Informationstypen, Ursachenannahmen, Ursachensuche

Informationsüberprüfung bei Selbsteinschätzungen, Reattribution

Existenzielle Attri-
butionen

Suche nach dem Sinn, Coping, Lebensqualität

Sinngebung negativer Ereignisse

Theorie der Verant-
wortlichkeit

Attributionale Dimensionen, Kognitionen, Emotionen, Verhalten

Ursachen von Schüler- und Lehrerverhalten

Lerntheorie

Sozial-kognitive Lern-
theorie

Motivation, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, motorische Fertigkeiten, Modelllernen, Selbstwirksamkeit

Merkmale effizienter Lehrer und Lehrerinnen, Einsatz von Modelllernen im Unterricht

Selbstwert-
theorien

Selbstaufmerksam-
keitstheorie

Objekt der Aufmerksamkeit, Diskrepanzen zwischen Ideal- und Realselbst, Normen, Standards, Selbstwertschwankungen, Konsistenz

Unterrichtsstörungen, Aufmerksamkeitslenkung

Symbolische Selbst-
ergänzung

Selbstdefinierende Ziele, Symbole, soziale Realität, Perspektivenübernahme, Zurschaustellung, Kompensation

Ursachen dysfunktionaler Verhaltensweisen von Schülern, Lehrern und Eltern

Kontroll-
theorien

Reaktanztheorie

Psychologische Reaktanz, Anpassung, Widerstand, Entscheidungsfreiheit, Wahlfreiheit, Verhalten, Emotion, Kognition

Hilfreiche Formulierung von Verboten und Meinungen

Emotions-
theorien

Zweikomponenten-
theorie

Aktivierungsniveau, soziale Umgebung, Emotionsqualität und -intensität

Emotion als Ansteckung

Rational-emotive Ver-
haltenstherapie

Aktivierende Ereignisse, Glaubenssysteme, Verhalten, Erleben, Umstrukturierung

Hilfreiche und nicht hilfreiche Überzeugungen von Lehrern gegenüber Schülern, Eltern und Kollegen.

6 Wer sind die anderen Personen? Theorien der Personenwahrnehmung


6.1 Hintergrund


Wer ist die andere Person? Die andere Person kann das für uns sein, was wir für sie empfinden: Sie kann eine schlechte Person sein, weil sie uns etwas Böses angetan hat; sie kann eine gute Person sein, weil sie uns etwas Gutes getan hat. Sie kann für uns so sein, wie sie ist, weil wir versuchen, sie zu begreifen. Die andere Person ist für uns auf alle Fälle...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Inhalt6
1 Die Absicht dieses Buches10
1.1 Ein Interview mit einer Schülerin11
1.2 Zusammenfassung und Fazit19
1.3 Fragen und Übungen19
2 Warum sind gute Theorien praktisch?20
2.1 Auswahl der Theorien22
2.2 Zusammenfassung und Fazit22
2.3 Fragen und Übungen23
3 Schule: Alle kommen schlecht weg24
3.1 Eltern24
3.2 Lehrer und Lehrerinnen24
3.3 Schüler und Schülerinnen25
3.4 Zusammenfassung und Fazit27
3.5 Fragen und Übungen27
4 Die Komplexität des schulischen Alltags28
4.1 Schüler und Schülerinnen28
4.2 Lehrer und Lehrerinnen30
4.3 Eltern33
4.4 Peers35
4.5 Geschwister36
4.6 Die institutionalisierte Ebene37
4.7 Zusammenfassung und Fazit37
4.8 Fragen und Übungen38
5 Was ist eine Theorie?39
5.1 Strukturelle Elemente39
5.2 Dynamisches Element39
5.3 Funktionen von Theorien40
5.4 Was ist eine gute Theorie?41
5.5 Zusammenfassung und Fazit42
5.6 Fragen und Übungen43
6 Wer sind die anderen Personen? Theorien der Personenwahrnehmung47
6.1 Hintergrund47
6.2 Implizite Persönlichkeitstheorien53
6.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag57
6.3 Ein Modell zur Perspektiven Übernahme60
6.3.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag64
6.4 Zusammenfassung und Fazit65
6.5 Fragen und Übungen66
7 Ein Leben in der Gruppe: Theorien zu Konformität und Macht67
7.1 Hintergrund67
7.2 Grundlagen der Macht67
7.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag68
7.3 Majorität und Minorität70
7.3.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag73
7.4 Machtausübung ohne Mehrheiten und Minderheiten76
7.4.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag78
7.5 Zusammenfassung und Fazit79
7.6 Fragen und Übungen80
8 Das Ich und die anderen: Sozialer Vergleich und seine Folgen81
8.1 Hintergrund81
8.2 Die Theorie der sozialen Vergleichsprozesse von Festinger81
8.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag82
8.3 Das Selbstwerterhaltungsmodell87
8.3.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag89
8.4 Zusammenfassung und Fazit93
8.5 Fragen und Übungen94
9 Der Mensch als Wissenschaftler, Philosoph und Richter: Attributionstheorien, existenzielle Attributionen und attributionale Theorien95
9.1 Hintergrund95
9.2 Kelleys Attributionstheorie96
9.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag98
9.3 Existenzielle Attributionen99
9.3.1 Anwendung auf den schulischen Alltag103
9.4 Attributionale Theorien103
9.4.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag105
9.5 Zusammenfassung und Fazit115
9.6 Fragen und Übungen116
10 Die Bedeutung von Modellen: Die sozial-kognitive Lerntheorie117
10.1 Hintergrund117
10.2 Die sozial-kognitive Lerntheorie von Bandura117
10.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag121
10.3 Zusammenfassung und Fazit125
10.4 Fragen und Übungen126
11 Ein Blick nach innen: Die Selbstaufmerksamkeitstheorie127
11.1 Hintergrund127
11.2 Die Theorie127
11.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag133
11.3 Zusammenfassung und Fazit138
11.4 Fragen und Übungen139
12 Ein Blick von außen: Die Theorie der symbolischen Selbstergänzung140
12.1 Hintergrund140
12.2 Die Theorie140
12.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag143
12.3 Zusammenfassung und Fazit145
12.4 Fragen und Übungen146
13 Widerstand und Anpassung: Die Reaktanztheorie147
13.1 Hintergrund147
13.2 Die Theorie149
13.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag150
13.3 Zusammenfassung und Fazit155
13.4 Fragen und Übungen156
14 Die Ursachen und Folgen von Gefühlen: Emotionstheorien157
14.1 Hintergrund157
14.2 Die Zweikomponententheorie der Emotion von Schachter und Singer159
14.2.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag161
14.3 Das Emotionskonzept in der rational-emotiven Verhaltenstherapie163
14.3.1 Die Anwendung auf den schulischen Alltag167
14.4 Zusammenfassung und Fazit180
14.5 Fragen und Übungen181
15 Theoriegeleitetes Handeln182
15.1 Anwendung von Theorien in Spontansituationen183
15.2 Ausgewählte Problemfelder187
15.3 Zusammenfassung und Fazit189
15.4 Fragen und Übungen190
16 Theoriegeleitete Definition von Schlüsselbegriffen191
16.1 Respekt191
16.2 Lehrer/-innenpersönlichkeit192
16.3 Zusammenfassung und Fazit195
16.4 Fragen und Übungen195
17 Theoriegeleitete Reformen196
17.1 Primarstufenunterricht196
17.2 Zusammenfassung und Fazit212
17.3 Fragen und Übungen212
18 Abschließende Bemerkungen213
Empfehlungen für weiterführende Lektüre215
Literatur216
Stichwortverzeichnis225

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