Der moderne Luftverkehr macht es schwierig, sich des Augenblicks bewußt zu werden, da man endlich den Fuß auf fremden Boden setzt. Das Flugzeug ist plötzlich Teil des Flughafengebäudes, die langen Korridore erweitern sich, und treppauf oder treppab erreichen Sie schließlich die Halle, in der sich die Förderbänder oder die Karusselle für das Gepäck und dahinter die seit 1986 kombinierten Schalter der Einwanderungsbehörde (Immigration Service) und des Zolls (U.S. Customs Service) befinden.
Zunächst also müssen Sie auf Ihr Gepäck warten. Es erscheint nach mehr oder weniger geraumer Zeit (falls es nicht irrtümlich nach Madagaskar oder Rejkjavik geschickt wurde). Hier gilt, nebenbei bemerkt, der biblische Grundsatz: die Ersten werden die Letzten sein – denn je früher Sie sich daheim zum Abflug einfanden, desto länger müssen Sie jetzt auf Ihre Koffer warten, da sie im tiefsten Bauch der Maschine verladen worden waren.
Prüfen Sie Ihr Gepäck sofort. Obwohl die Luftlinien es hartnäckig leugnen, besteht gar kein Zweifel, daß auf der ganzen Welt das Gepäckpersonal, ohne Rücksicht auf Alter, Nationalität, Hautfarbe und Religion, in einem streng geheimgehaltenen Lager auf seine aufopfernde Tätigkeit vorbereitet und in der rationellsten Vernichtung von Gepäckstücken geschult wird. Besondere Ehren winken dabei jenen Naturgenies, die es fertigbringen, selbst im widerstandsfähigsten Fiberglaskoffer die sorgsam in Wäsche eingebettete Kognakflasche oder Kristallvase zu brechen; weniger Begabte begnügen sich mit dem Abreißen der Griffe oder dem Absprengen der Schlösser.
Und nun, da Sie wiederum im Besitz Ihrer Koffer sind, halten Sie vermutlich Ausschau nach jenen dem europäischen Luftreisenden so vertrauten grünen Türen, durch die Sie das Flugplatzgebäude möglichst sang- und klanglos verlassen möchten. Ein bedauerlicher Irrtum: Jetzt beginnt das Anstellen vor den obenerwähnten Schaltern der Einreise- und Zollbehörde. Wenn Sie Pech haben, sind gerade vor Ihnen bereits zwei andere transatlantische Großraumflugzeuge angekommen, und die Schlangen vor diesen Kabinen sind lang. Da, dem Herdentriebe folgend, sich meist alle auf die nächstgelegenen Kabinen stürzen, ist die entfernteste Schlange meist die kürzeste. Vermeiden Sie es vor allem, sich vor den für amerikanische Staatsbürger oder das Flugpersonal reservierten Kabinen anzustellen; Ihre Wartezeit könnte sich verdoppeln, denn Sie müßten sich erneut an eine Schlange anschließen. Hüten Sie sich auch vor kinderreichen Familien oder Reisenden mit Schachteln und Körben, doch besonders vor langhaarigen, sandalentragenden, uneleganten jungen Leuten. Erstere halten die Abfertigung mit der Masse ihres umständlichen Gepäcks endlos auf; letztere haben zwar wenig bei sich, machen sich aber dank ihrer Kostümierung in der einfältigen Phantasie der Zollbeamten als potentielle Rauschgiftsüchtige oder Bombenwerfer suspekt.
Machen Sie sich auf jeden Fall auf eine lange Wartezeit gefaßt, dann können Sie höchstens angenehm überrascht werden. Was in diesem Zusammenhang »lange« sein kann, geht aus einer Zeitungsmeldung vom 11. Juni 1986 hervor, wonach damals der New Yorker Flughafen (John F. Kennedy) so überlastet war, daß ankommende Fluggäste bis zu vier Stunden bei 30 Grad Hitze warten mußten. Obwohl sich dies gebessert haben dürfte, kann ich Ihnen nur raten, New York, Boston, Chicago, Miami und Atlanta tunlichst zu meiden. Aber gerade diese fünf Städte sind eben die hauptsächlichen An- und Abflugpunkte der transatlantischen Luftlinien.
Woran dem Beamten am meisten gelegen zu sein scheint, ist, von Ihnen eine Adresse in den USA zu erhalten. Versuchen Sie nicht, ihm zu erklären, daß Sie nur eine Nacht in Ihrem ersten Hotel verbringen und dann irgendwohin weiterfahren werden. Sie würden ihm damit ein fast unlösbares Problem bereiten. Laut Dienstvorschrift braucht er eine Adresse, irgendeine, und solange er sie nicht hat, wird er darauf bestehen und Sie nicht durchlassen. Also tun Sie ihm diesen Gefallen.
Auf die komplizierten Visum- und Einreisebestimmungen kann ich hier freilich nicht eingehen, um so mehr, als sie gelegentlich geändert werden. So wurde z. B. am 1. Juli 1989 die Visumpflicht für Touristen bundesdeutscher, britischer, französischer, italienischer, niederländischer, schwedischer und schweizerischer Staatsbürgerschaft aufgehoben, und dieselbe Erleichterung gilt seit 1. Oktober 1991 u. a. auch für Bürger aus Belgien, Dänemark, Finnland, Luxemburg, Norwegen, Island, Irland, Österreich, Liechtenstein, Portugal und Spanien, sofern man sich nicht länger als 90 Tage in den USA aufhält. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, die diesbezüglichen Vorschriften bei den amerikanischen Konsulaten nachzuprüfen, denn wie auch in anderen Ländern bestimmt die Art des Visums, ob und wie oft man es im Lande verlängern kann, ob man beruflich tätig sein darf usw.2 Eine Änderung des Visumstatus von einer Kategorie in eine andere ist im Inlande meines Wissens schwer, wenn überhaupt möglich. Dies müssen Tausende von jungen Leuten, die mit einem Studentenvisum einreisen und nach Abschluß ihres Studiums dann in den USA bleiben wollen, zu ihrem Leidwesen immer wieder erfahren. Der Immigration Service bleibt da ganz herzlos und macht keine Ausnahmen. Wenn man aber einmal ordnungsgemäß eingereist ist, stellt man mit angenehmer Überraschung fest, daß Meldungen bei der Fremdenpolizei, Aufenthalts- und befristete Arbeitsbewilligungen usw. unbekannte Begriffe sind (deren Bestehen in Europa andererseits viele ahnungslose Amerikaner in Schwierigkeiten mit den Behörden bringt). Als Ausländer (ob Besucher oder Ansässiger) ist man lediglich verpflichtet, jede Änderung des Wohnsitzes binnen zehn Tagen dem Immigration Service schriftlich mitzuteilen. Die ehemalige obligatorische Adreßmeldung im Januar jedes Jahres wurde 1982 abgeschafft.
Zusätzlich zu Ihrer Adresse in den USA wünscht der Beamte Auskunft darüber, was Sie an eventuell zollpflichtigen Gegenständen mit sich führen. Die amerikanischen Behörden sind fest davon überzeugt, daß die Zukunft, die Sicherheit und die Prosperität der USA von den zwanzig Kilo Effekten abhängen, die Sie als Passagier der Touristenklasse mitbringen. Und daher unterhalten sie den riesigen, kostspieligen Apparat, mit dem Sie es jetzt zu tun bekommen. Seit der Einführung der Großraumflugzeuge und dem damit verbundenen Ansturm von Reisenden fällt die Zollkontrolle allerdings immer symbolischer aus. Praktisch hat sie keinen Zweck mehr; zu ihrer Abschaffung hat man sich aber noch nicht entschlossen.
Schließlich wünscht der Beamte zu wissen, wieviel Bargeld und andere Zahlungsmittel Sie bei sich haben. Wie schon in der Einleitung erwähnt, liegt die Höchstgrenze derzeit bei zehntausend Dollar. Sollten Sie wirklich mehr haben und unbedingt korrekt vorgehen wollen, so gibt Ihnen der Beamte auf Verlangen ein Formular (Customs Form 4790), auf dem Sie Ihren Reichtum eintragen und, nebenbei bemerkt, so auch wieder ausführen können.
Wenn es Ihnen gelingt, den Immigration Officer von Ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen, so stempelt er Ihren Paß und das Einreiseformular, steckt Ihre Zollerklärung in eine grünumrandete Plastikhülle und weist Sie an, der grünen Bodenmarkierung zum Ausgang der Zollhalle zu folgen, wo man Ihnen diese Hülle abnimmt und Sie endlich auf freien Fuß setzt.
Sollten sich dagegen irgendwelche zolltechnischen Probleme ergeben, so wird Ihre Zollerklärung in eine rotumrandete Plastikhülle gesteckt; Sie folgen dann der roten Bodenmarkierung zum eigentlichen Zollschalter.
Wie ebenfalls schon erwähnt, sind Gemüse, Früchte und Fleischwaren absolut tabu und werden Ihnen weggenommen.3 Verkneifen Sie sich die naheliegende Frage, wer sie an Ihrer Stelle essen wird; die meisten Zöllner scheinen da keinen besonderen Sinn für Humor zu haben.
Ansonsten dürfen Sie (als nichtansässiger Ausländer) Geschenke und neue Effekten für den Eigengebrauch im Wert von einhundert Dollar (pro Person) einführen (vorausgesetzt, daß Sie sich länger als 72 Stunden in den USA aufhalten werden und von dieser Freigrenze in den letzten sechs Monaten nicht bereits Gebrauch gemacht haben), 200 Zigaretten sowie ein Liter (quart) Spirituosen (sofern die Gesetze des Bundesstaates, in den Sie reisen, diese Menge zulassen). In der Schätzung dieser Gesamtsumme sind besonders die New Yorker Zöllner recht großzügig, solange sie nicht den Eindruck haben, daß Sie sie für dumm verkaufen wollen. Sie sind zum Beispiel bereit, wenn nötig, den Engros-Wert eines Artikels anzuerkennen; und falls Sie die Höchstgrenze trotzdem überschreiten, so ist der zu zahlende Zoll meist erträglich und beträgt pauschal 10 Prozent des Wertes der betreffenden Artikel (gleichgültig, welcher Art sie sind). Erst von dieser sogenannten flat-rate percentage ab werden für verschiedene Waren verschiedentlich hohe Zölle eingehoben. Der Besitz von Kassenzetteln und Abrechnungen erleichtert diese Prozedur.
Das Entlarven von Schmugglern ist für den amerikanischen Zöllner relativ einfach. Respektlos, wie der Amerikaner mit allen seinen Behörden umspringt, beseelt ihn doch eine archetypische Furcht vor zwei Instanzen: dem Zoll und der Steuer. Er verrät sich daher mit Leichtigkeit durch sein Erbleichen, Stottern und Schwitzen, wenn ihm der Beamte die schicksalhafte Frage nach dem Gesamtwert seiner Mitbringsel stellt. Als Europäer sollten Sie keine Schwierigkeit haben, dem Adlerauge...