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E-Book

Die Geschwistermeere

Geschichte des Nord- und Ostseeraums

AutorOlaf Mörke
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl306 Seiten
ISBN9783170259324
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
This book presents the integrated history of both seas and its neigh ours for the first time, from the Antique until present times. The author carves out the political, cultural and economic connecting and separating lines within the North European region between the British Isles in the West, Russia in the East, Iceland in the North, and Poland and Germany in the South. Here, he illustrates colourfully and competently, how the ideal notions, but also the actual ideas of the regional and relationship history, which has lasted over centuries, positively affected solidarity, but how it also led to conflicts.

Professor Dr. Olaf Mörke teaches history of the Middle Ages and the Modern Age at the University of Kiel.

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Leseprobe

Zur Einführung: Ost- und Nordsee, Cimbrische Halbinsel und die Idee vom Norden


 

 

Am Anfang stand die Idee zu einer Geschichte des Ostseeraumes. Dass es dafür gute Gründe gibt, haben jüngst Christoph Neidhart mit seiner anregenden virtuellen Reise durch den Kulturraum der Ostsee, Michael North mit seiner den Schwerpunkt auf Kultur und Handel legenden Geschichte der Ostsee und Alan Palmer mit seinem politikgeschichtlichen Überblick über The Baltic bewiesen.1 Vor ihnen hatten seit den 1990er Jahren andere die See und ihre Küstenregionen zwischen Kattegat und Finnischem Meerbusen ins Visier von historischen Überblicksdarstellungen genommen.2

Warum eine Geschichte der Geschwistermeere?


Die Konjunktur des Interesses an der Ostseegeschichte ist nachvollziehbar: Der Fall des Eisernen Vorhanges und das Ende des Kalten Krieges beendeten die Beschränkungen im Kontakt zwischen den vormals so unterschiedlichen politisch kulturellen Blöcken angehörenden Ostseeanrainern. Reisefreiheit ermöglichte das Kennenlernen zwischen Nachbarn, die, im Fall der deutsch-deutschen Grenze bei Lübeck trotz der Sichtweitenentfernung, sich nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten begegnen konnten.Wirtschaftlich bedingte Wanderungsbewegungen beförderten und befördern wie der Tourismus das Interesse an der Geschichte des jeweils anderen.

Auf dem Binnenmeer Ostsee ist man an keiner Stelle mehr als 130 Kilometer von Land entfernt. Nur über drei wenige Kilometer breite und zudem relativ dicht beieinanderliegende Wasserwege, den Kleinen und Großen Belt sowie den Öresund, besitzt sie Zugang zur offenen See. Auch das verstärkt den Eindruck von einem eigenen Raum. Die genannten Beispiele belegen es: Die Geschichte der Ostsee bietet allemal genug für ein umfangreiches Buch.

Trotzdem verweist der hier gewählte Titel auf einen ganz anderen räumlichen Zuschnitt. Denn Ost- und Nordsee sind seit deutlich mehr als einem Jahrtausend auf vielfältige, freilich auch in der Intensität wechselnde Weise miteinander verbunden. Drei chronologische und räumliche Eckpunkte mögen einen ersten Eindruck von der Qualität dieser Verbindung vermitteln.

Zum einen hinterließ die frühmittelalterliche Siedlungs- und Herrschaftsexpansion jener unter dem Begriff »Wikinger« zusammengefassten ethnischen Gruppen aus dem heutigen Dänemark, Norwegen und Schweden in den Nordseeraum, die nordatlantische Inselwelt sowie in den Osten und Südosten Europas bis auf den heutigen Tag prägende Spuren. Da ist zum anderen wenige Jahrhunderte später die so oft als typisch für die Ostsee angesehene Hanse. Sie spannte ihren Einfluss gar von London bis Nowgorod, von Brügge bis Bergen, beschränkte sich also keineswegs auf die Ostsee. Und da ist zum dritten die aktuelle Integration fast aller Ostseeanrainer in einen europäischen Einigungsprozess, dessen ökonomischer Schwerpunkt eher auf die Anliegerstaaten der Nord- als auf die der Ostsee weist.

Diese Anzeichen sollten vorerst dafür ausreichen, die Integration von Ost- und Nordsee in eine raumorientierte historische Analyse als sinnvoll anzusehen. Das bedeutet nicht, Eigenheiten zu verwischen und jeweils spezifische Raumdimensionen verschwinden zu lassen. Die über weite Strecken im Wortsinn überschaubare Ostsee mit ihrer ausgeprägten Untergliederung legt intensive Kontaktaufnahme und Austausch unter ihren Küstenbewohnern, sei es einvernehmlich, sei es konflikthaft, geradezu nahe. Hier bildete und bildet sich vielfach Eigenes heraus, das besonderer Betrachtung lohnt. Über das Mittelmeer ist unlängst geschrieben worden, dass seine Geschichte seit Jahrhunderten durch »eine kleinteilige Fragmentierung mit dem Streben nach Kontrolle über die Kommunikationswege« geprägt worden sei, dass es so etwas wie eine »natürliche Arena der Geschichte« forme, einen »Interaktionsraum« eigener Art3. Dies gilt auch für die Ostsee.

Von der Nordsee, auch wenn die »Arena« etwas größer ist, ihre Zu- und Ausgänge zahlreicher, deutlicher verteilt und offener sind, wird man freilich Gleiches sagen können. Das indes rechtfertigt noch nicht eine Darstellung, die ihr Interesse gemeinsam auf Ost- und Nordsee richtet. Dazu muss man eine Landschaft in den Blick nehmen, die bei einer gewissen Betriebsblindheit für das eine oder andere jener beiden Meere lediglich als ein Teil entweder der Westküste der Ostsee oder der Ostküste der Nordsee gesehen werden kann.

Die seit der Antike unter diesem Namen bekannte Cimbrische Halbinsel, heute politisch gegliedert in das deutsche Bundesland Schleswig-Holstein und das dänische Jütland, schaut gleichermaßen zur Ost- und zur Nordsee.4 Sie ist der Riegel, der sich zwischen zwei maritime Räume legt und beide zu trennen scheint. Sie ist aber ebenso Landbrücke, die diese Trennung aufhebt.

Schon im 9. Jahrhundert existierte dort ein Transitweg zwischen Nord- und Ostsee. Er nutzte die Schiffbarkeit der Flüsschen Eider und Treene, überwand eine schmale Landbrücke zwischen dem heutigen Ort Hollingstedt und Haithabu, dem damals herausragenden Handelszentrum am Meeresarm der Schlei.5 In den 1390er Jahren wurde mit dem Stecknitzkanal ein bis ins 19. Jahrhundert kommerziell genutzter künstlicher Binnenwasserweg zwischen Lübeck und der Elbe geschaffen. Er erwies sich immer dann für die Hansestädte als wertvoll, wenn ihren Schiffen in den nicht seltenen Konflikten mit Dänemark der Weg durch den Sund verwehrt blieb.6

Das lässt den schon im Mittelalter sensiblen Zusammenhang von Ökonomie und Politik in der Verbindung zwischen den Meeren ahnen. Gleiches gilt auch für den 1895 als Kaiser-Wilhelm-Kanal eröffneten Nord-Ostsee-Kanal, die noch immer meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Sein Bau entsprach wirtschaftlichen Interessen, wurde von Otto von Bismarck vor allem aber aus marinestrategischen Gründen durchgesetzt.7

Die rund 450 Kilometer lange Cimbrische Halbinsel verdient besonderes Augenmerk, weil sie Trennendes und Verbindendes in aller Deutlichkeit offenlegt, eben Barriere und Passage gleichzeitig ist. West- und Ostküste repräsentieren deutlich unterschiedliche Landschaftstypen. Marschen mit sich anschließendem Geestrücken, inselreiches Wattenmeer südlich des dänischen Blåvand, nördlich davon ein Dünengürtel prägen den Westen, eine kaum von den Gezeiten berührte, durch Fjorde (Förden) gegliederte Moränenlandschaft den Osten. Die wenigen größeren Städte vom dänischen Ålborg und Århus über Flensburg und Kiel bis Lübeck wenden sich auf den ersten Blick nur der Ostsee zu. Auf den zweiten zeigt sich freilich die enge Verbindung nach Westen, zur Nordsee. So waren seit dem 15. Jahrhundert das an der Nordsee gelegene Husum und die in der frühen Neuzeit bedeutende Handelsstadt Flensburg, deren kommerzieller Austausch sich sowohl in den Nordseeraum, voran nach den Niederlanden, als auch nach Skandinavien und zu den südlichen Ostseeanrainern erstreckte, wirtschaftlich eng verflochten. »Husum war praktisch Westhafen für Flensburg, und umgekehrt fungierte dieses als Osthafen.«8 Auch das spricht für die Kombination trennender und verbindender Elemente im Raum der Geschwistermeere.

Die politische Geschichte jenes Landstriches zwischen Elbe und Skagerrak stützt diese Perspektive. Seit dem Mittelalter zeichnete sich im Prozess der Herrschafts- und Staatsbildung die Absicht ab, Ost- und Westküste politisch zusammenzuführen. Im südlichen Teil der Westküste versuchten Friesen und Dithmarscher lange, letztere bis ins 16. Jahrhundert, ihre Eigenständigkeit gegenüber der dänischen Krone und den fürstlichen Herrschern Schleswigs und Holsteins zu bewahren. Die herrschaftliche Gliederung beider Herzogtümer nach der Landesteilung von 1581 lässt bei aller Komplexität gleichwohl die Ausrichtung der königlich-dänischen und der herzoglich gottorfischen Anteile auf die Verbindung beider Küsten deutlich hervortreten.9 Offenbar bestand ein machtpolitisches Interesse an der Verbindung beider Küsten und damit auch an der Verbindung beider Meere. Dass das mit der Kontrolle von Kommunikationswegen zu tun hatte und hat, liegt auf der Hand und wird hier immer wieder in der Chronologie zu zeigen sein.

Geschwistermeere und Historische Geographie


Darauf beschränkt sich unser Interesse an der Cimbrischen Halbinsel gleichwohl nicht. Vielmehr lassen sich an ihrem Beispiel die für die historische Geographie bedeutsamen Konzepte zum Umgang mit dem Phänomen »Raum« durchspielen. Der Historiker Jürgen Osterhammel nennt ihrer fünf:

1. »Raum als Verteilung von...

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