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Computersimulationen und sozialpädagogische Praxis

Falldarstellungen, Modellierungen und methodologische Reflexionen

AutorMatthias Herrmann
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl189 Seiten
ISBN9783531910901
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,99 EUR
Matthias Herrmann untersucht, ob Computersimulationsprogramme des sogenannten 'Soft Computing' zur Analyse sozialpädagogischer Probleme geeignet sind und inwieweit daraus auch Lösungsansätze für die Praxis abzuleiten sind.

Dr. Matthias Herrmann promovierte bei Prof. Dr. Thomas Heinze an der FernUniversität Hagen. Er ist stellvertretender Leiter einer Wohneinrichtung für psychisch kranke Jugendliche in Duisburg.

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Leseprobe
4 Die erste praxisnahe Anwendung eines Analyseprogramms (S. 47-48)

In diesem Kapitel kam zum Zweck der Analyse der Jugendhilfegruppe ein Zellularautomat der Forschergruppe um Klüver zum Einsatz. Bevor ich jedoch dessen genaue Funktionsweise und dessen konkrete Anwendung darstelle, beschreibe ich in den ersten Unterpunkten dieses Kapitels zunächst die Herleitung der empirischen Basis der Zellularautomatensimulation. Die inhaltliche Grundlage und Motivation, eine Jugendhilfegruppe zu simulieren entstand aus dem generellen Problem in Jugendhilfeeinrichtungen, dass ungünstige Gruppenzusammensetzungen das Gewaltpotential der einzelnen jugendlichen Gruppenbewohner noch deutlich erhöhen können. Exemplarisch möchte ich hier Gabis Problem zur Verdeutlichung heranziehen. Gabis Problem stellt eine typische Problemlage in der stationären Jugendhilfe dar und basiert auf einem konkreten, realen Fall.

Durch den Namen Gabi wird hier die spezielle Erzieherin benannt, die dieses Fallbeispiel durchlebt hat. Gabi ist selbstverständlich nicht ihr wirklicher Name. Gabi ist eine Erzieherin in einer Einrichtung der stationären Jugendhilfe und in diesem Fallbeispiel hat sie Dienst am Wochenende. In der besagten Gruppe innerhalb der Einrichtung für deviante Jugendliche ist es üblich, dass jedes Wochenende immer 4 andere von 12 Jugendlichen turnusmäßig nach Hause beurlaubt werden.

Daraus ergibt sich häufig die paradoxe Situation, dass sich das ohnehin schon hohe Aggressionspotential der Gruppe, trotz Verringerung der Mitgliederzahl von 12 auf 8, noch deutlich erhöht. Auch Gabi hat an diesem Wochenende das Pech, dass diese paradoxe Situation eintritt. Bestimmte Gruppenbewohner, die sonst andere Interaktionskontakte pflegen, kommen so zwangsweise, durch die Beurlaubung ihrer üblichen Interaktionspartner in die Lage mit Bewohnern häufig zu interagieren, zu denen sie sonst weniger Kontakt haben. Haben diese willkürlich zusammengeführten Bewohner ein ähnlich hohes Aggressionspotential und einen ähnlichen sozialisatorischen Erfahrungshorizont (vgl. Kap. 5), dann bestärken sich diese Bewohner untereinander in ihren aggressiven Interaktionsneigungen.

Gabi steht so nun vor der Situation, dass eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen andere Jugendliche der Gruppe unterdrückt und körperlich angeht, bis dis Situation eskaliert und Gabi die Polizei verständigen muss. Ich kann aus langjähriger Erfahrung sagen, dass solche gruppendynamisch begründeten Eskalationen Alltag innerhalb solcher Jugendhilfeeinrichtungen sind. Die Simulationen im Rahmen dieser Arbeit haben demnach immer das Ziel, solche gruppendynamisch begründeten Problemstellungen der Sozialpädagogik besser zu verstehen, um dann letztlich zu adäquaten Problemlösungen zu kommen. Die in Kap. 5 und 6 verwendeten Programme sind deshalb auch nach der Protagonistin des angeführten Fallbeispiels benannt (ZAGabi und GAGabi).

4.1 Der exemplarische, pädagogische Gegenstand

Der pädagogische Gegenstand der empirischen Untersuchungen war eine Heimgruppe in der „stationären Jugendhilfe", in der ich als pädagogischer Mitarbeiter tätig war. Die Gruppe besteht aus 12 Jugendlichen, wovon 10 männlichen Geschlechts und 2 weiblichen Geschlechts sind. Das Alter der Mitglieder liegt zwischen 13 und 18 Jahren. Des Weiteren ist zu konstatieren, dass bei jedem Bewohner dieser Heimgruppe Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten sind.

Diese äußern sich bei einem großen Teil der Jugendlichen in Form von Fremdaggression und Gewaltverhalten und bei dem anderen, kleineren Teil in Form von Depression und Autoaggressivität. Im Kontext einer Betrachtung gruppendynamischer Prozesse innerhalb solcher Gruppen bedeutet dies konkret, dass es in der vorgestellten Gruppe bei geringfügigen Änderungen der Gruppenzusammensetzung (durch z.B. Heimfahrten, Mitgliederwechsel oder Zimmerwechsel von einzelnen Mitgliedern bei 2-Bettzimmern etc.) zu problematischen Gruppenkonstellationen und in Folge dessen zu krisenhaften Situationen kommt. Solche Krisensituationen untergraben die erzieherischen Bemühungen um ein einigermaßen angenehmes Zusammenleben aller Gruppenmitglieder.
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort6
Vorwort7
Inhaltsverzeichnis8
Abbildungen und Tabellen11
1 Einleitung13
2 Das Analyseverfahren Computersimulation21
2.1 Begriffsdefinitionen21
2.2 Computersimulationen in den Sozialwissenschaften23
2.3 Top Down und Bottom Up24
2.4 Die Funktionsweise von Zellularautomaten27
2.5 Ziele und Erkenntnisinteresse29
3 Beispiele: Die Simulation einer vierten Grundschulklasse und die Entstehung eines Weltbildes33
3.1 Die Simulation mit neuronalen Netzen33
3.2 Die Simulation der Entstehung eines dichotomen Weltbildes37
4 Die erste praxisnahe Anwendung eines Analyseprogramms45
4.1 Der exemplarische, pädagogische Gegenstand46
4.2 Leitende Fragestellung und methodisches Vorgehen47
4.3 Methodisches Vorgehen bei der Sympathie-Befragung und hypothetisch - kategoriale Grundannahmen50
4.4 Methodisches Vorgehen bei der Beobachtung52
4.5 Datenauswertung der empirischen Untersuchungen54
4.6 Methodenreflexion58
4.7 Auswertung und Reflexion der Simulation70
5 Darstellung der zweiten Analyseprogrammanwendung83
5.1 Expertendiskussion Wer mag wen wie viel, oder wer ist welcher Aggressionstyp?86
5.2 Expertendiskussion: Wer sucht wen wie intensiv?100
5.3 Diskussion der Gruppenerzieher: Wer ist welcher Typ?118
5.4 Beobachtung der Gruppe und Befragung der Mitglieder nach ihrem Wohlbefinden121
5.5 Funktionsweise des ZAGabi27123
5.6 Ergebnisauswertung der Simulation129
6 Das Optimierungsprogramm GAGabi30135
6.1 Funktionsprinzip eines Genetischen Algorithmus135
6.2 Ergebnisauswertung der Optimierungsläufe142
6.3 Erzieherbefragung145
7 Methodisches Fazit der Analyseprogrammanwendungen147
7.1 Warum sind die Simulationsergebnisse des ZAGABI so realitätsnah?148
7.2 Problempotentiale bei der Programmkonstruktion und Lücken in der empirischen Testbarkeit158
7.3 Mögliche kategoriale Modifikationen des ZAGabi und die sich daraus ergebenden methodischen Konsequenzen160
8 Reflexionen zur Anwendung des Optimierungsprogramms GAGabi167
9 Abschließendes Fazit169
Anhang 1171
Frage: Wen magst Du und wen magst Du nicht?171
Frage: Wie viel magst Du es in dieser Gruppe zu leben?172
Anhang 2173
Interview mit dem Jugendlichen Tom (vgl. Kap. 3.2)173
Literaturverzeichnis184
Sachindex188

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